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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 24, doc. 117
volume linkZürich/Locarno/Genève 2012
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1980/83#785* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1980/83 243 | |
Dossier title | EFTA-Konferenzen in Wien (1968–1968) | |
File reference archive | C.41.775.03 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E7113A#1979/23#347* | |
Old classification | CH-BAR E 7113(A)1979/23 79 | |
Dossier title | Implications historiques (1968–1968) | |
File reference archive | 771.5.14 |
dodis.ch/33014
Der Präsident der ständigen Wirtschaftsdelegation, P. R. Jolles, an deren Mitglieder1
An unserer letzten Sitzung vom 13. November2 haben wir die von der Schweiz in der Integrationsfrage anlässlich der EFTA-Ministerkonferenz in Wien einzunehmende Haltung vorbesprochen. Wir waren damals übereinstimmend der Auffassung, dass, selbst im Falle eines britischen Beharrens auf dem dogmatischen Standpunkt des Beitritts zur EG aus politischen Gründen und eines entsprechenden formellen Junktims zwischen Stufenlösungen und Beitrittsverhandlungen, die Schweiz in konsequenter Verfolgung ihrer bisherigen Linie sich für ein Eintreten auf die Idee von handelspolitischen Arrangements einsetzten sollte. Dabei wäre jedoch die Notwendigkeit der GATT-Konformität besonders zu betonen, um den amerikanischen Einwendungen zu begegnen. Ferner teilten Sie unsere Auffassung, dass die Handelsarrangements auch schweizerischerseits in die Optik einer engen europäischen Zusammenarbeit zu stellen seien, um nicht negative Reaktionen, vor allem seitens der Hol länder, auszulösen.
Die Erklärung3, die Bundesrat Schaffner in Wien zur Integrationsfrage abgegeben hat, hat diesen Erwägungen Rechnung getragen, und ich lasse Ihnen zu Ihrer Orientierung den vollen Wortlaut im Originaltext zugehen. Die schweizerische Argumentation hat die anderen EFTA-Partner weitgehend zu überzeugen vermocht und ihren Niederschlag im Schlusscommuniqué4 gefunden. Natürlich hat Grossbritannien in der Eintretensdebatte eine entgegengesetzte Haltung eingenommen und einmal mehr betont, dass seine Ziele politischer Natur seien und daher nur durch Vollmitgliedschaft erreicht werden könnten. Einzig politische Erwägungen würden Grossbritannien5 dazu führen, «das wirtschaftliche Opfer einer Teilnahme am Gemeinsamen Markt zu erbringen» und die Vereinigten Staaten und das Commonwealth handelspoltisch zu benachteiligen. Der britische Sprecher – Staatsminister Mulley – erklärte, dass Holland, Italien und Präsident Rey weiterhin auf einem Junktim bestünden, sodass vorerst ein gemeinsamer Vorschlag der Sechs abgewartet werden müsse, bevor die EFTA Stellung nehmen sollte. Im übrigen wären Handelsarrangements auf Grund der bisherigen Vorschläge wirtschaftlich nicht interessant und inhaltlich unausgeglichen.
Auch Dänemark äussere sich skeptisch, erhob jedoch keinen Anspruch auf ein Junktim zwischen Stufenlösungen und späterem Vollbeitritt. Der dänische Marktminister (Andersen) bekundete Interesse an einem GATT-konformen, völligen Zollabbau in Europa, vorausgesetzt, dass die EG bereit wäre, auch landwirtschaftliche Konzessionen einzuräumen. Die französische Offerte6 müsse daher vorerst verbessert werden. Im übrigen plädierte Dänemark für eine koordinierte Stellungnahme und ein gegenseitig abgestimmtes Vorgehen der EFTA-Staaten.
Interessanterweise schlossen sich nicht nur die neutralen Staaten, inkl. Finnland, sondern auch Norwegen und Portugal der schweizerischen Argumentation an. Dieser Umstand ist von Bedeutung, weil er dazu beitragen kann, die Befürchtungen der Holländer und der USA zu zerstreuen, dass Zwischenlösungen einen kommerziellen Selbstzweck darstellen. Die schweizerische These, dass Handelsarrangements7 als Vorstufe für die weitere Integrationsentwicklung angesehen werden müssen, gewinnt an Glaubhaftigkeit.
Selbstverständlich war die Wiener Tagung durch die Währungskrise überschattet und die seither sowohl von Frankreich als auch von Grossbritannien ergriffenen Massnahmen8 dürften eine Konkretisierung der Vorschläge für Handelsarrangements zum mindesten zeitlich bremsen. Gleichzeitig ist durch diese Massnahme aber auch klar geworden, dass schon aus wirtschaftlichen Gründen die weitere Integrationsentwicklung nur vorsichtig und schrittweise über Zwischenlösungen denkbar ist.
Wir lassen Ihnen in der Beilage den Text des Wiener Communiqués und der im Communiqué nicht erwähnten, sondern im Sitzungsprotokoll festgehaltenen Verfahrensbeschlüsse9 zugehen.
Zusammenfassend möchten wir das Konferenzergebnis aus schweizerischer Sicht wie folgt bewerten:
1. Die Schweiz darf sich von diesem Ergebnis befriedigt zeigen, da, schliesslich sogar mit britischer Zustimmung, das Communiqué in der Integrationsfrage eine den Umständen entsprechende realistische Haltung zum Ausdruck bringt.
2. Die EFTA hat in einer Weise, die über die Formulierung des Londoner Communiqués vom letzten Mai10 hinausgeht, zu den Vorschlägen für handelspolitische Zwischenlösungen eindeutig positiv Stellung genommen, um dadurch eine Einigung der Sechs in Brüssel zu erleichtern, die allerdings angesichts der erwähnten Verhältnisse längere Zeit erfordern dürfte.
3. Dieses Interesse ist nicht nur in deklamatorischer Form zu Ausdruck gebracht worden, sondern hat zu einem konkreten Verfahrensbeschluss geführt. Statt passiv das weitere Ergebnis der Beratung in Brüssel abzuwarten, haben die EFTA-Minister ihren ständigen Vertretern in Genf zwei Studienaufträge erteilt, die auf die Anregung von Bundesrat Schaffner zurückgehen.
4. Durch diese Studienaufträge soll vor allem zum Ausdruck gebracht werden, dass die Bemühungen fortgesetzt werden müssen, um den Inhalt eines allfälligen Handelsarrangements in einer Art zu verbessern, die den Interessen der verschiedenen EFTA-Staaten Rechnung trägt, und um zusätzliche Gebiete für eine wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen EFTA und EWG zu finden. Es herrschte Einigkeit, dass insbesondere der Anwendungsbereich des präferenziellen Zollabbaus über die Positionen hinaus, die in der Kennedy-Runde11 um 50% gesenkt wurden, ausgedehnt werden müsste. Ferner ist eindeutig – auch in der kategorischen Formulierung des Communiqués – die Bedeutung zum Ausdruck gekommen, die alle EFTA-Staaten der Herstellung der GATT-Konformität beimessen. Schliesslich wurde in verschiedenen Voten darauf hingewiesen, dass nicht nur auf dem Industrie-, sondern auch auf dem Agrarsektor12 die gegenseitige Ausgewogenheit allfälliger Konzessionen angestrebt werden müsste. Als zusätzliche Gebiete für eine europäische Zusammenarbeit, neben denjenigen der Technologie13 und des Patentrechtes, kämen wohl vor allem die Standardisierung, die Abstimmung der Vorschriften über Zulassungskriterien für Heilmittel14 und die gegenseitige Anerkennung von Tests sowie der Beitritt zur EG-Konvention über die Vollstreckung von Gerichtsurteilen in Frage.
5. Der dritte schweizerische Vorschlag betreffend die Bekundung der Bereitschaft zu Konsultationen mit den EG-Staaten ist nicht eingehend besprochen, aber immerhin durch den Hinweis in Absatz (b) des Arbeitsmandates gedeckt worden. Die gewählte Formulierung verweist auf die Beschlüsse der Ministerkonferenz in Wien vom Jahre 196515, die vor allem darin bestanden, gemeinsame Konsultationen mit der EG vorzuschlagen. Diese Frage wird im Lichte der Arbeiten der EFTA-Gruppe in Genf erneut aufgegriffen werden.
6. Das Wiener Communiqué bringt ferner durch den Hinweis auf die Notwendigkeit eines gemeinsamen Vorschlages der Sechs und einer Ausgewogenheit der Vorteile für jeden EFTA-Staat zum Ausdruck, dass Zwischenlösungen für alle EG-Staaten annehmbar sein und alle interessierten EFTA-Staaten, ohne Unterschied zwischen Beitrittskandidaten und übrigen Ländern, zur Mitwirkung zugelassen werden müssten. Spaltungsversuche werden in beide Richtungen entmutigt. In der Diskussion wurde jedoch nicht bestritten, dass gewisse Länder, die an Handelsarrangements besonders interessiert sind, selbst dann auf derartige Lösungen eintreten könnten, wenn andere EFTA-Staaten aus politischen Erwägungen vorziehen würden, in der Expektative zu beharren.
Die Währungsdiskussionen in Bonn16 sollten übrigens zur Genüge gezeigt haben, dass die Mitwirkung aller interessierten Länder zur Lösung der europäischen Wirtschaftsprobleme unerlässlich ist.
7. Grossbritannien hat natürlich auf die Forderung eines Junktims noch nicht verzichtet, jedoch von den übrigen EFTA-Staaten kaum Unterstützung erhalten. Die EFTA-Gruppe in Genf wird sich voraussichtlich nun vor allem bemühen müssen, realistischeren Vorstellungen über die mögliche Aus gestaltung der Handelsarrangements zum Durchbruch zu verhelfen.
- 1
- Schreiben: E2001E#1980/83#785* (C.41.775.03). Gerichtet an P. Micheli, P. Aebi, M. Redli, R. Juri, O. Fischer, W. Jucker, Ch. Lenz, W. Clavadetscher, H. P. Keller, A. Weitnauer, A. Grübel, P. Languetin, R. Probst, H. Marti, H. Bühler, E. Moser und J. Iselin. Kopie an P. A. Nussbaumer, B. Müller, F. Rothenbühler, R. Bosshard, L. Jeanrenaud, A. Brugger, R. Ulrich, K. Jacobi, H. Brunner, M. Lusser und G.- A. Cuendet.↩
- 2
- Vgl. dazu die Protokollnotiz über die Sitzung der Ständigen Wirtschaftsdelegation vom 13. November 1968, E2001E#1980/83#665* (C.41.110.1).↩
- 3
- Erklärung von H. Schaffner vom 21. November 1968, dodis.ch/33007. Zur Ministerkonferenz in Wien vom 21.–22. November 1968 vgl. das Telegramm Nr. 211 von P. H. Wurth an das Integrationsbüro vom 30. November 1968, dodis.ch/33010.↩
- 4
- Vgl. Doss. E7001C#1982/115#939* (2520.1).↩
- 5
- Zum britischen EWG-Beitrittsgesuch vgl. DDS, Bd. 24, Dok. 33, dodis.ch/33238, Anm. 3.↩
- 6
- Zum deutsch-französischen Vorschlag eines handelspolitischen Arrangements vgl. DDS, Bd. 24, Dok. 81, dodis.ch/32905, Anm. 16.↩
- 7
- Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 145, dodis.ch/33236, Anm. 3.↩
- 8
- Zu Grossbritannien vgl. DDS, Bd. 24, Dok. 116, dodis.ch/33022 und zu Frankreich DDS, Bd. 24, Dok. 142, dodis.ch/33246.↩
- 9
- Vgl. Doss. wie Anm. 1.↩
- 10
- Vgl. Doss. E7001C#1982/115#940* (2520.1).↩
- 11
- Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 15, dodis.ch/33250.↩
- 12
- Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 27, dodis.ch/32941.↩
- 13
- Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 178, dodis.ch/33038.↩
- 14
- Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 116, dodis.ch/32506.↩
- 15
- Vgl. dazu DDS, Bd. 23, Dok. 99, dodis.ch/31418, Anm. 9.↩
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