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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 1992, doc. 27
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E8812#1998/341#112* | |
Dossier title | BR-Sitzung vom 19. August und Klausur Wohneigentumsförderung mit der beruflichen Vorsorge,Krankenversicherung (1992–1992) | |
File reference archive | 1 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E8001D#1997/5#2589* | |
Dossier title | Informationsnotizen (1992–1992) | |
File reference archive | 303.6 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E7001C#2000/124#497* | |
Dossier title | Schweiz. Delegation für das KSZE-Folgetreffen in Helsinki (1992–1992) | |
File reference archive | 123-5 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2010A#2001/161#5568* | |
Dossier title | 4. KSZE-Folgetreffen in Helsinki, Band 2 (1992–1993) | |
File reference archive | B.72.09.15.1(26) |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E8001D#1997/5#2915* | |
Dossier title | KSZE-Gipfeltreffen in Helsinki 9.10.7.1992 (1992–1992) | |
File reference archive | 320.4 |
dodis.ch/61951
Notiz des Vorstehers des EVED, Bundesrat Ogi1
KSZE-Gipfel von Helsinki (9./10. Juli 1992)
1. Während der Gipfel von Paris (Nov. 1990) ganz im Zeichen der Überwindung des Kommunismus und des Ost-West-Gegensatzes stand,2 beherrschte die Konfliktverhütung und die Krisenbewältigung das Treffen der Staats- und Regierungschefs in Helsinki. Dabei ging es um zweierlei: einerseits um die neu ausgebrochenen kriegerischen Konflikte im ehemaligen Jugoslawien, in Nagorno-Karabach, in Moldowa und in Georgien,3 andererseits um die Mittel, welche sich die KSZE auf diesem Gebiet verschaffen muss, damit sie effizienter wirken kann.
In diesem Zusammenhang ist von grösster Bedeutung, dass die KSZE inskünftig, falls erforderlich, in Zusammenarbeit mit NATO und WEU Operationen durchführen kann.4
2. Der Gipfel verabschiedete ein Dokument,5 welches folgende wichtigste Elemente enthält:
– Das ausführende Organ der KSZE wird gestärkt. Der Vorsitzende kann inskünftig Aufgaben auf zwei Kollegen verteilen. Es entsteht eine Aussenministertroika.6
– Die KSZE erklärt sich zu einer regionalen Abmachung der UNO gemäss Kapitel VIII der UN-Charta.7
– Die KSZE ist bereit, «Peacekeeping»-Operationen durchzuführen.8
– Ein neues Forum für Sicherheitszusammenarbeit, in welchem auch die neuen Verhandlungen über Rüstungskontrolle stattfinden, wird geschaffen. Diese beginnen im September in Wien;9
– Ein zweiwöchiges Expertentreffen zur Ausarbeitung einer Konvention über friedliche Streitbeilegung wird einberufen. Dieses Treffen wird am 12. Oktober in Genf beginnen;10
– Der Posten eines Hochkommissars für nationale Minderheiten wird geschaffen. 11
– Das Genfer UNO-Zentrum für Einsätze bei ökologischen Notfällen wird an das KSZE-Kommunikationsnetz angeschlossen.
3. In den Reden wurden die Neuerungen, welche zu einer aktiveren KSZE führen sollten, begrüsst.12 Besonders hervorzuheben ist, dass John Major, der auch im Namen der EG sprach, bereits einen Generalsekretär verlangte, der den KSZE-Vorsitzenden vertreten kann.13 Polen anerbot sich, die «Peacekeeper» von östlichen Staaten auszubilden. Frankreich betonte die Notwendigkeit eines neuen Schlichtungs- und Schiedsgerichtshofs .14
4. Bei den aktuellen Konfliktherden stand Bosnien-Herzegowina im Zentrum der Aufmerksamkeit.15 Präsident Izetbegovic ersuchte inständigst um mehr als humanitäre Hilfe. Auch Tudjman rief indirekt zu militärischer Intervention auf. Bush seinerseits erklärte, die Hilfsprogramme müssten durchgeführt werden, was immer auch dazu erforderlich sei. Mitterrand forderte einen militärischen Schutz.
Die Bereitschaft, militärische Aktionen zumindest zur See durchzuführen, scheint nähergerückt zu sein.
Auf Antrag von Präsident Izetbegovic wurde eine Erklärung zu Jugoslawien verabschiedet, welche auch die von der Fleiner-Mission vorgeschlagenen ständigen Beobachter in der Wojwodina, im Kosovo und Sandschak vorsieht.16
5. Weitere Punkte: Delors erklärte, die EG werde zu Beginn des nächsten Jahres Erweiterungsverhandlungen aufnehmen.
Demirel forderte zur Anerkennung Makedoniens auf.17
Jeltzin sprach vom Nationalismus als der Geissel des 21. Jahrunderts.
Die baltischen Staaten forderten, wie schon der Ausschuss der Hohen Beamten, mit Nachdruck den raschen und vollständigen Abzug der russischen Truppen aus ihren Staaten. Landsbergis gab am Schluss eine interpretative Erklärung ab, worin er den im Gipfeldokument enthaltenen vagen Zeitvorschlag («early») für den Truppenabzug bedauerte.
6. Schweizer Positionen: Ich betonte in meiner Rede:18
– das «Peacekeeping», für welches sich die Schweiz stark eingesetzt hatte;19
– die Wichtigkeit der friedlichen Streitbeilegung20 und das nächste Expertentreffen auf Schweizer Boden;21
– den Minderheitenschutz und die besondere Verantwortung, welche die Schweiz auf diesem Gebiet zu tragen gewillt ist;22
– die Bedeutung der neuen Verhandlungen über Rüstungskontrolle in Wien, an welchen die Schweiz voll teilnehmen wird;23
– die Einsatzbereitschaft der KSZE-Staaten bei Umweltkatastrophen.24
7. Allgemeine Beurteilung: Die KSZE hat mit dem Gipfel von Helsinki einen Schritt in die richtige Richtung genommen. Angesichts der zahlreichen Konflikte hat sie sich neue Mittel verschafft, um aktiver ins Geschehen eingreifen zu können. Dies ist um so wichtiger, als sie, die alle Staaten Europas und Nordamerikas umfasst, berufen ist, rasch zu handeln und in Zusammenarbeit mit andern Organisationen wirksam durchzugreifen.
Der Gipfel bot die Möglichkeit zu zahlreichen Gesprächen mit Staatsoberhäuptern und Regierungschefs, am Rande der Plenarversammlung oder bei verschiedenen offiziellen Veranstaltungen. Dies ist gerade für ein Land wie die Schweiz, welches bei den andern Gipfeltreffen (G 7, NATO, EG, etc.) nicht dabei ist, von grosser Bedeutung. Schliesslich freut mich, feststellen zu können, dass sich die Schweizer Delegation in der KSZE sehr aktiv einsetzt und mit ihrer engagierten Tätigkeit auch viel Beachtung findet.
8. Über meine bilateralen Kontakte orientierte ich Sie mit einer separaten Notiz.25
- 1
- CH-BAR#E8001D#1997/5#2589* (303.6). Diese an den Bundesrat gerichtete Notiz wurde vom Chef des KSZE-Diensts des EDA, Paul Widmer, verfasst und vom Vorsteher des EVED, Bundesrat Adolf Ogi, unterzeichnet, vgl. das Dossier CH-BAR#E2010A#2001/161#5568* (B.72.09.15.1(26)). Gemäss dem Verhandlungsprotokoll der 24. Sitzung des Bundesrats vom 19. August 1992 wurde die Notiz nicht diskutiert, vgl. das Dossier CH-BAR#E1003#2003/92#3* (4.32). Bundesrat Ogi nahm in seiner Funktion als Vizepräsident des Bundesrats aufgrund der krankheitsbedingten Abwesenheit des Vorstehers des EDA, Bundespräsident René Felber, am Gipfeltreffen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) in Helsinki teil. Für die weiteren schweizerischen Teilnehmenden vgl. den Bericht der schweizerischen Delegation unter der Leitung von Botschafterin Marianne von Grünigen vom 9. September 1992 zum gesamten Vierten KSZE-Hauptfolgetreffen vom 24. März bis 8. Juli 1992, das mit dem Gipfel von Helsinki beendet wurde, dodis.ch/58860.↩
- 2
- Vgl. DDS 1990, Dok. 50, dodis.ch/54685, sowie die thematische Zusammenstellung Gipfeltreffen der KSZE in Paris (19.–21.11.1990), dodis.ch/T1806.↩
- 3
- Vgl. die thematischen Zusammenstellungen Jugoslawienkriege (1991–2001), dodis.ch/T1915; Bergkarabachkonflikt (1988–1994), dodis.ch/T2190; Transnistrienkonflikt (1992), dodis.ch/T2194, sowie Abchasienkrieg (1992–1993), dodis.ch/T2317.↩
- 4
- Für eine Standortbestimmung der KSZE in der europäischen Sicherheitsordnung nach dem KSZE-Gipfel 1992 vgl. dodis.ch/62576.↩
- 5
- CSCE Helsinki Document 1992. The Challenges of Change, dodis.ch/63292.↩
- 6
- Vgl. dazu dodis.ch/58860, S. 6.↩
- 7
- Für die Haltung der Direktion für Völkerrecht des EDA dazu vgl. ihre Notiz vom 27. Mai 1992 an die schweizerische Delegation beim KSZE-Folgetreffen in Helsinki, dodis.ch/63301. Für die kurze Erklärung der schweizerischen Delegation vom 8. Juli 1992 zum Helsinki Dokument und dem Kapitel VIII der UNO-Charta vgl. das Dossier CH-BAR#E2010A#2001/161#5568* (B.72.09.15.1(26)).↩
- 8
- Vgl. dazu dodis.ch/58860, S. 8–12, sowie das BR-Prot. Nr. 846 vom 13. Mai 1992, dodis.ch/61341.↩
- 9
- Gemeint ist das KSZE-Forum über Sicherheitskooperation, das am 22. September 1992 seine Arbeit aufnahm. Zum neu geschaffenen Forum und den daraus resultierenden künftigen Aufgaben der schweizerischen KSZE-Delegation in Wien vgl. dodis.ch/63302.↩
- 10
- Zum KSZE-Expertentreffen zur friedlichen Regelung von Streitfällen in Genf vgl. DDS 1992, Dok. 50, dodis.ch/61464, sowie die Zusammenstellung dodis.ch/C2209. Zum schweizerischen Engagement in diesem Bereich vgl. ferner die thematische Zusammenstellung KSZE und friedliche Streitbeilegung, dodis.ch/T1874.↩
- 11
- Zur Minderheitenfrage vgl. die thematische Zusammenstellung dodis.ch/T1683, sowie DDS 1991, Dok. 50, dodis.ch/58114.↩
- 12
- Für die Reden vgl. das Dossier CH-BAR#E8001D#1997/5#2915* (320.4).↩
- 13
- Für die schweizerische Haltung zur Schaffung des Postens eines Generalsekretärs resp. einer Generalsekretärin sowie zur Institutionalisierung der KSZE im Allgemeinen vgl. dodis.ch/61884.↩
- 14
- Vgl. DDS 1992, Dok. 50, dodis.ch/61464.↩
- 15
- Vgl. DDS 1992, Dok. 20, dodis.ch/60663, Punkt III, sowie die thematische Zusammenstellung Jugoslawienkriege (1991–2001), dodis.ch/T1915.↩
- 16
- Für die Erklärung zu Jugoslawien vgl. dodis.ch/63292, S. 1–3. Zu den KSZE-Berichterstattermissionen über Menschenrechte in Jugoslawien unter der Leitung von Professor Thomas Fleiner-Gerster von der Universität Fribourg 1991/1992 vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C1986.↩
- 17
- Zur Anerkennung Mazedoniens vgl. die thematische Zusammenstellung dodis.ch/T2103.↩
- 18
- Vgl. dodis.ch/61962. Die Rede basiert auf einem Konzept der schweizerischen Delegation beim KSZE-Folgetreffen unter der Leitung von Botschafterin von Grünigen sowie auf Stichworten des schweizerischen Botschafters in Washington, Edouard Brunner, vgl. die Dossiers CH-BAR#E2010A#2001/161#5568* (B.72.09.15.1(26)) und CH-BAR#E8001D#1997/5#2915* (320.4). Botschafter Brunner begleitete Bundesrat Ogi nach Helsinki, um ihn in Fragen des Beitritts zu den Bretton-Woods-Institutionen zu beraten.↩
- 19
- Vgl. das BR-Prot. Nr. 846 vom 13. Mai 1992, dodis.ch/61341; die Notiz der Sektion Vereinte Nationen und Internationale Organisationen des EDA vom 19. Juni 1992, dodis.ch/62570, sowie das Referat des Chefs der Abteilung Friedenspolitische Massnahmen im Stab der Gruppe für Generalstabsdienste des EMD, Brigadier Josef Schärli, vom 16. November 1992, dodis.ch/62237, Anhang 2.↩
- 20
- Vgl. die thematische Zusammenstellung KSZE und friedliche Streitbeilegung, dodis.ch/T1874.↩
- 21
- Vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C2209. Zum Schlichtungs- und Schiedsgerichtshof der KSZE vgl. DDS 1992, Dok. 50, dodis.ch/61464.↩
- 22
- Zum KSZE-Expertentreffen über nationale Minderheiten vom 1. bis 19. Juli 1991 in Genf vgl. DDS 1991, Dok. 50, dodis.ch/58114, sowie die Zusammenstellung dodis.ch/C1875.↩
- 23
- Vgl. dodis.ch/63302 sowie die Erklärung von Brigadier Schärli an der zweiten Sitzung des Special Committees des Forums vom 19. Oktober 1992, dodis.ch/63305.↩
- 24
- Die Schweizer Delegation am Folgetreffen in Helsinki brachte am 20. Mai 1992 einen Vorschlag zur Schaffung von sogenannten Grünhelmen ein, vgl. dazu die Zusammenstellung dodis.ch/C2404, insbesondere dodis.ch/63145.↩
- 25
- Vgl. den Bericht über die Gespräche von Bundesrat A. Ogi, Vizepräsident des Bundesrates, mit Vertretern von GUS-Staaten und der Türkei am Rande des KSZE-Gipfeltreffens in Helsinki vom 9.–10. Juli 1992, DDS 1992, Dok. 28, dodis.ch/61195, sowie die Notiz des Vizepräsidenten des Bundesrats Ogi an die Mitglieder des Bundesrats vom 10. Juli 1991, dodis.ch/61150.↩
Relations to other documents
http://dodis.ch/61150 | is mentionned in | http://dodis.ch/61951 |
Tags
Organization for Security and Co-operation in Europe (OSCE)
CSCE follow-up meeting in Helsinki (1992)