Bei der Frage der Unterstützung der gegenseitigen Staatsangehörigen geht es vor allem darum, ob dem unterstützenden Staat die Kosten zurückerstattet werden. Das Abkommen zwischen der Schweiz und der BRD basiert auf der Grundlage des gegenseitigen Kostenersatzes.
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 19, Dok. 36
volume linkZürich/Locarno/Genève 2003
Mehr… |▼▶Aufbewahrungsort
Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E4800.1#1967/111#5* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 4800.1(-)1967/111 2 | |
Dossiertitel | Beziehungen zu anderen Staaten - Deutschland: Verträge, Vereinbarungen, Fürsorge etc. (1930–1952) | |
Aktenzeichen Archiv | 1.03 |
dodis.ch/9485
Notiz der Kommission für auswärtige Angelegenheiten des Ständerates über die Besprechung vom 21. November 195212
SCHWEIZERISCH-DEUTSCHE FÜRSORGEVEREINBARUNG
Einleitend orientiert Herr Dr. Rothmund über die Vorgeschichte dieser Vereinbarung. Er führt dabei namentlich folgendes aus:
Die Frage der Unterstützung der gegenseitigen Staatsangehörigen wurde schon im Völkerbund sehr intensiv besprochen. Damals standen sich zwei Gruppen von Staaten gegenüber: die Auswanderungsstaaten, die Unterstützung ihrer Angehörigen im fremden Staat ohne Kostenersatz verlangten, und die Einwanderungsstaaten, die an der Kostenrückerstattung festhalten wollten. Die Schweiz, die sowohl Ein- wie Auswanderungsstaat war und eine gut entwickelte Fürsorge kennt, stand immer auf dem Standpunkt, dass nur eine Lösung mit Kostenersatz durch den Heimatstaat möglich sei. Sie konnte umso deutlicher auftreten, als sie im Jahre 1931 mit Frankreich ein Abkommen abgeschlossen hatte3, das erstmals das Wohl des Unterstützungspflichtigen in den Vordergrund stellte und die Interessen der unterstützungspflichtigen Gemeinwesen etwas in den Hintergrund gedrängt hatte. Die anerkannt fortschrittliche und menschliche Lösung verschaffte ihr eine gute Stellung bei den weiteren Verhandlungen der Expertenkomitees in Genf. Sie fand dabei vor allem auch die Unterstützung der Vereinigten Staaten von Nordamerika.
Im Verhältnis zu Deutschland waren die Fürsorgebeziehungen ausschliesslich durch Art. 6 des Niederlassungsvertrages geregelt4. Gestützt darauf hat sich dann in der Fürsorge die Übung entwickelt, dass von der Heimschaffung abgesehen wurde, wenn der Heimatstaat vollen Kostenersatz leistete. Im Laufe der Jahre wurde wiederholt die Frage des Abschlusses eines eigentlichen Fürsorgevertrages aufgeworfen. Anlässlich von Verhandlungen über fremdenpolizeiliche und arbeitsmarktliche Fragen im Jahre 1927 in München und dann vor allem 1933 in Berlin wurde die Frage besprochen5. Deutschland konnte sich damals aber nicht entschliessen, das was übungsgemäss galt, vertraglich festzulegen.
Nach dem Zusammenbruch Deutschlands ermächtigte der Bundesrat, wie aus der Botschaft6 hervorgeht, die Deutsche Interessenvertretung, den Kantonen aus den gesperrten deutschen Mitteln die Kosten der Unterstützung deutscher Staatsangehöriger zu vergüten und gutzusprechen7. Im Herbst 1951 machte der Leiter der Deutschen Interessenvertretung8 darauf aufmerksam, dass die Mittel nur noch für ungefähr 1 Jahr ausreichten und dass bis zum Herbst 1952 mit Deutschland eine neue Regelung gesucht werden müsste9.
Der Zeitpunkt schien zweckmässig, mit der Bundesrepublik in Vertragsverhandlungen über die Fürsorgebeziehungen einzutreten. Vorerst wandten wir uns an die Kantone, wobei wir ihnen in einem Kreisschreiben vor allem die Situation Deutschlands auseinandersetzten10. Wir erwähnten, dass Sondierungen ergeben hätten, die Bundesrepublik sehe grosse Schwierigkeiten, die beträchtlichen Beträge für die Unterstützung der Deutschen in der Schweiz aufzubringen. Wir wünschten zu wissen, wie sich die Kantone zu dem Problem stellen würden, allenfalls etwas an die Unterstützung der Deutschen in der Schweiz beitragen zu müssen. Die Antworten der Kantone lauteten im allgemeinen negativ, obschon sie die Schwierigkeiten nicht verkannten, die einer Lösung entgegenstanden. Im allgemeinen hielten sie eine Beteiligung aus schweizerischen Mitteln nur für möglich, wenn der Bund zahlt oder zum mindesten einen wesentlichen Teil davon übernimmt.
Wir liessen die Deutschen wissen, dass wir Verhandlungen auf einer ähnlichen Basis wie das schweizerisch-französische Abkommen11 führen möchten, währenddem die Deutschen eine im Europarat ausgearbeitete Konvention schickten, die von ganz andern Grundsätzen ausgeht, vor allem jeden Kostenersatz durch den Heimatstaat ablehnt nach einer gewissen Wohndauer des Hilfsbedürftigen.
Inzwischen hatten wir uns auch noch über den Wirtschaftsverkehr erkundigt und erfahren, dass die Schweiz Deutschland in diesem Jahr für über 400 Millionen SFr. Waren abgenommen hat. Die Fühlungnahme mit dem Präsidenten12 und Vizepräsidenten der Schweizerischen Armendirektorenkonferenz13 und deren ersten Mitarbeitern bestätigten uns in unsern Absichten, wie der Weg zu einer Lösung gesucht werden müsste.
In Luzern fand dann ein erster Meinungsaustausch mit der deutschen Delegation statt14. Während vier ausgedehnten Sitzungen versuchten wir den Deutschen zu erklären, was das Fürsorgewesen in der Schweiz bedeutet. Die öffentlichen Gemeinden, da oder dort auch religiöse Gemeinschaften sind Träger des Unterstützungswesens. Wir können nicht durch einen Vertrag am grünen Tisch mit einer Tradition brechen, die bei uns eingewurzelt ist und die intimste Sphäre des Gemeinwesens mit den Einwohnern berührt. Die Deutschen insistierten jedoch und glaubten uns weis machen zu müssen, dass sich die kleine Schweiz nicht einer Regelung entziehen könne, die der Europarat ausgearbeitet habe. Wir mussten immer deutlicher werden und vor allem auf die rund 60’000 Deutschlandschweizer hinweisen, die in die Schweiz haben zurückkehren und nun hier unterstützt werden müssen. Schliesslich konnten wir auch den ungeheuren Druck während des nationalsozialistischen Regimes, der auf der Schweiz gelastet hat, nicht unerwähnt lassen und mussten der deutschen Delegation vor Augen führen, dass nicht ausgerechnet in diesem Augenblick von der Schweiz höhere Leistungen verlangt werden könnten, als sie früher habe übernehmen müssen.
Dieser Hinweis und die Herbeiziehung des Deutschen Gesandten bewirkten dann eine Umstellung des deutschen Delegationschefs. Er liess sich nun zu einer Kompromisslösung herbei. Er erklärte sich bereit, dahin zu wirken, dass der deutsche Bund einen Zuschuss zu den Länderfürsorgebeiträgen gebe, unter der Voraussetzung allerdings, dass wir unsererseits die der Deutschen Interessenvertretung noch zur Verfügung stehenden Mittel freigeben würden. Nachdem wir noch abgelehnt hatten, dass die Zentralstelle, die diese Mittel zu verwenden hätte, eine schweizerische sein könne, widersetzten wir uns dieser Lösung nicht, betonten aber nochmals mit aller Deutlichkeit, dass wir nicht nach Bonn fahren würden, wenn von deutscher Seite das Prinzip des Kostenersatzes nicht anerkannt werde15. In der Niederschrift legten wir in 5 Punkten fest, in welcher Richtung die Vertragsverhandlungen gehen müssten16.
In Bonn wurde erneut versucht, bei der Besprechung einer Bestimmung durch ein Hintertürchen wiederum das Prinzip des Kostenersatzes zu durchlöchern. Schliesslich gelang es aber, eine saubere und klare Lösung zu finden. Das Resultat, das erreicht worden ist, darf sich bestimmt sehen lassen. Wir hatten dann übrigens Gelegenheit, im September bei den Verhandlungen über die Verwaltungsvereinbarung in Freiburg i. Br. auch mit den deutschen Ländervertretern Fühlung zu nehmen, von denen wir einen guten Eindruck erhalten haben.
Die pièce de résistance der Vereinbarung ist der Art. 5. Im Gegensatz zum schweizerisch-französischen Abkommen liegt der letzte Entscheid über die Heimschaffung nicht beim Aufenthaltsstaat. In der schweizerisch-deutschen Vereinbarung sollen sich die beiden Staaten verständigen, welche Lösung im Interesse des Hilfsbedürftigen die richtige sei. Wenn sie sich nicht einigen können, entscheidet die in der Vereinbarung vorgesehene Schiedsinstanz. Die Lösung entspricht u. E. den gegenseitigen Bedürfnissen.
Der Pferdefuss dieser Vereinbarung ist Art. 11, Abs. 2. Wir hatten in Bonn eine undenkliche Mühe, in diesem Absatz das Wort Verlängerung hereinzubringen. Es zeigte sich hier, dass die deutsche Delegation hoffte, nach Ablauf der vorliegenden Vereinbarung uns doch zu einer andern Lösung veranlassen zu können. Wir gaben am Schluss der Verhandlungen nochmals deutlich zu verstehen, dass auch in Zukunft ein Abkommen nur auf der Grundlage des gegenseitigen Kostenersatzes basieren könne. Durch eine entsprechende Erklärung unterstützte uns auch der Vertreter der Schweizerischen Gesandtschaft in Bonn, Herr Legationsrat Rebsamen17. Umso überraschter waren wir, als wir dann feststellen mussten, dass in der deutschen Botschaft an das Parlament zu Art. 11, Abs. 2 wiederum eine Bemerkung stand, wonach man hofft, dass dannzumal eine Regelung möglich sei, dass nach langdauernder Anwesenheit eines Hilfsbedürftigen im Aufenthaltsstaat nicht nur von der Heimschaffung, sondern auch vom Kostenersatz absehen werden könne. Das zeigt, dass man unsere Versicherungen, dass wir auf eine solche Lösung nicht eintreten könnten, ganz offensichtlich nicht so ernst genommen hat. Wir möchten deshalb sehr bitten, wenn bei der Besprechung dieser Vereinbarung im Ständerat der Herr Referent einen deutlichen Hinweis machen würde, dass auch eine Verlängerung des Abkommens von diesem Grundsatz aus gehen müsste.
In der Eintretensdebatte erklärte Herr Ständerat v. Moos, dass das Abkommen materiell eine sehr erfreuliche Lösung bringe, der er sehr gerne zustimme. Dagegen möchte er die Frage aufwerfen, woraus der Bund seine Kompetenz ableite, einen Staatsvertrag abzuschliessen in einer Materie, die verfassungsmässig den Kantonen zustehe18.
Herr Dr. Rothmund wies darauf hin, dass wir vor der Aufnahme der Verhandlungen mit sämtlichen Kantonen schriftlich Fühlung genommen hätten. Ferner hätten wir die Probleme mit dem Präsidenten und Vizepräsidenten der Armendirektorenkonferenz ebenfalls vor Aufnahme der Verhandlungen besprochen, und schliesslich seien der Vizepräsident der Armendirektorenkonferenz sowie zwei besonders qualifizierte Sekretäre der Fürsorgedepartemente der Kantone Mitglieder der Delegation gewesen19. Vor allem aber sage die Vereinbarung im Grunde genommen ja nichts anderes, als der Niederlassungsvertrag von 1909 in seinem Art. 6 festgehalten habe. Jedenfalls müssten die Kantone heute nicht grössere Leistungen übernehmen, als das nach dem Niederlassungsvertrag der Fall gewesen sei.
Herr StänderatKlöti gab sich mit dieser Antwort nicht zufrieden und ersuchte, die Frage noch näher zu prüfen.
Herr BundesratPetitpierre wies auf Art. 1020 der Bundesverfassung hin, der dem Bund die Kompetenz gibt zum Abschluss von Staatsverträgen.
Die Kommission beschloss, gemäss Vorschlag von Herrn BundesratPetitpierre, die Justizabteilung um ein kurzes Gutachten in dieser verfassungsrechtlichen Frage zu ersuchen21. Herr Dr. Rothmund übernahm es, mit der Justizabteilung deswegen Fühlung zu nehmen. Das Exposé, das auf Wunsch der Kommissionsmitglieder ausdrücklich kurz sein soll, wird den einzelnen Herren vor der Behandlung dieses Geschäftes noch zugestellt werden. Eine weitere Sitzung wegen dieses Geschäftes wird nicht vorgesehen, es sei denn, dass aus dem Kreise der Mitglieder das noch gewünscht würde.
- 1
- Diese Notiz wurde von M. Jaccard verfasst.↩
- 2
- (Kopie): E 4800.1(-)1967/111/2.↩
- 3
- Vgl. die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Genehmigung des Fürsorgeabkommens zwischen der Schweiz und Frankreich vom 9. September 1931 (vom 12. März 1932), BBl, 1932, Bd. 84, I, S. 585–600.↩
- 4
- Es handelt sich um den schweizerisch-deutschen Niederlassungsvertrag vom 13. November 1909.↩
- 5
- Vgl. die Niederschrift des Ergebnisses der schweizerisch-deutschen Verhandlungen in Berlin über Fragen des Arbeitsmarktes und der Fremdenpolizei (vom 4. Mai 1933). Nicht abgedruckt.↩
- 6
- Vgl. die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Genehmigung der Vereinbarung zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland über die Fürsorge für Hilfsbedürftige (vom 22. September 1952), BBl, 1952, Bd. 104, III, S. 85–99.↩
- 7
- Vgl. DDS, Bd. 15, Dok. 441, dodis.ch/48045.↩
- 9
- Vgl. DDS, Bd. 19, Dok. 4, dodis.ch/9489.↩
- 10
- Vgl. Nr. 4, Anm. 3, in diesem Band.↩
- 11
- Vgl. Anm. 2.↩
- 13
- J. Heusser.↩
- 14
- Die Verhandlungen fanden vom 13. bis 17. Mai 1952 in Luzern statt. Vgl. die Verhandlungen mit einer deutschen Delegation über die Neuregelung der Fürsorge zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland vom 13.–17. Mai 1952 in Luzern. Bericht der schweizerischen Delegation vom 24. Mai 1952. Nicht abgedruckt.↩
- 15
- Zu den Verhandlungen zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland und der getroffenen Vereinbarung vom 14. Juli 1952 vgl. den Antrag des EJPD an den Bundesrat vom 19. Juli 1952. Nicht abgedruckt. Der Antrag wurde am 23. Juli als Präsidialverfügung genehmigt und an der Sitzung des Bundesrates vom 16. August nachträglich gebilligt. Vgl. BR-Prot. Nr. 1317 vom 23. Juli 1952, E 1004.1(-)-/1/544.↩
- 16
- Nicht abgedruckt.↩
- 17
- Vgl. das Schreiben von A. Rebsamen an H. Rothmund vom 10. Juni 1952. Nicht abgedruckt.↩
- 18
- Vgl. auch Sten. Bull. SR, 1952, S. 319–323. Der Ständerat hat die schweizerisch-deutsche Vereinbarung über die Fürsorge für Hilfsbedürftige am 2. Dezember, der Nationalrat am 9. Dezember 1952 genehmigt.↩
- 19
- H. Schoch und H. Albisser.↩
- 20
- Absatz 1 lautet: Der amtliche Verkehr zwischen Kantonen und auswärtigen Staatsregierungen, sowie ihren Stellvertretern, findet durch die Vermittlung des Bundesrates statt.↩
- 21
- Vgl. das Gutachten der Justizabteilung vom 27. November 1952, E 4001(D)1973/125/21↩
Tags
Bundesrepublik Deutschland (Wirtschaft)
Frankreich (Wirtschaft) Aussenpolitische Kommission des Ständerates Parlament