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Documents Diplomatiques Suisses, vol. 27, doc. 92
volume linkZürich/Locarno/Genève 2022
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Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E7001C#1987/102#540* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 7001(C)1987/102 49 | |
Titre du dossier | Amerika (1977–1977) | |
Référence archives | 2310.1 |
Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E2200.36#1999/100#111* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 2200.36(-)1999/100 11 | |
Titre du dossier | Paul Jolles (1977–1980) | |
Référence archives | 102.11 • Composant complémentaire: Vereinigte Staaten von Amerika |
dodis.ch/49331Bericht des Direktors der Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartements, P. R. Jolles1
Bericht über die Besprechungen in Washington und New York
Anlass der Amerikareise, die vom 21. September bis zum 3. Oktober stattgefunden hat, war die Tagung des ministeriellen Entwicklungskomitees und die Jahresversammlung der Weltbank und des Währungsfonds in Washington2. Der Direktor der Handelsabteilung ist beim Entwicklungskomitee als schweizerischer Beobachter akkreditiert. Der Zeitpunkt war besonders geeignet für eine Kontaktnahme mit den amerikanischen Regierungsstellen, die seit dem Amtsantritt der neuen amerikanischen Verwaltung3 in Aussicht genommen, aber mehrmals hinausgeschoben worden war, da die Konstituierung der neuen Equipe und die Kompetenzverteilung einen erheblichen Zeitaufwand erforderten. Angesichts der Belastung der amerikanischen Behörden mit ausländischen Besuchen sollte eine Gesprächsrunde zudem erst dann vereinbart werden, wenn wichtige Probleme spruchreif geworden waren. Diese Voraussetzung war nunmehr erfüllt, indem die GATT-Verhandlungen4 in ein aktives Stadium getreten sind, die Weiterführung des Nord-Süd-Dialogs5 zur Diskussion steht und im wirtschaftspolitischen Bereich die Stellung der Schweiz als Überschussland ins Schussfeld der amerikanischen Kritik geraten war. Wegen dieses Umstandes und angesichts der immer engeren Verknüpfung zwischen Handels- und Währungspolitik erfolgten die meisten Besprechungen gemeinsam mit dem Präsidenten der Nationalbank6. Botschafter Probst und seine Mitarbeiter haben das Besuchsprogramm in vorbildlicher Weise vorbereitet und ihrerseits an den Aussprachen aktiv teilgenommen, wofür ihnen an dieser Stelle der beste Dank ausgesprochen werden soll.
Das gleiche gilt für Herrn Generalkonsul Suter und Herrn Botschafter Marcuard in New York.
[...]7
Die Botschaft in Washington hat über sämtliche Besprechungen eine Gesprächsnotiz8 verfasst. Der folgende Bericht kann sich daher darauf beschränken, in synthetischer Form die Ergebnisse und Eindrücke bezüglich der wichtigsten Themen zusammenzufassen.
- Offset-Geschäfte für die Tiger-Beschaffung9.
Wir haben sowohl im Staatsdepartement wie im Handelsministerium darauf hingewiesen, dass der schleppende Verlauf der Auftragserteilung an Schweizerfirmen zu parlamentarischen Interventionen10 geführt hat und ein ernsthaftes innenpolitisches Problem heraufbeschwören könnte. Da die Schweiz trotz starkem französischem Druck die amerikanische Offerte bevorzugt hat, bestehe ein offensichtliches politisches Interesse, dass die von der amerikanischen Regierung eingegangenen Verpflichtungen erfüllt werden. Das federführende Eidg. Militärdepartement wünsche daher eine rasche Einschaltung sowohl des amerikanischen Verteidigungsministeriums wie der übrigen Stellen der amerikanischen Verwaltung, die staatliche Einkäufe tätigen. Diesbezügliche bilaterale Kontakte seien vor Ende dieses Jahres vorgesehen11.
Wir erhielten den Eindruck, dass die amerikanische Regierung sich der Bedeutung dieses Angelegenheit bewusst und bereit ist, im Einvernehmen mit uns die nötigen Vorkehren zu treffen. Botschafter Probst setzt seine energischen Bemühungen fort. Die schweizerische Industrie sollte heute mit dem entsprechenden amerikanischen Ausschreibeverfahren besser vertraut sein. (Siehe auch Seite 5.)
- Käseexporte12.
Angesichts der stark aktiven amerikanischen Agrarhandelsbilanz mit der Schweiz (20:1), haben wir betont, dass die Schweiz einen weiteren Marktverlust für dieses traditionelle Exportprodukt in den Vereinigten Staaten nicht hinnehmen könnte. Unsere Argumentation fand Verständnis. Wir erhielten die Zusicherung, dass der Schweiz im kommenden Jahr wiederum das volle Kontingent für niedrigpreisigen Emmentaler eröffnet werde. Wir unterstrichen jedoch, dass die Drohung einer «countervailing duty» auf hochpreisigem Emmentaler in den GATT-Verhandlungen beseitigt werden müsse, und wir haben dies auch STR Strauss dargelegt.
- Behandlung der Uhren in der GATT-Verhandlung13.
Wir haben beiläufig die Erwartung ausgedrückt, dass die Uhren diesmal nicht auf eine Ausnahmeliste gesetzt werden, da schon in den vergangenen GATT-Verhandlungsrunden keine Zollsenkung erzielt werden konnte. Die amerikanische Verwaltung hat noch kein diesbezügliches Begehren erhalten, wird uns jedoch benachrichtigen. In der Zwischenzeit sollte das Problem von uns nicht formell aufgegriffen werden.
- Antidumpingverfahren gegen BBC-Transformatoren14.
Wir haben die wirtschaftlichen Nachteile des sich über Jahre hinaus verzögernden Verfahrens einmal mehr als Beispiel eines unzulässigen Verwaltungsprotektionismus erwähnt.
- Anerkennung der «good laboratory practices»15.
Die Angelegenhei scheint einer Regelung entgegenzugehen. Wir haben einmal mehr auf die verfassungsmässige Problematik ausländischer Inspektionen in schweizerischen Betrieben hingewiesen.
Amerikanischerseits wurden keine handelspolitischen Probleme im Verhältnis zur Schweiz aufgeworfen.
- Schweizerische Exportförderung auf dem amerikanischen Markt.
Die schweizerischen Geschäftsleute in New York bezeichnen den hohen Frankenkurs als Hauptschwierigkeit. Sie geben jedoch zu, dass vermehrte Exportanstrengungen in den amerikanischen Südstaaten und im Westen (Kalifornien) sich lohnen würden16. Sulzer und Alusuisse haben dort wesentliche Erfolge erzielt. Die Marktforschung und die Exportanstrengungen der mittleren und kleinen Betriebe seien ungenügend. Die Textilindustrie habe sich erstmals zu einer gemeinsamen Aktion zusammengefunden. Die Bedeutung, die der Forschung und Entwicklung von technischen Spitzenprodukten zukommt, wird allgemein unterstrichen. Die wissenschaftliche Ausbildung an den amerikanischen Universitäten stehe auf einem hohen Stand mit grosser Breitenwirkung.
Bezüglich Tiger-Offsetgeschäfte befürchtet Sulzer, bei allzu knapper Preisberechnung ein Antidumpingverfahren auszulösen. Auch nütze der «Buy American Waiver» nur bei Beschaffungen des Verteidigungsdepartements, weil dort die Vorschrift des Preisvorsprungs 50% betrage, während dieser Satz bei den übrigen Verwaltungsstellen auf 12% beschränkt sei und auch anderen ausländischen Lieferanten Gleichbehandlung zugestanden werden müsste. BBC teilt diese Auffassung nicht.
Präsident Leutwiler und ich haben versucht, die Amerikaner zu einer realistischeren Einschätzung der Möglichkeiten eines Überschusslandes mit kleinem Binnenmarkt wie der Schweiz herbeizuführen, das weltwirtschaftliche Wachstum durch stimulierende Massnahmen zu fördern. Dagegen sehe die Schweiz ihre Verantwortung darin, internationale Finanzierungsmassnahmen, wie z. B. die neue Witteveen-Fazilität17, grosszügig zu unterstützen. Sollte ein Zinsverbilligungsfonds geschaffen werden, wäre die Schweiz bereit, die Möglichkeit einer Beitragsleistung zu prüfen. (Die Amerikaner schliessen ihrerseits einen solchen Beitrag aus, weil sie die Tendenz, den IWF für entwicklungspolitische Zwecke einzusetzen, nicht begünstigen wollen – dies sei Aufgabe der Weltbank.)
Die amerikanische Kritik an den Überschussländern hat sich jedoch während unseres Aufenthaltes mehr auf die Bundesrepublik und Japan konzentriert als auf die Schweiz. Erstaunlich war, wie schlecht das wirtschaftliche Verhalten der Deutschen und die massgebenden psychologischen Faktoren in Washington verstanden werden.
Bezüglich der amerikanischen Wirtschaftslage wird mit einem zwar verlangsamten, aber andauernden Wachstum gerechnet. Eine neue rezessive Phase stehe 1978 nicht bevor, sei für 1979 oder 1980 aber deshalb nicht ausgeschlossen, weil die Investitionen in Erwartung eines neuen Abschwungzyklus zurückgehalten würden. Die Investitionsschwäche stellt daher ein Hauptproblem dar. Die neue Steuervorlage soll einen diesbezüglichen Stimulierungseffekt auslösen, ohne dass dadurch inflatorische Kräfte geweckt würden.
Auch die Schweizer Geschäftsleute in New York bezeichnen die amerikanische Wirtschaftslage als grundlegend gesund. In der Privatwirtschaft herrsche jedoch Misstrauen bezüglich der künftigen Wirtschaftspolitik Carters. Daher Überliquidität der Banken. Es würden nur noch kurzfristige Kredite aufgenommen. Trotzdem sei weiterhin ein starker Kapitalzustrom aus dem Ausland zu verzeichnen, der sich jedoch nicht in Aktienkäufen niederschlage.
Präsident Leutwiler und ich haben in den Gesprächen auf das Wechselkursproblem18 hingewiesen. Die Schweiz sei zwar bereit, eine andauernde Aufwertungstendenz als Ausdruck der unterschiedlichen Inflationsraten in Kauf zu nehmen; schädlich seien jedoch die abrupten (erratischen) Kursschwankungen. Da dadurch das Vertrauen der Wirtschaft in die Absatzmöglichkeiten auf dem Weltmarkt beeinträchtigt werde, sei die mangelnde währungspolitische Stabilität eine wesentliche Ursache der Investitionsschwäche und laufe deshalb auch dem amerikanischen Interesse an einer Ankurbelung des Wirtschaftswachstums durch vermehrte Investitionstätigkeit in den Überschussländern zuwider. Der Wunsch nach einer vermehrten Zusammenarbeit auf dem Währungssektor löst jedoch bei unseren Gesprächspartnern wenig Echo aus. (Arthur Burns, den Herrn Leutwiler allein getroffen hatte, soll mehr Verständnis für unser Anliegen zeigen.) Die Amerikaner weisen auf ihr wachsendes Handelsbilanzdefizit hin, welches offenbar ein Argument für eine Verstärkung der internationalen Konkurrenzfähigkeit durch einen tiefen Dollarkurs hergeben soll. Sie räumen jedoch ein, dass ein wesentlicher Teil des Defizits auf Erdöleinfuhren entfällt. Die Inbetriebnahme der Alaska-Pipeline soll es in Zukunft erlauben, 20% des Energiebedarfs zu decken (1979: 2 Millionen Fass pro Tag).
1. Gatt-Verhandlungen – Tokio-Runde19
Die Amerikaner messen den GATT-Verhandlungen aus den folgenden Gründen eine grosse Bedeutung bei und scheinen entschlossen, die ihnen zufallende Führungsrolle zu übernehmen:
- – Bestes Mittel, um den protektionistischen Strömungen die Stirn zu bieten. Zu diesem Zweck muss das Ergebnis jedoch substantiell ausfallen, um in glaubwürdiger Weise neue Aussenhandelsperspektiven für die gesamte Wirtschaft zu eröffnen.
- – Gelegenheit, um auf dem Landwirtschaftssektor, der in der Kennedy-Runde leer ausgegangen ist, eine Verbesserung des Marktzugangs zu erzielen.
- – Mittel, um die durch den europäischen Freihandel und eine Erweiterung der EG verursachte Diskriminierung zu mildern.
Der Präsident sei persönlich von den Vorteilen eines offenen Welthandelssystems überzeugt. Neben der Landwirtschaft sei auch der Hauptteil der Industrie immer noch liberal eingestellt. Auf einigen Sektoren habe sich jedoch der protektionistische Druck verschärft. Wir konnten dies mit eigenen Augen feststellen, da während unseres Gesprächs mit STR Strauss20 das White House von einer Pickettlinie der soeben in Ohio entlassenen Stahlarbeiter umringt wurde. Die wachsende protektionistische Gefahr wurde von Unterstaatssekretär Cooper wie folgt formuliert: «Zwischen dem innenpolitischen Druck und dem Kongress wird die Front nur noch von einer schmalen Linie von Chefbeamten gehalten. Das ist auch in anderen Ländern so.» Unter den heutigen Umständen würde der Kongress dem Präsidenten kaum neue Verhandlungsvollmachten erteilen. Der Zeitfaktor spielt daher eine wichtige Rolle. Die GATT-Verhandlungen müssen das Wettrennen gegen den Erlass protektionistischer Einzelmassnahmen aufnehmen.
Strauss zeigte sich von seinen Gesprächen mit den EG und gewissen europäischen Regierungen ermutigt; desgleichen das Landwirtschaftsministerium. Dagegen habe Premierminister Barre mit seiner These des «libéralisme organisé» Misstrauen geweckt. Auch hinter den von der EG-Kommission verlangten Bedingungen für die Inkraftsetzung der zweiten Zollabbaurunde erblickten die Amerikaner – wohl zu Recht – restriktive Absichten.
Wir glauben, unser Ziel erreicht zu haben, die Amerikaner vom Nutzen eines engen Zusammengehens mit der Schweiz zu überzeugen. Die schweizerische Zollabbauformel wurde als konstruktiven Beitrag gewürdigt. Die bilateralen Konsultationen sollen auf allen Stufen fortgesetzt und vertieft werden. Strauss wird gerne einmal nach Bern kommen.
Unser zweites Anliegen bestand darin, die Amerikaner auf die Gefahr einer Verhandlung über Ausnahmelisten aufmerksam zu machen. Hier ist ihre Bewegungsfreiheit wegen der bestehenden gesetzlichen Vorschriften allerdings eingeengt.
Ein weiteres Problem stellt Japan dar, das eher zu «freiwilligen» Exportbeschränkungen bereit sei als dazu, den eigenen Einfuhrschutz abzubauen. Zwar würde dies immer wieder in Aussicht gestellt, aber ohne praktische Erfüllung.
Ob Strauss im Zuge einer Kabinettsumbildung wegen der Entlassung des Budgetministers Lance einen neuen Posten übernehmen würde, war nicht zu erfahren. Es wäre schade, da offensichtlich ein gewiegter Politiker erforderlich ist, um den Kongress, der eigene Emissäre nach Genf entsenden will, von der Notwendigkeit handelspolitischer Konzessionen zu überzeugen.
2. Fortsetzung des Nord-Süd-Dialogs21
Die Notwendigkeit einer Erfüllung der in Paris gemachten Zusagen wird in Washington anerkannt, ein Einschwenken auf die Konzeption des «New International Economic Order» jedoch abgelehnt. Erstaunlicherweise schien keiner unserer Gesprächspartner die vom amerikanischen UNO-Vertreter Young anlässlich der verlängerten 31. Session der Generalversammlung abgegebene Erklärung zu kennen. Die UNO wird als rein politisches Diskussions-, nicht aber als wirtschaftliches Verhandlungsgremium angesehen. Wir versuchten, die Amerikaner zu überzeugen, dass trotzdem die Kohärenz der Stellungnahmen gewahrt werden müsse.
Bezüglich Finanzhilfe haben sich offenbar die innenpolitischen Schwierigkeiten eher verstärkt, da der Kongress das Entwicklungshilfebudget mit politischen Auflagen (Menschenrechte) zu versehen sucht. Trotzdem strebt die Regierung weiterhin eine nominelle Erhöhung der Finanzhilfe um 50% für das kommende Jahr und eine reale Verdoppelung bis 1982 an.
In den Verhandlungen um die Schaffung eines Rohstoff-Fonds22 soll eine Verhärtung der Fronten im November vermieden werden. Über dieses Thema wurde anlässlich der folgenden Sitzung des Exekutivkomitees der OECD in Paris am 4. Oktober23 eine einlässliche Aussprache geführt. Die Amerikaner zeigten sich dabei flexibler als die BRD. Die dem Rohstoff-Fonds von den Entwicklungsländern beigemessene Bedeutung sei zwar vorwiegend politisch motiviert und aus wirtschaftlicher Sicht übertrieben; doch könne bei entsprechender Ausgestaltung ein gewisser Stabilisierungseffekt vermutlich erzielt werden.
3. Rolle der UNO im Nord-Süd-Dialog
Die UNO-Generalversammlung hat nach Abschluss der KIWZ mit grossem Nachdruck die zentrale Rolle für die Weiterführung des Nord-Süd-Dialogs beansprucht. Ich habe mich daher bei meinem kurzen Aufenthalt in New York bemüht abzuklären, in welcher Weise die UNO sich dieser Aufgabe zu entledigen gedenkt. Botschafter Marcuard hat zu diesem Zweck ein Zusammentreffen mit Minister Perez-Guerrero und dem pakistanischen Präsidenten24 der Gruppe «77» sowie eine Besprechung mit dem für Wirtschaftsfragen zuständigen stellvertretenden Generalsekretär der UNO, van Laethem, organisiert. Van Laethem, der allerdings im Begriffe ist, von seinem Posten zurückzutreten, vertrat die Auffassung, dass es der UNO nicht gelungen sei, ihre Arbeitsmethoden an die neuen Verhältnisse anzupassen. Sie sei ausserstande gewesen, den Schritt von der politischen Entkolonialisierung zu einer ernsthaften und konkreten Befassung mit Weltwirtschaftsfragen zu vollziehen. Dies habe eine Verschiebung der Substanzfragen vom UNO-Hauptquartier auf die «Peripherie», d. h. die regionalen Wirtschaftskommissionen, die Spezialorganisationen und die Weltbank-Gruppe, zur Folge gehabt. Es sei bezeichnend, dass nunmehr nicht die UNO, sondern die Weltbank unter Führung McNamaras auf Wunsch der Mitgliedstaaten die Aufgabe übernommen hätte, den Nord-Süd-Dialog aus der Sackgasse herauszuführen und einen umfassenden «World Development Report» als Diskussionsgrundlage für eine kohärente Entwicklungspolitik auszuarbeiten. Die KIWZ habe bei den Regierungen eine grössere Aufmerksamkeit gefunden als die UNO-Debatten. Die Tatsache, dass der neugeschaffenen Brandt-Kommission die Rolle zugedacht werde, die öffentliche Meinung zu mobilisieren, sei ein weiteres Indiz für die Zweifel an der Wirksamkeit der UNO-Diskussionen. Auch habe sich in den letzten Jahren das Niveau der bei der UNO akkreditierten ständigen Vertreter gesenkt.
Diese Äusserungen mögen einen übertriebenen französischen Zynismus zum Ausdruck bringen. Tatsache ist jedoch, dass weder der österreichische Vorsitzende25 der zuständigen zweiten Kommission klare Vorstellungen über das weitere Vorgehen zu haben schien noch mit Perez-Guerrero in New York, im Gegensatz zu Paris, ein sachliches Gespräch zu führen war. Sowohl er wie der Pakistaner beschränkten sich auf heftige polemische Angriffe gegen den mangelnden politischen Willen der Industriestaaten, zu konkreten Massnahmen Hand zu bieten.
Anlässlich der Sitzung des Exekutivkomitees der OECD in Paris vom 4. Oktober wurde die zentrale politische Funktion der UNO zwar anerkannt, die die Verhandlungsfortschritte auf den verschiedenen Fronten periodisch zu überprüfen und anzufeuern habe; die UNO sei jedoch davon abzuhalten, Richtlinien für diese Verhandlungen, die in spezialisierten Gremien zu führen sind, aufzustellen. Das Konzept des «New International Economic Order» bringe ferner die Schwierigkeit der heterogenen Gruppe der Entwicklungsländer zum Ausdruck, sich auf wirtschaftliche Prioritäten zu einigen.
4. Rolle der OECD
Unsere amerikanischen Gesprächspartner scheinen bereit, die zentrale Rolle der OECD für die Abstimmung der wirtschaftspolitischen Ansichten der westlichen Industriestaaten weiterhin zu unterstützen. Sie glauben, dass die Diskussion in diesem Gremium mit der Zeit doch eine gewisse Wirkung auf die Entscheidungen wichtiger Regierungen, wie derjenigen Japans und der Bundesrepublik, haben. Auch die Koordination in den Nord-Süd-Fragen wird als notwendig und nützlich angesehen.
Wir haben unserseits betont, dass die OECD ein Mittel sei, um die Gipfeltreffen der Grossen auf eine breitere Grundlage abzustützen und die negativen Reaktionen der kleineren Staaten gegenüber der Gipfeldiplomatie zu dämpfen. Es liege im gegenseitigen Interesse, die Glaubwürdigkeit der internationalen Zusammenarbeit zu stärken.
Es hat sich bestätigt, dass dieses Komitee bei der Durchführung der KIWZ-Beschlüsse und der Weiterführung des Nord-Süd-Dialogs eine Rolle spielen kann. Obschon es nach den Kriterien der Weltbank und des Währungsfonds zusammengesetzt ist und deshalb einen beschränkten Teilnehmerkreis aufweist, haben die Entwicklungsländer keine Anstalten getroffen, die Funktionen dieses Komitees zugunsten derjenigen der grossen Entwicklungsorganisationen (z. B. UNCTAD) einzuschränken. Paradoxerweise wurden derartige Erwägungen nur von Seiten der Industriestaaten geäussert (Holland und vor allem Frankreich). Das Komitee wird sich jedoch nicht mit der Gesamtheit der Nord-Süd-Problematik befassen. Entsprechend seiner personellen Zusammensetzung (vorwiegend die Finanz- und Wirtschaftsminister, die an den Weltbanktagen teilnehmen) erfolgt eine Konzentration auf Themen mit vorwiegend finanziellen Aspekten. Die bisherigen Arbeiten bezüglich Verbesserung des Zugangs der Entwicklungsländer zu den Kapitalmärkten gelten als vorderhand abgeschlossen. Von der Schaffung eines internationalen Investitionsfonds oder eines multilateralen Garantiefonds für Anleihen der Entwicklungsländer wird Abstand genommen. Dagegen soll die Weltbank auf Wunsch Teilgarantien erteilen, während die «Société financière internationale» Investitionen in Aktien von Unternehmen der Entwicklungsländer fordern soll. Ich habe als schweizerischer Beobachter zu diesem Thema folgende Erklärung abgegeben:
«Die Schweiz als Überschussland und internationaler Finanzplatz erblickt ihre besondere Verantwortung darin, den Kapitalmarkt für internationale Entwicklungsorganisationen in Entwicklungsländern offen zu halten und den Kapitalexport zu fördern27. Es bestehen keine Hindernisse; im Gegenteil, der Zugang wird privilegiert durch Ausnahme dieser Institutionen von Investitionsplafond, Steuerbegünstigungen, Ausnahme von den Massnahmen zum Schutze des Schweizerfrankens sowie von der allgemeinen Regel, dass der Schweizerfranken nicht als internationale Währung verwendet werden darf28. So hat die Nationalbank kürzlich der Weltbank und den regionalen Entwicklungsbanken gestattet, Schuldenverschreibungen in Schweizerfranken für OPEC-Länder auszugeben, um auf diese Weise das Recycling der Petrodollars zu fördern29.
Allgemein muss angenommen werden, dass das Hauptproblem nicht bei Beschränkungen des Zugangs zum Kapitalmarkt, sondern bei der mangelnden Kreditwürdigkeit der Entwicklungsländer in den Augen der Investoren liegt. Es sollte daher geprüft werden, ob diejenige Ländergruppe, die die Witteveen-Fazilität finanziert hat, gewisse Emissionen von Entwicklungsländern mit einer Garantie versehen könnte. Es wäre nämlich wichtig, dass die Verschuldungsstruktur der Entwicklungsländer, die zu einseitig kommerzieller und kurzfristiger Natur ist, durch die Begebung langfristiger Anleihen verbessert würde.
Das zukünftige Arbeitsprogramm des Komitees wird sich auf die Fragen des öffentlichen und privaten Kapitaltransfers sowie neue Methoden zur Stabilisierung der Exporterlöse konzentrieren. Die USA, Japan, Dänemark und die Bundesrepublik haben wesentliche Erhöhungen der staatlichen Finanzhilfe in Aussicht gestellt. Der Grundsatz einer vermehrten Ausrichtung der Finanzhilfe auf die ärmsten Entwicklungsländer ist nicht unbestritten, da die fortgeschritteneren Entwicklungsländer zur Absicherung des «take-off» ebenfalls weitere Unterstützung beanspruchen. Dementsprechend wird auch der Rolle der Privatinvestitionen besondere Beachtung geschenkt. Das Komitee soll deren Bedeutung und Auswirkungen vermehrt analysieren. Ferner wurde für die fortgeschritteneren Entwicklungsländer die Bedeutung des unbehinderten Marktzuganges für ihre Exportprodukte unterstrichen und der Bekämpfung des Protektionismus sowie den GATT-Verhandlungen hohe Priorität zuerkannt.
Die projektierte Wachstumsrate von lediglich 1,7% pro Jahr der Gruppe der rückständigsten Entwicklungsländer stellt das Hauptargument für zusätzliche Finanzhilfe zu weichen Bedingungen dar, und die Unterstützung der IDA30 als zentrale Finanzierungsorganisation wurde von allen Teilnehmern einmal mehr mit besonderem Nachdruck gefordert und zugesagt; das gleiche gilt für die Sonderfonds der regionalen Entwicklungsbanken. Das Entwicklungskomitee wird ferner die Durchführung der an der KIWZ beschlossenen Sonderaktion zugunsten der ärmsten Entwicklungsländer überwachen. Der schweizerische Beitrag ist auf Veranlassung des Unterzeichneten in einem Konferenzdokument festgehalten worden (s. Beilage 231).
Über die bessere Koordination der periodischen Äufnung der Mittel der internationalen Finanzinstitutionen konnte jedoch noch keine Einigung erzielt werden.
Eine weitere neue Aufgabe erblickt das Komitee in der Stabilisierung der Exporterlöse. Der Währungsfonds und die Weltbank werden eine umfassende Studie über mögliche Methoden verfassen und dem Entwicklungsausschuss innert Jahresfrist zuleiten.
Was schliesslich die Frage der Investitionen für die Rohstoffgewinnung und insbesondere internationale Massnahmen auf dem Energiesektor betrifft, wurde der amerikanische Vorschlag einer internationalen Rohstoffbank fallengelassen, die Weltbank jedoch aufgefordert, sich vermehrt mit der Finanzierung von Energieprojekten zu befassen. Die internationale Zusammenarbeit auf dem Energiesektor soll im Lichte des vorgesehenen Berichtes der Weltbank über die Gesamtheit der Entwicklungsprobleme diskutiert werden. Von der Schaffung einer besondern Konsultativgruppe wurde in diesem Zeitpunkt abgesehen.
Die Diskussion im Exekutivausschuss der OECD hat die Bestätigung ergeben, dass die OECD-Länder das Entwicklungskomitee als nützliches Verhandlungsgremium betrachten und zu unterstützen gedenken. Insbesondere soll in den Sachfragen im Rahmen von Arbeitsgruppen und einer vorgängigen Sitzung des Entwicklungskomitees auf Stellvertreterniveau eine Verbesserung der Arbeitsmethoden erzielt werden. Mein persönlicher Eindruck war, dass in diesem Entwicklungskomitee dank seiner Zusammensetzung und des ausgezeichneten Präsidiums sachbezogen und undogmatisch diskutiert werden kann, die knappe zur Verfügung stehende Zeit jedoch eine echte Verhandlung kaum zulässt. Die direkte Befassung der Finanzminister mit Entwicklungsfragen dürfte aber für den Nord-Süd-Dialog besonders nützlich sein.
- 1
- Bericht: CH-BAR#E7001C#1987/102#540* (2310.1). Der Bericht ging an E. Brugger, P. Graber, A. Weitnauer, A. Hegner, M. Heimo, J. Zwahlen, R. Probst, S. Marcuard, H. Suter, F. Rothenbühler, K. Jacobi, A. Dunkel, P. Bettschart, E. Moser, C. Sommaruga und B. von Tscharner.↩
- 2
- Vgl. dazu den Bericht von J. Zwahlen vom 7. Oktober 1977, dodis.ch/50436.↩
- 3
- Zur Carter-Administration vgl. den Politischen Bericht Nr. 5 von R. Probst vom 18. Januar 1977, dodis.ch/49785 sowie den Politischen Bericht Nr. 49 von R. Probst vom 27. April 1977, dodis.ch/49786.↩
- 4
- Vgl. dazu DDS, Bd. 26, Dok. 114, dodis.ch/35593, bes. Anm. 5; Dok. 134, dodis.ch/38594 und Dok. 182, dodis.ch/38602; DDS, Bd. 27, Dok. 74, dodis.ch/50105 und Dok. 105, dodis.ch/49332 sowie die Erklärung von P. R. Jolles vom 23. Januar 1978, dodis.ch/50106.↩
- 5
- Zum Nord-Süd-Dialog vgl. DDS, Bd. 27, Dok. 77, dodis.ch/50202; Dok. 92, dodis.ch/49331, bes. Abschnitte III und IV und Dok. 98, dodis.ch/50289; das Exposé von P. Aubert vom 1. September 1978, dodis.ch/48269, Punkt V sowie die thematische Zusammenstellung dodis.ch/T1647. Zur schweizerischen Nord-Süd-Konzeption vgl. ferner die Notiz von B. von Tscharner vom 27. Dezember 1976, dodis.ch/52050 sowie die Notiz von R. Högger vom 25. Januar 1977, dodis.ch/52056.↩
- 6
- F. Leutwiler.↩
- 7
- Es fanden Besprechungen mit folgenden Persönlichkeiten statt: In Washington mit R. N. Cooper, R. D. Vine, R. Strauss, H. Owen, J. J. Gilligan, A. M. Solomon, D. E. Hathaway, F. W. Weil, Ch. L. Schultze, J. Witteveen, R. McNamara, R. King, R. B. Long und A. Ullman. In New York mit J. Oakes, E. Koch, M. Van Laetham, M. Perez-Guerrero und I. A. Akhund. Für das vollständige Dokument vgl. dodis.ch/49331.↩
- 8
- Für die Gesprächsnotizen vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C1648 sowie Doss. CH-BAR#E2200.36#1999/100#111* (102.11).↩
- 9
- Vgl. dazu DDS, Bd. 27, Dok. 26, dodis.ch/49317; Dok. 41, dodis.ch/49316; Dok. 58, dodis.ch/49328, Punkt 4 sowie Dok. 72, dodis.ch/49315. ↩
- 10
- Vgl. z. B. für die Einfache Anfrage Trottman das BR-Prot. Nr. 1160 vom 30. Juni 1976, dodis.ch/54137 und für die Interpellation Riesen und deren Behandlung im Parlament das NR-Prot. vom 5. Mai 1977, dodis.ch/53286.↩
- 11
- Vgl. dazu den Bericht von Ch. Grossenbacher und R. Huber vom 12. Dezember 1977, dodis.ch/50716.↩
- 12
- Vgl. dazu die Notiz von Ch. Blickenstorfer vom 9. August 1977, dodis.ch/49877; die Notiz von S. Meili vom 28. September 1977, dodis.ch/49849 sowie das Rundschreiben von K. Jacobi vom 21. Dezember 1978, dodis.ch/49879. Vgl. ferner die Notiz von M. Krell an K. Jacobi vom 17. April 1978, dodis.ch/49878.↩
- 13
- Vgl. dazu DDS, Bd. 27, Dok. 105, dodis.ch/49332.↩
- 14
- Vgl. dazu die Notiz von M. Krell vom 16. August 1977, dodis.ch/49919.↩
- 15
- Vgl. dazu DDS, Bd. 27, Dok. 78, dodis.ch/49321.↩
- 16
- Vgl. dazu das Schreiben von R. Probst an A. Janner vom 2. Mai 1977, dodis.ch/49800 sowie das Schreiben von R. Probst an J. Martin vom 25. Juli 1978, dodis.ch/49803.↩
- 17
- Vgl. DDS, Bd. 27, Dok. 113, dodis.ch/49423, Anm. 29.↩
- 18
- Vgl. dazu DDS, Bd. 27, Dok. 112, dodis.ch/49604, Punkt 2.1; Dok. 194, dodis.ch/52263, bes. Anm. 7; das Schreiben von G.-A. Chevallaz an W. M. Blumenthal vom 22. Februar 1978, dodis.ch/49856; die Notiz von S. Arioli vom 16. Mai 1978, dodis.ch/49913; das Protokoll Nr. 636 des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank vom 29. September 1978, dodis.ch/49363 sowie die Notiz von M. Baldi an P. R. Jolles vom 27. November 1978, dodis.ch/49859.↩
- 19
- Vgl. dazu DDS, Bd. 26, Dok. 114, dodis.ch/35593, bes. Anm. 5; Dok. 134, dodis.ch/38594 und Dok. 182, dodis.ch/38602; DDS, Bd. 27, Dok. 74, dodis.ch/50105 und Dok. 105, dodis.ch/49332 sowie die Rede von P. R. Jolles vom 23. Januar 1978, dodis.ch/50106.↩
- 20
- Vgl. dazu die Notiz von S. Arioli vom 4. Oktober 1977, dodis.ch/49853.↩
- 21
- Vgl. Anm. 6.↩
- 22
- Vgl. dazu die Notiz von J.-P. Béguin und J. Cuttat vom 4. November 1977, dodis.ch/50414.↩
- 23
- Vgl. Doss. CH-BAR#E7113A#1989/155#19* (753.4.1.4).↩
- 24
- I. A. Akhud.↩
- 25
- P. Jankowitsch.↩
- 26
- Fussnote im Originaltext: Für die Zusammenfassung des Sitzungsergebnisses durch den Präsidenten s. Beilage 1. Vgl. das Summary of the Ninth Meeting by the Chariman, Mr. Cesar E. A. Virata vom 25. September 1977, Doss. wie Anm. 1.↩
- 27
- Vgl. die Notiz von J. Zwahlen vom 11. Oktober 1978, dodis.ch/51862.↩
- 28
- Vgl. dazu das Protokoll Nr. 614 des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank vom 25 August 1977, dodis.ch/49355.↩
- 29
- Vgl. dazu das Protokoll Nr. 579 des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank vom 11. August 1977, dodis.ch/49354. Allgemein zum Recycling vgl. DDS, Bd. 26, Dok. 140, dodis.ch/39498 und die Notiz von J. Cuendet an den Finanz- und Wirtschaftsdienst des Politischen Departements vom 16. Dezember 1977, dodis.ch/52837.↩
- 30
- Zur Schweiz und der IDA vgl. DDS, Bd. 27, Dok. 19, dodis.ch/50268 sowie die thematische Zusammestellung dodis.ch/T1546.↩
- 31
- Vgl. Doss. wie Anm. 1.↩
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