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Der Historiker als Experte. Die Arbeitsgruppe Historische Standortbestimmung 1961–1985, vol. 23, doc. 12
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| Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E9500.225#1000/1190#2* | |
| Old classification | CH-BAR E 9500.225(-)1000/1190 2 | |
| Dossier title | Protokolle der Arbeitsgruppe (1971–1985) | |
| File reference archive | 1 |
| Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#J1.301#2002/197#451* | |
| Old classification | CH-BAR J 1.301(-)2002/197 147 | |
| Dossier title | Arbeitsgruppe "Historische Standortbestimmung" (1980–1986) |
| Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#J1.371-01#2012/59#253* | |
| Old classification | CH-BAR J 1.371(-)2012/59 196 | |
| Dossier title | Arbeitsgruppe historische Standortbestimmung 25. Sept. 1985 (1985–1985) | |
| File reference archive | 3.8 |
| Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E7113A#1993/225#9* | |
| Old classification | CH-BAR E 7113(A)1993/225 2 | |
| Dossier title | Arbeitsgruppe für historische Standortbestimmung, Club de Neuchâtel (1985–1985) | |
| File reference archive | 771.141 |
| Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2024A#1993/354#93* | |
| Old classification | CH-BAR E 2024(A)1993/354 11 | |
| Dossier title | Historische Standortbestimmung (1982–1984) | |
| File reference archive | a.141.3(.Sd.) |
| Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E7296A#1998/421#180* | |
| Old classification | CH-BAR E 7296(A)1998/421 62 | |
| Dossier title | Arbeitsgruppe Historische Standortbestimmung (1981–1985) | |
| File reference archive | 074.75 |
| Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2010A#1996/397#1269* | |
| Old classification | CH-BAR E 2010(A)1996/397 337 | |
| Dossier title | Arbeitsgruppe "Historische Standortsbestimmung" (1984–1984) | |
| File reference archive | C.41.770.09 |
| Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2024A#1996/398#71* | |
| Old classification | CH-BAR E 2024(A)1996/398 19 | |
| Dossier title | Arbeitsgruppe "Historische Standortsbestimmungen" (1985–1987) | |
| File reference archive | a.141.32 |
dodis.ch/34228Protokoll der 46. Sitzung der Arbeitsgruppe Historische Standortbestimmung1
Europa (Europäische Integration, wirtschaftlicheund politische Aspekte)
Herr Bundesrat, meine Damen und Herren,
Es freut mich, diese Sitzung zum ersten Mal als neuer Präsident der Arbeitsgruppe «Historische Standortbestimmung» eröffnen zu dürfen. Sie wissen, dass ich am 1. Januar 1984 in dieser Eigenschaft die Nachfolge von Herrn Staatssekretär Albert Weitnauer übernommen habe.
Es ist mir ein ganz besonderes Vergnügen, Herrn Bundesrat Graber willkommen zu heissen. Er hat die Verbindung zu seinem alten Departement stets aufrecht erhalten. Wir sind sehr froh, dass Sie mit uns sein können. Wenn ich schon bei der älteren Generation bin, darf ich auch Dr. Paul Jolles, meinen Kollegen aus der Gilde der alt-Staatssekretäre unter uns begrüssen. Mein Gruss gilt ebenso allen andern Damen und Herren, Mitgliedern, Experten und Vertretern der Bundesverwaltung.
Zu Ihrer Orientierung diene, dass Herr Bodenmüller, der hier bei uns sitzt, als Sekretär unserer Arbeitsgruppe die Nachfolge von Herrn Friederich übernommen hat.
Für dieses Mal haben wir den Beginn unserer Tagung versuchsweise auf 09.30 Uhr vorverschoben. Die Vergangenheit hat in der Tat gezeigt, dass manche Teilnehmer am Samstag nachmittag aus zeitlichen Gründen nicht mehr zur Verfügung stehen können. So wird es uns vielleicht gelingen, unsere Beratungen bis zum gemeinsamen Mittagessen abzuschliessen. Sollte sich der Versuch bewähren, so können wir künftig an diesem neuen Fahrplan festhalten.
Bevor wir auf unser heutiges Thema «Europa» (europäische Integration, wirtschaftliche und politische Aspekte) eintreten, möchte ich Ihnen aber noch eine grundsätzliche Frage zur näheren Erwägung vorlegen, nämlich die, ob und welche Daseinsberechtigung unsere Arbeitsgruppe unter den heutigen Umständen, gemessen an ihrer urspünglichen Zielsetzung, noch aufweisen kann. Mit dem unlängst erfolgten Übergang des Präsidiums von ihrem spiritus rector und ersten Leiter, unserem Freunde a. Staatssekretär Dr. Albert Weitnauer, auf den Sprechenden, sind wir in der Tat an einer Wegmarke angelangt, an der sich ein Überdenken aufdrängt. Dies auch deshalb, weil sich zugleich ein gewisses Nachlassen des Interesses an unseren Zusammenkünften bemerkbar macht. So konnte beispielsweise heute von den Mitgliedern und Experten der Arbeitsgruppe nur eine knappe Hälfte bei uns erscheinen. Diese Bemerkung sei keineswegs als Kritik gemeint; denn ich weiss, welche Multiplizität an Veranstaltungen zu unserem Thema gerade gegenwärtig stattfindet. Angesichts der Tragweite unseres Gedankenaustausches gibt dieses Phänomen aber doch zu denken. Wie Sie sich erinnern, geht unsere im Dezember 1961 ins Leben gerufene Arbeitsgruppe auf die Zeit zurück, als die Marschrichtung hinsichtlich der europäischen Integration im Sinne einer eigentlichen Weichenstellung festzulegen war. Es stellte sich damals und in den nachfolgenden Jahren für die Schweiz eine ganze Reihe wegweisender Fragen, so etwa, ob wir der EWG beitreten, ob wir in der EFTA bleiben sollten, ob ein Freihandelsabkommen ausgehandelt werden könnte und was die verschiedenen Lösungen zur Folge hätten.2 Eine Anzahl technischer Arbeitsgruppen wurde beauftragt, diese Fragen auf den einzelnen Sachgebieten zu vertiefen.3 Unsere Gruppe war in einem gewissen Sinne der «think tank», der die verschiedenen dergestalt erarbeiteten Optionen von einer höheren, allgemeineren, distanzierteren, gewissermassen «historischen» Warte aus zu beurteilen hatte. Das Resultat unseres Nachdenkens wurde dem Bundesrat dann jeweils als Entscheidungshilfe unterbreitet. Ist das im Lichte der heutigen Entwicklung immer noch – oder vielleicht doch wieder – zeitgemäss? Es wäre mir sehr wertvoll, vor weiterem Ihre Auffassung, ob, und wenn ja, unter welcher Formel die Arbeitsgruppe weitergeführt werden soll, kennen zu lernen. Wir sollten in den nächsten Monaten, vor der Juni-Tagung 1985,4 darüber ins Klare kommen. Ich werde mir erlauben, zu gegebener Zeit darauf zurückzukommen.5
Doch lassen Sie uns, nach diesen einleitenden Bemerkungen, sogleich in medias res schreiten. Ich sehe, dass, ausser unseren beiden Hauptreferenten, den Herren Staatssekretär Sommaruga und Professor Hofer, eine Anzahl weiterer ausgesprochener Europaspezialisten unter uns weilen, so alt Staatssekretär Jolles, Botschafter Jagmetti, unser Missionschef bei der EG in Brüssel, Botschafter Raeber, unser ständiger Vertreter beim Europarat in Strassburg, Botschafter Blankart, Delegierter des Bundesrates für Handelsverträge, und Minister Kellenberger, der neue Chef des Integrationsbüros EDA/EVD. Ich habe Sie alle ermuntert, zur Belebung unserer Diskussion das Wort zu ergreifen. Darf ich jetzt Herrn Sommaruga bitten!
Sie haben mir ein Thema gestellt, das wohl nicht neu, jedoch heute mehr denn je aktuell ist. Hält man sich die imposanten weltwirtschaftlichen Strukturveränderungen der letzten Jahre und Jahrzehnte vor Augen, so könnte man schnell zum Schluss gelangen, Europa, bei verschiedenen Entwicklungen ins Hintertreffen geraten, sei zu sekundärer Bedeutung herabgesunken. Ich nenne das Faktum, dass in den USA in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre um die 15 Millionen neue Arbeitsplätze entstanden sind, während Westeuropa im gleichen Zeitraum 3 Millionen Arbeitsplätze verlor. Oder dass es Japan und den Schwellenländern in den siebziger Jahren gelungen ist, sich in steigendem Masse Marktanteile zuzulegen, während die westlichen Industrieländer Mühe im Halten ihrer Positionen bekunden. Oder den Umstand, dass eine Schlüsselindustrie wie jene zur Erzeugung integrierter Schaltkreise zu ungefähr 60% in den USA und zu 30% in Japan erfolgt, während auf die Erzeugung in Westeuropa weniger als zehn Prozent entfallen.
Deswegen ist Europas Bedeutung jedoch keine sinkende für die Schweiz, und jeder andere Eindruck wäre trügerisch. Nach wie vor sind die Staaten des Europäischen Freihandelsraumes – also die EG- und EFTA-Länder zusammengenommen – unsere bei weitem wichtigsten Handelspartner. Daran konnten auch die krisenhaften siebziger Jahre nichts verändern. Im Gegenteil: Ausfuhr- und Einfuhrvolumen stiegen. So führte die Schweiz 1983 für 31 Milliarden Franken Erzeugnisse in den Europäischen Freihandelsraum aus, was 57 % der schweizerischen Exporte entspricht. Und im gleichen Zeitraum führte sie für 44 Milliarden Franken Waren aus dem Freihandelsraum ein, was 72 % der schweizerischen Importe ausmacht.
Allein von daher versteht sich, dass wir Schweizer dem Freihandel in Europa – im Interesse des Wohlstandes der Menschen, die in unserem Land wohnen – Priorität beimessen. Hinzu kommt ein weiterer Punkt: Wie Westeuropa sich wirtschaftlich entwickelt, wieweit es prosperiert oder gegen Krisen ankämpft, und welche handelspolitischen Wege es dabei einschlägt, kann nicht ohne Einfluss auf die Entwicklung des Welthandels bleiben. Namentlich die Europäische Gemeinschaft prägt als einer der drei grossen Partner im spannungsvollen Dreieck EG-USA-Japan das Klima des Welthandels entscheidend mit. Auch unter diesem Gesichtspunkt sind wir Schweizer mithin an einer möglichst grossen Prosperität in Westeuropa – zu der wir das Unsere gerne beitragen wollen – interessiert.
Dass unsere europäische Integrationspolitik in die rechte Richtung geht, setzt nicht zuletzt die korrekte Vorwegnahme künftiger mutmasslicher Entwicklungen in den Europäischen Gemeinschaften voraus. Welches ist diese meine Antizipation, die in einer historischen Standortbestimmung wohl nicht fehlen darf? Sie geht aus von der Feststellung, dass die EG in der Vergangenheit auch in schwierigster Zeit vollzogene Integrationsschritte nicht rückgängig gemacht hatten und in der jüngsten Vergangenheit ein neuer Wille, die Integration weiter zu vertiefen, erkennbar ist. Es wäre eine grobe Täuschung, ob der offensichtlichen Probleme, namentlich im finanziellen und institutionellen Bereich, diese Stossrichtungzu verkennen.
Wo stehen wir wirtschaftlich in diesem Europa heute? Mit dem Abschluss der Freihandelsabkommen zwischen jedem EFTA-Land und der Europäischen Gemeinschaft 1972 konnte die Spaltung Westeuropas in zwei getrennt sich entwickelnde Wirtschaftsräume vermieden und der Grundstein zur Verwirklichung jener grossen europäischen Freihandelszone gelegt werden, wie sie die Schweiz von jeher angestrebt hatte.6 Ihre Ziele – vollständiger Zollabbau und Wegfall mengenmässiger Beschränkungen für Industriegüter mit Wettbewerbsgrundsätzen, die dem System inhärent sind – hat sie fristgerecht erreicht. Mit einem Markt von mehr als 300 Millionen Konsumenten ist sie übrigens die grösste Freihandelszone der Welt. Über die Natur des reinen Freihandels hinaus entwickelten sich unter den Partnerstaaten überdies weitere Formen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit auf Gebieten von beidseitigem Interesse, wie etwa jenem bestimmter Dienstleistungen sowie auf dem Gebiete der wissenschaftlichen und technischen Forschung, vor allem im Rahmen der eigens dafür geschaffenen westeuropäischen Organisation COST.
Diese Zusammenarbeit im Europäischen Freihandelsraum sowie die zusätzlichen bilateralen Aspekte der wirtschaftlichen Kooperation zwischen der Schweiz und den EG sind in den Kreisen der Gemeinschaft bis vor kurzem kaum als politische Realität wahrgenommen worden. Selten trafen sich einzelne Minister der EFTA-Länder mit Mitgliedern der EG-Kommission, praktisch nie mit dem Präsidenten des EG-Ministerrates! Dieses Blatt hat sich seit Beginn der 80er Jahre langsam aber sicher gewendet. Ich werde darauf zurückkommen.
Freilich sind die Institutionen, die den Prozess der Wirtschaftsintegration in Westeuropa tragen und die noch zur Zeit der Nachkriegsprosperität entstanden sind, gegenwärtig in einem Prozess der Umwandlung begriffen. Namentlich sieht sich die Europäische Gemeinschaft einer Reihe neuer und komplexer Herausforderungen gegenüber: der Meisterung ihrer Budgetkrise, der Landwirtschaftskrise, der Krise der Erweiterung, der Krise ihrer Institutionen. Gerade die Süderweiterung um die jungen Demokratien Spanien und Portugal stellt eine grosse Herausforderung an die Lebenskraft der Gemeinschaft dar,7 die ihr Wesen erneut verändern könnte – ebenso wie sich die aktuelle Zehnergemeinschaft grundlegend von der damaligen Sechsergemeinschaft der Gründungszeit unterscheidet.
Einen Wandel in das Bild der Europäischen Gemeinschaft hat auch die Direktwahl des Europäischen Parlaments gebracht. In den letzten Jahren erwies es sich als zunehmend integrationsfreundlich und als wertvolles Forum – trotz der geringen Befugnisse, die ihm anvertraut sind. Auch in Zukunft wird ihm wohl diese Rolle obliegen – obschon es aus den Neuwahlen in diesem Jahr kaum gestärkt hervorgegangen ist.
Auch die EFTA hat sich in ihrer Bedeutung gewandelt. War sie zunächst als bloss temporäre Organisation und als Alternative zur EWG gedacht, so hat sie sich inzwischen längst ihren festen und dauerhaften Platz als komplementäres Gebilde zur Europäischen Gemeinschaft erobert. Über die Verwirklichung und Aufrechterhaltung des Freihandels unter ihren Mitgliedern hinaus bewährt sie sich als wertvolles und wichtiges Forum der Information und der Koordination, mit dem die Partnerländer freiwillig und selektiv handelspolitische Belange namentlich gegenüber der Europäischen Gemeinschaft abstimmen.
Schwerpunktverlagerungen sind schliesslich auch beim Europarat auszumachen. Verschrieb er sich in seinen Anfängen dem Ziel einer politischen Union, so erlangte er bald als Organ der internationalen Rechtsangleichung seinen Stellenwert und damit Bedeutung auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Heute ist es die Rechtsharmonisierung auf dem Gebiete des Umweltschutzes, die ihm zu einem neuen Schwerpunkt seiner Tätigkeit gereichen könnte – sollten doch nationale Alleingänge in diesem Bereich, soweit sie damit neue internationale Handelshemmnisse auftürmen, wenn immer möglich vermieden werden. Übrigens sind solche Harmonisierungen in Westeuropa unerlässlich, wenn wir die echten Umweltschutzprobleme effizient und erfolgreich angehen wollen.
Das Thema der heutigen Aussprache ist der Stellung der Schweiz in Westeuropa gewidmet, so dass es keine Gelegenheit gibt, über die osteuropäischen Länder zu sprechen. Sie sollen jedoch deswegen nicht vergessen werden: sie gehören zu Europa! Das dort angewandte Wirtschafts- und Sozialsystem macht es schwierig, sich eine weitere Annäherung wirtschaftlicher Art als die bisher realisierte vorzustellen. Allerdings ist die Aufrechterhaltung eines Handelsverkehrs und gewisser Formen industrieller Zusammenarbeit sicher erstrebenswert.8
Die Krisen und Wenden der Institutionen, die die wirtschaftliche Zusammenarbeit in Westeuropa tragen: wie wirken sie sich auf die konkrete Ausgestaltung dieser Zusammenarbeit hier und heute aus? Sicher dürfen wir nicht dem voreiligen Schluss verfallen, weitere integrationspolitische Fortschritte seien nicht mehr möglich, die wirtschaftliche Kooperation unter den Staaten Westeuropas sei mit anderen Worten zum Stillstand verurteilt. Höchstens, dass sie in langsamem Tempo vor sich geht. So macht die Europäische Gemeinschaft, nachdem während einiger Zeit wenig passierte, gegenwärtig ernst mit Schritten in Richtung auf einen echten gemeinsamen Binnenmarkt. Sie steht im Begriff, Grenzformalitäten und Zolldokumentation zu vereinfachen und strebt eine gemeinschaftliche Normenpolitik an. Für die Schweiz ist es wichtig, diesen Entwicklungen gegenüber nicht ins Abseits zu geraten, sondern Hand zu konkreter Zusammenarbeit zu bieten, soweit sie im gegenseitigen Interesse liegt und auf der Grundlage der Reziprozität aufgebaut werden kann.
Solche Verbesserungen vollziehen sich in der Regel in kleinen unspektakulären Einzelschritten. Umso mehr tut es not, sich von Zeit zu Zeit auf die grundlegenden Prinzipien zu besinnen und zu sagen, wohin die integrationspolitische Marschrichtung geht. Ein Ereignis, das im Frühjahr unter gestaltender Mitwirkung der Schweiz stattfand und das wir sehr begrüssten, bot Anlass zu einer derartigen Standort- und Routenbestimmung. Ich spreche von der Ministerkonferenz in Luxemburg vom April dieses Jahres, die ich durchaus als politische Wende bezeichnen würde.9 Erstmals seit Abschluss der Freihandelsabkommen mit der Gemeinschaft ist es gelungen, die Minister der Schweiz, der anderen EFTA-Länder und der EG-Staaten an einem Tisch zu vereinen, um über das bisher Erreichte Bilanz zu ziehen und das weitere Vorgehen festzulegen. In einer eindrücklichen politischen Willenserklärung haben die Regierungen dabei den singulären Wert des Freihandels für die Volkswirtschaften der beteiligten Länder anerkannt und darüber hinaus ihre Bereitschaft bekräftigt, die wirtschaftliche Zusammenarbeit für die Zukunft zu vertiefen und auszudehnen.
Die Luxemburger Erklärung spricht sich in dieser Hinsicht unter anderem für eine Harmonisierung der Normen aus, für die Beseitigung technischer Hemmnisse, für die Vereinfachung der Grenzabfertigung und der Ursprungsregeln, für die Beseitigung unlauterer Handelspraktiken und der den Freihandelsabkommen zuwiderlaufenden staatlichen Hilfen sowie den Zugang zu öffentlichen Aufträgen. Sie geht noch weiter, indem sie die Bedeutung der Zusammenarbeit auch für Gebiete unterstreicht, die über den reinen Freihandel hinausgehen, so insbesondere für das Gebiet der Forschung.
Aus schweizerischer Sicht sind diese Schwerpunkte voll und ganz zu unterstützen.
Die Erklärung von Luxemburg ist ein eigentliches Zukunftsprogramm. Um es zu konkretisieren, stehen zunächst die folgenden vier Bereiche im Vordergrund:
Erstens der Abbau technischer Handelshemmnisse. Unterschiedliche technische Normen und Vorschriften sind es, die auch heute noch den Freihandel hemmen. Die Entstehung neuer solcher Hemmnisse zu vermeiden und den Abbau bestehender voranzutreiben, gehört zu den Prioritäten einer vertieften Zusammenarbeit innerhalb der europäischen Freihandelszone. Ein aktionsorientierter Dialog ist eingeleitet und erste konkrete Schritte wie ein Frühinformationssystem über Entwürfe für nationale Normen sind beschlossen. Mit besonderer Energie verwendet sich namentlich die Schweiz für die gegenseitige Anerkennung von Warenprüfungen, Inspektionen und Prüfungszertifikaten.
Zweitens steht die Vereinfachung der Grenzformalitäten im Vordergrund. Präzisierend muss ich beifügen, dass sich die Gespräche mit der Gemeinschaft auf den Güterverkehr beschränken. Multilaterale Diskussionen sind in diesem Bereich aber unbedingt durch bilaterale Gespräche zu ergänzen, werden die meisten praktischen Massnahmen doch im Rahmen bilateraler Konventionen getroffen. Zu den anzustrebenden Verbesserungen gehören harmonisierte Öffnungszeiten und Kompetenzen gegenüberliegender Zollstellen etc..
Drittens müssen wir in Europa die Ursprungsregeln für Freihandelsprodukte vereinfachen. Sie sind massgebend dafür, ob einem bestimmten Produkt der Ursprung innerhalb der Freihandelszone zuerkannt werden kann und es mithin die Zollpräferenz erhält. Und zwar geht es darum, liberalere Regeln zu finden für Waren, die in verschiedenen Ländern des EFTA-/EG-Freihandelsraumes in aufeinanderfolgenden Arbeitsprozessen hergestellt werden (was man als multilaterale Kumulation bezeichnet).
Ausserhalb des durch die Freihandelsabkommen abgedeckten Warenverkehrs mit gewerblichen Produkten steht vor allem eine vertiefte Zusammenarbeit im Bereich der wissenschaftlichen und technischen Forschung im Vordergrund. Dazu hat die Schweiz der Europäischen Gemeinschaft bereits vor Jahresfrist konkrete Vorschläge unterbreitet. Unser Ziel geht dahin, ein Rahmenabkommen mit der Gemeinschaft abzuschliessen, das die frühzeitige gegenseitige Information über wichtige Forschungsvorhaben sicherstellen soll und damit besser als bisher eine adäquate Aufgabenteilung zwischen verschiedenen Forschungsequipen erlaubt. Wieweit sich die Vertragspartner an den Forschungsprojekten im einzelnen beteiligen wollen, ist eine Frage der jeweiligen konkreten Interessenlage.
Mit anderen Worten: Die Beteiligung würde weiterhin «à la carte» erfolgen. Was die bereits bestehende Forschungszusammenarbeit in Europa, namentlich im Bereich der dafür eigens geschaffenen Organisation COST betrifft, so legen wir grossen Wert auf sie und wollen sie selbstverständlich weiterführen. Auch innerhalb der COST war und ist die Schweiz sehr aktiv. Ende 1983 war sie an 24 von 39 laufenden Projekten beteiligt.10
Gerade die wissenschaftliche und technische Forschung macht deutlich, wie sehr beide, die Schweiz und die Gemeinschaft, Interesse an einer vertieften Zusammenarbeit haben müssen. Zu kostspielig sind Doppelspurigkeiten, zu kostspielig ist für ein einzelnes Land oft auch die Durchführung eines grossen Projektes wie dasjenige über die Kernfusion und Plasmaphysik, wo wir uns zusammen mit Schweden als einzige Drittstaaten am Programm der Europäischen Atomgemeinschaft EURATOM substantiell beteiligen.11 Die Durchführung eines derart aufwendigen Projektes war für jeden europäischen Staat im Alleingang unmöglich. Am Beispiel der Forschung zeigt sich auch klar, dass die Schweiz ein bedeutender, ein interessanter Partner für die Gemeinschaft ist, weist sie doch pro Kopf der Bevölkerung die höchsten Ausgaben für Forschung und Entwicklung aller Länder auf, insgesamt 3 % des Bruttoinlandprodukts.
Damit die Zusammenarbeit in den in Luxemburg festgehaltenen Bereichen vorangetrieben werden kann, hat die Schweiz vorgeschlagen, ein informelles Gremium hoher Beamter im Verein mit der EG-Kommission einzusetzen.12 Die erste Sitzung hat im September stattgefunden. Diese neue Gruppe – welche vor ein paar Jahren undenkbar gewesen wäre – hat zur Aufgabe, Prioritäten festzulegen, einen Arbeitskalender aufzustellen und die Durchführung konkreter Aktionen zu überwachen.13 Soll dieses Gremium Erfolg haben, setzt das indessen zunächst voraus, dass auf Gebieten, wo die EFTA-Länder gemeinsam mit den EG eine Vertiefung der Zusammenarbeit anstreben, die EFTA-interne Vorbereitung rechtzeitig erfolgt.
Weitere Bereiche, welche die Luxemburger Erklärung beschlägt, sind der bereits erwähnte Abbau staatlicher Beihilfen und die allmähliche Öffnung des öffentlichen Beschaffungswesens, beides übrigens Gebiete, wo die Schweiz eine prioritäre Zusammenarbeit befürwortet. Diese Meinung wird von gewissen anderen EFTA-Ländern leider nicht geteilt. Dazu kommen Bereiche, die über die reinen Freihandelsbeziehungen hinausgehen wie neue Medien, Verkehr, Landwirtschaft, Fischerei, Energie, Fremdenverkehr, geistiges Eigentum, Arbeitsbedingungen, Kultur und Umweltschutz. Hier darf nicht unerwähnt bleiben, dass in vielen Fällen bereits bilaterale Konsultationen oder Abkommen bestehen und dass dabei insbesondere auch die Arbeit berücksichtigt werden muss, die andere Organisationen – wie der Europarat – leisten.
Dem Europarat wird dabei nichts weggenommen, doch wird er in Zukunft vermehrt die Funktion einer Klammer wahrnehmen müssen, die verhindert, dass sich Mitgliedstaaten und Nichtmitgliedstaaten der EG rechtlich auseinanderleben und getrennte Rechtsräume bilden.
Ich möchte in diesem Zusammenhang dem noch immer vorhandenen Gedanken entgegentreten, dass sich die Zuständigkeiten zwischen Europäischer Gemeinschaft und Europarat untereinander aufteilen lassen. Das beruht meines Erachtens auf einer falschen Einschätzung der Natur der Europäischen Gemeinschaft. Diese ist ja nicht eine internationale Organisation, sondern weist zahlreiche staatsähnliche Elemente auf, die es nicht zulassen, dass ihrer Entwicklung von aussen her Grenzen gesetzt werden. Allem, was in diese Richtung deutet, wird die EG mit Entschiedenheit entgegentreten. So kommt es, dass sich die Gemeinschaft mit Fragen befasst, die über den eigentlichen Wirtschaftsbereich hinausgehen wie Rechtsharmonisierung, Kultur oder, wie erwähnt, Fragen des Umweltschutzes. Auch ist zu bedenken, dass alle zehn Mitgliedstaaten der EG dem Europarat angehören, ja die EG-Mitgliedstaaten in ihm die Mehrheit stellen werden, wenn Spanien und Portugal beigetreten sind.
Nach dieser Bemerkung über den Europarat zurück zu den Perspektiven, wie sie sich durch eine vertiefte wirtschaftliche Zusammenarbeit unter den Freihandelspartnerländern in Europa eröffnen. Die Erklärung von Luxemburg hat den politischen Willen der 17 beteiligten Regierungen und der EG-Kommission zum Ausdruck gebracht, gemeinsam den Herausforderungen zu begegnen, mit denen Europa zurzeit konfrontiert ist. Sie hat damit die politische Basis geschaffen, um eine vertiefte wirtschaftliche Zusammenarbeit innerhalb der europäischen Freihandelszone zu realisieren. Sie hat dadurch auch unterstrichen, dass die Stärke und Dynamik Europas auf dem Zusammenhalt aller marktwirtschaftlichenDemokratien beruht.
Gerade in diesem Sinne hat die Schweiz, über die Luxemburger Erklärung hinaus, weitere diesbezügliche Vorschläge entwickelt.
Einmal möchten wir die Freihandelsabkommen ergänzen durch einen Artikel, der mengenmässige Ausfuhrbeschränkungen verbietet.14 Hier handelt es sich um das logische Korrelat zur Einfuhrliberalisierung. Diese zieht eine vermehrte internationale Arbeitsteilung und damit die eventuelle Aufgabe einzelner Produktionssparten nach sich. Vom versorgungspolitischen Standpunkt aus ist dies erst dann völlig unbedenklich, wenn die Beschaffung der Produkte auf dem Markt eines anderen Landes ohne künftige Einschränkungen möglich ist.
Im weiteren befürworten wir den Einbau einer Schiedsklausel in die Freihandelsabkommen, womit justiziable Streitigkeiten freihandelsrechtlicher Natur von einem Schiedsgericht bindend erledigt werden könnten.15 Beim heute bestehenden diplomatischen Konsultations- und Schlichtungsverfahren bleibt der geschädigten Partei bekanntlich nur der Griff zu Gegenmassnahmen übrig, wenn sie im gemischten Ausschuss keine Einigung erreicht. Vorteil einer Schiedsklausel könnte es mithin sein, das Drehen einer Retorsionsspirale mit entsprechendem Abbau des Freihandels zu verhindern.
Lassen Sie mich noch kurz auf die Süderweiterung der Gemeinschaft um Portugal und Spanien zu reden kommen. Wir begrüssen selbstverständlich aus politischen und wirtschaftlichen Gründen diese dritte Erweiterung der EG.16Portugal ist bereits heute als EFTA-Mitglied Teil des Europäischen Freihandelssystems, nicht aber Spanien, das unser 10. Handelspartner ist. Da in unserem Freihandelsabkommen mit der EWG die Gemeinschaft als solche, unabhängig von der Zusammensetzung ihrer Mitgliedstaaten, Vertragspartei ist, wird das Abkommen grundsätzlich auch auf Spanien anwendbar. Wichtig für uns sind in diesem Zusammenhang die Regelungen, die für die Übergangszeit getroffen werden, die Zeit also, nach deren Ablauf erst Spanien die Verpflichtungen aus den EG-Verträgen und den Freihandelsabkommen voll übernehmen wird. Bereits in dieser Übergangszeit hat jede Diskriminierung von Freihandelsprodukten aus dem EFTA-Raum gegenüber EG-Produkten auf dem spanischen und portugiesischen Markt zu unterbleiben. Um eine bessere Ausgangslage dafür zu schaffen, haben die EFTA-Länder schon vor fünf Jahren ein interimistisches Freihandelsabkommen mit Spanien abgeschlossen, das die Regelung der genannten Übergangszeit erleichtern sollte.17
Als letzter Punkt sei noch auf die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiete der Wirtschafts- und Währungspolitik eingegangen. Abgesehen von den Treffen im übergeordneten multilateralen Rahmen wie der OECD, an dem sowohl die Schweiz wie die Gemeinschaft vertreten sind, finden seit 1978 regelmässig bilaterale Konsultationen zwischen ihnen sowie multilaterale Konsultationen zwischen Experten der EFTA-Länder und der EG statt, die uns als Informations- und Meinungsaustausch wertvoll sind und die weitergeführt werden sollen!
Die Schweiz hat die Schaffung des Europäischen Währungssystems EWS von Anbeginn an begrüsst.18 Allen Unkenrufen zum Trotz ist es damit tatsächlich gelungen, in Westeuropa eine Zone relativer währungspolitischer Stabilität zu schaffen. Für die Schweiz ist dieser Umstand aus währungs- und handelspolitischen Gründen bedeutsam, geht doch allein die Hälfte unserer Exporte in den EG-Raum. Die Frage, ob sich unser Land am Wechselkursmechanismus der EWG beteiligen sollte, wurde schweizerischerseits verwaltungsintern wohl geprüft,19 hat sich tatsächlich aber nicht gestellt, indem das EWS von Anfang an als integrationspolitisches Instrument, also auf die Mitgliedstaaten der EG hin konzipiert war und Drittländer nie zu einer vollen Teilnahme als ebenbürtige Partner eingeladen wurden.
Indessen funktioniert die Zusammenarbeit zwischen der schweizerischen Nationalbank und dem EWS, die sich über die üblichen Kooperationsmechanismen zwischen den Notenbanken vollzieht, befriedigend. Heute steht das EWS gefestigter da, als man es ihm anfänglich zutraute, und es kann für sich in Anspruch nehmen, zur wirtschaftlichen Konvergenz seiner Mitgliedstaaten, die sich in den vergangenen Jahren etwas akzentuiert hat, beigetragen zu haben. Einen wesentlichen Fortschritt würde natürlich der Beitritt des Vereinigten Königreiches zum Interventionsmechanismus bedeuten, wofür bis jetzt keine konkreten Vorsätze zu bestehen scheinen. Die vermehrte Beanspruchung des ECU als internationale Währungseinheit ist positiv zu vermerken.
Lassen Sie mich als Schlussfolgerung festhalten: Das Konzept, das die am Freihandel teilnehmenden Staaten in Europa verbindet, hat nicht nur die bisherige Entwicklung ermöglicht: es bietet auch ein bedeutendes Potential der Zusammenarbeit für die Zukunft. Die auch innerhalb Europas wachsende wirtschaftliche Interdependenz, die Sachzwänge des wissenschaftlichen und technischen Fortschrittes, aber auch Schwierigkeiten, denen sich viele Volkswirtschaften gegenübersehen, können, sofern sie in positivem Sinne angegangen werden, zusätzliche Anreize für eine solche Zusammenarbeit bieten. Jedenfalls hat die bisherige Zusammenarbeit zur Stärkung einer objektiven Interessengemeinschaft und eines europäischen Identitätsgefühls im weitesten Sinne beigetragen, welche nicht ohne Einfluss auf die künftige Haltung der Freihandelspartner bleiben wird. Voraussetzung dazu ist allerdings eine – politisch und wirtschaftlich – einige und starke Gemeinschaft, welche sich weltoffen verhält. Ein starkes Europa muss nämlich seiner gemeinsamen Verantwortung gegenüber der Welt – insbesondere der Dritten Welt – gewachsen sein.
Bei der schrittweisen Weiterentwicklung unserer Beziehungen mit dem übrigen Westeuropa kann es sich nicht darum handeln, am bisher bewährten institutionellen Rahmen der Zusammenarbeit grundlegende Änderungen anzubringen. Hingegen geht es darum, das in Europa vorhandene Wirtschaftspotential im gegenseitigen Interesse in einem Höchstmass auszuschöpfen. Grösste Aufmerksamkeit wird in diesem Zusammenhang einer immer wieder auftauchenden Gefahr zu schenken sein: ich meine das Zusammenkoppeln mit der Gemeinschaft in defensiven handelspolitischen Aktionen gegenüber anderen Handelspartnern. Unsere Treaty Making Power, die wir weiterhin besitzen, muss im Geiste des Handelsliberalismus auf weltweiter Ebene ausgeschöpft werden. Eine in und für Europa abgekapselte Schweiz darf es nicht geben!
Die Ausschöpfung des in Europa bestehenden Wirtschaftspotentials – die letztlich Sache unternehmerischer Initiative ist – setzt günstige Rahmenbedingungen voraus, darunter eine grössere Flexibilität für den Unternehmer und kleinere Staatsquoten. Eine weitere entscheidende Rahmenbedingung, die in der heutigen Zeit nicht genug betont werden kann, bildet diejenige offener Märkte, im Klartext: den konsequenten Verzicht auf Rückfälle in den Protektionismus. Nun würde sich zwar keine Regierung einer westlichen Industrienation offen zum Protektionismus bekennen. Und doch sind protektionistische Tendenzen, denen wir energisch entgegentreten, in den letzten Jahren auch in Europa Tatsache geworden. Die Diskrepanz zwischen dem Liberalismus in der Welt der Grundsätze und zwischen oft nur kleinen und versteckten protektionistischen Zugeständnissen in der Welt der Praxis ist eben beträchtlich.
Kämpft ein Wirtschaftszweig mit Schwierigkeiten, so lockt die Versuchung, um behördliche Hilfe nachzusuchen, um damit die drängenden Anpassungsprobleme auf später vertagen zu können. Und da der Strukturwandel langfristig doch nicht umgangen werden kann, wirkt sich die Hilfe als Bumerang aus: Die Anpassungskosten werden in der Regel umso höher und die Folgen für die betroffenen Arbeitskräfte umso schwerwiegender, je länger man mit notwendigen Strukturbereinigungen zuwartet. Hingegen wird sich die europäische Industrie weiterhin auf den Weltmärkten behaupten können,
- wenn sie positive Antworten in Form von Strukturanpassungen gegenüber dem Auftreten neuer Anbieter am Weltmarkt findet;
- wenn sie also ihre Kraft nicht auf protektionistische Defensivgefechte, sondern auf die wirksame Stärkung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit konzentriert;
- und wenn sie schliesslich die freihändlerischen Grundsätze unvermindert hochhält, wie sie zwischen den Partnern des Europäischen Freihandelssystems Geltung haben. Der ungehinderte Zugang ausländischer Produkte auf dem heimischen Markt erlaubt nämlich das frühzeitige Erkennen eigener binnenwirtschaftlicher Anpassungsnotwendigkeiten und ermöglicht die strukturelle Anpassung mithin zu tieferen Kosten, als dies in aller Regel später der Fall ist: eine Grundtatsache, die gerade in wirtschaftlich wechselhaften Zeiten wie den unseren nicht aus den Augen verloren werden sollte.
Jean Monnet a dit un jour: «L’Europe ne se fera pas d’un coup, ni dans une construction d’ensemble. Elle se fera par des réalisations concrètes créant d’abord des solidarités de fait».20
Cette affirmation me semble d’importance fondamentale: elle me paraît être l’expression même de la vue que nous Suisses avons de la coopération européenne.
Vielen herzlichen Dank für Ihr konzises, umfassendes und realistisches Referat, das uns sehr viel hochinteressante Informationen geboten hat. Man sieht, die Integration ist immer noch ein Thema, nicht nur ein latentes, sondern in manchen Bereichen noch ein sehr virulentes Thema, und wir werden uns weiterhin damit beschäftigen müssen.
Ich habe nun den Vorzug, meinem alten Freund und Schulkameraden vom Bieler Gymnasium, Professor Walther Hofer, das Wort zu erteilen.
Gestatten Sie 3 Vorbemerkungen:
1. Es wäre natürlich vermessen und illusorisch, in wenigen Minuten eine politische Standortbestimmung der europäischen Integration vornehmen zu wollen. Es kann sich nur darum handeln, einige grundsätzliche Probleme anzudeuten und das eine oder andere Einzelproblem herauszuheben.
2. Meine Ausführungen sind von fundamental anderem Charakter als diejenigen von Herrn Sommaruga. Er ist sozusagen Insider, mit allen notwendigen und frischen Informationen, um eine wirtschaftliche Lagebeurteilung abgeben zu können. Ich bin Outsider, Beobachter der Szenerie und Entwicklung von aussen, ohne Information, die nicht auch jedem andern Interessierten zur Verfügung steht. Herr Sommaruga ist an entscheidender Stelle Mitgestalter der Entwicklung von schweizerischer Seite, ich aber lediglich Zuschauer, bestenfalls auch ein bisschen Mitdenker.
3. Herr Sommaruga hat gesagt, wir müssten die künftige mutmassliche Entwicklung in den europäischen Gemeinschaften voraussehen. Ich bin nur ein rückwärtsgewandter Prophet, aber der Begriff «Historische Standortbestimmung» beinhaltet ja gerade auch das!
Wenn man die Ausführungen von Herrn Sommaruga, die mir allerdings erst gestern zugänglich waren, vergleicht mit dem heute weit verbreiteten Urteil über die europäische Integration, insbesondere dem Zustand der EG, dann ergibt sich eine gewisse Diskrepanz zwischen der optimistischen Tendenz in der Beurteilung integrationspolitischer Vorgänge und insbesondere auch deren Zukunftsperspektiven und vielen Urteilen, die innerhalb und ausserhalb der EG in den vergangenen Monaten und Jahren abgegeben wurden. In ihnen ist die Rede von Dauerkrise, Ratlosigkeit, Handlungsunfähigkeit, Stillstand, Sackgasse, Notstand, usw. «Der Bund» titelte anlässlich von 35 Jahren Europarat: «Geburtstag einer sterbenden Idee?»21 «Die NZZ» schrieb vor einigen Monaten von der Unfähigkeit der EG, «ihre inneren Angelegenheiten zu regeln». Die deutsche Wochenzeitung «Parlament» titelte schon vor mehr als 2 Jahren: «Abdankung Europas oder europäische Union?»
Häufig sind Kritiken aus dem Schoss des europäischen Parlaments, wo nicht gespart wird mit Vorwürfen wie Kleinlichkeit, Mutlosigkeit, Orientierungslosigkeit, Kurzsichtigkeit usw., alle gerichtet an die nationalen Regierungen, aber auch an die europäischen Institutionen.
Wie erklärt sich dieser Widerspruch? Kommt er zustande, weil die einen mehr von wirtschaftlichen Errungenschaften reden und die anderen mehr von nicht erreichten politischen Zielen?
Grundsätzlich fällt das Urteil über das, was in europäischer Integration erreicht wurde, völlig anders aus, ob man es von der Vergangenheit oder von der Zukunft her vornimmt. Wenn man den heutigen Stand der EG vom Standpunkt des europäischen Idealismus, etwa gar der Idee eines europäischen Bundesstaates her beurteilt, dann kann nur Enttäuschung und Resignation das Resultat sein. Auch selbst von den Römer Verträgen her entsprechen die Verhältnisse von heute längst nicht den Erwartungen, die man seinerzeit hegte. Wenn man aber ins Auge fasst, wie Europa bzw. Westeuropa vor Beginn der europäischen Integrationsbestrebungen ausgesehen hat, so kann man über die erzielten Fortschritte auch erstaunt sein. Wer hätte denn gedacht, dass z.B. die deutsch-französische Erbfeindschaft innerhalb weniger Jahre, zwischen 1945 und 1955 etwa, in enge Zusammenarbeit umgewandelt wurde. Dies ist in der neueren Geschichte einzigartig.
Man sollte auch nicht vergessen, dass der Kerngedanke der europäischen Integration, wie er schon in der Montan-Union enthalten war, die Verhinderung neuer Kriege gewesen ist. Besonders deutlich ist dieses sicherheitspolitische Ziel in der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zum Ausdruck gekommen, die leider gescheitert ist.22
Auch im Vorfeld der Römer Verträge spielte der Gedanke der politischen Union stets eine Rolle: dass Europa sich politisch einigen müsste, um sich selbst verteidigen und in der Weltpolitik wieder massgeblichen Einfluss nehmen zu können. Doch waren die Schwierigkeiten auf diesem Wege – wie schon bei früheren Gelegenheiten – zu gross, besonders wegen der geforderten Souveränitätsverzichte. Man erhoffte sich dann mehr oder weniger automatische politische Integrationswirkungen, wenn nur die wirtschaftliche Integration entsprechend vorangetrieben würde. Diese Automatik aber ist nicht eingetreten. Es hat sich gezeigt, dass die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwar auch politische Implikationen hat, aber nicht notwendig zu politischer Integration führen muss. Man hat zum historischen Vergleich etwa darauf hingewiesen, dass aus dem Preussischen Zollverein keineswegs automatisch die Deutsche Einigung entstanden sei. Vielmehr bedurfte es einer klaren politischen Zielsetzung, und vor allem des politischen Willens, um diese zu verwirklichen. Gerade an diesem politischen Willen fehlt es heute offenbar. Damit ist die Frage nach dem Verhältnis von Wirtschaft und Politik in der europäischen Integration gestellt. Wir wissen alle, dass politische Gründe uns daran gehindert haben, Mitglied der Europäischen Gemeinschaften zu werden, während wirtschaftliche Interessen und Verflechtungen eher für Mitmachen gesprochen hätten. Nach allem, was wir von offizieller Seite zu hören bekommen, soll es, was die Schweiz anbetrifft, dabei auch bleiben: Ausbau wirtschaftlicher Zusammenarbeit im weitesten Sinn, doch keine politische Integration. Solche wollen nur überzeugte Europäer, wie zum Beispiel Frau Prof. Jeanne Hersch.
Wie aber, wenn auch die wirtschaftliche Integration ohne politischen Willen nicht mehr voranzutreiben ist? Auf dem deutsch-französischen Treffen, das zu Beginn dieser Woche in Paris stattgefunden hat, beschworen Mitterrand wie Kohl die absolute Notwendigkeit einer Fortentwicklung der Gemeinschaft in Richtung auf eine politische Union, andernfalls ein «Absinken zu einer blossen Freihandelszone» zu befürchten sei, wie Kohl sich ausdrückte. Hier ist ein klares Junktim zwischen ökonomischer und politischer Entwicklung festzustellen. Zugleich wird zugegeben, dass es eben keine Automatik in dem Sinne gibt, dass wirtschaftliche Integration von selbst zu politischer Integration führt.
Der unvergessliche Wilhelm Röpke hat seinerzeit dieses Problem im Bonmot zusammengefasst, dass die Alte Eidgenossenschaft auch nicht aus dem Zusammenschluss von Käsereigenossenschaften entstanden sei,23 und Ernest Renan hat schon viel früher angesichts der Entwicklung im 19. Jahrhundert gesagt, ein Zollverein sei noch kein Vaterland.24
À propos Alte Eidgenossenschaft: Sie ist als Modell für einen europäischen Zusammenschluss immer wieder angeboten und von konsequenten Europäern ebenso oft entrüstet zurückgewiesen worden. Das Modell meint, dass die Mitgliedschaft nicht an doktrinär festgehaltene und für alle einheitliche Auflagen gebunden sein sollte, sondern dass ein Vertragssystem mit individuell angepassten «Anzügen» anvisiert werden sollte, also, um im Bild zu bleiben: nicht von der Stange, sondern nach Mass.
Inzwischen scheint ein solches Modell auch bei überzeugten Europäern Anklang zu finden. Anlässlich des früheren deutsch-französischen Treffens von Ende Oktober war vom «Europa der zwei Geschwindigkeiten» die Rede, also der Idee, den politischen Zusammenschluss möglicherweise nur innerhalb eines beschränkten Kreises voranzutreiben. Ich denke, wir sollten bei uns diese Perspektive genau prüfen, ob sich nicht auch für unser Land neue Möglichkeiten politischer Zusammenarbeit ergeben könnten. Denn wir befinden uns ja nach wie vor in einem Dilemma gegenüber der europäischen Integration – einem Dilemma, das in den vergangenen Jahren nur deswegen in den Hintergrund getreten ist, weil eben die politische Integration zu stagnieren begann. Sollte sie neuen Impuls bekommen, besonders wenn eine Erweiterung realisiert werden kann, wird das Dilemma wieder stärker spürbar werden. Es besteht darin, dass wir an einem wirtschaftlich prosperierenden Europa existentiell interessiert sind, durch einen engeren politischen Zusammenschluss aber in neue Schwierigkeiten geraten könnten. Oder ist man der Ansicht, dass der Vertrag von 1972 uns gegen alle solche Eventualitäten wappnet? Auch darüber sollten wir uns unterhalten.
Staatssekretär Sommaruga hat auch das Problem der Süderweiterung der EG angesprochen: wir begrüssten diese aus politischen und wirtschaftlichen Gründen. Politisch wird sie wohl auch von allen Mitgliedern der EG begrüsst, doch gibt es die uns allen bekannten wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Es scheint mir symptomatisch für das Verhältnis von Wirtschaft und Politik, dass die für wirtschaftlichen Probleme zuständigen Minister sozusagen das Handtuch geworfen haben, um die Entscheidung den Aussenministern zu überlassen. Als wir seinerzeit den Beitritt der zum demokratischen System zurückkehrenden iberischen Länder zumEuroparat aktiv förderten, war uns immer klar, dass es nicht bei politischen Massnahmen bleiben konnte. Ich sagte damals dem Sinne nach: Wir können diese Länder nicht die Menschenrechtskonvention unterschreiben und sie dann im Regen stehen lassen. Unsere These war immer, dass wir höher entwickelten Länder den ärmeren Demokratien im Süden unter die Arme greifen müssten. Wir haben seinerzeit sogar die Nord-Süd-Kommission gegründet, mit der Aufgabe, dieser Problematik besondere Aufmerksamkeit zu schenken.
Was den Europarat anbetrifft, so gehe ich mit Herrn Sommaruga völlig einig, wenn er betont, er müsse die Funktion der Klammer wahrnehmen, um zu verhindern, dass sich die EG und die anderen Staaten Europas rechtlich auseinanderleben. Die Verhinderung getrennter Rechtsräume ist sicher ein vorrangiges Postulat. Klammerfunktion hat der Europarat übrigens während der ganzen Zeit der wirtschaftspolitischen Spaltung Westeuropas schon gespielt. Hingegen bin ich anderer Meinung, was Aufgabenteilung und Koordination zwischen Europarat und dem Europäischen Parlament angeht. Dass sich das Europäische Parlament in stärkerer Position befindet, ist augenfällig. Anderseits hat der Europarat den Vorteil, dass dort nationale Abgeordnete sitzen. Meiner Ansicht nach müsste sich derEuroparat im eigenen Interesse bescheiden, wenn das Europäische Parlament nicht zu Koordination Hand bietet. – Dies ist eine Forderung, die ich seinerzeit, d.h. unmittelbar vor der 1. Wahl des Europäischen Parlamentes in meinem Bericht als Rapporteur général bereits aufgestellt habe.25 Doch wie der neue analoge Bericht von 1984 zeigt, ist seitens des Europarates in dieser Beziehung praktisch nichts gelaufen, ausser unerwiderten Liebesbezeugungen Richtung Brüssel. Kein Wunder, dass der neue Bericht dieselben Forderungen enthält wie derjenige von 1979. Wenn die politische Integration weitergeht, wird der Europarat Schwierigkeiten kriegen. Wenn sie aber stagniert, wird man vielleicht noch froh sein, dass es ihn gibt. Dass im Falle weiterer Beitritte zur Europäischen Gemeinschaft in den kommenden Jahren der Europarat schliesslich im Europäischen Parlament aufgehen könnte, darf nicht ausgeschlossen werden. Welche Auffangstellung wird die Schweiz für einen solchen Fall bereit haben?
Schliesslich einige Bemerkungen zum West-Ost-Problem. Auch Herr Sommaruga hat es kurz angesprochen und dabei ein Bekenntnis abgelegt, das wir zweifellos alle teilen: die osteuropäischen Länder gehören zu Europa. Wobei sich natürlich sofort das schwierige Problem des Verhältnisses zwischen der Sowjetunion und Europa stellt. Die Europäische Integration unter voller Teilnahme der Sowjetunion wäre nicht nur aus ideologischen, sondern auch aus machtpolitischen Gründen nicht erstrebenswert für die westeuropäischen Länder; selbst dann, wenn in Russland ein anderes Regime herrschen würde. Die westeuropäische Integration ist historisch erst möglich geworden, nachdem die ehemaligen europäischen Grossmächte als solche vernichtet waren oder abgedankt hatten. Relikte gibt es ja nach wie vor. Eine Integration mit einem übermächtigen Teilnehmer ergäbe eine ähnliche Situation wie im Deutschen Reich unter der Hegemonie Preussens. Russland ist die einzige Macht des untergegangenen europäischen Staatssystems, das nicht nur eine Grossmachtrolle beibehalten hat, sondern sogar eine Weltmachtrolle spielen kann. Im Grunde ist es phantastisch, dass ausgerechnet das am meisten zurückgebliebene Glied des ehemaligen europäischen Mächtesystems sich in unsere Zeit hinüberretten konnte (wobei die Selbstzerfleischung der anderen kräftig mitgewirkt hat). Bleiben also die kleineren osteuropäischen Staaten. Sie befinden sich aber mehr denn je im Sog des übermächtigen Russland. Woher gewisse europäische Politiker den Optimismus hernehmen, dass jetzt besonders günstige Umstände herrschten, um den Dialog mit dem Osten wiederaufzunehmen, bleibt mit schleierhaft. Das grenzt an Selbsttäuschung. Auch Herr Sommaruga meint, dass es schwierig sei, sich eine weitere Annäherung wirtschaftlicher Art vorzustellen. Weit mehr gilt dies natürlich für alle Initiativen politischer Art. In dieser Beziehung scheint mir Helsinki26 ein totales Fiasko zu sein. Staatssekretär Brunner hat kürzlich betont, der Ausbau bzw. die Wiederaufnahme der West-Ost-Beziehungen müssten vorläufig vor allem auf Gebieten gesucht werden, wo keine Blockierung riskiert werde, also der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Kultur. Denn aus «blockinternen» Gründen dürften die Partnerländer Moskaus – wohl eher Satelliten als Partner – nicht schneller voranschreiten als die Sowjetunion selbst. Gerade diejenigen Bereiche, in die der Westen die grössten Hoffnungen gesetzt hatte, dürfen nicht mehr beackert werden: Menschenrechte, Informationsfreiheit, Bewegungsfreiheit etc. In der Tat: Wer heute von Menschenrechten spricht im Sinne der in Helsinki feierlich Unterzeichneten Prinzipien, wird von östlicher Seite sofort als Feind der Entspannung apostrophiert. Als ich in der letzten Rede vor dem Europarat 1979 bereits sagte, Helsinki habe uns nicht mehr Frieden, sondern mehr Konfliktsgefahr gebracht, wollte man mir zunächst nicht glauben. Inzwischen ist es dem hintersten klar geworden. Trotzdem bin ich nach wie vor nicht bereit, westliche Grundsätze auf dem Altar der sogenannten Entspannung zu opfern. Wir können nichts Anderes tun, wenn wir uns nicht selbst aufgeben wollen.
Danke sehr. Es war eine sehr gehaltvolle Darlegung, anregend, teilweise fast provokativ. Mit den Schlussfolgerungen kann ich mich, wie mit denjenigen von Herrn Sommaruga, vollumfänglich einverstanden erklären. Jedenfalls besitzen wir nun eine ausgezeichnete Basis für die Diskussion.
Botschafter Raeber hat als erster um das Wort gebeten.
Eigentlich wollte ich nur eine Zusatzbemerkung zu Herrn Sommaruga machen, sehe mich aber jetzt doch genötigt, etwas eingehender auf die beiden vorgängigen Referate einzutreten.
Zunächst möchte ich aber Ihnen, Herr Präsident, dafür danken, dass ich zu dieser Diskussion eingeladen worden bin. Es ist sehr wichtig, dass man auf einem – wenn auch nicht allzu fernen – Aussenposten hie und da die Möglichkeit hat, die Temperatur an der Zentrale zu nehmen. Ich möchte betonen, dass ich sehr glücklich bin über die von Staatssekretär Sommaruga vertretenen Auffassungen betreffend das Verhältnis von EG und Europarat. Die EG, so meinte er, sei keine internationale Organisation, sondern eine Entität sui generis innerhalb desEuroparates. Sie muss – und jetzt gehe ich über das hinaus, was Sie, Herr Staatssekretär, gesagt haben – so weit immer möglich als ein Mitglied desEuroparates behandelt werden und sich als solches behandeln lassen. Die Schwierigkeit liegt darin, dass – neben anderen – auch etwa unsere österreichischen Freunde dazu neigen, den Europarat und die EG als Parallelphänomene zu betrachten.
Ganz kurz nun, Herr Professor Hofer, zur Kommission, die von Herrn Colombo präsidiert werden soll und deshalb im allgemeinen als Colombo-Kommission bezeichnet wird. Diese Kommission ist eine Initiative der parlamentarischen Versammlung, welche von den Regierungen auch noch verlangte, sie sollten diese Initiative bezahlen.27 Wenn immer möglich sollten die parlamentarische Versammlung oder aber die nationalen Parlamente diese Kommission finanzieren, und nicht die Regierungen.
Die neueste Entwicklung zwischen Europarat und EG ist ein Thema, das Herr Sommaruga klar in den Vordergrund gerückt hat. Die EG versteht sich von ihrem Ursprung her als eine Art Nachfolge des Europarates. Die EG war eine Art Ersatz für den Europarat, der nicht wurde, was die gläubigen Europäer wollten. Von daher versteht sich, dass die EG Tendenz hat, sich mit Europa zu identifizieren, und der Europarat auf der Seite bleibt. Diese Tendenz ist stark im europäischen Parlament, wie Sie sagten, obwohl es da sehr deutliche Nuancen gibt. Simone Veil und Pierre Pflimlin denken darüber sehr verschieden. Besonders ausgeprägt sind diese Tendenzen in der Kommission in Brüssel – Herr Jagmetti wird mich korrigieren, wenn ich etwas Falsches sage – denn der Verwaltungsapparat hat die Aufgabe, die Interessen und die Existenz dieser politischen Entität zu bewahren und fortzuführen. Konkurrenz von aussen, von jemandem, der auch beansprucht, Europa zu verkörpern, ist etwas, was man nicht gern sieht. Dennoch hat – vom Strassburger Standpunkt aus gesehen – eine gewisse Lockerung dieser Identifikation der EG mit Europa stattgefunden. Dies hat bestimmt mit der Konsolidierung der EG zu tun, aber auch mit wirtschaftlichen Aspekten. Die EG wurde polivalenter, weniger dogmatisch geschlossen. In diese Lockerung hinein kam dann die politische und historische Wende, die in Luxemburg Gestalt annahm. Auf Einzelheiten einzugehen, kann ich mir ersparen, da Herr Sommaruga schon darauf eingetreten ist.
Die Bildung eines die EG übergreifenden «espace économique européen» ist heute als Ziel wohl auch durch die EG anerkannt. Ausser den wirtschaftlichen Interessen für die gegenseitige Öffnung zwischen der EG und den Nicht-EG-Ländern gibt es, sowohl von der EG wie vom Europarat aus gesehen, auch politische Interessen. Ich will dafür ein Beispiel nennen: In der Erklärung von Stuttgart wurden Aktivitäten in Bereichen angesprochen, die über die Römer Verträge hinausgehen. Was in Strassburg vor allem Wellen geworfen hat, war die Erwähnung der Kultur – mit ausdrücklichem Hinweis auf die Kompetenz des Europarates in diesem Bereich. Insbesondere die Österreicher, oder eher noch Generalsekretär Karasek, verstiegen sich bis zur Behauptung, dass die Schweizer und die Österreicher von der europäischen Kultur ausgeschlossen würden, wenn die Zehn in diesem Bereich tätig würden. Dies ist zweifellos ein extremer Gedanke, der verkennt, dass die EG, die sich auf dem Weg zur politischen Union versteht, nicht einfach auf irgend eine Aktivität verzichten kann. Leistet aber derEuroparat auf dem Gebiet der Kultur gute Arbeit, welche auch die Mitgliedstaaten der EG, vielleicht sogar die EG als Ganzes interessiert, so wird sie gewisse Aktivitäten gar nicht in Angriff nehmen wollen. Eine klare Aufgabenverteilung zwischen Europarat und EG scheint weder politisch noch rechtlich gesehen sehr realistisch. Aber ein Verhalten des Europarates, das der EG und ihren Mitgliedstaaten Substantielles bietet, und ein Eingehen der Zehn auf solche Angebote, liegt im Interesse aller.
Im Rahmen einer gewissen Lockerung der Identifikation der EG mit Europa hat 1982 auch im Europarat ein Prozess eingesetzt, der im Auftrag an den österreichischen Aussenminister Pahr kulminierte, eine Studie über die Intensivierung und Vertiefung der europäischen Integration und der Zusammenarbeit vorzulegen.28 Eine Gruppe von 6 Botschaftern hat dann diese Probleme studiert und Vorschläge ausgearbeitet.29 Schliesslich haben Österreich und die Schweiz zwei Resolutionen vorgelegt, eine über die Intensivierung des sogenannten politischen Dialogs innerhalb desEuroparates und eine zweite über die Zusammenarbeit zwischen dem Europarat und den Gemeinschaften.30 Die erste Resolution über den sogenannten politischen Dialog, den die Minister am 21. November 1984 angenommen haben, muss jetzt realisiert werden.31 Die Aussenminister selbst, also das Ministerkomitee, sollen sich mehr mit den politischen Aspekten auch einzelner Bereiche der Zusammenarbeit im Europarat befassen, namentlich der Umwelt, der Kultur, der Forschung, der Bekämpfung des Terrorismus, der Menschenrechte, der Probleme der Gentechnologie, etc. Aufgabe dieses politischen Dialogs sollte es überdies sein, der nationalen Aussenpolitik der Mitgliedstaaten Orientierungshilfen zu bieten. Ausserdem wurde auch in die Resolution aufgenommen, dass der Europarat zu Konfliktlösungen zwischen seinen Mitgliedstaaten Hand bieten solle.
Der vorliegende Entwurf für die zweite Resolution, über die im April 1985 abgestimmt werden soll, sieht vor, ein flexibles Kontaktsystem zwischen den beiden Organisationen zu schaffen.32 Ausserdem wird das Problem der gegenseitigen Gültigkeit von Rechtsakten in Angriff genommen und schliesslich eine engere Zusammenarbeit des europäischen Parlamentes auf der einen und der parlamentarischen Versammlung auf der anderen Seite vorgeschlagen.
Auch wenn man sich auf eine verhältnismässig kühle Reaktion der EG-Kommission auf unsere Ideen einstellen muss, so zeigt sich doch allmählich, dass auch bei der EG mehr und mehr akzeptiert wird, dass nicht sie allein als Trägerin des Integrationsprozesses zu betrachten ist. Der «espace démocratique européen» ergänzt den «espace économique européen».
Der nächste Sprecher ist Botschafter Jagmetti. Er ist ja – ich zitiere – «von Herrn Raeber zu Korrekturen aufgefordert» worden. Ich bitte ihn, dies zu tun, möchte aber gleichzeitig der Hoffnung Ausdruck geben, dass unsere Diskussion, für die noch eine knappe Stunde übrig bleibt, sich nicht in der Frage desEuroparates erschöpft; es geht uns nicht nur um den Europarat, der wichtig ist, es geht uns um Europa allgemein.
Wer die Gemeinschaft zur Zeit in den Medien verfolgt, dürfte kaum ein sehr positives Bild haben. Gescheiterte Gipfeltreffen, ergebnislose Ratssitzungen, das zaghafte Lavieren der Kommission gehören zum täglichen Brot. Der Europessimismus ist in den letzten Jahren zu einer eigentlichen Modeströmung geworden.
Wahr daran ist sicher, dass auch in der Gemeinschaft nicht alles zum besten bestellt ist. Die Ende Jahr abtretende Kommission hinterlässt einen schwachen Eindruck. Der Rat bekundet – trotz wiederholten Absichtserklärungen – grosse Mühe, die Einzelheiten der Süderweiterung zu bewältigen. Das Parlament – zwar demokratisch gewählt, aber ohne Macht – benützt jede Gelegenheit, den Krieg zwischen den Institutionen zu schüren. Einzig der Gerichtshof scheint in ruhiger Konsequenz seine Aufgaben aus dem Römer-Vertrag wahrzunehmen.
Die Schwäche der gegenwärtigen Kommission ist mit personellen Gründen allein nicht zu erklären. Weitere Gründe sind gewiss eine übermässige Einflussnahme der Regierungen und eine gewisse Entmachtung durch den Rat. Ein früheres Kommissionsmitglied hat mich kürzlich darauf aufmerksam gemacht, dass der Luxemburger Kompromiss, der das Mehrheitsprinzip weitgehend zur Illusion werden liess, vor allem die Kommission getroffen hat. Er hat ihr Initiativrecht ausgehöhlt, weil nur mehr Vorschläge mit Aussicht auf Erfolg unterbreitet werden können, die ohnehin Zustimmung finden dürften. Was den Rat betrifft, dürfte selbst eine Rückkehr zum Mehrheitsprinzip nicht alle Probleme lösen. Die Beschlussfassung in diesem Organ ist nach der ersten Erweiterung eindeutig schwieriger geworden. Mancher Beobachter in Brüssel ist überzeugt, dass England seinen Traum von der Freihandelszone immer noch nicht ausgeträumt hat. Thatchers Postulat «I want my money back» ist auch in diesem Zusammenhang zu sehen. Der in Fontainebleau gefundene Kompromiss hat für viele den Fehler, dass er indirekt den Grundsatz des «juste retour» verankert, was als gefährliche Zündschnur für die Zukunft der Gemeinschaft betrachtet wird.
All diese Unzulänglichkeiten bestehen. Ein Grossteil der Presse macht gegenwärtig aber vielleicht doch allzu stark in Schwarzmalerei. Im Schatten des öffentlichen Rampenlichtes spielen sich täglich Dinge ab, welche die Gemeinschaft in zwar mühsamen, aber kleinen Schritten eben doch vorwärts bringen. Die Tatsache, dass trotz massiver Wirtschaftskrise der freie Warenverkehr sowohl nach innen als auch nach aussen weitgehend aufrechterhalten werden konnte, wirkt schon fast banal, ist es aber nicht. Daneben vergeht in Brüssel kaum ein Tag, ohne dass nicht neue Verordnungen oder Richtlinien verabschiedet werden. Diese betreffen meistens sehr konkrete Gebiete, wie Grenzformalitäten, technische Vorschriften und Normen, Gesellschaftsrecht, geistiges Eigentum, Forschungszusammenarbeit, Umweltschutz, u. ä. All diese Massnahmen verfolgen das Ziel, einen europäischen Binnenmarkt von 270 Mio Konsumenten zu errichten. Die Wirtschaftspolitiken konvergieren wesentlich mehr als früher und das Europäischen Währungssystem, das seit 1979 recht erfolgreich wirkt, hat einen erheblichen Disziplineffekt gezeitigt. Auch die Politische Zusammenarbeit schliesslich ist zum Erfolg geworden, welcher der Gemeinschaft ermöglicht, ebenfalls nach aussen immer mehr mit einheitlicher Stimme aufzutreten. Beispiele wie Falkland33 und die Konferenz mit den zentralamerikanischen Staaten in San José34 zeugen davon.
Prognosen über die künftige Entwicklung sind Spekulation. Sicher wird die Süderweiterung verschiedene Probleme nicht einfacher machen, und die «Verdauung» dieser Erweiterung wird vielleicht noch schwieriger sein als in den beiden vorhergehenden Fällen. Ein baldiger qualitativer Sprung nach vorn erscheint daher nicht als sehr wahrscheinlich. Dem Vertragsentwurf Spinellis für die Europäische Union werden denn auch kaum Chancen eingeräumt. Immerhin haben die Regierungschefs einen neuen Ausschuss für Grundsatzfragen (das nach seinem Vorsitzenden benannte Dooge-Komitee) sowie ein Komitee für das Europa der Bürger eingesetzt. In diesen Gremien werden zur Zeit verschiedene Entwicklungshypothesen diskutiert. So soll beispielsweise der Vertreter des deutschen Bundeskanzlers den Vorschlag gemacht haben, für gewisse Fragen der Politischen Zusammenarbeit auf das Mehrheitsprinzip überzugehen. Kreise um den neuen Kommissionspräsidenten Delors, auf den grosse Hoffnungen gesetzt werden, und der bereits unter grossem Erwartungsdruck steht, organisieren einen Monnet-Ausschuss, der sich aus Persönlichkeiten mit europäischer Erfahrung zusammensetzen soll. Man spricht von Leuten wie Schmidt, Carstens, Deniau, Faure usw.
In den Schubladen der Gemeinschaft liegen zwar eine Reihe von Plänen, die toter Buchstabe geblieben sind. Man kann aber in Brüssel durchaus realistisch gesinnte Persönlichkeiten treffen, die an Fortschritte in spezifischen Bereichen glauben, insbesondere hinsichtlich Binnenmarkt, Währungssystem und Politische Zusammenarbeit.
Den drei Bereichen ist gemeinsam, dass sie das EG-Budget kaum belasten würden. Das ist bereits ein Vorteil, da die Budgetmisere wohl andauern und über kurz oder lang zu gewissen Redimensionierungen in der Agrarpolitik führen dürfte. Was die neuen Ziele betrifft, gehen die Meinungen auseinander, ob es für deren Verwirklichung einen neuen Vertrag braucht. Die Notwendigkeit eines solchen wird vor allem in jenen Kreisen befürwortet, die sich in letzter Zeit ganz offen für das Konzept der variablen Geometrie aussprechen.
Für die bilateralen Beziehungen der Schweiz bringt die langsame, aber stetige Entwicklung der Gemeinschaft immer neue Herausforderungen. Ich denke hier besonders an die Binnenmarktpolitik, zu welcher – um nur ein Beispiel zu nennen – auch die Rechtsharmonisierung gehört. Auf der anderen Seite sind Tendenzen erkennbar, die auch neue Möglichkeiten ahnen lassen. Zu diesen gehört zweifelsohne das Konzept der variablen Geometrie, selbst wenn es einstweilen noch mit Vorsicht zu geniessen ist.
Zwei Prämissen scheinen mir für unseren «approach» zur EG von Bedeutung zu sein. Erstens ist klar, dass eine möglichst starke Gemeinschaft auch in unserem Interesse liegt. Zweitens haben unsere Beziehungen eine besondere Qualität, die zwar auch in EG-Kreisen in gewissem Grade anerkannt, aber noch nicht überall richtig verstanden wird.
Im vergangenen Jahrzehnt ist es gelungen, neben dem Freihandelsabkommen über 100 bilaterale Verträge mit der Gemeinschaft abzuschliessen. Unsere pragmatische Politik hat zu einer intensiven Zusammenarbeit mit der EG geführt.
Wie bereits ausgeführt worden ist, hat mit der Luxemburger-Erklärung eine neue Phase begonnen. Ein Verhandlungsprozess ist in Gang gekommen, an welchem alle EFTA-Staaten beteiligt sind. Es wird sich zeigen, ob sich der Akzent in Zukunft vermehrt auf die multilaterale Ebene verschiebt. Für verschiedene Aspekte der Binnenmarktpolitik drängt sich dies sozusagen auf, da die gewünschten Anpassungen möglichst in der gesamten Freihandelszone erfolgen sollten. Für gewisse andere Fragen wird man am bilateralen System festhalten müssen.
Es liegt aber auf der Hand, dass der neue Ansatz keine Exklusivität haben wird. Auch unter den EFTA-Ländern bestehen unterschiedliche Interessen, die zum Teil schon durch die Geographie gegeben sind. In der Praxis gehen die Dinge meistens auch nicht so einfach, wie es in den Erklärungen der Minister steht. Die tägliche Arbeit in Brüssel lehrt, wie sehr die Idee der Gemeinschaftspräferenz in den Köpfen mancher Beamter noch verwurzelt ist.
Wichtig scheint mir indessen, dass man der Entwicklung der Gemeinschaft ohne Misstrauen gegenübersteht. Es steht Drittstaaten nicht an, vorschreiben zu wollen, auf welchen Gebieten Brüssel tätig werden kann. Vielmehr müssen wir uns nach wie vor bemühen, die eigene Spezifizität verständlicher zu machen.
Gestatten Sie mir, mit folgenden zusammenfassenden Sätzen zu schliessen:
- Trotz aller Krisen und Schwächen hat die EG die historische Leistung der politischen Stabilisierung und des Friedens in Westeuropa wenn nicht allein erbracht, so doch ganz wesentlich mitgetragen.
- Ausser im Falle militärischer Ereignisse ist der Einigungsprozess der EG wohl als irreversibel zu betrachten und geht zwar nicht im Höhenflug, aber in kleinen Schritten stets weiter.
- Auch wenn die weitgesteckten Ziele noch lange nicht alle erreicht sind, so sind Zollunion, gemeinsamer Markt und viele neue Politiken zum mindesten in grossen Teilen Realität, und Anzeichen in Richtung wirtschaftlicher Konvergenz und sogar politischer Vertiefung – es ist auch immer mehr von Sicherheitsfragen die Rede – sind zu erkennen.
- Die EG ist somit ein politischer Faktor, der nicht etwa wegen der sog. Politischen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten, sondern wegen der eminent politischen Finalität zur Kenntnis zu nehmen ist, und zwar auch von der schweizerischen Regierung und allen dieser Regierung unterstehenden Departementen.
- Das Verhältnis Schweiz – EG ist gesund, und das Freihandelsabkommen funktioniert befriedigend.
- Angesichts der Entwicklung der EG werden aber weitere Schritte nötig sein.
- Es stellt sich damit die Frage, ob für die Regelung dieses Verhältnisses in Zukunft auch kleine pragmatische Schritte genügen werden. Heute und morgen ist dies sicher der Fall, aber in zehn bis zwanzig Jahren vielleicht nicht mehr.
- Es gilt also weiter zu gestalten. In welchem Rahmen dies auch immer geschieht, und ob insbesondere Europarat oder OECD in diesem Zusammenhang helfen können, bleibe dahingestellt. Gewiss ist aber, dass die Schweiz – wie die andern EFTA-Länder auch – die durch eine weiter integrierte EG geschaffene Herausforderung wird annehmen und sich mit neuem Gedankengut wird auseinandersetzen müssen. Ein blosses Ausruhen auf dem Freihandelsabkommen könnte sich als gefährlich erweisen.
- Wir Schweizer sprechen immer von Pragmatismus, werfen aber dem grössten Partner, der EG, vor, ihre dogmatischen Ideen nicht durchzusetzen. Vielleicht müssen wir in Zukunft auch dem Partner gestatten, seine eigenen Belange etwas pragmatischer zu gestalten, was für uns allerdings die Folge hat, dass die Entwicklung weniger voraussehbar und daher schwieriger zu beurteilen sein wird.
Ich danke Botschafter Jagmetti für diese zukunftsträchtigen Überlegungen und habe das Vergnügen, das Wort an Staatssekretär Jolles weiterzugeben.
Herr Vorsitzender, entgegen Ihrer historisch rückblickenden Anrede gehe ich davon aus, dass meine Tätigkeit in diesem Kreis als Experte der Privatwirtschaft von Ihnen gewünscht worden ist. Aus dieser Optik möchte ich mir zwei ganz kurze Bemerkungen erlauben und gleichzeitig versuchen, dabei die Brücke zwischen der Vergangenheit und der Zukunft zu schlagen.
Als wir diese Arbeitsgruppe 1961 gründeten, bestand das Problem darin, die wirtschaftliche und politische Stellung der Schweiz gegenüber einer Neuentwicklung in Europa nüchtern, einlässlich und pragmatisch nach allen Ecken und Kanten abzuklären, um dann die richtige Weichenstellung vorzunehmen.35 Ich glaube, aus den Referaten, die wir heute morgen hören durften, und für die ich sehr dankbar bin, drängt sich eigentlich die Schlussfolgerung auf, dass wir recht bald vor einem vergleichbaren Entscheid stehen könnten. Herr Jagmetti hat gesagt, man dürfe nicht auf dem Freihandelsabkommen sitzen bleiben, es könnte nötig werden, unsere Konzeption mit Bezug auf Weiterentwicklungen festzulegen. Aus privatwirtschaftlicher Sicht ist eine Entwicklung sehr deutlich geworden, die unsere heutige Lage von derjenigen der 60-er Jahre grundsätzlich unterscheidet. Die Gewichtung der Wirtschaftsbeziehungen ist sehr viel komplexer geworden, als sie es damals gewesen oder empfunden worden ist. Ich glaube, dass heute die Handelsbeziehungen im Sinne des industriellen Warenverkehrs, die der Freihandelszone zu Gevatter gestanden sind, nicht mehr so eindeutig im Vordergrund stehen. Wir wissen alle, dass z.B. der Dienstleistungssektor stark an Bedeutung gewonnen hat. Wir wissen auch, und Herr Sommaruga hat das betont, dass Technologie ein ganz wesentlicher Wettbewerbsfaktor geworden ist, usw. usf. Eine Überprüfung der Gültigkeit des bisher Erreichten und des in Zukunft Anzustrebenden kann mit dieser Feststellung beginnen. Die Anregung, die ich mir zu machen erlaube, ist die, dass man ebenso gründlich vorgeht, wie man es das letzte Mal getan hat. Ich frage mich, ob nicht auch von privatwirtschaftlicher Seite etwas getan werden müsste, um der Verwaltung bei dieser Aufgabe zu helfen, und ihr die Bedürfnisse zu schildern, wie sie von den einzelnen Wirtschaftssektoren aus gesehen werden. Es ist mir in meiner neuen Tätigkeit aufgefallen, dass die Beziehungen zu gewissen Industrie- und Berufsverbänden in der EG recht eng zu sein scheinen. So eng, dass man vielleicht manchmal dort Meinungen aus schweizerischer privatwirtschaftlicher Sicht abgibt, die in geradezu haarsträubendem Gegensatz zu dem stehen, was unsere offizielle Doktrin war, und – ich nehme an – immer noch ist. Dies ist für mich ein Zeichen dafür, dass die Privatwirtschaft ihre Bedürfnisse an der Schwelle dieser neuen Entwicklung überdenken sollte. Es sollte auch eine Abwägung der Möglichkeiten und Bedürfnisse einer europäischen Zusammenarbeit im Verhältnis zu den Möglichkeiten und Bedürfnissen einer atlantischen Zusammenarbeit, einer pazifischen Zusammenarbeit und letztlich einer weltweiten Zusammenarbeit erfolgen. Gerade ein Stichwort wie Währung, das auch heute morgen gefallen ist, beleuchtet dieses Dilemma, wenn man an die Hauptfrage denkt, die jetzt im Vordergrund steht: die währungs- und finanzpolitische Bewältigung des internationalen Verschuldungsproblems und seiner Rückwirkungen auf unsere Währungs- und Finanzverhältnisse. Nun zum zweiten Punkt: Professor Hofer hat die politische Seite angesprochen, er hat die Frage gestellt, ob das europäische Identitätsgefühl uns nicht doch auch etwas vermehrt angehe, ob wir uns vielleicht doch auch zu gewissen politischen Formen der Zusammenarbeit bereit finden sollten. Ich möchte hier nur daran erinnern, dass man nicht nur in gewissen Kreisen von der EG als Enttäuschung spricht und sprechen hört, sondern in andern Kreisen auch von der EG als Ärgernis, z.B. wenn man in Washington ist,36 gelegentlich auch wenn man in Tokio ist.37 Wir müssen uns deshalb sehr genau überlegen, ob wir ein Interesse haben, uns in diese politischen Konstellationen hinein zu manövrieren. Aus einer etwas rückblickenden und rückgeblendeten Optik, ich entschuldige mich dafür, wäre ich für Festhalten an der bisherigen diesbezüglichen Abstinenz. Das gilt auch mit Bezug auf die Kultur.38
Danke sehr für Ihre interessanten Anregungen und Hinweise. In welcher Eigenschaft es auch sei, werden Sie, Herr Jolles, in dieser Arbeitsgruppe immer sehr willkommen sein. Das Wort hat jetzt Professor Broggini.
Da ich in einem EG-Land39 lebe und wirke und mich vor allem mit wirtschaftlichen Problemen in rechtlicher Hinsicht befasse, möchte ich mich darauf beschränken, thesenartig einige Überlegungen zur europäischen Integration im Blick auf die EG auszusprechen. Institutionell, politisch und rechtlich. In institutioneller Hinsicht konstatiere ich, dass seit der EG-Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs keinerlei Schritte in der Entwicklung der Strukturen stattgefunden haben. Eher hat die Ausdehnung der EG zu einer Verdünnung der strukturellen Integration geführt. Wir befinden uns im Stadium eines auf sehr beschränkte Wirtschaftssektoren konzentrierten Staatenbundes. Das Europäische Parlament arbeitet mit grossem Aufwand im Bereich von höchst beschränkten Zielsetzungen. Die Erweiterung der Machtbefugnisse der Kommission ist nicht aktuell. Eher würde ich meinen, dass die Kommission nicht zuletzt wegen der bewusst verfehlten Personalpolitik der einzelnen Staaten, von Herrn Delors abgesehen, im Blick auf Neubesetzungen an Terrain verliert. Träger der Institution bleibt nach wie vor der Rat, d.h. die Einzelstaaten. Eine übernationale Parteiengruppierung hat nicht stattgefunden. Für einen Schritt in Richtung Politische Union, Bundesstaat fehlen die Grundvoraussetzungen, in erster Linie der politische Wille der Einzelstaaten, aber auch der Druck von aussen. Solange Europa in Ruhe gelassen wird, kommt die politische Einheit Europas nicht zustande. Politisch gesehen ist die heutige Integrationsphase Europas meines Erachtens auf dem tiefsten Niveau seit den Römer Verträgen. Dies gilt ebenfalls für den Zustand der europäischen Demokratien, der durch die Degradierung des Parteiensystems, durch den Verfall der Einheit der politischen Macht innerhalb des Staates charakterisiert ist. Neben der Bildung der Parteien als faktische Staatsorgane sind eine Fülle von neuen faktischen Organen entstanden, wie Gewerkschaften, Medien usw. Alle diese staatsbildenden Elemente, die sich ausserhalb jeglicher demokratischen Legitimation bewegen, zwingen den Staat zum ständigen Kompromiss und zur Unbeweglichkeit. Eine innere Demokratie in den Parteien, den Gewerkschaften, den Medien und so weiter ist weder verlangt, noch in Aussicht gestellt. Die Kehrseite der Medaille ist der weitgehende Verlust der individuellen und wirtschaftlichen Freiheit der Einzelnen und der Unternehmen. Der moderne Staat gleicht eher dem Staat des feudalen Mittelalters, der gekennzeichnet ist durch die Verzettelung der politischen Macht, als dem Staat des 19. Jahrhunderts. Verschont bleiben wahrscheinlich nur die Staaten, die den Geist der vom Volk getragenen Demokratie weiterhin pflegen. Die Legitimation durch das Volk und die Volksbefragung ermöglichen eine Machtkonzentration, ohne die grosse Schritte der politischen Integration undenkbar sind. Der heutige Parteiensumpf kann unmöglich den inneren Bewegungsspielraum für eine politische Integration anbieten.
In wirtschaftlich-rechtlicher Hinsicht möchte ich mich beschränken auf einige eher spezifische Hinweise meines Arbeitsgebiets. Die rechtliche Integration Europas hat in der EG im Bereich des Privatrechts, des Wirtschaftsrechts und des Unternehmensrechts beachtliche Fortschritte gemacht. Die Grundsätze des freien Wettbewerbs, die Gestaltung des Bilanzrechtes, die Annäherung des Gesellschaftsrechtes, das europäische Patentrecht, die Bildung eines einheitlichen Systems für die gerichtliche Zuständigkeit und für die Anerkennung fremder Urteile sind Hauptetappen dieser Integration. Botschafter Jagmetti hat mit Recht auf die gute Leistung des Europäischen Gerichtshofes hingewiesen. Diese Leistung steht in engem Zusammenhang mit der fruchtbaren Vereinheitlichung des europäischen Wirtschaftsrechtes. Anders verhält es sich leider auf dem Gebiete des Straf- und Steuerrechtes, d.h. der Rechtsgebiete, die seit der Geburt der Menschheit und des Staates als politische Mittel für die Ausübung der Macht und der Unterwerfung des Individuums verwendet wurden. Hier schaltet und waltet der moderne Parteienstaat in Europa, wie er will, ohne jegliche Rücksicht auf Integration. Das sind die Bemerkungen, die ich hinzufügen wollte. Was kann die Schweiz in diesem Zusammenhang tun, welche Haltung soll die Schweiz einnehmen? Ich beschränke mich auf diese ganz konkrete Bemerkung: Im Bereich der wirtschaftlichen Union und der rechtlichen Integration Europas kann sehr viel erzielt werden, und zwar punktuell etwa in der Form von parallelen Vereinbarungen, punktuellen Übereinkommen, die die Schweiz abschliessen könnte.
Besten Dank, Herr Professor. Es ist interessant zu sehen, wie je nach Ausgangs- und Beobachtungspunkt die Urteile auseinandergehen können. Immerhin haben auch Sie in Bezug auf die Schweiz mit einem positiven, hoffnungsvollen Aspekt geschlossen. – Minister Kellenberger, Sie sind in diesem Kreis in Ihrer neuen Funktion, so glaube ich, zum ersten Mal hier. Ich heisse Sie willkommen und übergebe Ihnen das Wort.
Herzlichen Dank für Ihre freundliche Einführung. Ich möchte kurz sein, damit auch Professor Lüthy noch Zeit zur Äusserung hat, und nur zwei kleine Punkte anbringen. Mich beschäftigt sehr, was Professor Hofer mit Bezug auf die Diskrepanz zwischen einer relativ zuversichtlichen, obwohl kritischen Zukunftsbeurteilung der EG durch Staatssekretär Sommaruga und deren negativem Bild in den Medien gesagt hat. Ich glaube, ich kann Ihnen keine überzeugende Erklärung geben, weshalb das Bild in den Medien so negativ ist. Doch ist es m.E. für uns, für die Planung unserer Integrationspolitik, sehr wichtig, dass wir die Integrationsfähigkeit und -willigkeit der Gemeinschaft ja nicht unterschätzen. Es ist mir aufgefallen, dass es hier im Grunde genommen heute zwei Haltungen gibt, wobei in dieser Sache auch das britische Verhalten angesprochen wurde. Sie äussern sich in zwei verschiedenen Darstellungsweisen. Es gibt die europessimistische, die sagt, die britische Regierung hätte erklärt, «I want my money back», was sie nicht gesagt hat. Grossbritannien wollte einfach eine kleinere Nettobelastung. Es gäbe aber auch eine positivere Darstellung, die besagt, es sei ein nicht unbedeutendes integrationspolitisches Ereignis gewesen, dass Grossbritannien seinen Haushaltsbeitrag nicht blockiert hat, als das Europäische Parlament die Rückerstattung für 1983 vorübergehend verweigerte. Ich möchte einfach darauf hinweisen, dass wir auf keinen Fall der Gefahr erliegen dürfen, ohne genaue Prüfung der Verhältnisse zu meinen, hier stehe alles zum Schlechten. Gerade auf dem Kontinent ist es gut, wenn man die britische Haltung neu überprüft. Die Konzessionsbereitschaft, die Grossbritannien im Haushaltskonflikt an den Tag legt, betrachte ich als ein bedeutsames und positives integrationspolitisches Ereignis. Bedeutsam scheint mir zweitens, dass die Idee der verschiedenen Geschwindigkeiten hoffähig geworden ist und ihren Weg gemacht hat. Es wird jetzt wieder deutlicher wahrgenommen, dass die Gemeinschaft ja seit längster Zeit zwei verschiedene Geschwindigkeiten kennt: nämlich die Benelux-Geschwindigkeit und die Geschwindigkeit der EG insgesamt. Es ist bemerkenswert, in diesem Zusammenhang, wie die Beneluxstaaten wieder vermehrt versuchen, inwieweit sie unter sich die Geschwindigkeit noch beschleunigen könnten. Hier würde ich noch gerne etwas anfügen, was die Schweiz betrifft. Wohin diese Entwicklung führt, ist heute ungewiss, doch glaube ich, die verschiedenen Geschwindigkeiten werden kaum bedeuten, dass es Integrationsrückschritte gibt, sondern eher, dass bei neuen Aktionen gewisse Gruppen schneller vorangehen als andere.
Danke, Herr Kellenberger. Ich hoffe, Professor Lüthy bleibe bei seinem Entschluss, das Wort zu ergreifen.
Ich will gern einige Worte beifügen, obwohl nach all den vielfältigen Diskussionsvoten kaum Neues zu sagen bleibt. Das meiste von dem, was ich vielleicht mit anderen Worten hätte anfügen wollen, hat Herr Broggini bereits vorweggenommen. Wir sprechen in dieser Arbeitsgruppe, seit sie besteht, über Europa, und bei diesem Wort Europa geht es mir allmählich wie bei jenem Stück Seife, das in meiner Badewanne schwimmt und das ich vergeblich wieder einzufangen versuche. Wir sagen «Europa» und denken dabei längst nicht mehr an unsern Kontinent, «den alten», sondern an den atlantischen Brückenkopf auf diesem Kontinent oder vielmehr an dessen geschäftliche Firmenbezeichnung, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, die sich seit bald zwei Jahrzehnten, als wäre sie inzwischen viel mehr als ein ökonomischer Zweckverband, einfach Europäische Gemeinschaft nennt – offiziell allerdings noch im Plural, doch es ist kein Plural der Bescheidenheit. Ich will keineswegs das grosse Gewicht und die weltwirtschaftliche Rolle dieser Firma herabsetzen, ihre immer wieder bewiesene Krisenfestigkeit und ihre beständige Weiterentwicklung, freilich mehr in die Breite als in die Tiefe, vor allem auch nicht ihre enorme Wichtigkeit für die Schweiz. Die E.G. sind längst mehr als ein Klub und bleiben doch, trotz gewähltem «Parlament», weniger als eine politisch oder gar moralisch bindende Gemeinschaft: viel eher ein unentwirrbares Netz von Verträgen, Reglementen, Kompromissen an immer dramatischen Ministersitzungen und Gipfelkonferenzen, ein jährlicher Umschlag von astronomischen Subventionssummen und Verwaltungskosten, ein Gebirge von Behörden und Instanzenwegen mit dem ganzen Selbsterhaltungstrieb von Behörden, die stets ihre eigene Existenz rechtfertigen müssen, vor allem aber auch eine Routine von ungeheurer Trägheitskraft. Das Projekt Europa existiert nur noch deklamatorisch, der status quo gilt bis auf weiteres als erreichtes Ziel. Zur Zeit scheint mir dieses Europa vor allem damit beschäftigt zu sein, die eigene Routine im Gang zu halten. Das Europa der Sechs war Ende der 1960er Jahre einem gemeinsamen Binnenmarkt «ohne Grenzzäune» näher, als es das Europa der Zehn und bald Zwölf heute ist. Weder ist über die institutionelle Misere des gemeinsamen Agrarmarkts hinaus eine wirkliche gemeinsame Wirtschaftspolitik entstanden noch eine gemeinsame Währung oder ein Währungssystem (das ECU ist eine Abstraktion wie die SZR), und die weltweite Interdependenz der unberechenbaren Geldmärkte ersetzt die eigenen Integrationsziele; weder ist eine europäische Verteidigungsorganisation noch auch nur ein Rüstungskonsortium im geringsten nähergerückt; und, um nur noch eines dieser Defizite zu nennen: ein grenzüberschreitendes europäisches Hochschulkurrikulum war in der Renaissance oder vor 1914, ja vor 1939 leichter zu absolvieren als heute, ein intellektuelles Europa ist trotz unablässigen Kolloquien nicht im Entstehen. «Europäisch» werden wohl immer häufiger Projekte und Verwirklichungen genannt werden, die in Wirklichkeit zwischen zwei oder zwischen einer kleinen Zahl von Staaten vereinbart werden. Das ist im status quo der Gemeinschaft gewiss der realistische Weg, nur der Sprachgebrauch wird fragwürdig. Das Europa der zwei (oder auch mehrerer) Geschwindigkeiten erweckt in mir die metaphysische Vorstellung eines Wurms, dessen Segmente in verschiedener Gangart auseinander streben oder – auch das einst eine beliebte Metapher – eines Eisenbahnzugs, dessen Lokomotive und Wagen sich voneinander unabhängig machen. Auch die Aussenbeziehungen der E.G. werden dann bald verschiedene Geschwindigkeiten aufweisen. Das ist ein inneres Problem der Gemeinschaft, das wohl nach bewährtem Krisenmanagement seine pragmatische Lösung finden wird. Für die Schweiz wird sich kaum etwas am alten Grundproblem ändern: stets nach Möglichkeit mit in dem Ding zu sein, ohne politisch mit darin zu sein. Auch die Quadratur des Zirkels gehört zur diplomatischen Routine.
Ich danke Ihnen sehr. Sie haben in kurzen fünf Minuten sehr Wesentliches eingebracht. Ich stelle auch fest, dass sich zur Umschreibung Europas in unserer heutigen Diskussion eine ganze Anzahl interessanter und farbiger neuer Definitionen angehäuft hat. Es war die Rede von unserem Kontinent als einer Küche à la carte, von einem Kleiderladen mit Konfektion, vom Bad mit der entglittenen Seife, aber auch vom Turm der Deklamationen, vom Berg von Tränen und vom metaphysischen Wurm. Ich überlasse es Herrn Blankart, vielleicht noch eine weitere Definition anzufügen.
Für mich ist die EG eine dynamische Rechtsgemeinschaft mit vorläufig wirtschaftlicher Zielsetzung. Überall dort, wo der Römer Vertrag klare normative Aufträge und Kompetenzabgrenzungen umfasst (Zollunion, Gemeinsamer Markt, Aussenkompetenzen etc.), hat die Gemeinschaft recht gut réussiert und erreichte Ergebnisse nie mehr rückgängig gemacht, dies nicht zuletzt dank dem Gerichtshof. Anders steht es bei Bereichen, bei denen sich schon die Vertragsredaktoren nur auf allgemeine Absichtserklärungen mit mangelhafter Rollenverteilung zu einigen vermochten (Wirtschaftsgemeinschaft). Jedenfalls wird man dem Phänomen EWG nicht gerecht, wenn man es an normativen Zielsetzungen misst, die sich im Grundvertrag gar nicht finden (Europäische Einigung). Es macht den Anschein, dass die Gemeinschaft, wie weiland Schiller, jeweils «einer Krisis bedarf», um vorwärtszukommen. Dennoch sollten wir aus einer säkularen Sicht die Evolution ihrer Langsamkeit wegen nicht indifferent unterschätzen.
Im Verhältnis Schweiz/EG spricht man beidseits immer mehr von Kooperation und immer weniger von Liberalisierung. Dieser Gebrauch der Terminologie ist mir nicht ganz geheuer. Sicher ist es auch im Verhältnis Schweiz/EG von Interesse, die Zusammenarbeit auf jenen Gebieten zu fördern, bei denen sich eine Verteilung der Lasten als unumgänglich oder zumindest als rationell erweist. Dies aber nicht auf Kosten der Staatskasse. In den allermeisten Fällen muss es alsdann der Privatwirtschaft, bzw. den staatlichen (Forschungs-) Institutionen im Rahmen ihrer ordentlichen Budgets obliegen, die Kooperationsabkommen mit Inhalt anzufüllen. Ansonst wird die Integration (wie die Rezession) nur zur Folge gehabt haben, den staatlichen Interventionismus zu vergrössern. Auch die Kooperationsabkommen haben im Wesentlichen Rahmenbedingungen abzustecken.
Was schliesslich das Verhältnis EG/Europarat betrifft, so möchte ich hier nicht wiederholen, was ich des öftern schon zum Ausdruck gebracht habe (Prinzip der konzentrischen Kreise). Das Problem ist in Bezug auf die vertraglichen Beziehungen (und letztlich haben, wenn schon, nur diese Bestand) lediglich zu lösen, falls man auch im Europarat (wie im GATT) die Gemeinschaft nach Massgabe ihrer Treaty-Making-Power an Stelle ihrer Mitgliedstaaten als Vertragspartner zulässt. Jede andere Vertragsverhandlungs-Methode würde nicht nur an den rechtlichen Realitäten vorbeizielen, sondern auch dazu führen, dass mehr und mehr (und gezwungenermassen) Verhandlungen zu Europarats-spezifischen Gebieten ausserhalb der Strassburger Organisation geführt werden.
Ce serait faire injure à l’acquis européen et aux grandes réalisations des pionniers de la «voie suisse» de l’intégration que de donner dans le pessimisme. En tant que représentant de l’économie privée, j’aimerais dire combien l’apport européen est important pour nos entreprises, dans l’esprit du libéralisme économique, du libre-échange et de la stabilité. Cela non seulement dans le cadre des innombrables accords passés avec la Suisse mais également grâce aux retombées indirectes de la politique économique extérieure, de la coopération avec les pays en développement, du système monétaire européen, de la politique agricole commune, etc. Dans l’environnement international, un élément d’importance est en train de se faire jour, qui n’a pas encore été mentionné dans la discussion: il s’agit de la montée en force de la région pacifique. De leur côté, les USA se posent la question du «positionnement» de la région atlantique dans leurs priorités futures: le manque de la volonté de défense manifesté dans certains pays d’Europe, l’opposition à l’implantation de moyens de défenses adéquats et les graves problèmes de structures industrielles et de compétitivité dans maints secteurs ne sont pas sans justifier certains de leurs doutes quant à la fiabilité de leurs partenaires européens.
Dans les années à venir, une bonne partie des forces de la CEE vont être mobilisées à digérer les problèmes découlant des nouvelles adhésions. L’exemple de la Grèce est, à cet égard, révélateur. Il en résultera vraisemblablement un ralentissement du développement qualitatif interne de la Communauté. L’accent principal sera donc porté sur le front externe, comme on a pu l’observer par exemple lors de la conférence de San José.40 Un autre point important réside dans le renforcement des institutions communautaires. Il s’agit de revoir les priorités et de modifier la pondération des différents organes: accentuation de la présidence, du Conseil, du Conseil des ministres?
La place de l’Europe se jouera finalement en termes de compétitivité. En ayant à l’esprit les modifications d’environnement mentionnées plus haut, la position de l’Europe n’est pas sans éveiller des doutes. Ce dont nous avons le plus besoin en Europe c’est d’un changement de mentalité. Pendant trop longtemps on a «administré» les problèmes économiques en pénalisant les gagnants et en encourageant les perdants dans le cadre d’une vaste redistribution. Les secteurs industriels d’avenir hautement compétitifs au plan mondial peuvent être comptés sur les doigts d’une seule main en Europe. Les conséquences de cette évolution, nous ne les verrons que dans une dizaine d’années. L’Europe saura-t-elle réagir à temps pour restaurer sa compétitivité en laissant plus de marge de manœuvre aux entreprises?
Ich möchte mich zunächst gegen den bei Herrn Jetzer anklingenden Europessimismus wenden. Anlass zu einer «Untergang des Abendlands»-Stimmung besteht m.E. nicht. Sicher ist nicht alles zum Besten bestellt, aber nicht nur in Europa, sondern auch anderswo. Der Vergleich der in den USA und in Europa geschaffenen Zahl von Arbeitsplätzen ist nicht unbedingt stichhaltig. Ausschlaggebend ist, ob es sich um produktive, zukunftsträchtige Arbeitsplätze handelt. Die Lösung für die europäischen Staaten dürfte auch nicht darin liegen, dass bei Forschung und Entwicklung der Staat vermehrt helfend eingreift. Es ist deshalb beunruhigend zu sehen, wie grundsätzlich liberale, nichtinterventionistische Staaten wie die Bundesrepublik Deutschland und die Niederlande stark mit öffentlichen Mitteln in die angewandte Forschung einsteigen. Zweitens möchte ich die Kraft des faktischen Integrationsprozesses und dessen Auswirkungen auf die Schweiz unterstreichen. In meiner früheren Tätigkeit, welche enge Kontakte mit den Problemen der Schweizer Multis mit sich brachte, war ich beeindruckt, wie sehr das, was z.B. an der Front des Gesellschaftsrechts in Brüssel geschieht, direkte Auswirkungen für unsere grossen Gesellschaften zeitigt.
Unsere wirtschaftliche Verflechtung und unsere geographische Lage lassen uns, wenn auch passiv, am EG-Vereinheitlichungsprozess teilnehmen. Hier müssen wir vermehrt dafür sorgen, dass wir nicht nur gegebenenfalls am Endergebnis partizipieren, sondern dass wir mitgestalten, damit unsere Vorstellungen, Wünsche und Interessen eingebracht und berücksichtigt werden können. Ich glaube, dass in dieser Sicht weder der autonome Nachvollzug noch der Sonderfall Schweiz befriedigende Lösungen bringen können. Drittens möchte ich hervorheben, dass innerhalb der Kommissionsdienste eine immer stärkere Tendenz besteht, die Gemeinschaftspräferenz zu erhalten. Immer mehr hat man das Gefühl, dass der «Bremser vom Dienst» nicht mehr in erster Linie Frankreich ist, sondern die Kommissionsdienste. Hier entsteht ein Europrotektionismus, der m. E. eine Gefahr für uns und auch für die übrige Welt darstellt. Und mein letzter Punkt: Eine geographische Dimension ist heute nur ganz am Rande erwähnt worden, das ist der Mittelmeerraum. Man hat vom nördlichen Rand ganz kurz gesprochen, hingegen nicht vom südlichen und östlichen. Ich glaube hier auch eine Herausforderung an uns zu erkennen.
Permettez-moi de faire deux séries de remarques, la première en tant qu’historien, la seconde en tant que Président et membre du Conseil de la FondationPro Helvetia.
À propos de l’histoire, on a dit tout à l’heure que le Conseil fédéral avait admis cette Commission en pensant que l’histoire était plus distancée, voire «innocente». Pour ma part, je crois qu’elle n’est pas aussi innocente qu’on le pense. Le problème est plutôt, sans aller jusqu’au jugement pessimiste de Valéry sur les poisons de l’histoire, de se demander si l’histoire peut être efficace. J’entendais tout à l’heure un de nos collègues dire que l’on parlait à un certain moment, au sein de l’assemblée de Strasbourg, du modèle suisse. Il est vrai que lorsqu’on parle de la Suisse comme modèle historique d’intégration, on se réfère beaucoup à ce qu’on peut appeler le modèle primitif. Mais je me demande si on ne peut pas également se référer à des avatars plus récents. En effet, en feuilletant un ouvrage sur l’Europe et ses problèmes, je constatais que presque tous les historiens européens qui, après la guerre, ont voulu écrire dans ces grands volumes, qui d’ailleurs représentent une entreprise européenne, ont tous souligné les efforts d’intégration européenne de leur propre pays. Et au fond la Suisse en a fait de même. On pourrait dès lors se demander si la haute autorité ou si les institutions européennes ne se trouvent pas actuellement dans une situation analogue à celle des années 1880 où, en Suisse, le Conseil fédéral était une espèce de haute autorité et le Parlement un Parlement «presque européen», c’est-à-dire réunissant des députés qui ne se considéraient pas tellement comme appartenant à une même nation mais plutôt à quelque chose qui ressemblait à une fédération très large avec de graves antagonismes et où, enfin, le tribunal fédéral était une institution qui commençait à ne pas trop mal fonctionner. Ainsi vous voyez que ces parallèles, ces réplications comme on le dit maintenant quelquefois en histoire, ne sont pas inutiles. Ce n’est pas avec ça bien sûr qu’on va faire avancer l’intégration de l’Europe.
À propos de la culture, je voudrais dire deux mots puisque, je crois, ce sujet a été évoqué. Pendant longtemps pour la Suisse, le rattachement à la culture européenne s’est fait dans la mesure où la politique officielle ne s’occupait guère de culture. Je dis guère car elle n’avait que des influences assez indirectes sur elle alors que le monde de la culture avait des contacts directs avec l’Europe. Au sujet de l’influence de l’intégration européenne ou plutôt des efforts vers une intégration culturelle, je voudrais signaler une chose qui me paraît importante: les positions prises par le Conseil de l’Europe sur la politique culturelle ont eu un très grand retentissement dans les milieux officiels. Plus grand qu’elles n’en ont eu dans les milieux de l’opinion publique. Je m’explique. Ce n’est que depuis que le Conseil fédéral a repris la définition de la culture du Conseil de l’Europe dans son message sur l’initiative de la culture41, mais également depuis que l’on trouve cette définition dans d’autres documents, que cette notion de culture a été présentée au pays d’une manière extrêmement large et extensible. Je dirais même, en reprenant un peu ce qu’a dit M. Jetzer tout à l’heure sur les côtés négatifs d’une nouvelle définition de la culture, en insistant peut-être trop fortement sur les valeurs sociales et socio-économiques de la culture, de la condition de l’artiste et de ses conditions de travail. N’a-t-on pas un peu oublié le problème des valeurs, n’est-on pas en train de se tourner vers des définitions très larges qui finalement sont presque des définitions de civilisation, de modes de vie menant vers de nouveaux nationalismes culturels? En effet, les artistes suisses ont découvert, et nous sommes bien placés pour le savoir, que leur condition était précaire. Et évidemment, ils ne sont plus aussi désintéressés que par le passé. Et il est normal que tous leurs efforts portent sur l’infrastructure, sur un certain nombre d’améliorations de leurs conditions de vie et qu’on oublie un peu, je dirais, les valeurs missionnaires qui ont été, pendant longtemps, le moteur de l’expression culturelle de l’Europe. Nous retrouvons donc là un certain parallélisme et je prétends que l’intégration culturelle de la Suisse n’est pas terminée, elle ne le sera jamais, heureusement, si nous ne voulons pas faire de nationalisme culturel. Pour terminer, je dirai qu’il est évident que l’intégration culturelle de l’Europe devrait nous amener à soutenir ces valeurs et à souligner, peut-être plus que nous ne le faisons actuellement dans le débat culturel, combien la culture suisse doit être tournée vers le monde et combien, par cercles concentriques, elle doit s’intéresser aux voisins, à l’Europe, au monde etc. Mais il me semble, et je le rappelle ici, que le débat actuel autour de l’initiative sur la culture reflète trop un climat d’autarcie, en tout cas au point de vue des conditions matérielles, tendance qui contraste avec l’aspiration à des valeurs universelles. Un meilleur équilibre pourrait être obtenu, dans ce domaine, par une espèce de médiation des valeurs européennes.
Und nun zum Schlusswort nochmals die beiden Hauptreferenten.
Ich werde sieben Punkte hervorheben, die ich eigentlich als Schlussfolgerungen für mich selbst betrachte. Aber ich möchte Ihnen zunächst sagen, wie sehr ich diese anregende Diskussion geschätzt habe und wie wertvoll sie auch für unsere künftige Arbeit sein wird.
Erster Punkt: Professor Hofer hat die Problematik der Wechselwirkungen zwischen politischer und wirtschaftlicher Integration unterstrichen. In der EG schreitet, wir haben es gesagt, die wirtschaftliche Integration voran. Für mich liegt die Schwelle, in der die wirtschaftliche Integration Impulse zu einer Stärkung der politischen Integration nach sich zieht, bei einer Wirtschafts- und Währungsunion. Davon sind wir allerdings noch weit entfernt.
Mein zweiter Punkt: Das ist die Beziehung zwischen Europarat und EG, diese Klammerfunktion, von der ich nicht gesprochen habe. Ich bin jedoch mit den Äusserungen von Botschafter Raeber weitgehend einverstanden. Wenn überhaupt eine Rolle für den Europarat in dieser Beziehung aufrecht erhalten werden kann, scheint mir besonders wichtig, dass die Europäische Gemeinschaft als solche, also als Völkerrechtssubjekt, viel stärker in die intergouvernementale Organisation des Europarates eingegliedert wird.
Als dritten Punkt möchte ich nochmals festhalten, was von vielen gesagt wurde: Die Europäische Gemeinschaft ist eine rechtliche, institutionelle, wirtschaftliche und auch politische Realität. Sie schreitet, da sie unvollkommen ist, nur langsam voran. Trotzdem kann und darf sie von uns nicht unterschätzt werden.
Vierter Punkt: Hier komme ich zu dem, was Herr Jolles gesagt hat. Es ist sehr wichtig, in der schweizerischen Wirtschaft das Bewusstsein zu vertiefen, dass die Gemeinschaft stetig voranschreitet. Ich bin mit ihm auch einverstanden, wenn er sagt, die Handelsbeziehungen seien für die Zukunft nicht das Wesentlichste hinsichtlich der Ausrichtung unseres Verhältnisses zur Europäischen Gemeinschaft. Diese Sensibilisierung der Wirtschaft ist sehr schwierig durchzusetzen, weil sich primär nur einige wenige grössere Firmen mit dem Problem beschäftigen. Die Aktivierung der Konsultationsverfahren in der Wirtschaft muss strukturiert und kohärent weitergeführt werden. Es sollen dabei nicht nur, was bereits Herr Lévy bemerkt hat, Dienstleistungen und Technologie berührt werden, sondern insbesondere auch das Gesellschaftsrecht in allen seinen Facetten, mit eingeschlossen das Kartellrecht.
Fünfter Punkt: Die Notwendigkeit von Konsultationsverfahren bedeutet für uns, dass wir eine aktive und intelligente Synthese unserer Beobachtungen erstellen, welche Informationen aus der Verwaltung, aber auch der Wirtschaft und anderer Kreise einbezieht. Auf dieser Grundlage können wir, wie Herr Broggini angeregt hat, dem Bundesrat punktuelle Änderungen unserer Gesetzgebung vorschlagen. Das bringt uns zu der Frage der rechtlichen Formen einer solchen punktuellen Annäherung: ich glaube, da müssen wir alle möglichen Formen offen halten. Wir dürfen uns nicht in einer bestimmten Art des Abschlusses von Verträgen festfahren. Deshalb dürfen wir uns auch nicht von der Luxemburger Erklärung einschränken lassen. Sicher müssen die bilateralen Wege offen bleiben und vielleicht sogar verstärkt werden, aber die multilateralen, in allen ihren Facetten, haben auch ihre Berechtigung.
Mein sechster Punkt: Wir sprechen immer wieder über Kooperation, über Zusammenarbeit. Leider ist das sehr oft ein leeres Wort. Wichtig ist, dass wir, wie Franz Blankart betont hat, in unserem bilateralen Verhältnis mit der Gemeinschaft immer wieder Rahmenbedingungen in rechtliche Formen giessen, welche der Liberalisierung dienen. Wir müssen rechtlich verankerten Freiraum schaffen für das Unternehmertum.
Mein letzter, siebter Punkt: Die Frage eines Europa oder einer Gemeinschaft «à deux vitesses»: Die Schweiz kann kein Interesse haben, eine solche Dynamik zu beeinflussen oder zu fördern. Aber sie kann sich einer allfälligen derartigen Entwicklung der Gemeinschaft auch nicht entziehen. Im entsprechenden Fall müssen wir bereit sein, mit einem gewissen Pragmatismus zu handeln und uns vielleicht nicht von den Bemerkungen, die Franz Blankart soeben gemacht hat, allzu sehr bremsen zu lassen. Ich danke Ihnen, Herr Präsident.
Ich will mich ganz kurz fassen. Ich hatte ja in meinem Kurzreferat die etwas provokative Frage gestellt, ob es möglich sei, eine Auffangstellung für neue Entwicklungen bei uns zunächst einmal zu entwerfen und dann zu errichten. Ich habe das Gefühl, dass darauf unterschiedliche Antworten gegeben wurden. Es wurde zwar von mehreren Sachverständigen der Integration wie Herrn Jagmetti und Herrn Jolles gesagt, dass man sich nicht auf dem Vertrag von 1972 ausruhen dürfe. Herr Jolles hat betont, die Situation von heute erinnere in mancher Beziehung an die vor über 20 Jahren. Die Frage stellt sich, ob wir eine Auffangsstellung für neue Entwicklungen brauchen und wenn ja, wie sie aussehen soll. Ich meine, wenn es uns Europäern nicht gelingt, das grosse Werk der wirtschaftlichen Integration politisch abzusichern, dann könnte es wieder zusammenfallen. Das ist meine feste Überzeugung. Ich kann es nur an einem Punkt kurz andeuten. Für besonders gefahrvoll halte ich die Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland. In drei, vier Jahren haben wir vielleicht eine rot-grüne Mehrheit. Wir kriegen eine Regierung, in der die Sozialdemokraten abhängig werden von den Grünen. Die Grünen jedoch sind in ihrer grossen Mehrheit antieuropäisch, sie wollen nicht die EG, sie wollen das grosse Europa mit dem Osten, Neutralismus, Nationalismus. Es gibt aber auch sicherheitspolitische Aspekte in der ganzen Angelegenheit. Dieser riesige Markt kann sich nicht selbst verteidigen und macht dann noch dazu in Antiamerikanismus. Das sind alles Entwicklungen und Tendenzen, die sich in ungeheurer Weise beschleunigen können und die in kürzester Zeit die Situation total zu ändern vermögen. Wir brauchen also nicht nur eine Integration der Staaten und der Wirtschaften, sondern auch eine Integration der Völker. Wenn die Völker nicht mitmachen, dann glaube ich, ist es auf die Dauer nicht sicher, ob die Entwicklung überhaupt nur auf dem gegenwärtigen Stand gehalten werden kann.
Ich danke beiden Herren für die prägnanten Feststellungen und den Blick in die Zukunft. Der Dank richtet sich auch an alle, die an dieser Veranstaltung teilgenommen haben. Die Diskussion war derart interessant, dass ich mich im Gedanken ermutigt sehe, unsere Gruppe weiterzuführen.42
- 1
- Protokoll: CH-BAR#E9500.225#1000/1190#2* (1). Anwesende Mitglieder: R. Probst (Vorsitz), C. Sommaruga und W. Hofer (Referenten), G. Broggini, A. Jetzer, H. Lüthy, F. Luterbacher, R. Ruffieux, G. Spiess und Ch. Tavel. Anwesende Eingeladene: P. Graber, P. R. Jolles, F. Blankart, C. Jagmetti, Ph. Lévy, F. Pianca, Th. Raeber, F. Staehelin, J. Kellenberger und H. von Arx. Entschuldigte Mitglieder: B. Béguin, Ph. Bois, H. Bütler, J. S. Eggly, J.-C. Favez, J. Freymond, C. Gasteyger, C. Grosjean, W. Jucker, A. Koller, G. Lattion, R. Meylan, O. Reverdin und V. Umbricht. Entschuldigte Eingeladene: K. Furgler, P. Aubert, E. Brugger, H. Schaffner, F. Honegger, E. Brunner, E. Diez, F. Muheim, P. Wipfli, J. Monnier, J. Manz, A. Hegner, P.-L. Girard, F. Pictet, B. von Tscharner, H. Sieber, E. Röthlisberger, H. Reimann, J. Staehelin, R. Stettler, J. Faillettaz, M. Krafft, M. Leippert, O. Uhl, F. Landgraf und J.-J. Indermühle. Sekretariat und Protokoll: R. Bodenmüller, U. Breiter und R. Loretan. Vertraulichkeitsvermerk: «Als vertrauliches Dokument zu behandeln, das an einem sicheren Ort aufzubewahren oder nach Einsichtnahme dem Sekretariat der Arbeitsgruppe ‹Historische Standortbestimmung› zurückzusenden ist.» Exemplar Nr. 69 für das Bundesarchiv. Für die Liste der verteilten 140 Exemplare vgl. das Faksimile, dodis.ch/34228.↩
- 2
- Zum Freihandelsabkommen mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) vgl. das Protokoll der Arbeitsgruppe Historische Standortbestimmung vom 16. September 1972, QdD 23, Dok. 7, dodis.ch/34212 sowie die thematische Zusammenstellung dodis.ch/T2064.↩
- 3
- Vgl. das BR-Prot. Nr. 2276 vom 11. Dezember 1961, dodis.ch/30134.↩
- 4
- Vgl. dazu das Protokoll der Arbeitsgruppe Historische Standortbestimmung vom 29. Juni 1985, dodis.ch/34229. ↩
- 5
- Für Stellungnahmen zur Zukunft der Arbeitsgruppe vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C2651.↩
- 6
- Zum Freihandelsabkommen mit der EWG vgl. das Protokoll der Arbeitsgruppe Historische Standortbestimmung vom 16. September 1972, QdD 23, Dok. 7, dodis.ch/34212 sowie die thematische Zusammenstellung dodis.ch/T2064.↩
- 7
- Vgl. dazu die thematische Zusammenstellung Dritte Erweiterung der EG: Spanien, Portugal (1986), dodis.ch/T1851.↩
- 8
- Vgl. dazu das Referat von B. von Tscharner vom 3. September 1984, dodis.ch/69755.↩
- 9
- Vgl. dazu die thematische Zusammenstellung Luxemburger Treffen und Folgen (1984), dodis.ch/T2063.↩
- 10
- Zum Stand der Zusammenarbeit der Schweiz mit der COST vgl. die Notiz von M. von Walterskirchen an J. Kellenberger vom 22. August 1984, dodis.ch/69720 und die Notiz von N. Roulet vom 6. November 1984, dodis.ch/69719. ↩
- 11
- Zum Stand der Zusammenarbeit der Schweiz mit EURATOM vgl. die Botschaft über die Weiterführung der Zusammenarbeit mit EURATOM auf dem Gebiet der kontrollierten Kernfusion und der Plasmaphysik vom 20. Dezember 1982, dodis.ch/65764; das BR-Prot. Nr. 1467 vom 17. September 1984, dodis.ch/69724 sowie den Bericht des Bundesamts für Bildung und Wissenschaft des EDI vom 19. November 1984, dodis.ch/69714.↩
- 12
- Vgl. dazu die Notiz von C. Sommaruga an K. Furgler vom 14. Juni 1984, dodis.ch/50768.↩
- 13
- Vgl. dazu das Telegramm Nr. 399 von Ph. Lévy an C. Sommaruga vom 24. September 1984, dodis.ch/50769.↩
- 14
- Vgl. dazu das Schreiben von P.-L. Girard vom 26. März 1984, dodis.ch/69721 und die Aufzeichnung von C. Jagmetti vom 12. November 1984, dodis.ch/69727.↩
- 15
- Vgl dazu die Notiz von H. Tschäni vom 2. November 1984, dodis.ch/69728.↩
- 16
- Zur Frage der Implikationen der Beitrittsverhandlungen Spaniens und Portugals mit der EGW für die Schweiz vgl. den Telex Nr. 189 von C. Jagmetti an das Integrationsbüro EDA/EVD vom 10. Oktober 1984, dodis.ch/57003 sowie die Notiz von G.-A. Colombo an J. Kellenberger vom 30. Oktober 1984, dodis.ch/63964.↩
- 17
- Vgl. das Abkommen zwischen den EFTA-Staaten und Spanien vom 20. Dezember 1978, CH-BAR#E7113A#1990/132#222* (777.230).↩
- 18
- Vgl. dazu die Antwort des Bundesrats vom 4. Juli 1979 auf Einfache Anfragen der Nationalräte Schmid-St. Gallen, Bussey und Villard, dodis.ch/69729.↩
- 19
- Vgl. dazu den Bericht der Arbeitsgruppe Internationale Währungspolitik zuhanden des Bundesrats vom 31. Januar 1979, dodis.ch/69743.↩
- 20
- Das Zitat entstammt der Erklärung des französischen Aussenministers Schuman vom 9. Mai 1950 im Quai d’Orsay.↩
- 22
- Für ein Resümee in dieser Hinsicht vgl. z. B. das Exposé von W. Spühler vom 5. Februar 1969, dodis.ch/33871.↩
- 23
- Wilhelm Röpke, Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, in: Der Monat 4 Jg. (Heft 45, Juni 1952), S. 227–253, hier S. 233.↩
- 24
- Ernest Renan, Qu’est-ce qu’une nation?, Conférence prononcée à la Sorbonne, Paris, le 11 mars 1882.↩
- 25
- Vgl. den Bericht Le Rôle de l’Assemblée parlementaire du Conseil de l’Europe dans la perspective des élections au Parlement européen von W. Hofer vom 24. April 1979, CH-BAR#E7113A#1990/111#97* (776.400).↩
- 26
- Vgl. dazu die Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa von Helsinki vom 1. August 1975, dodis.ch/58821 sowie die thematische Zusammenstellung KSZE-Schlusskonferenz in Helsinki (30.7.1975–2.8.1975), dodis.ch/T1410.↩
- 27
- Zur Colombo-Kommission vgl. das Schreiben von S. Stray an P. Aubert vom 18. Oktober 1984, dodis.ch/50760; die Notiz von Th. Raeber an den Dienst Europarat des EDA vom 26. Oktober 1984, dodis.ch/50762; das Schreiben von P. Aubert an S. Stray vom 30. Oktober 1984, dodis.ch/50761 sowie das Dossier CH-BAR#E2023A#1993/129#194* (o.121.21.(994)).↩
- 28
- Zur Erteilung des Auftrags einer Mission de réflexion confiée au Président du Comité des Ministres sur le rôle de l’Europe dans le processus de relance européenne im Rahmen der 70. Session des Ministerkomitees des Europarats vom 29. April 1982 vgl. CH-BAR#E2023A#1993/129#456* (o.121.53). Zur schweizerischen Einschätzung des Programmpunkts 2 «Fortschritt der Europäischen Integration» vgl. die Ansprache von P. Aubert vom 29. April 1982, dodis.ch/69730.↩
- 29
- Vgl. den Bericht Rôle du Conseil de l’Europe dans le processus d’unification européenne von W. Pahr vom 2. November 1982, CH-BAR#E2023A#1993/129#457* (o.121.53). Vgl. ferner die Aufzeichnung von C. Krieg vom 29. Oktober 1982, dodis.ch/50644, bes. S. 7–10.↩
- 30
- Vgl. dazu die Rundschreiben von Ch. Faessler vom 5. September 1984, dodis.ch/50763 und von F. Pianca vom 27. September 1984, dodis.ch/50764 sowie die Notiz von C. Jagmetti an die Politische Abteilung I des EDA und das Integrationsbüro EDA/EVD vom 15. Oktober 1984, dodis.ch/50765.↩
- 31
- Vgl. dazu den Bericht von Th. Raeber vom 29. November 1984, CH-BAR#E2023A#1998/212#464* (o.121.53(75ème)) sowie das Rundschreiben von F. Pianca vom 5. Dezember 1984, dodis.ch/50766.↩
- 32
- Diese Resolution wurde ebenfalls angenommen. Vgl. dazu den Bericht von Th. Raeber vom 2. Mai 1985, CH-BAR#E2023A#1998/212#465* (o.121.53(76ème)).↩
- 33
- Zu den gemeinsamen Massnahmen der EWG und der schweizerischen Haltung dazu vgl. die Notiz von B. Schenk vom 20. April 1982, dodis.ch/50730. Vgl. auch die thematische Zusammenstellung Falklandkrieg/Malwinen (1982), dodis.ch/T1664.↩
- 34
- Vgl. dazu den Telex Nr. 185 von C. Jagmetti an das Integrationsbüro EDA/EVD vom 3. Oktober 1984, dodis.ch/69731.↩
- 35
- Vgl. dazu das Protokoll der 1. Sitzung der Arbeitsgruppe Historische Standortbestimmung vom 18. Dezember 1961, QdD 23, Dok. 1, dodis.ch/34183.↩
- 36
- Vgl. dazu die Notiz von F. von Däniken vom 13. Oktober 1982, dodis.ch/69745; die von C. Jagmetti vom 19. Januar 1984, dodis.ch/69754 sowie das Dossier CH-BAR#E2200.36#2000/290#525* (531.12).↩
- 37
- Vgl. dazu die Dossiers CH-BAR#E2200.136-04#1994/133#215* (737.3) und CH-BAR#E7113A#1993/78#142* (777.230).↩
- 38
- Zur Frage des Abschlusses von Kulturabkommen durch die Schweiz vgl. das Schreiben von G. Keel an V. de Lantsheere vom 24. März 1947, dodis.ch/5263 sowie das BR-Prot. Nr. 335 vom 21. Februar 1961, dodis.ch/69732. Vgl. zudem die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Beitritt der Schweiz zum europäischen Kulturabkommen von 1954 vom 4. Dezember 1961, dodis.ch/35008.↩
- 39
- G. Broggini spricht hier von Italien. Er war zu dieser Zeit Professor für Römisches Recht und internationales Privatrecht in Mailand. ↩
- 40
- Vgl. dazu den Telex Nr. 185 von C. Jagmetti an das Integrationsbüro EDA/EVD vom 3. Oktober 1984, dodis.ch/69731.↩
- 41
- Vgl. die Botschaft zur «Eidgenössischen Kulturinitiative» vom 18. April 1984, BBI, 1984, II, S. 501–550.↩
- 42
- Zur darauffolgenden, letzten Sitzung der Arbeitsgruppe Historische Standortbestimmung vgl. das Protokoll der Sitzung vom 29. Juni 1985, dodis.ch/34229. Zur Einschätzung einzelner Teilnehmer über die Zukunft der Arbeitsgruppe vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C2651.↩
Relations to other documents
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Working group Historische Standortbestimmung


