Diskussion über die Aufhebung der Visumspflicht zwischen der Schweiz und Deutschland und anderen Staaten. Probleme bereiten die sogenannten unerwünschten Elemente, nämlich die Rechtsextremen und die Kommunisten. Der Entscheid wird hinausgeschoben.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 19, doc. 64
volume linkZürich/Locarno/Genève 2003
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2802#1967/78#216* | |
Old classification | CH-BAR E 2802(-)1967/78 6 | |
Dossier title | Deutschland (1944–1956) | |
File reference archive | E. |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1969/121#3635* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1969/121 136 | |
Dossier title | Visumfragen mit Deutschland (1951–1954) | |
File reference archive | B.35.51.10 • Additional component: Deutschland |
dodis.ch/9273
Protokoll der interdepartementalen Sitzung des Politischen Departements, des Justiz- und Polizeidepartements und des Volkswirtschaftsdepartements1
SITZUNG VOM 19. JUNI 1953 9.00–11.15 UHR BUNDESHAUS WEST
[…]2
Der Vorsitzende gibt die Traktandenliste für die Sitzung bekannt.
1. Gegenseitige Aufhebung der Visumpflicht zwischen der Schweiz und Deutschland, dem Saarland sowie Griechenland, der Türkei und Pakistan.
2. Stagiaire-Abkommen mit Österreich.
3. Commission-mixte zwischen der Schweiz und Italien betreffend italienische Arbeitskräfte in der Schweiz.
Aufhebung der Visumpflicht zwischen der Schweiz und der BundesrepublikDeutschland3.
Der Vorsitzende hat das vage Empfinden, es sei noch nicht alles reif für einen solchen Schritt, anderseits wäre es wohl wenig opportun, Staaten wie der Türkei4, Griechenland5, Pakistan usw. die Befreiung von der Visumpflicht zu gewähren, bevor man unserem grossen Nachbarn und Handelspartner Deutschland gegenüber ein solches Entgegenkommen erweist.
Die hauptsächlichste Gefahr, welche eine solche Massnahme mit sich bringen würde: Man müsste damit rechnen, dass unerwünschte Elemente und vor allem Ostflüchtlinge in grosser Zahl in die Schweiz einreisen könnten6. (Unsere Gesandtschaft in Köln ist zwar der Meinung, die Flüchtlinge aus der DDR würden in Westdeutschland sehr schnell absorbiert, da landwirtschaftliche Arbeitskräfte [und um solche handelt es sich vorwiegend] in der BRD gesucht seien.)
Herr Holzer: Das BIGA ist an der Aufhebung der Visa nicht besonders interessiert. Für uns stellt sich die Frage, wie sich eine solche Massnahme auf den Arbeitsmarkt (z. B. Landwirtschaft, Hotellerie) auswirken würde. Von diesem Gesichtspunkt aus gesehen könnte einer Befreiung von der Visumpflicht zugestimmt werden. Voraussetzung dafür wäre, dass man für jene deutschen Staatsangehörigen, die bei uns Arbeit suchen wollten, den Visumzwang beibehalten würde, oder dass diese vor ihrer Einreise im Besitze einer Arbeitsbewilligung sind. Auf jeden Fall müsste man von den Kantonen konsequentes Handeln verlangen. Wer ohne Bewilligung in der Schweiz arbeitet, sollte rücksichtslos abgeschoben werden. Wenn der Drang der Deutschen, in die Schweiz zu kommen, sehr gross wäre – was nicht abzuschätzen ist –, so ist eine gewisse Gefahr nicht von der Hand zu weisen.
Herr Jobinhat mit dem Arbeitsministerium in Bonn betreffend den Zuzug von landwirtschaftlichen Arbeitskräften aus Ostdeutschland verhandelt und dabei folgendes festgestellt: Unter den Ostflüchtlingen herrscht wohl Überfluss an geschulten landwirtschaftlichen Arbeitskräften (Gutsbesitzer, Gutsverwalter etc.), doch kann Westdeutschland mit diesen nicht viel anfangen7. Sie sollen deshalb anderswo (z. B. in Kanada) untergebracht werden. Die Hilfskräfte aber benötigt man in Deutschland selbst. Zur polizeilichen Seite der Angelegenheit: Man ist wohl sehr aufmerksam, doch ist es auch für die deutschen Instanzen schwer, alle auswanderungswilligen Leute zu durchleuchten. Ein bedeutender Teil der Ostflüchtlinge – in Berlin waren es letztes Jahr schon auf über 125’000 – hält sich ohne Bewilligung in Deutschland auf. Meistens handelt es sich um Leute, die sich den Kontrollorganen nicht gestellt haben, oder die von diesen zurückgewiesen worden sind. So besteht denn die Gefahr, dass solche zum Teil unsaubere Elemente «schwarz» von Berlin wegkommen und schliesslich dank einer freizügigen Einreisepraxis bei uns eindringen können.
Herr Dicksieht der Aufhebung der Visumpflicht nicht mit Freude entgegen. Es sind vor allem zwei Kategorien von Leuten, die uns Sorge bereiten: die Rechtsextremisten (Nazi und Neonazi) und die Kommunisten.
Was die Rechtsextremisten anbelangt, so muss man feststellen, dass eine Reaktivität der Nazi nicht von der Hand zu weisen ist8. Unsere Bevölkerung ist in dieser Beziehung sehr empfindlich. Es ist aber fast unmöglich, alle diese Leute zu erkennen und zu fassen. Wie die Verhältnisse jetzt liegen, so ist eine Abschirmung bis zu einem gewissen Grade möglich, denn Extremisten bekommen ihr Visum auch von deutscher Seite nicht ohne weiteres.
Inbezug auf die Linksextremisten ist zu sagen, dass, ähnlich wie seinerzeit unter dem faschistischen und dem national-sozialistischen Regime, die aus Deutschland kommenden kommunistischen Propagandisten ernster zu nehmen sind als diejenigen aus Italien9.
Als mögliche Gegenmassnahme liesse sich folgendes vorsehen: Man könnte die Kantone einladen, verdächtige Leute zu beobachten und wenn nötig zu entfernen. Hierfür würden jedoch die vorhandenen Polizeikräfte nicht ausreichen. Es ist ziemlich schwierig, Leute abzuschieben, die sich schon einige Zeit in unserem Lande aufgehalten haben. Im übrigen sind nicht diejenigen die gefährlichsten, die sich für längere Zeit in der Schweiz niederlassen; mehr Vorsicht ist jenen gegenüber geboten, die nur vorübergehend und zur Erfüllung bestimmter Missionen einreisen. Nach einer gänzlichen Aufhebung der Visaformalitäten könnten solche Agenten unseren Kontrollorganen weitgehend ausweichen. Die Bundesanwaltschaft ist der Meinung, man sollte mit der Aufhebung der Visumpflicht gegenüber Deutschen noch einige Zeit zuwarten.
Herr Marti: Es ist schwer, in dieser Sache eindeutig Stellung zu nehmen. Vom Standpunkt des Reiseverkehrs aus gesehen ist es wichtig, ob die deutschen Reisenden ein Visum benötigen oder nicht. Die Argumente der Hoteliers können nicht ohne weiteres von der Hand gewiesen werden. Die Handelsabteilung hat sich deshalb für die Aufhebung der Visa eingesetzt. Entscheidend ist eine solche Massnahme im Hinblick auf den ohnehin wachsenden Strom deutscher Feriengäste zwar nicht. Wir stellen uns deshalb eher indifferent zum Problem. Es wäre nicht ausgeschlossen, dass die besagte Flut so stark würde, dass man sogar gewisse Erschwerungen im Devisentransfer einbauen müsste (gestaffelte Auszahlung). Solche Erschwerungen wären für den deutschen Reisenden eher die bittere Pille als sie der Visumzwang darstellt. Solange Einschränkungen von der Zahlungsseite her notwendig sind, ist psychologisch gesehen die Aufhebung der Visumpflicht nicht so dringend. Die Handelsabteilung überlässt die Entscheidung den andern interessierten Stellen und Departementen.
Herr Brügger: Es besteht kein Zweifel, dass Deutschland aus politischen Gründen unsere Zusage gerne sähe, würde doch dadurch ein für die Bundesrepublik günstiger Präzedenzfall geschaffen. Doch haben auch wir dabei zu gewinnen. So sind wir daran interessiert, dass im Hinblick auf zwischenstaatliche Verhandlungen (z. B. Wiedergutmachung von nationalsozialistischen Unrechtschäden10) ein gutes Klima herrsche.
Monsieur Mauricese demande, si l’on ne pouvait pas adopter une solution provisoire en acceptant d’accorder aux touristes allemands la suppression des visas, mais de maintenir ces derniers pour ceux qui viennent travailler en Suisse.
Der Vorsitzende spricht im Namen von Herrn Dr. Rothmund: Die Polizeiabteilung sieht nicht ohne Sorge, wie gross die Zahl von deutschen Touristen ist, welche in letzter Zeit in die Schweiz einreisen (und notabene, nachdem sie sich mit Schweizergeld versorgt haben, ihre Ferien in Italien verbringen). Man darf nicht vergessen, dass die Denazifizierung in Deutschland nicht etwa gemäss unseren Wünschen durchgeführt wurde. Es gibt «entnazifizierte» Leute, die auf unserer Sperrliste figurieren und die sich bei einer Aufhebung der Visumpflicht bei uns breit machen könnten.
Persönlich ist Minister Zehnder der Meinung, die deutschen Propagandisten seien heute kaum gefährlich. Gegen die Rechtsextremen sind wir immun; die deutschen Kommunisten sind international nicht von Bedeutung, denn Deutschland verfügt über keine prominenten kommunistischen Führer.
Der Vorsitzende rekapituliert: Niemand ist für ein unbedingtes Ja oder für ein unbedingtes Nein. Die Bedenken gegenüber einem absoluten Ja sind grösser. Könnte man den Deutschen gegenüber nicht erklären, man sei grundsätzlich nicht gegen die Aufhebung der Visumpflicht, sondern wolle zuwarten, bis sich die politische Situation (Berlin)11 geklärt habe? Ein anderes Argument, das sich anbringen liesse: Es gibt immer noch Schweizer, denen bei der Erteilung des Sichtvermerks für Deutschland Schwierigkeiten gemacht werden. Die deutschen Stellen weisen darauf hin, diese Leute ständen auf den alliierten schwarzen Listen. Man könnte also mit Recht darauf hinweisen, Deutschland habe auf diesem Sektor noch nicht die volle Bewegungsfreiheit, so dass es für eine eventuell von schweizerischer Seite getroffene Liberalisierungsmassnahme nicht unbedingt Gegenrecht gewährleisten könnte. Im übrigen gibt es bis zur Stunde keinen europäischen Staat, der bereit wäre, die Visumpflicht gegenüber Deutschland ohne weiteres aufzuheben. Man hat sich darauf beschränkt, Visa gratis zu gewähren (England). Man kann sich fragen, ob eine derartige Geste opportun wäre. Hierzu ist zu sagen, dass es keinem deutschen Reisenden schwer fällt, die berechnete Gebühr von DM 5.– zu bezahlen. Wenn wir, wie England, die Befreiung von der Visumpflicht für Diplomaten vorsehen, so laufen wir Gefahr, den notorischen Nazi und Neonazi unter ihnen – und es gibt deren viele – den Weg zu ebnen.
Herr Dickteilt diese Ansicht. Unter den deutschen Diplomaten sind viele «entnazifizierte» Leute, die für uns gefährlich sind (z. B. Herr von Bibra). Die Bundesanwaltschaft hat gerade im Hinblick auf die Diplomaten Bedenken gegen die Aufhebung der Visa. Unter den heutigen Verhältnissen ist doch noch eine gewisse Kontrolle möglich. Jedenfalls müsste man innenpolitisch gesehen davor warnen, die Aufhebung der Diplomatenvisa vorwegzunehmen.
Herr Minister Zehnderist derselben Meinung. Die Diplomaten, welche eine saubere Gesinnung haben, erhalten ihr Visum ohne Schwierigkeiten.
Der Entscheid über die Aufhebung der Visumpflicht gegenüber Deutschland soll also noch einige Zeit hinausgeschoben werden. Das Departement wird die deutsche Note in diesem Sinne beantworten und auch die OECE entsprechend informieren.
Aufhebung der Visumpflicht zwischen der Schweiz und dem Saarland.
Herr Decrouxorientiert über die entsprechende, von französisch-saarländischer Seite ausgegangene Anregung und stellt fest, dass im Reiseverkehr zwischen den beiden Ländern keine Schwierigkeiten beständen.
Der Vorsitzende: Die Situation des Saarlandes ist völkerrechtlich nicht umstritten. Politisch gehört die Saar zu Deutschland. Frankreich hat denn auch nie von einer politischen, sondern nur von einer wirtschaftlichen Integration gesprochen. Die Schweiz anerkennt jedenfalls eine politische Integration nur dann, wenn sie auch international anerkannt wird. In diesem Sinne muss wohl auch das Problem der Aufhebung der Visa gelöst werden. Man darf nicht den Eindruck erwecken, die Schweiz würde de facto den gegenwärtigen Zustand anerkennen. Wir können Frankreich jederzeit eine negative Antwort erteilen.
Wie ist die Aufhebung der Visa gegenüber dem Saarland vom wirtschaftlichen Standpunkt aus zu beurteilen?
Herr Holzer: Es ist möglich, dass eine grössere Anzahl Saarländerinnen als Dienstmädchen in die Schweiz zu kommen wünscht. Von Bedeutung ist dieser Punkt jedoch inbezug auf die Erteilung von Einreisevisa nicht. Die Angehörigen des Saarlandes werden hier mit den deutschen Staatsangehörigen gleichgestellt.
Der Vorsitzende: Die Angelegenheit kann also ohne Bedenken zurückgestellt werden.
Aufhebung der Visumpflicht zwischen der Schweiz, Griechenland,
Monsieur Decroux: Le problème de la suppression des visas avec la Grèce et la Turquie s’est posé depuis longtemps. Une demande analogue a été faite récemment par le Pakistan. En ce qui concerne ce dernier, la présence de voyageurs pakistanais en Suisse ne cause pas de danger. Mais, si l’on accorde la suppression des visas à ceux-ci, il faut attendre que l’Inde nous soumette également une telle demande ce qui pourrait nous mettre dans une situation difficile (le communisme est beaucoup plus fort en Inde).
Monsieur Jobin: Dans certains milieux on craint beaucoup l’infiltration de la part de colporteurs venant des pays du Proche Orient. Mais ce n’est pas un danger national.
Herr Dick: Die Einreise von türkischen Staatsangehörigen in unser Land bietet vom polizeilichen Standpunkt aus keine Schwierigkeiten. Auch die Verhältnisse in Griechenland haben sich so weit konsolidiert, dass von dieser Seite nicht mit einer akuten Gefahr zu rechnen ist. Griechenland gibt an Extremisten ohnehin keine Reisepässe ab.
Der Vorsitzende ist der Meinung, dass, gerade weil eine Gleichstellung Indiens nicht zu umgehen wäre, die Visumpflicht für Reisende aus Pakistan noch nicht fallen gelassen werden darf, umsomehr als das Problem inbezug auf Deutschland noch ungelöst ist.
Vielleicht könnte man früher oder später Griechenland und der Türkei gegenüber Erleichterungen ins Auge fassen, sind doch beide Staaten Mitglieder der OECE und geniessen deshalb eine Sonderstellung.
Monsieur Jobin: La situation de la Grèce est un peu analogue à celle de l’Allemagne occidentale. Il y a surpopulation et le pays héberge beaucoup de réfugiés. Des réserves sont donc indiquées.
Monsieur Mauricene croit pas que la Suisse peut présenter aux Grecs un marché de travail intéressant, sauf peut-être pour les marchands.
Monsieur le Ministre Zehnderest d’accord que la situation de la Grèce et de la Turquie comme membres de l’OECE est autre que celle du Pakistan. Mais il y a le problème de l’Allemagne qui prime le tout. Pourrions-nous quand même faire le geste auprès de la Grèce et de la Turquie? Monsieur Rothmund est d’avis qu’il faudrait encore une fois ajourner le règlement définitif de cette question. Un premier pas que l’on pourrait envisager serait la suppression du visa pour les diplomates grecs et turcs. Quant au Pakistan: attendons une seconde demande.
Stagiaire-Abkommen mit Österreich
Der Vorsitzende: Das unbedingte Bedürfnis, ein derartiges Abkommen mit Österreich zu treffen, besteht nicht12. Anders verhält es sich inbezug auf Deutschland13. Man könnte zuwarten, bis die Vorarbeiten für eine schweizerisch-deutsche Vereinbarung weiter fortgeschritten sind und dann die beiden Fragen verkoppeln.
Herr Jobin: Die Schweiz hat aus dem Austausch von Stagiaires grossen Nutzen gezogen. Die Sache lässt sich nicht ewig verschieben. Wir können solche Abkommen ohne Bedenken abschliessen. Auch Herr Rothmund hat seine Opposition aufgegeben. Es empfiehlt sich jedoch, die beiden Länder gleichzeitig zu berücksichtigen. Als Zeitpunkt hierfür dürfte der Herbst dieses Jahres gegeben sein.
Der Vorsitzende freut sich, solche Nachrichten zu vernehmen. Die Bereitschaft, Stagiaire-Abkommen abzuschliessen, ist also allseitig vorhanden, so dass wir in absehbarer Zeit in Verhandlungen eintreten können.
Commission-mixte zwischen der Schweiz und Italien14.
Der Vorsitzende: Das Problem stellt sich folgendermassen: Entgegen dem mit Italien getroffenen Abkommen halten sich in der Schweiz italienische Arbeitskräfte auf, die als Touristen bei uns einreisen und hier zu niedrigeren als den im Vertrag vorgesehenen Löhnen arbeiten. Minister Reale ist der Meinung, die Schweiz sollte dafür sorgen, dass dieser vertragslose Zustand nicht weiter toleriert werde. Zur Behandlung dieses Problems soll nun anscheinend eine Commission mixte eingesetzt werden. Es fragt sich, ob wir auf diesen Vorschlag eintreten wollen.
Herr Holzer: Italien hat verlangt, dass eine solche Kommission so rasch als möglich einberufen werde, doch ergaben sich bei der Aufstellung der zu behandelnden Traktanden Schwierigkeiten, so dass die Angelegenheit auf den Herbst verschoben werden musste.
Herr Jobin: Wir müssen tatsächlich zuerst wissen, was die Italiener behandeln wollen und was für ein Ziel sie verfolgen. Die Italienische Gesandtschaft geht in der Auslegung des Abkommens sehr weit, sie schaltet sich sogar in die Abfassung von Anstellungsverträgen ein. Ihre Politik läuft derjenigen des Bundesrates zuwider. Wir dürfen uns solche Eingriffe in unsere Lohnpolitik (z. B. in der Landwirtschaft) nicht gefallen lassen.
Der Vorsitzende dankt für die erhaltenen Auskünfte. Der Zweck seiner Anfrage war vor allem, sich über die Angelegenheit informieren zu lassen, damit er wenn nötig Herrn Minister Reale gegenüber mit einschlägigen Argumenten auftreten kann.
Es gibt immerhin eine Möglichkeit, Korrektur zu schaffen, und zwar gerade im Hinblick auf die Frage der Visumbefreiung gegenüber Deutschland. Wenn wir die Einreise deutscher Arbeitskräfte erleichtern, so bilden diese für die italienischen Saisonarbeiter ohne Zweifel eine nicht zu unterschätzende Konkurrenz.
Von diesem Gesichtspunkt aus gesehen besteht also selbst für uns ein gewisses Interesse an einer Aufhebung der Visumpflicht gegenüber Deutschland. Es sollte aber möglich sein, den gegenwärtigen Zustand noch eine Zeit lang zu ertragen.
Herr Jobin: Italien verliert durch seine Lohnpolitik immer mehr Boden gegenüber Deutschland und Österreich, so dass man feststellt, dass die Italienische Gesandtschaft letzten Endes gegen die italienischen Interessen arbeitet.
Der Vorsitzende: Nachdem die Konkurrenz schon unter den gegebenen Verhältnissen zu spielen beginnt, drängt sich auch von dieser Seite eine Aufhebung der Visumpflicht Deutschland gegenüber nicht unbedingt auf.
- 1
- (Kopie): E 2802(-)1967/78/6. Paraphe: LU.↩
- 2
- Anwesend waren: A. Zehnder (EPD, Vorsitz), M. Holzer, A. Jobin (beide BIGA), H. Tzaut (Fremdenpolizei EJPD), F. Dick (Bundesanwaltschaft), H. Marti, P. Jolles (beide Handelsabteilung EVD), J. Decroux, P. Brügger, R. Maurice und H. Müller (alle EPD).↩
- 3
- Das Abkommen über die Aufhebung des Visumszwangs wurde am 19. November 1953 geschlossen. Vgl. den Bericht über die Verhandlungen mit der BundesrepublikDeutschland über die gegenseitigen Niederlassungsverhältnisse und Verlängerung des Fürsorgevertrages von H. Rothmund vom 13. Januar 1954 vgl. E 2001(E)1969/121/136 (dodis.ch/7900). Zu den verschiedenen Abkommen mit Deutschland vgl. auch Nr. 132, Anm. 7, in diesem Band.↩
- 4
- Das Abkommen mit der Türkei wurde am 11. Juli 1954 in Kraft gesetzt. Vgl. E 2001(E)1970/ 217/205.↩
- 5
- Das Abkommen mit Griechenland wurde am 9. Juni 1954 abgeschlossen und trat am 1. Juli 1954 in Kraft.↩
- 6
- Vgl. den Vortrag von A. Jobin zu den Ostflüchtlingen in der schweizerischen Landwirtschaft vom 16. April 1953, E 4300(B)1971/4/24.↩
- 7
- Die Verhandlungen führten am 20. März 1953 zu einer zwischenstaatlichen Vereinbarung. Vgl. auch das Schreiben von A. Huber an M. Kaufmann vom 14. März 1953, E 2001(E)1969/ 121/152.↩
- 8
- Vgl. das Protokoll der Konferenz vom 31. März 1952 über die Behandlung von politisch belasteten deutschen Staatsangehörigen vom 3. April 1952, E 4300(B)1969/78/6 (dodis.ch/8892).↩
- 9
- Vgl. E 2001(E)1970/217/48.↩
- 10
- Vgl. DDS, Bd. 19, Dok. 106, dodis.ch/9457.↩
- 11
- Gemeint ist der Arbeiteraufstand in Ost- Berlin und Ost- Deutschland vom 17. Juni 1953. Vgl. Nr. 84, Anm. 3, in diesem Band.↩
- 12
- Vgl. E 2001(E)1970/217/115.↩
- 13
- Vgl. E 2001(E)1969/121/152 und E 2001(E)1970/217/115.↩
- 14
- Zur ersten Sitzung der Commission consultative mixte, die erst im Jahre 1954 durchgeführt wurde vgl. DDS, Bd. 19, Dok. 116, dodis.ch/9491 und den Bericht vom 7. Juli 1954 über die Sitzungen der Commission consultative mixte, E 4300(B)1969/121/9 (dodis.ch/8944). Vgl. auch E 2001(E) 1969/121/153.↩
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