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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 23, doc. 166
volume linkZürich/Locarno/Genève 2011
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2004B#1978/136#31* | |
Old classification | CH-BAR E 2004(B)1978/136 7 | |
Dossier title | Botschafterkonferenzen (1964–1966) | |
File reference archive | a.133.4 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001-09#1984/68#2* | |
Old classification | CH-BAR E 2001-09(-)1984/68 2 | |
Dossier title | Conférence des Ambassadeurs (1964–1975) | |
File reference archive | B.58.0.13 |
dodis.ch/30805
[…]2
Herr Botschafter Fuchss3: [… 4
Ich möchte nun die zwischenstaatlichen Aspekte beleuchten. Zunächst die allgemeine Atmosphäre, in der wir arbeiten müssen: Die politischen Beziehungen sind seit zehn Jahren unbefriedigend, wenn nicht schlecht. Seit Oktober 19565 haben sich die Verhältnisse nie mehr ganz normalisiert. Der Aufstand fand damals in der Schweiz ein besonders starkes Echo, und zwar mehr aus emotionalen Gründen. Vernunftmässig gesehen hätte sich nämlich die Stimmung in erster Linie gegen die Sowjetunion richten müssen. Diese abweisende Einstellung gegenüber Ungarn dauert auch heute noch an und wird in den ausgesprochen antikommunistischen Kreisen bewusst wachgehalten6. Unsere Beziehungen litten unter dieser Situation. Während drei Jahren hatten wir nur einen Geschäftsträger in Budapest. Der Posten wurde zwar schliesslich zur Botschaft7 erhoben, aber es änderte sich dabei wenig. In Gesprächen mit höhern Beamten höre ich immer wieder, die Schweiz sei ultrareaktionär und dergleichen mehr. Woher kommt dieses Urteil? Ich glaube, vor allem aus der Lektüre unserer Presse8, und damit komme ich zu einem wichtigen Problem. Es scheint mir, unsere Presse sei unsern Auslandvertretungen nicht gerade gut gesinnt und bemühe sich keineswegs, unsern Botschaftern die Arbeit zu erleichtern. Sie sucht in erster Linie den sensationsbedingten Interessen zu dienen. Anderseits wirkt sie oft schulmeisterisch pedantisch. Selbst die NZZ enthält Artikel, die von Gehässigkeit inspiriert sind. Der Botschafter hat nur einen sehr beschränkten Kreis von Gesprächspartnern, die Presse jedoch einen unbeschränkten. Mit diesem Hinweis sei lediglich die grosse Bedeutung der Presse angedeutet. Was im übrigen besonders irritierend wirkt, ist der Ton. Hier muss ich vor allem an die Adresse einiger jüngerer Journalisten einen Vorwurf richten9.
Nach diesen politischen Aspekten komme ich zum zweiten Punkt im Zusammenhang mit den zwischenstaatlichen Problemen. Es sind dies die wirtschaftlichen, bzw. materiellen Aspekte. Im allgemeinen sind diese als befriedigend zu bezeichnen. Der 16 Jahre alte Handelsvertrag10 hat sich bewährt. Der Warenaustausch ist sehr befriedigend11. Die Nationalisierungszahlungen aus dem Abkommen von 1950 sind geleistet worden. Wie Herr Janner sagte12, bleiben nur noch die Entschädigungen der seither verstaatlichten Hausliegenschaften zu regeln13. Wir haben es hier aber mit einer Grössenordnung von etwa 3 Millionen zu tun, mit Verpflichtungen also, die grössenmässig weit unter dem liegen, was seiner Zeit abzugelten war.
An dritter Stelle möchte ich mich zu den menschlich-geistigen Bedingungen äussern. Ich habe diesbezüglich sehr gute Kontakte schaffen können. Meine Beziehungen mit Persönlichkeiten des künstlerischen und literarischen Lebens sind vortrefflich. Im Westen ist man sich gewohnt, die politischen und menschlichen Beziehungen streng auseinander zu halten. Dies ist im Osten keineswegs der Fall. Dort sind die verschiedenen Bereiche eng miteinander verknüpft, und wenn wir daher im Osten allgemein ausstrahlen wollen, so können wir sehr wohl unsere Bemühungen auf dem einen Gebiet entfalten und damit rechnen, dass dieselben auch auf die übrigen Bereiche Auswirkungen haben werden.
Ich komme nun noch zu zwei Fragen: 1. Ist es sinnvoll, dass unsere Vertreter vermehrte Kontakte mit den Parteibehörden aufnehmen? Wie Sie wissen, bestehen in den kommunistischen Ländern zwei Regierungen. Es ist eine Tatsache, dass die Botschafter kommunistischer Ländern stets direkte Kontakte mit den Parteileuten des Gastlandes unterhalten. Das Departement vertritt den Grundsatz, dass unsere diplomatischen Vertreter grundsätzlich nur mit der offiziellen Regierung zu verkehren hätten. Ist dies richtig? Es würde mich interessieren, wie sich unsere Behörden zu dieser Frage stellen14.
Noch eine zweite Frage: diese betrifft die Besuchsdiplomatie15. Die Bemühungen der kommunistischen Länder sind in dieser Beziehung sehr ausgeprägt. Die vermehrten Kontakte, die neuerdings von einzelnen westlichen Ländern gesucht werden, wie insbesondere Schweden16 neuerdings sich darauf eingestellt hat, scheinen tatsächlich gewisse positive Wirkungen zu erzielen. Es scheint mir, ein besonderer Aspekt verdiene in diesem Zusammenhang beachtet zu werden. Es ist dies die Tatsache, dass die kommunistischen Persönlichkeiten unter gewissen Minderwertigkeitskomplexen leiden, sie fürchten, gerade inbezug auf den Westen, nicht hinreichend ernst genommen zu werden. Es liegt aber diesen Leuten sehr daran, ernst genommen zu werden.
[…]17
- 1
- Protokoll: E 2004(B) 1978/136 Bd. 7 (a.133.4). Auszug aus dem Protokoll der Regionalkonferenz « KommunistischeStaaten» der Botschafterkonferenz 1966.↩
- 2
- Für das vollständige Dokument vgl. dodis.ch/30805, hier S. 16–17.↩
- 3
- Der Vortrag basiert auf dem Schreiben von W. Fuchss an W. Spühler vom 26. Mai 1966, dodis.ch/31637. W. Spühler befand, dass sich die darin aufgeworfenen Fragen besonders gut eignen, um an der nächsten Botschafterkonferenz im Rahmen der entsprechenden Regionalkonferenz erörtert zu werden. Vgl. das Schreiben von W. Spühler an W. Fuchss vom 29. Juni 1966, E 2001(E) 1978/84 Bd. 757 (B.22.71.34).↩
- 4
- Vgl. Anm. 2.↩
- 6
- Zur schweizerischen Reaktion auf den Aufstand vom Oktober 1956 in Ungarn und die Aufnahme ungarischer Flüchtlinge vgl. DDS, Bd. 20, Dok. 93, dodis.ch/12323, und die Notiz von O. Schürch vom 19. November 1956, dodis.ch/17173. Vgl. ferner DDS, Bd. 23, Dok. 174, dodis.ch/31632.↩
- 7
- Vgl. hierzu den Bericht des Politischen Departements vom 24. März 1959, dodis.ch/16626; die Notiz von R. Aman vom 7. Mai 1962, dodis.ch/30524; die Notiz von R. Aman vom 11. Mai 1962, dodis.ch/30525 und die Notiz von A. Janner vom 21. Mai 1962, dodis.ch/30527.↩
- 8
- Zur Frage der Pressefreiheit und den Klagen Ungarns über die negative Presseberichterstattung in der Schweiz vgl. auch DDS, Bd. 18, Dok. 32, dodis.ch/8539; die Notiz von A. Janner vom 21. Mai 1962, dodis.ch/30527 und Dok. 174, dodis.ch/31632.↩
- 9
- P. Micheli antwortete in seiner Replik auf den Vortrag: La question de la liberté de la presse également traitée par M. Fuchss nous rappelle les plaintes que formulait notre Ambassade à Berlin au temps d’Hitler. Il est inconcevable que le Conseil fédéral donne des consignes à la presse; nous ne voulons pas limiter sa liberté et il n’y a aucune raison de le faire. Für das vollständige Dokument vgl. dodis.ch/30805, hier S. 19.↩
- 10
- Vgl. DDS, Bd. 14, Dok. 257, dodis.ch/47443.↩
- 11
- Vgl. dazu auch das Schreiben von A. Weitnauer an W. Fuchss vom 29. November 1965, dodis.ch/31639.↩
- 12
- Im Protokoll nicht aufgeführt.↩
- 13
- Zu den Verhandlungen zwischen der Schweiz und Ungarn zu den noch offenen vermögensrechtlichen Fragen vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 21, dodis.ch/31540, Anm. 2. Vgl. auch DDS, Bd. 23, Dok. 174, dodis.ch/31632.↩
- 14
- Zur Frage, ob aufgrund der zentralen Rolle der Führungsriege der Kommunistischen Partei Ungarns für die Staatsführung nicht eine Zusammenkunft mit deren Generalsekretär, J. Kádár, angezeigt wäre, vgl. das Schreiben von W. Fuchss an P. Micheli vom 17. Februar 1966, dodis.ch/31642. P. Micheli antwortete in seiner Replik auf den Vortrag: J’aimerais d’abord reprendre la question soulevée par M. Fuchss au sujet des contacts de chefs de poste avec les dirigeants du parti. Nous laissons ces initiatives à leur entière discrétion: ils sont les meilleurs juges. Le seul inconvénient consiste à voir ces visites exploitées par la presse communiste. Je tiens cependant à réaffirmer que vous êtes entièrement libres en ce domaine. Für das vollständige Dokument vgl. dodis.ch/30805, hier S. 19.↩
- 15
- Vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 164, dodis.ch/31628.↩
- 16
- Vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 66, dodis.ch/31196.↩
- 17
- Für das vollständige Dokument vgl. dodis.ch/30805.↩
Relations to other documents
http://dodis.ch/30805 | is the annex to | http://dodis.ch/30815 |
http://dodis.ch/30805 | is the supplement to | http://dodis.ch/30835 |
http://dodis.ch/30805 | is the supplement to | http://dodis.ch/30833 |
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