Classement thématique série 1848–1945:
IV. RÉFUGIÉS, IMMIGRATION, POLICE DES ÉTRANGERS
IV.1 LA SUISSE ET L'IMMIGRATION JUIVE
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 12, doc. 357
volume linkBern 1994
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E4300B#1969/78#2* | |
Old classification | CH-BAR E 4300(B)1969/78 1 | |
Dossier title | Deutschland, Visumspflicht und Visumsaufhebung (101-531) (1938–1939) | |
File reference archive | B.06.12.2 |
dodis.ch/46617 Le Chef de la Division de Police du Département de Justice et de Police, H. Rothmund, au Président de la Confédération, J. Baumann1
In seiner Sitzung vom 28. März 19382 hat der Bundesrat auf Antrag unseres Departements beschlossen, für die Einreise von Inhabern österreichischer Reisepässe werde das konsularische Visum wieder eingeführt. In Ziffer 5 seines Beschlusses verfügte er, die von unserem Departement zu erlassenden Weisungen sollten die Zuständigkeit für die Erteilung des Visums derart regeln, dass der normale Verkehr von Deutsch-Österreichern nach der Schweiz möglichst wenig behindert werde. Ferner verfügte er in Ziffer 7, unser Departement prüfe im Einvernehmen mit dem Politischen Departement die Massnahmen, die zu ergreifen seien auf den Zeitpunkt des Ersatzes des österreichischen Passes durch den deutschen, und stelle dem Bundesrat rechtzeitig Antrag. Unser Departement hat am 29. März 1938 ein Kreisschreiben3 an die Schweizerischen Gesandtschaften und Konsulate und an die Polizeidirektionen der Kantone gerichtet, mit dem es ihnen die Instruktionen im Sinne des Bundesratsbeschlusses erteilte. Die Behörden im Ausland und im Inland wurden insbesondere aufgefordert, grösste Vorsicht walten zu lassen bei der Erteilung von Bewilligungen. Nachdem uns bekannt geworden war, dass vor der Wiedereinführung des Visums auf den österreichischen Pässen eine grosse Zahl von Flüchtlingen aus Deutsch-Österreich eingereist war (3-4000), erliess unser Departement ein neues Kreisschreiben4 an die Polizeidirektionen der Kantone, in dem es sie aufforderte, für die möglichst rasche Weiterreise dieser Ausländer besorgt zu sein.
Zunächst, in den Monaten April und Mai, war die Zahl derer, denen durch die deutschen Behörden in Wien Pässe ausgestellt wurden, noch verhältnismässig gering. Im Laufe des Monats Juni haben wir durch Emigranten erfahren und durch unser Generalkonsulat in Wien bestätigt erhalten, dass in den Pässen regelmässig ein Ausreisevermerk und eine Rückreisegarantie eingestempelt sind, dass aber der Inhaber des Passes, sofern er missliebig ist, also alle Juden, eine Erklärung unterschreiben muss, worin er sich verpflichtet, sich nie mehr auf deutschem Boden zu zeigen. Für den Widerhandlungsfall wird mit dem Konzentrationslager oder mit ändern Strafen gedroht. Ich habe am 22. Juni, anlässlich eines Mittagessens, Herrn Legationsrat von Bibra von der Deutschen Gesandtschaft auf das Unkorrekte eines solchen Vorgehens aufmerksam gemacht.
Im Laufe des Monats Juli begannen die Einreisen von Flüchtlingen aus Deutsch-Österreich ohne das vorgeschriebene Visum, vielfach auch ohne Pass, zwischen den Grenzposten. Zunächst wurden Fälle gemeldet aus Graubünden von Flüchtlingen, die über die Berge und die Pässe auf Schweizergebiet herübergekommen waren. Dann erfolgten die Eintritte über das schwer übersehbare Liechtensteinisch-deutsche Grenzgebiet, das bekanntlich vom schweizerischen Zoll überwacht wird. Auch rheinabwärts im Rheintal wurden Fälle festgestellt, sodann in Kreuzlingen, Diessenhofen, im Kanton Schaffhausen bei Ramsen, an anderen Stellen, und endlich in Basel von Lörrach her. Nachdem festgestellt worden war, dass die deutschen Grenzbeamten bei den illegalen Grenzübertritten systematisch mitwirkten, und der deutsche Gesandte am 3. August bei mir eine Besprechung über die Konferenz von Evian nachgesucht hatte, habe ich ihm in Ihrem Einverständnis und nach Fühlungnahme mit Herrn Minister Bonna die Situation auseinandergesetzt. Der Inhalt der Besprechung ist in der beigehefteten Notiz niedergelegt5.
Als ich vergangenen Samstag, den 6. August, zur Besprechung der Flüchtlingsfragen auf der kantonalen Polizeidirektion in Zürich weilte, wurde mir dort mitgeteilt, es schienen weitere Flüchtlinge über die Ostgrenze hereinzukommen. Ich fragte den Grenzpolizeichef in Buchs, Wachtmeister Gabathuler, telephonisch an und erfuhr folgendes: Juden aus Wien mit einer Fahrkarte bis Bregenz würden in Feldkirch gezwungen, ein Bahnbillett bis Buchs zu lösen, und nach dort auf die Bahn gesetzt. Deshalb sei der Wachtmeister am Freitag, den 5. August, zum stellvertretenden Chef der deutschen Passkontrolle in Feldkirch gefahren und hätte ihm Vorhalte gemacht. Er sei aber ausgelacht worden. Ich forderte ihn auf, am Samstag Nachmittag nochmals hinzufahren und zu sagen, er habe Auftrag aus Bern, zu verlangen, dass das Vorgehen abgestellt werde. Gleichzeitig telephonierte ich Herrn von Bibra nach Bern, beschwerte mich über das Verhalten der Passkontrolle in Feldkirch und erklärte ihm, wenn Wachtmeister Gabathuler am Samstag Abend mit dem gleichen Bericht zurückkehre, den er am Freitag gebracht habe, so würde ich dafür sorgen, dass die Grenze gesperrt werde. Herr von Bibra verstand die Berechtigung der Reklamation und setzte sich, wie er mir am Montag telephonisch bekanntgab, mit Feldkirch in Verbindung. Gabathuler erhielt am Samstag den Bescheid, die Sache werde abgestellt. Nachdem mir der Chef der kantonalen Fremdenpolizei in Basel, Herr Merz, am Freitag, den 5. August, mitgeteilt hatte, eine telephonische Reklamation beim Bezirksamt in Lörrach habe die Erklärung gezeitigt, es würden keine Grenzpassierscheine mehr ausgestellt an Flüchtlinge aus Deutsch-Österreich, solche würden überhaupt nicht mehr in die Schweiz geschickt, sondern nach Wien zurückgewiesen, rief er mich Montag, den 8. August, wieder an und teilte mir mit, Samstag Abend und Sonntag seien wiederum 47 Flüchtlinge auf verbotenem Wege von Lörrach her nach Basel gekommen. Die Grosszahl von ihnen habe erklärt, sie seien durch die Gestapo an die Grenze geführt und hinübergewiesen worden. Am Dienstag erfuhr ich, dass vergangenen Freitag Abend in Kreuzlingen zwei Flüchtlinge eingetroffen seien, denen in Konstanz die Pässe, die Effekten und das Geld abgenommen worden seien. Sie erhielten Grenzpassierscheine mit der unter Drohungen erteilten Weisung, beim Grenzübertritt zu erklären, dass sie im Grenzgebiet wohnhaft seien. Am Dienstag trafen im Rheintal, via Liechtenstein und Diepoldsau, 15, am Mittwoch 2 Flüchtlinge ein.
Nach Fühlungnahme mit Herrn Minister Bonna berichtete ich Ihnen gestern mündlich über den neuen Stand der Angelegenheit, worauf Sie mir die Weisung erteilten, den deutschen Gesandten noch einmal anzurufen, ihn über die neuen Vorfälle aufzuklären und ihm mitzuteilen, Sie hätten mich beauftragt, einen Bericht auszuarbeiten für den Bundesrat, den Sie mit der Sache befassen wollten. Eine Notiz über dieses Telephon liegt bei6.
Es dürften sich schätzungsweise ungefähr 1000 illegal in die Schweiz eingereiste Flüchtlinge bei uns aufhalten. Dazu sind bis heute täglich neue gekommen. Die Weiterreise nach dem Westen ist nur in kleinen Gruppen und in Einzelfällen möglich. Wenn die illegale Einreise aus Deutschland nicht gestoppt werden kann, kommen wir in eine Situation, der wir nicht mehr gewachsen sind. Wir haben zwar heute in Ihrem Einverständnis ein Kreisschreiben7 an die Grenzpolizeiposten der schweizerisch-deutschen Grenze gerichtet, worin wir sie anweisen, wenigstens die sich direkt bei ihnen meldenden Flüchtlinge zurückzuweisen und der deutschen Passbehörde zu übergeben. Basel hat heute mitgeteilt, sie würden neu Eintreffende mit dem Polizeiwagen nach Lörrach schaffen und sie dort der deutschen Polizei übergeben. Das ist heute mit 4 Personen geschehen, die sich nicht dagegen gewehrt haben und von der deutschen Polizei anstandslos abgenommen wurden. Flüchtlinge, die sich gegen die Überstellung wehren unter der Vorgabe, dass sie vor der Ausreise mit scharfen Strafen, besonders mit dem Konzentrationslager, bedroht worden seien für den Fall, dass sie wieder auf deutschem Boden befunden würden, wurden bis heute keine nach Deutschland überstellt. Wo in einzelnen Fällen eine solche Absicht bestand, habe ich bei der in Frage kommenden kantonalen Instanz interveniert und die Überstellung verhindert. Deutschland ist wohl nach dem Niederlassungsvertrag uns gegenüber verpflichtet, seine Angehörigen wieder zurückzunehmen. Nach allem, was mir aber bis jetzt über die unmenschliche, ausgeklügelt grausame Behandlung der Juden in Deutsch-Österreich zu Ohren gekommen ist, glaubte ich es nicht verantworten zu können, die Flüchtlinge ihren Peinigern wieder auszuliefern. Herr Prodolliet, der vom Politischen Departement auf den 1. April nach Bregenz delegiert wurde, um an der dortigen Konsularagentur den Passdienst zu besorgen, war am 29. Juli bei mir und hat mir Bericht erstattet. Er hat zahlreiche jüdische Flüchtlinge aus Wien, die bei ihm das Visum nach der Schweiz nachsuchten, sorgfältig und eingehend einvernommen und hat dabei festgestellt, dass die Schikanen, die Verfolgungen, die Strafen und die ausgesuchten Greueltaten, sowie die Drohungen mit solchen keine Hassmärchen sein können, sondern leider Gottes durchaus den Tatsachen entsprechen. Ich habe mir schon die Überlegung durch den Kopf gehen lassen, ob wir nicht trotzdem die ganzen illegal in die Schweiz eingereisten Flüchtlinge nicht Deutschland wieder übergeben sollten. Sie könnten wohl nicht alle in Gefängnisse und Konzentrationslager gesteckt oder hingemacht werden; Deutschland würde vielleicht dadurch gezwungen werden, einzusehen, dass es sie leben lassen und behalten muss, bis eine legale Auswanderung, zusammen mit dem Londoner Komitee, möglich sein würde. Wir können aber dies Wagnis nicht unternehmen, weil wir uns sonst teilhaftig machen würden an der Schande, die über das ganze deutsche Volk kommt. Auch würde ein solches Vorgehen in allen zivilisierten Ländern die grösste Entrüstung gegen die Schweiz auslösen. So kann ich mit einem solchen Vorschlag nicht vor Sie hintreten. Wie Sie weiter unten sehen werden, hilft uns übrigens die schweizerische Judenschaft unter grossen Opfern, der Lage Herr zu werden. Aber Eines ist sicher: Wir können nicht noch mehr illegale Zureisen zulassen. Es kann auch niemand von uns verlangen, dass wir mehr tun, als in unserem Vermögen steht.
Was können wir tun, um weitere Zureisen zu verhindern? Unsere Grenze ist so schwer zu bewachen, dass selbst eine zahlenmässig sehr erhebliche Verstärkung unseres Grenzwachtkorps zahlreiche illegale Einreisen nicht verhüten könnte. Zudem kostet ein Grenzwachtbeamter 5000 Franken im Jahr. Es bleibt uns deshalb nur eines: Wir müssen Deutschland um jeden Preis dazu bringen, dass es die illegale Ausreise vollständig abstoppt. Die deutsche Regierung kann es, wenn sie will. Tut sie es nicht, so ist dies ein ausgesprochen unfreundlicher Akt gegenüber der Schweiz, um nicht mehr zu sagen. Ich hoffe, die sicherlich vom deutschen Gesandten in Berlin energisch unternommenen Schritte werden zum Ziele führen. Ich glaube aber doch, dass es nötig ist, dass sich der Bundesrat mit der Frage befasst und seinerseits noch einen Schritt unternehmen lässt bei der deutschen Regierung.
Sollte alles nichts nützen, so bleibt uns meines Erachtens nichts anderes übrig, als Unfreundlichkeit mit Unfreundlichkeit zu beantworten. Ich bin mir durchaus bewusst, dass wir jeden Anlass vermeiden sollten, um im Verkehr mit Deutschland neue Spannungen zu schaffen. Die Polizeiabteilung hat denn auch, inklusive die Fremdenpolizei, in allen ihren Geschäften, die sie mit Deutschland in Berührung führen und die oft recht heikel sind, bisher in gutem Einvernehmen gearbeitet. Hier stehen wir aber vor der Verletzung grosser schweizerischer Interessen durch bewusste, gegen diese gerichtete Handlungen deutscher Beamter. Wir müssen deshalb meines Erachtens alle Schritte unternehmen, die geeignet sind, diese Verletzungen ein für allemal abzustellen. Direkte Gegenmassnahmen stehen uns nicht zur Verfügung, wenn wir uns nicht mit Recht der selben Unmenschlichkeit zeihen lassen wollen wie wir das, zusammen mit allen ändern zivilisierten Ländern, Deutschland gegenüber leider tun müssen.
Als Erstes könnten wir den kleinen Grenzverkehr stoppen, dies aber nur soweit, als nicht schweizerische Interessen dadurch verletzt werden. Deutsche Arbeiter, die in schweizerischen Fabriken arbeiten, können wir nicht an der Einreise verhindern. Auch müssten wir zuerst prüfen, wieviele Schweizer geschädigt würden, wenn sie nicht mehr im kleinen Grenzverkehr nach Deutschland reisen könnten. Ein anderes Mittel wäre die Verweigerung der Erteilung von Einreisevisa an Deutsch-Österreicher, die nicht Flüchtlinge sind. Wie ich von unserem Generalkonsul in Wien, Herrn Legationsrat von Burg, gestern erfahren habe, werden aber vom 15. August an Nichtflüchtlinge in Deutsch-Österreich deutsche Passformulare ausgestellt, über die Frage, ob dies auch Flüchtlingen, d. h. Juden gegenüber der Fall sein wird, werde noch heftig diskutiert; der Entscheid sei in einigen Tagen zu erwarten. Herr von Burg wird ihn sofort telephonisch übermitteln. Der Inhaber des deutschen Reisepasses benötigt aber kein Visum zur Einreise in die Schweiz. Sollten den Flüchtlingen keine deutschen Pässe ausgestellt werden, sondern weiterhin österreichische Passformulare oder ein besonderes Papier, so hätten wir visumstechnisch keine Veranlassung, das Visum auch auf den deutschen Pass einzuführen. Wenn aber auch den Flüchtlingen der deutsche Reisepass ausgestellt wird, so müssen wir ganz allgemein für Reisende mit diesem Pass das Visum wieder einführen, genau wie der Bundesrat für den österreichischen Pass es am 28. März dieses Jahres beschlossen hat. Diese Frage wird sich in einigen Tagen entscheiden. Verhütet könnte dies nur werden, wenn sich Deutschland verpflichten würde, Emigranten keinen Pass zur Ausreise nach der Schweiz zu erteilen, ohne sich vorher vergewissert zu haben, dass sie mit unserer Zustimmung bei uns aufgenommen werden können, und wenn diese Verpflichtung so weit gehen würde, dass illegale Ausreisen von Deutschland nach der Schweiz durch die deutschen Behörden verhütet würden. Wir können aber nicht in langdauernde Verhandlungen eintreten, sondern müssten Deutschland vor das Entweder-Oder stellen. Nachdem ich heute die Meldung aus Basel erhalten habe, dass drei Emigranten aus Wien via Köln, wo sie deutsche Pässe mit dem gegenwärtigen Wohnsitz Köln erhalten haben, mittellos nach Basel eingereist sind, ist kaum zu hoffen, dass Deutschland gutwillig die Emigranten abhalten wird vor der Ausreise nach der Schweiz. Wir werden kaum um die Wiedereinführung des Passvisums auf dem deutschen Reisepass herumkommen. Diese Massnahme hätte allerdings zur Folge, dass die Passtellen aller Konsulate in Deutschland mit Personal bedeutend verstärkt werden müssten, was sich aber durch Gebühren bezahlt machen lassen würde. Eine viel schwerwiegendere Folge wäre eine weitere Belastung der eidgenössischen und der kantonalen Fremdenpolizeibehörden, die ihre eigentliche Aufgabe stören müsste. Die eidgenössische Fremdenpolizei ist durch die Emigranten heute schon am Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit angelangt. Sie müsste voraussichtlich mit Personal verstärkt werden, was wegen Platzmangels, aber auch wegen der Schwierigkeit der Einarbeitung neuer Beamter recht unerfreulich wäre. Wenn es sein muss, werden aber auch diese Schwierigkeiten überwunden.
Ich hole noch nach, dass ich am Montag, den 8. August, Herrn Minister Frölicher anlässlich seines vorübergehenden Aufenthaltes in Bern orientiert habe. Auf Wunsch von Herrn Minister Bonna habe ich ihn heute noch angerufen, um ihn über mein gestriges Telephon mit dem deutschen Gesandten zu orientieren und ihn zu ersuchen, in Berlin einen gleichlautenden Schritt zu unternehmen. Herr Frölicher hatte auf heute Abend eine Besprechung mit dem Unterstaatssekretär anberaumt und wird diese Gelegenheit benützen, um die uns interessierende Frage zur Sprache zu bringen.
Zum Schluss noch ein Wort über die Behandlung der illegalen Flüchtlinge aus Deutsch-Österreich in der Schweiz und die Praxis der Fremdenpolizei gegenüber Einreisegesuchen dieser Ausländer.
Seit 1933 stehe ich in Verbindung mit dem Präsidenten des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes, heute Herr Saly Mayer aus St. Gallen, und mit dem Präsidenten des Verbandes schweizerischer israelitischer Armenpflegen, Herrn Silvain Guggenheim in Zürich, der die offizielle jüdische Flüchtlingsstelle leitet. Die schweizerische Judenschaft hat sich seit 1933 ihrer verfolgten Religionsgenossen angenommen, hat sie unterstützt und zusammen mit der Fremdenpolizei für ihre Weiterreise gesorgt. Die genannten Stellen sorgen heute auch für die illegalen Flüchtlinge, für deren Unterkunft sie voll aufkommen und deren legale Weiterreise sie soweit wie möglich fördern. So ist es ihnen gelungen, mit französischen jüdischen Verbänden eine Abmachung zu treffen, wonach sie jeden Tag 4-6 österreichische Flüchtlinge legal von Basel nach St-Louis bringen können, von wo aus in Frankreich für sie gesorgt wird. Es wird versucht werden müssen, durch diese schweizerischen Verbände die Ausreise ihrer Schützlinge in grösserer Zahl mit möglichster Beschleunigung zu erreichen, wenn irgend möglich in andere europäische Transitländer, von wo sie ihre definitive Auswanderung vorbereiten und abwarten können. Wir haben alles Interesse, diese Bestrebungen zu unterstützen und sollten deshalb unter Darlegung des Sachverhalts mit dem Londoner Komitee in Fühlung treten. Nach der bisherigen Einstellung Deutschlands der Schweiz gegenüber besteht meines Erachtens kein Grund mehr, von diesem Komitee Distanz zu wahren. Die Schweizerische Zentralstelle für Flüchtlingshilfe befasst sich ebenfalls mit den Flüchtlingen aus Österreich. Sie wurde letzten Samstag neu konstituiert mit dem Polizeidirektor des Kantons Zürich, Herrn Regierungsrat Dr. Briner, als Präsident.
Wie mit Ihnen bereits besprochen, sollen nächste Woche die Polizeidirektionen der Kantone zu einer Konferenz nach Bern einberufen werden zur Besprechung aller Fragen über die Behandlung der Flüchtlinge. Es wird wohl nötig sein, die Flüchtlinge auf verschiedene Kantone zu verteilen, überall dahin, wo jüdische Gemeinden existieren, die sich ihrer annehmen, für Ordnung sorgen und der Fremdenpolizei gegenüber die Verantwortung übernehmen können. Die Jüdischen Organisationen sind bereit, auch diese Aufgabe zu übernehmen. Die Beschaffung der Geldmittel für den ganzen Aufenthalt und die Weiterreise der Flüchtlinge bereitet ihnen übrigens die geringere Sorge als die Frage, was mit den Leuten angefangen werden kann, solange sie in der Schweiz sind. Auch über diesen Punkt werden wir mit den Kantonen sprechen müssen. Selbstverständlich ist bei der Behandlung des ganzen Flüchtlingsproblems durch die Fremdenpolizei oberster Grundsatz, dass der Aufenthalt ausnahmslos nur ein vorübergehender sein darf und dass der Arbeitsmarkt weder indirekt noch direkt belastet wird.
Wir sind noch von einer anderen Seite bedroht: In Italien sollen sich nach einer Meldung unseres Gesandten in Rom neben 30000 deutschen noch etwa 30000 Flüchtlinge aus Österreich aufhalten. Die Zahlen dürften wohl zu hoch gegriffen sein, sie werden aber hoch genug sein, um eine Gefahr für uns darzustellen, wenn Italien die Leute etwa zu sofortiger Ausreise veranlassen wollte. Die Konsulate in Italien sind angewiesen, auf österreichischen Pässen keine Visa ohne Weisung von Bern im Einzelfall zu erteilen. Mit beiliegendem Kreisschreiben vom 6. August8 haben die Grenzpolizeiposten an der schweizerischitalienischen Grenze die Weisung erhalten, keine österreichischen Flüchtlinge ohne Visa durchzulassen.
Ich zweifle nicht daran, dass wir im Einvernehmen mit der privaten jüdischen Hilfe, mit den kantonalen Fremdenpolizeibehörden und mit dem Londoner Komitee die heute in der Schweiz weilenden legalen und besonders die illegalen Flüchtlinge ohne Schaden für unser Land auf humane Weise behandeln und legal weiterbringen können. Sollte aber der Zustrom der Illegalen weiter dauern, so sehe ich keine Möglichkeit einer ordnungsmässigen Abwicklung vor mir. Die Folge wird sein, dass Zurückschiebungen, illegale Weiterschiebungen, scharfe polizeiliche Massnahmen gegen unkontrollierte und unkontrollierbare Elemente eingreifen müssen, dass die öffentliche Meinung der Schweiz Deutschland, die schweizerischen Behörden und die Juden angreift, dass ein unwürdiger Antisemitismus in unserem Lande sich von den Fronten auf die vernünftige Bevölkerung ausdehnt, und dass wir nicht nur mit Deutschland schwere Unstimmigkeiten haben werden, sondern dass auch gefährliche Kritiken aus den zivilisierten anderen Ländern über uns herfallen werden. Es ist deshalb allerhöchste Zeit, dass Deutschland zur Vernunft gebracht wird und die illegale Zureise von Emigranten ein- für allemal verhindert.
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