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Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 1991, doc. 30
volume linkBern 2022
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Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
Segnatura | CH-BAR#E2023A#2003/421#3711* | |
Titolo dossier | Relations avec la Suisse (1991–1993) | |
Riferimento archivio | o.714.0 |
Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
Segnatura | CH-BAR#E2010A#2001/161#5127* | |
Titolo dossier | Allgemeines, Band 2 (1991–1991) | |
Riferimento archivio | B.51.10 |
Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
▼ ▶ Segnatura | CH-BAR#E2210.5#1998/8#19* | |
Vecchia segnatura | CH-BAR 5 | |
Titolo dossier | Politique de neutralité - généralités (1990–1992) | |
Riferimento archivio | 333.0 |
dodis.ch/57379Gespräch mit dem Rechtsberater des UNO-Generalsekretariats vom 26. Juni 1991 in Bern1
Studiengruppe Neutralität. Anhörung von Herrn Carl August Fleischhauer, Rechtsberater des Generalsekretariats der Vereinten Nationen
Herr Jacobi begrüsst den Gast und die Teilnehmer. Er führt aus, dass die UNO in der Schweiz ein ständiges Gesprächsthema sei, das heute aber noch vermehrt an Aktualität gewonnen habe, einerseits durch die neue Dynamik des europäischen Integrationsprozesses und andererseits durch die Beendigung des Kalten Krieges. Die UNO habe an Schlagkraft gewonnen.2
Herr Jacobi erläutert, dass der Bundesrat eine Studiengruppe eingesetzt habe mit dem Auftrag, den zukünftigen Stellenwert der Neutralität für die Schweiz und die Welt zu analysieren.3 Diese Studiengruppe müsse auch die Vereinbarkeit von Neutralität und Mitgliedschaft in der UNO überprüfen. Daher sei es sehr wertvoll, dass sich Herr Fleischhauer für ein informelles Gespräch zur Verfügung gestellt habe. Herr Jacobi dankt Herrn Fleischhauer für seine grosse Disponibilität.
Herr Fleischhauer führt aus, dass die Probleme der Schweiz hinsichtlich einer Vereinbarkeit ihrer dauernden Neutralität mit der Mitgliedschaft in der UNO bei den Vereinten Nationen bekannt seien. Er weist auf seine im Rahmen der KSZE 1973–1975 mit Prof. Bindschedler und im Rahmen der UNO-Abstimmung 1983–1986 mit Alt-Ständerat Muheim geführten Diskussionen hin.
Herr Fleischhauer hebt hervor, dass die heutige Sitzung einen rein informellen Charakter aufweise und bittet um vertrauliche Behandlung dieses Gesprächs.
Herr Jacobi geht auf den gewandelten Stellenwert der Neutralität ein. Das globale Umfeld habe sich durch die Öffnung des Ostens und die zunehmende Integration des Westens verändert. Für die Schweiz sei eine konfliktgeladene Nachbarschaft verschwunden.
Herr Jacobi stellt die konkrete Frage, welche Rolle die Neutralen nach der Überwindung des Ost-West-Konfliktes innerhalb der UNO noch spielen würden, und ob noch ein Bedarf nach den besonderen Dienstleistungen (Gute Dienste, friedliche Streitbeilegung) der Neutralen bestehe, oder ob diese Dienste auch durch die UNO selbständig erbracht werden könnten.
Herr Fleischhauer antwortet, die zur Friedenserhaltung notwendigen Dienstleistungen könnten nicht selbständig von der UNO erbracht werden, weil sie keine Weltregierung sei, über keine ständigen Truppen verfüge, nicht grosse Reserven an Transportmöglichkeiten und Materiallager besitze. Sie verfüge zwar über ein gewisses Reservoir an Persönlichkeiten, welche als Vermittler auftreten könnten, aber viel weiter gehe die Leistungsfähigkeit der UNO selber nicht. Sie sei auch nicht in der Lage, kurzfristig die notwendige Menge an Materialien zu erwerben, da sie finanziell nach wie vor schlecht dastehe.
Ein klares «Ja» könne er auf die Frage, ob noch ein Bedarf nach den besonderen Dienstleistungen der Neutralen bestehe, abgeben. Herr Fleischhauer führt aus, dass dabei zwar das Phänomen der Neutralität an sich keine Rolle spiele. Er glaube nicht, dass neutrale Staaten zur Erbringung von Dienstleistungen eher in Frage kämen als andere. Immerhin genössen die Staaten mit einer dauernden Neutralität ein besonderes «Image»; so gelte die Schweiz als seriös und unparteiisch. Im übrigen sei es aber das gesamtpolitische Verhalten eines Staates, welches ihn als Teilnehmer an friedenserhaltenden Aktionen für geeignet erscheinen lasse. Daher sei die Schweiz weiterhin trotz ihrer Nichtmitgliedschaft für die UNO ein gerngesehener Baustein in friedenserhaltenden Aktionen, wie sich dies bereits mehrmals erwiesen habe (UNTAG, MINURSO).4 Die Dienstleistungen der Schweiz würden auch in Zukunft gerne in Anspruch genommen, weil die Schweiz ein vertrauenswürdiger, zuverlässiger Partner sei.
Frau von Grünigen stellt die Frage, ob die Neutralität bei der Erbringung von Dienstleistungen überhaupt noch Vorteile biete und ob diese Dienste nicht auch von anderen nicht neutralen Staaten ebensogut erfüllt werden könnten.
Herr Fleischhauer betont, dass die Neutralität alleine noch nicht zur Leistung guter Dienste qualifiziere. Es gibt ausserhalb Europas andere kleine Staaten, die neutral sind, und sich dennoch nicht eignen, Dienstleistungen für die UNO zu erbringen. Als Beispiel nennt er Costa Rica, welcher sich wegen den zu geringen Ressourcen, nicht eigne. Auf der anderen Seite seien nicht neutrale Staaten bei der Beteiligung an friedenserhaltenden Aktionen sehr aktiv, so z. B. Kanada. Kanada sei verlässlich und in einer guten wirtschaftlichen Stellung, und daher für die UNO ein gern gesehener Partner.
Frau von Grünigen hebt hervor, dass die UNO heute mehr denn je gefordert sei, da weltweit ein grosses Bedürfnis nach friedenserhaltenden Aktionen bestehe. In diesem Zusammenhang stelle sich die Frage, ob die Schweiz auch als Nichtmitgliedstaat der UNO noch stärker als bisher um eine Beteiligung an diesen Dienstleistungen angegangen werde.
Herr Fleischhauer betont, dass damit ein wichtiger Punkt angesprochen werde. Die UNO sei tatsächlich häufiger gefragt. Dies habe u. a. zwei Gründe:
Erstens habe die UdSSR eine Kurskorrektur vorgenommen und bediene sich jetzt bewusst der UNO, um regionale Konflikte zu lösen. Als Beispiel könne der Afghanistan-Konflikt, die Beilegung des Iran-Irak-Krieges, die MINURSO, die Deblockierung des Namibia-Konfliktes und Angola genannt werden.5
Zweitens sei die Namibia-Aktion erfolgreich verlaufen.6 Dies habe dazu geführt, dass andere Staaten motiviert worden seien, die UNO auch bei anderen regionalen Problemen anzurufen, wie beispielsweise zur Überwachung des Überganges in demokratische Verhältnisse (Wahlen in Nicaragua). Daher seien aus allen Weltteilen vermehrt Anträge bei der UNO eingegangen, welche aber nicht alle blind angenommen werden könnten. Denn die Vermehrung von Operationen habe auch einen erhöhten Bedarf an Mitteln zur Folge. Es würden mehr Zivilpolizisten, Wahlüberwacher und Blauhelme benötigt als zuvor. Diese dürften aber nicht unausgebildet oder ohne Sprachkenntnisse in den Einsatz geschickt werden. Nicht alle Staaten hätten das notwendige Potential, um diese Helfer zur Verfügung zu stellen. Selbst grosse Staaten seien in ihren Einsatzmöglichkeiten beschränkt. Daher rücke ein Staat mit einem guten Namen, wie die Schweiz, immer wieder ins Blickfeld der UNO – und dies auch ohne Beitritt. Hingegen sei die Neutralität für die UNO kein ausschlaggebendes Kriterium für die Verteilung der friedenserhaltenden Aktionen.
Frau von Grünigen stellt Herrn Fleischhauer die Frage, welches die ausschlaggebenden Kriterien für die UNO seien, warum sie die Schweiz um gewisse Dienstleistungen (Beiträge an friedenserhaltenden Operationen, Ernennung von UNO-Sonderbeauftragten) angehen, ob dafür ausschlaggebend sei, dass
a) die Schweiz dauernd neutral sei,
b) die Schweiz ausserhalb der UNO stehe, oder
c) die Schweiz diese Dienstleistungen erfahrungsgemäss effizient erbringe.
Gemäss Herrn Fleischhauer sei die Ernennung von Persönlichkeiten immer ein schwieriges Problem. Dort werde das Schwergewicht vor allem auf den guten Ruf der Einzelpersonen gelegt. Er nennt als Beispiel Edouard Brunner.7 Dieser sei aufgrund seines ausgezeichneten internationalen Rufes ernannt worden, nicht aber weil die Schweiz neutral sei. Massgeblich sei aber auch der Umstand, dass der UNO-Generalsekretär8 die Schweiz sehr schätze und auch gut kenne.
Frau von Grünigen fragt Herrn Fleischhauer, ob aus der Sicht der UNO die Notwendigkeit bestehe, dass es einen Staat gebe, der, wenn die UNO selbst Konfliktpartei sei, als Nichtmitglied der UNO in diesem Streitfall als neutrale Anlaufstelle dienen könne.
Herr Fleischhauer verneint diese Frage eindeutig. Er könne sich nicht erinnern, je einmal dieses Argument gehört zu haben. Wenn die UNO geschlossen gegen einen Staat Stellung beziehe, könne es keine neutrale Haltung mehr geben. Die UNO sei auch nie Konfliktpartei. Vielmehr sei sie der von der ganzen Staatenwelt eingesetzte Ordnungshüter und «Ordnungswiederhersteller».
Frau von Grünigen hebt hervor, dass es nach erst fünf Jahren seit der UNO-Abstimmung9 zu früh sei, dem Schweizer Volk erneut die Beitrittsfrage zu unterbreiten. Trotzdem möchte sie die Frage aufwerfen, ob die UNO einen Beitritt der Schweiz wünsche.
Herr Fleischhauer bejaht diese Frage. Man verstehe im UNO-Generalsekretariat, dass die Schweiz besondere Probleme mit dem UNO-Beitritt habe. Hingegen sei es vielen Delegationen in New York nicht klar, weshalb ein Staat mit einem solch guten Ruf, wie die Schweiz, abseits stehe. Der Wunsch nach Universalität der UNO sei gross, und dieser Wunsch schliesse auch die Schweiz ein.
Frau von Grünigen stellt die Frage, ob aus der Sicht der Vereinten Nationen ein Widerspruch zwischen der Neutralität und dem System der kollektiven Sicherheit bestehe.
Herr Fleischhauer sieht keine Unvereinbarkeit zwischen dem Ergreifen von Massnahmen gemäss Kapitel VII der UNO-Charta10 und der schweizerischen Form der Neutralität. Man müsse sich einerseits fragen, wie die Zielrichtung der Neutralität und andererseits diejenige des Kapitels VII der UN-Satzung aussehe. Die Neutralität wolle die Schweiz aus dem Interessenkonflikt fremder Staaten heraushalten. Kapitel VII habe zum Ziel, einen Friedensstörer oder Aggressor, der die internationale Sicherheit bedrohe, in seinem Vorhaben zu behindern. Die schweizerische Neutralität wolle, dass die Schweiz nicht in Streitigkeiten fremder Staaten verwickelt werde. Die UNO wolle aber nicht Interessenkonflikte austragen, sondern Kollektivaktionen durchführen. Es seien zwei verschiedene Dinge, die miteinander vereinbar seien.
Frau von Grünigen stellt die Frage, ob die Wahrscheinlichkeit bestehe, dass bei einem anderen Konflikt nach dem Golfkrieg11 erneut militärische Sanktionsmassnahmen ergriffen würden.
Herr Fleischhauer ist der Ansicht, dass der Golfkrieg einen Schritt weniger weit ging als die in Art. 42 der Charta12 vorgesehene Kollektivaktion. Die UNO habe die Mitgliedstaaten zur Anwendung von militärischen Mitteln autorisiert. Hingegen seien die Militäraktionen nicht unter UNO-Kommando gestanden. Grund dafür sei vor allem gewesen, dass die Vereinigten Staaten von Amerika nicht bereit gewesen wären, ihre Truppe einem anderen Oberbefehl zu unterstellen. Falls wieder einmal ein militärischer Einsatz notwendig würde, müsste wohl erneut diese Form von Autorisierung gewählt werden. Dies sei aber seine ganz persönliche Annahme. Er glaube nicht, dass Art. 42 der UNO-Charta eine «Wiederbelebung» erfahren werde.
Wenn die Autorisierungslösung angewandt würde, müsste jedoch in Zukunft die Berichterstattungspflicht an den Sicherheitsrat stärker ausgebaut werden als bisher, und die UNO müsste darauf achten, dass die Autorisierung nicht missbraucht würde (z. B. sei ein Übermassverbot einzubauen). Beim Golfkrieg hätte man keine Kontrolle über einen allfälligen Missbrauch der Autorisierung gehabt.
Wenn man die durch den Golfkrieg angerichtete Zerstörung sehe, müsste wohl in Zukunft versucht werden, die Ziele der UNO primär durch wirtschaftliche Sanktionen durchzusetzen. Da aber dabei auch anderen Staaten wirtschaftlicher Schaden entstehen könne – nach dem Golfkrieg hätten sich 25 Staaten gemäss Art. 50 der UNO-Charta13 zur Konsultation angemeldet – müsste Art. 50 durch Verträge ausserhalb der Charta dahingehend ergänzt werden, dass den von den Sanktionen betroffenen Staaten durch die Völkergemeinschaft geholfen werden müsse.
Frau von Grünigen stellt weiter folgende Fragen: Könnte die Schweiz als UNO-Mitglied weiterhin militärischen Sanktionen des Sicherheitsrates fernbleiben? Würde sie etwa vom Sicherheitsrat gestützt auf Art. 48 der UNO-Charta14 von der Teilnahme entbunden? Oder müsste die Schweiz derartige Zwangsmassnahmen mittelbar unterstützen, etwa durch Einräumung von Überflugrechten oder durch finanzielle Unterstützung der militärischen UNO-Aktionen?
Herr Fleischhauer hält diese Fragen für sehr theoretisch. Sie berührten einen Punkt, der nicht nur die Schweiz betreffe, nämlich die indirekte Unterstützung. Diese habe im Golfkrieg eine Rolle gespielt. Ein Mitgliedstaat könne sich der Verpflichtung der gegenseitigen Beistandspflicht gemäss Art. 49 der UNO-Charta15 nicht einfach entziehen. Hingegen gelte ein Übermassverbot (Proportionalität).
Frau von Grünigen stellt folgende Lösung zur Diskussion: Wenn die Vereinten Nationen eindeutig die Mitgliedstaaten zur Durchführung von militärischen Aktionen – eventuell sogar unter UNO-Flagge – autorisiere, so würden die Pflichten aus dem Neutralitätsrecht zurücktreten und der Neutrale hätte den im Auftrag der UNO handelnden Staaten eine gewisse Unterstützung zukommen zu lassen. Wenn hingegen kein klarer Auftrag der UNO zur Durchführung von militärischen Sanktionen vorläge oder die Gefahr bestünde, dass die autorisierte Aktion von einigen Staaten später in einen klassischen Krieg ausmünde (z. B. im Golfkonflikt in eine Konfrontation zwischen dem Irak und Israel oder dem Irak und der Türkei/NATO), dann gehe eindeutig das Neutralitätsrecht vor.
Herr Fleischhauer stimmt dem grundsätzlich zu. Zum zweiten Fall merkt er an, dass dann die Militäraktion eben nicht mehr von der UNO autorisiert sei, damit eine völlig neue Situation vorliege und der Neutrale aufgrund dieser veränderten Umstände seine Haltung überprüfen könne.
Herr Borer stellt die Frage, ob die Möglichkeit bestehe, dass Mitglieder der UNO von dieser gezwungen werden könnten, sich militärisch oder finanziell an militärischen Aktionen zu beteiligen.
Herr Fleischhauer führt aus, dass die Möglichkeit rein rechtlich gesehen bestehe, dass dies aber vom politischen Standpunkt aus als ausgeschlossen erscheine. Die Kosten für die friedenserhaltenden Aktionen werden von der Generalversammlung genehmigt und nach einem vorbestimmten Schlüssel aufgeteilt. Die Golfoperation sei im Gegensatz dazu nicht unter dem UN-Oberbefehl gestanden, was zur Folge gehabt habe, dass die Kosten nicht nach diesem Schlüssel verteilt wurden. Andernfalls wäre auch die Abstimmung anders verlaufen. Die Kosten müssten von den Staaten getragen werden, die die militärischen Aktionen selbst durchführten.
Herr Hoffmann sieht die Chancen zur Durchsetzung des kollektiven Sicherheitssystems der UNO stark abhängig von der globalen politischen Situation. Er bittet Herrn Fleischhauer nochmals zu verdeutlichen, inwiefern die sogenannte Autorisierungslösung Neutralitätsprobleme aufwerfen könnte. Ferner erkundigt er sich nach der Beurteilung verschiedener Tendenzen und Vorstösse zur Änderung der Zusammensetzung und Funktionsweise des Sicherheitsrates.
Herr Fleischhauer präzisiert dahingehend, dass die Autorisierungslösung u. a. das Problem der Kontrolle der Sanktionen durch die UNO aufwerfe. Für einen neutralen Staat wie die Schweiz könnten sich zudem Probleme aus der Tatsache ergeben, dass er an sich frei sei, von einer Autorisierungslösung Gebrauch zu machen oder nicht, er sich m. a. W. nicht auf eine strikte Verpflichtung zur Beteiligung an militärischen Kollektivmassnahmen seitens der UNO berufen könne, was eben zu Neutralitätsproblemen Anlass geben könne. Für den Neutralen sei an sich der Fall der strikten Befolgung des VII-Kapitels der Charta und der Fall des Nichtfunktionierens des kollektiven Sicherheitssystems am «bequemsten». In jenem Fall werde das Neutralitätsrecht nicht aktualisiert, und er könne an den Sanktionen teilnehmen; in diesem Falle handle es sich um einen klassischen Krieg, und er müsse das Neutralitätsrecht strikte einhalten. Bei der Zwitterlösung der Autorisierung durch den Sicherheitsrat zu militärischen Massnahmen entstünden aber für den Neutralen Spielräume, die er nach eigenem Ermessen auszufüllen habe. Er müsse an sich an den militärischen Aktionen nicht teilnehmen, aber dürfe diese durchaus unterstützen.
Ferner vertritt Herr Fleischhauer die Ansicht, dass die Operation im Golf nur möglich war, weil der Ost-West-Gegensatz abgebaut worden sei und daher die UdSSR, USA, Frankreich und GB zusammengearbeitet hätten. Dies habe zu einer Monopolarität geführt. Solange dieser Zustand anhalte, werde die Rolle des Sicherheitsrates verstärkt bleiben.
Für eine Reform des Sicherheitsrates sehe er wenig Möglichkeiten. Seines Erachtens sei es praktisch nicht vorstellbar, dass Deutschland, Japan und weitere Staaten in den Kreis der vetoberechtigten Staaten aufgenommen würden. Was sich allerdings verändern werde, sei der Gebrauch des Vetos. Dieses werde wohl seltener eingelegt, und die Staaten würden zurückhaltender sein, ohne dass das Vetorecht formell abgeschafft würde. Heftiger Widerstand gegen das Veto-System komme aber von Seiten der Drittwelt-Staaten. Der Generalsekretär habe z. B. die Frage der Wahlhilfeaktion in Haiti16 im Sicherheitsrat angeschnitten. Es seien dabei Stimmen laut geworden, welche ein Abstandnehmen des Sicherheitsrates zugunsten der Generalversammlung verlangt hätten.
Herr Caflisch merkt an, dass das Autorisierungssystem ein System sei, das Staaten berechtige, Gewalt anzuwenden. Er fragt sich, ob dadurch die UNO andere Staaten, insbesondere Neutrale, nicht zugleich zu einem Wohlverhalten gegenüber den anstelle der UNO militärische Gewalt anwendenden Staaten anhalte und ob daher nicht etwa Neutrale zur Einräumung von Überflugrechten verpflichtet würden.
Herr Fleischhauer stimmt dem zu und erklärt, dass beispielsweise während der Golfkrise zuerst gemäss Kapitel VII der UNO-Charta vorgegangen worden sei. Die Resolution 67817 habe das Tor zur kollektiven Selbstverteidigung geöffnet. Weil dies vom Sicherheitsrat gestattet worden sei, komme Art. 4918 zum Zuge. Dadurch würden seines Erachtens andere Staaten zu einem gewissen Wohlverhalten verpflichtet. Art. 49 dürfe aber nicht überstrapaziert werden. Es stehe im freien Ermessen der einzelnen UNO-Mitglieder, von der Autorisierung Gebrauch zu machen. Nicht alle Staaten seien zu einem aktiven Handeln gezwungen.
Herr Thalmann weist darauf hin, dass die friedenserhaltenden Aktionen, z. B. Blauhelme, für die Schweiz kein Problem seien, solange sie ausserhalb des VII-Kapitels der Charta durchgeführt würden.19 Nach dem Golfkrieg stelle man sich die Frage, ob das «Peace-keeping» nicht auch im Rahmen des VII-Kapitels durch den Sicherheitsrat angeordnet werden könnte (UNIKOM).20
Herr Fleischhauer macht deutlich, dass die Golfoperation unter Kapitel VII stattgefunden habe, welches kein «Peace-keeping» enthalte. Die Operationen nach Kapitel VII sollten sich auf Ausnahmen beschränken. Die Golfsituation habe zwar in Form der UNIKOM eine Peace-keeping-Operation hervorgebracht. Das auslösende Element zur Resolution 68721 sei aber nicht das Ersuchen der Streitparteien, sondern der Entscheid des Sicherheitsrates gewesen. Daher stelle es einen Sonderfall dar.
Herr Thalmann fragt, ob nicht die Gefahr bestehe, dass es zu einer Vermischung zwischen den Aktionen der kollektiven Sicherheit mit dem «Peace-keeping» komme.
Herr Fleischhauer bemerkt, dass er nicht wisse, wie sich dies entwickle; es gelte aber das gleiche wie beim Vetorecht: Die Anwendung von Kapitel VII müsse genauso vorsichtig gehandhabt werden wie das Vetorecht.
Frau von Grünigen bedankt sich für das interessante Gespräch und verabschiedet Herrn Fleischhauer.
- 1
- CH-BAR#E2010A#2001/161#5127* (B.51.10). Diese Notiz wurde von Christine Schraner von der Direktion für Völkerrecht des EDA verfasst und unterzeichnet. Das Gespräch wurde vom Direktor der Politischen Direktion, Staatssekretär Klaus Jacobi, geleitet. Am Gespräch nahmen zudem die Chefin der Politischen Abteilung III, Botschafterin Marianne von Grünigen, der Rechtsberater des EPD, Lucius Caflisch, der stv. Direktor der Direktion für internationale Organisationen (DIO), Botschafter Hansrudolf Hoffmann, der Chef der Sektion Vereinte Nationen und internationale Organisationen der DIO, Anton Thalmann, der Vizedirektor der Direktion für Völkerrecht, Minister Franz von Däniken, sowie dessen Mitarbeiter, Thomas Borer, teil.↩
- 2
- Zum Stand der Beziehungen der Schweiz mit der UNO vgl. DDS 1990, Dok. 18, dodis.ch/56127 und Dok. 40, dodis.ch/56180 sowie DDS 1991, Dok. 19, dodis.ch/58341.↩
- 3
- Zum Auftrag der Studiengruppe Neutralität des EDA vgl. das BR-Prot. Nr. 482 vom 11. März 1991, dodis.ch/57635 sowie die Notiz des Vorstehers des EDA, Bundesrat René Felber, vom 13. März 1991, dodis.ch/58855. Die Protokolle der Sitzungen sowie weitere Dokumente der Studiengruppe Neutralität finden sich in der thematischen Zusammenstellung dodis.ch/C1981. Zur Studiengruppe Neutralität vgl. zudem DDS 1991, Dok. 46, dodis.ch/58731 sowie dodis.ch/58938.↩
- 4
- Für den schweizerischen Einsatz im Rahmen der UNTAG in Namibia vgl. DDS 1990, Dok. 31, dodis.ch/56036. Für den schweizerischen Einsatz im Rahmen der MINURSO in der Westsahara vgl. DDS 1991, Dok. 60, dodis.ch/58732.↩
- 5
- Für die schweizerische Haltung zum Afghanistan-Konflikt, vgl. DDS 1991, Dok. 29, dodis.ch/57737 sowie die thematische Zusammenstellung Friedensprozess in Afghanistan, dodis.ch/T1828; zum Iran-Irak-Krieg vgl. die thematische Zusammenstellung Iran–Irak-Krieg (1980–1988), dodis.ch/T2053; zur MINURSO in der Westsahara vgl. DDS 1991, Dok. 60, dodis.ch/58732 sowie die Zusammenstellung dodis.ch/C1842; zur UNTAG in Namibia vgl. DDS 1990, Dok. 31, dodis.ch/56036 sowie die Zusammenstellung dodis.ch/C1719 und zur UNAVEM in Angola vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C2085.↩
- 6
- Zur gleichen Einschätzung kam auch der Direktionsausschuss für den schweizerischen UNTAG-Einsatz, vgl. DDS 1990, Dok. 31, dodis.ch/56036.↩
- 7
- Zur Ernennung von Botschafter Brunner zum Sonderbeauftragten des UNO-Generalsekretärs für den Nahen Osten vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C2019.↩
- 9
- Vgl. die thematische Zusammenstellung Abstimmung über den UNO-Beitritt (1986), dodis.ch/T1772.↩
- 10
- UN-Charta Kapitel VII: Massnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen.↩
- 11
- Vgl. dazu DDS 1990, Dok. 29, dodis.ch/55715 und Dok. 60, dodis.ch/55703; DDS 1991, Dok. 2, dodis.ch/57332 und Dok. 4, dodis.ch/54707 sowie die thematische Zusammenstellung Golfkrise (1990–1991), dodis.ch/T1673.↩
- 12
- UN-Charta Art. 42: «Ist der Sicherheitsrat der Auffassung, daß die in Artikel 41 vorgesehenen Maßnahmen unzulänglich sein würden oder sich als unzulänglich erwiesen haben, so kann er mit Luft-, See- oder Landstreitkräften die zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen durchführen. Sie können Demonstrationen, Blockaden und sonstige Einsätze der Luft-, See- oder Landstreitkräfte von Mitgliedern der Vereinten Nationen einschließen.»↩
- 13
- UN-Charta Art. 50: «Ergreift der Sicherheitsrat gegen einen Staat Vorbeugungs- oder Zwangsmaßnahmen, so kann jeder andere Staat, ob Mitglied der Vereinten Nationen oder nicht, den die Durchführung dieser Maßnahmen vor besondere wirtschaftliche Probleme stellt, den Sicherheitsrat zwecks Lösung dieser Probleme konsultieren.»↩
- 14
- UN-Charta Art. 48: «1) Die Maßnahmen, die für die Durchführung der Beschlüsse des Sicherheitsrats zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlich sind, werden je nach dem Ermessen des Sicherheitsrats von allen oder von einigen Mitgliedern der Vereinten Nationen getroffen. 2) Diese Beschlüsse werden von den Mitgliedern der Vereinten Nationen unmittelbar sowie durch Maßnahmen in den geeigneten internationalen Einrichtungen durchgeführt, deren Mitglieder sie sind.»↩
- 15
- UN-Charta Art. 49: «Bei der Durchführung der vom Sicherheitsrat beschlossenen Maßnahmen leisten die Mitglieder der Vereinten Nationen einander gemeinsam handelnd Beistand.»↩
- 16
- Vgl. dazu auch den Schlussbericht über die Entsendung von sechs Schweizer Wahlbeobachtern nach Haiti der Direktion für internationale Organisationen des EDA vom 14. Februar 1991, dodis.ch/59502.↩
- 17
- Resolution Nr. 678 des Sicherheitsrats der UNO vom 29. November 1990, UN doc. S/RES/678. Vgl. dazu ferner dodis.ch/57077.↩
- 18
- Vgl. Anm. 15.↩
- 19
- Vgl. die thematische Zusammenstellung Beteiligung an den Friedenstruppen der Vereinten Nationen (Blauhelme), dodis.ch/T2038.↩
- 20
- Zur schweizerischen Beteiligung an der UNIKOM vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C2090.↩
- 21
- Resolution Nr. 687 des Sicherheitsrats der UNO vom 3. April 1991, UN doc. S/RES/687.↩
Collegamenti ad altri documenti
http://dodis.ch/58935 | vedere anche | http://dodis.ch/57379 |
Tags
ONU – Generale Rapporto sulla politica estera della Svizzera negli anni Novanta (1993)