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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 23, doc. 164
volume linkZürich/Locarno/Genève 2011
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2807#1974/12#132* | |
Old classification | CH-BAR E 2807(-)1974/12 8 | |
Dossier title | Botschafterkonferenzen (1966–1969) | |
File reference archive | 023.1-04 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#J1.301#2002/197#352* | |
Old classification | CH-BAR J 1.301(-)2002/197 108 | |
Dossier title | Botschafterkonferenzen (1964–1966) | |
File reference archive | 34 |
dodis.ch/31628
Notiz des Stellvertreters des Chefs der Abteilung für Politische Angelegenheiten des Politischen Departements, A. Janner1
Brauchen wir eine Besuchsdiplomatie?2
Eine Besuchsdiplomatie um ihrer selbst willen oder zur Befriedigung von persönlichem Ehrgeiz oder übermässigem Temperament ist per Saldo wertlos. Sie ist auch den schweizerischen Gegebenheiten nicht angemessen. In unserer schnelllebigen Zeit hat die Schaffung von «Goodwill an sich» wenig Sinn. Soll der Goodwill Früchte tragen, muss er innert nützlicher Zeit in Beziehung zu etwas Konkretem gebracht werden. Eine gesunde Besuchsdiplomatie setzt voraus, dass ein Land bilateral oder multilateral etwas zu «verkaufen»3 oder zu bewahren hat. Mit andern Worten, sie muss den aussenpolitischen Bedürfnissen und Erfordernissen entsprechen.
Auf der bilateralen Ebene braucht die Schweiz nicht unbedingt ihre Bundesräte ins Ausland zu senden. Unsere Botschaften und insbesondere die vom Bundesrat bestimmten Verhandlungsdelegationen sind durchaus in der Lage, zum Rechten zu sehen. Die direkte Einschaltung von Politikern, d. h. Regierungsmitgliedern, wäre auch verhandlungstaktisch unklug und könnte zu Konzessionen führen, die anlässlich eines Besuches, den man immer mit einer freundschaftlichen Atmosphäre umgibt, schwer zu verweigern wären.
Aber auch die multilateralen Fragen, zu denen heute die wichtigsten der schweizerischen Aussenpolitik gehören, können wohl kaum dadurch gelöst werden, dass Mitglieder der Exekutive in den Kapitalen der Welt herumreisen. Die zu überwindenden Schwierigkeiten liegen nämlich nicht so sehr bei den ausländischen Partnern, als bei uns selbst, d. h. auf der innenpolitischen Ebene. Dafür folgende Beispiele:
1. Eine allfällige Beteiligung der Schweiz an Abrüstungskonferenzen, Non-Profilerationsverträgen, atomwaffenfreien Zonen4, setzt die Erarbeitung einer schweizerischen Konzeption voraus. Erst wenn wir sie hätten, könnten wir daran denken, sie durch Magistratspersonen im Ausland vertreten und diskutieren zu lassen.
2. Eine offenere Politik gegenüber den kommunistischen Staaten stösst sich nicht so sehr daran, dass diese nicht wollen, sondern daran, dass dem Bundesrat und den zuständigen Departementen die nötige Ellenbogenfreiheit im Innern fehlt. Eine Reise hinter den Vorhang hat wenig Sinn, wenn nicht beispielsweise über kulturelle Beziehungen gesprochen werden kann. (Inwiefern der allfällige Abschluss eines «Kulturabkommens», soweit überhaupt möglich, die Durchsetzung beispielsweise von Entschädigungsforderungen erschweren würde, wäre ein Kapitel für sich.)
3. Eine grosszügigere Entwicklungshilfe könnte im Rahmen der Besuchsdiplomatie gewiss mit grösster Leichtigkeit «verkauft» werden. Auch hier tut aber zunächst die Aufklärung im Inland Not.
4. Kontakte mit fremden Aussenministern über einen UNO-Beitritt der Schweiz werden sich eines Tages als nützlich oder gar notwendig erweisen, (aber erst, wenn der Beitritt im Schweizervolk mehrheitlich befürwortet bzw. akzeptiert wird.)5
5. Auch eine Besuchsdiplomatie im Zeichen eines allfälligen EWG-Beitrittes6 setzt die Erarbeitung einer der neuesten Entwicklungen angepassten Konzeption voraus. Erst wenn eine solche von Bundesrat und Parlament (unter Einkalkulierung der Volksabstimmung) vorliegt, wird es sinnvoll, ja nötig sein, Kontakte auf Regierungsebene zu haben. Nicht zu übersehen ist anderseits, dass im Rahmen der EFTA eine Besuchsdiplomatie in Form der regelmässigen Zusammenkünfte der Aussen- und Wirtschaftsminister vor sich geht7, an der sich bemerkenswerterweise in der Schweiz niemand stösst, wohl weil deren Nützlichkeit jedermann einleuchtet und nicht zuletzt auch weil dabei etwas herausschaut.
Von der Sache her besteht also zur Zeit kein Bedürfnis für eine schweizerische Besuchsdiplomatie, allerdings mit zwei Ausnahmen, welche die Regel bestätigen:
Österreich8 und Schweden9. Diesen Ländern haben wir etwas zu sagen. Für die einzigen echten Neutralen besteht ein gemeinsames Interesse, beispielsweise der EWG gegenüber die Neutralitätserfordernisse zu defi nieren10, auf militärischem Gebiet Erfahrungen auszutauschen11 und Rüstungsanstrengungen zu koordinieren12 usw. Hier hat die Erfahrung schon gezeigt, dass die persönliche Bekanntschaft zwischen den Aussenministern, Wirtschaftsministern und Verteidigungsministern Früchte trägt, indem z. B. die Zusammenarbeit der Chefbeamten erleichtert wird13. Hier zeigt sich auch, dass die Besuchsdiplomatie dann gute Resultate zeitigt, wenn sie zwischen Partnern erfolgt, die sich Vertrauen schenken können14. (Deshalb ist auch das Argument unserer Missionschefs in kommunistischen Ländern fragwürdig, die Besuchsdiplomatie böte ihnen Gelegenheit, mit höchsten Regierungs- und Parteivertretern Bekanntschaft zu machen15.)16
Abgesehen von den bisher genannten Gründen, die heute gegen eine allgemeine schweizerische Besuchsdiplomatie sprechen, ergeben sich für uns noch zusätzliche Schwierigkeiten aus dem bundesrätlichen Kollegialsystem und der Tatsache, dass es keine ins Gewicht fallende Oppositionsparteien gibt. Dazu kommt noch, dass es, wenn wir über Österreich und Schweden hinausgehen würden, kein Halten mehr gäbe. (Rom wäre zwar noch zu begründen mit den 500’000 Gastarbeitern17, aber deren Probleme wären nicht durch ein Aussenministertreffen zu regeln; auch Bonn könnte verlockend erscheinen als uns günstig gesinnter EWG-Staat; aber wie könnte dann Frankreich übergangen werden18? Oder Grossbritannien als wichtigstes EFTA-Land? Akzeptieren, hiesse die Frage für Washington und aus Balancegründen für Moskau stellen, von der prestigegeladenen Dritten Welt ganz zu schweigen …)
Zusammenfassend wäre folgendes festzuhalten:
Besuche von Bundesräten in Wien und Stockholm sind, da sinnvoll, in vernünftigen Abständen zu befürworten. Für offizielle Besuche nach anderen Staaten besteht zur Zeit keine Veranlassung, was nicht heissen soll, dass nicht private Auslandsreisen oder Reisen an multilaterale Konferenzen den Bundesräten dazu dienen können, Kontakte mit ausländischen Kollegen zu pflegen. Wir könnten auch etwas flexibler sein «im Einladen» von Staats- und Regierungschefs bzw. Fachministern, solange es nicht lediglich darum geht, gesellschaftlichen Ehrgeiz oder persönliche Marotten der Gäste zu befriedigen19. Schliesslich sollte man daran denken, geeignete hohe Chefbeamte für direkte Kontakte im Sinne der Ausführungen von Botschafter Soldati (S. 7, lit. a)20 reisen zu lassen, damit sie im Ausland den Eindruck erwecken, die Schweiz stehe nicht abseits oder sie desinteressiere sich an der internatio nalen Politik.
Der Schweizer hat einen Horror vor allzu beweglichen Leuten und vor politischem Geschwätz; auch lässt er sich nicht gerne Sand in die Augen streuen. Bleiben wir also bei unserer diskreten und seriösen Diplomatie, und diese eignet sich nicht für spektakuläre Besuchsreisen.
- 1
- Notiz: E 2807(-) 1974/12 Bd. 8 (023.1-04). Gerichtet an W. Spühler.↩
- 2
- Diese Frage wurde an der Chefbeamtenbesprechung vom 19. April 1966 erörtert, vgl. das Protokoll von B. Dumont vom 26. April 1966, dodis.ch/31820, S. 9–16 und ebenfalls an der Regionalkonferenz « KommunistischeStaaten» der Botschafterkonferenz 1966 (31. August–2. September) diskutiert, vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 166, dodis.ch/30805, S. 17. Vgl. dazu auch das Referat von P. Micheli vom 4. August 1966, dodis.ch/30815. Vgl. ferner DDS, Bd. 23, Dok. 108, dodis.ch/31397, bes. Anm. 6.↩
- 3
- Handschriftliche Korrektur von W. Spühler: bieten.↩
- 4
- Zur schweizerischen Haltung in Bezug auf die Friedensnote Chruschtschows, den Gomułka-Plan, den Rapacki-Plan oder den Bukarester Appell vgl. das BR-Prot. Nr. 221 vom 31. Januar 1964, dodis.ch/31009; die Notiz von A. Janner vom März 1964, dodis.ch/31896; die Notiz von F. H. Andres vom 15. Januar 1965, dodis.ch/31871; die Notiz von P. Micheli vom 29. Juli 1966, dodis.ch/31870 und das Schreiben von A. Janner an G. Keel vom 25. November 1966, dodis.ch/31872.↩
- 5
- Die Klammerbemerkung wurde handschriftlich gestrichen.↩
- 6
- Vgl. dazu DDS, Bd. 23, Dok. 140, dodis.ch/31618.↩
- 7
- Zur Zusammenkunft in Wien vom 24. und 25. Mai 1965 vgl. das BR-Prot. Nr. 867 vom 18. Mai 1965, dodis.ch/31627 und das Rundschreiben der Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartements an alle diplomatischen Vertretungen vom 10. Juni 1965, dodis.ch/31936. Zur Konferenz der EFTA-Regierungschefs in London vgl. die Notiz vom 5. Dezember 1966, dodis.ch/31629. Vgl. ferner Doss. E 2001(E) 1978/84 Bd. 324–326 (C.41.775.3).↩
- 8
- Zum Besuch von J. Klaus vgl. das Protokoll vom 7. Juli 1964, dodis.ch/31124 und das BR-Verhandlungsprot. der 50. Sitzung vom 7. Juli 1964, E 1003(-) 1994/26 Bd. 3, S. 7. Zum Treffen von F. T. Wahlen mit B. Kreisky in Lech vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 63, dodis.ch/31092. Zum Besuch von L. Tončić-Sorinj vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 148, dodis.ch/31105.↩
- 9
- Zum Besuch von T. Nilsson vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 73, dodis.ch/31207, Anm. 3. Zum Besuch von P. Chaudet in Schweden vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 160, dodis.ch/31211, Anm. 22.↩
- 10
- Zur Zusammenarbeit der Neutralen vgl. die Notiz von A. Janner vom 11. September 1965, dodis.ch/31099.↩
- 11
- Zur militärischen Zusammenarbeit mit Schweden vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 73, dodis.ch/31207, bes. Anm. 5 und Dok. 160, dodis.ch/31211. Zur militärischen Zusammenarbeit mit Österreich vgl. das BR-Verhandlungsprot. der 73. Sitzung vom 22. Oktober 1965, S. 4: Voyage de M. Chaudet en Autriche.[…]J’ai relevé la possibilité d’une collaboration éventuelle dans le domaine des développements techniques, mais à l’exclusion de toute collaboration militaire.↩
- 12
- Vgl. dazu DDS, Bd. 23, Dok. 73, dodis.ch/31207.↩
- 13
- Vgl. dazu die Notiz von P. R. Jolles vom 25. März 1965, dodis.ch/31222. Für Österreich vgl. ferner die Notiz von P. Micheli an W. Spühler vom 24. Oktober 1966, dodis.ch/31108 und das BR-Verhandlungsprot. der 51. Sitzung vom 10. Juli 1964, Doss. wie Anm. 8, S. 7.↩
- 14
- Vgl. dazu ferner das Exposé von W. Spühler vom 23. Juli 1966, dodis.ch/31844, S. 36–38.↩
- 15
- Vgl. Anm. 2.↩
- 16
- Die Klammerbemerkung wurde handschriftlich gestrichen.↩
- 17
- Zur Frage der italienischen Fremdarbeiter vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 37, dodis.ch/30798; Dok. 48, dodis.ch/30799; Dok. 53, dodis.ch/30796 und Dok. 54, dodis.ch/30797.↩
- 18
- Dieser Absatz wurde handschriftlich gestrichen.↩
- 19
- Zu den entstehenden Kosten bei Staatsbesuchen vgl. das BR-Verhandlungsprot. der 63. Sitzung vom 11. Oktober 1966, E 1003(-) 1994/26 Bd. 4, S. 4.↩
- 20
- A. Soldati konnte an der Botschafterkonferenz und an der Aussprache nicht teilnehmen. Die Angabe bezieht sich auf den von ihm für diesen Anlass verfassten Text, den er dem Politischen Departement zukommen liess. Vgl. das Schreiben von W. Spühler an A. Soldati vom 7. September 1966, E 2004(B) 1978/136 Bd. 7 (a.133.4).↩
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