Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 24, Dok. 130
volume linkZürich/Locarno/Genève 2012
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2001E#1980/83#231* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2001(E)1980/83 62 | |
Dossiertitel | Handakten Micheli und Graber (1969–1970) | |
Aktenzeichen Archiv | B.11.40.1.Uch |
dodis.ch/33710
Klotener Attentat
Am 28. Februar 1969 empfängt der Departementschef, auf entsprechende Einladung hin, in der Angelegenheit des Klotener Zwischenfalls2, einzeln die Botschafter Libanons, Israels, Jordaniens sowie den Generalkonsul Syriens.
Vorsprache des Herrn Michel Farah, Botschafter Libanons, 10.30 Uhr
Herr Bundesrat Spühler gibt von den wesentlichen Punkten der Protestnote3 Kenntnis und händigt diese dem Besucher aus. Herr Farah, der dem Departementschef während seiner Ausführungen mehrfach ins Wort fällt, erklärt, er werde seine Regierung entsprechend verständigen. Schon jetzt mache er allerdings auf die Schwere der erhobenen Anschuldigungen aufmerksam, die auf Erhebungen beruhten, von denen die Behörden in Beirut keine Kenntnis hätten. Das Ergebnis der Untersuchung stehe im übrigen im Widerspruch zu den Feststellungen seiner Regierung. Er befürchte, dass die schweizerische Demarche sich nachteilig auf die sonst so guten libanesisch-schweizerischen Beziehungen auswirken könnte.
Im Verlaufe des Gesprächs stellt der libanesische Botschafter insbesondere in Abrede – dass die «Volksfrontfür die Befreiung Palästinas» über einen libanesischen Sender die Verantwortung für den Anschlag übernommen habe. Die erste Meldung dieser Art sei vielmehr von Amman aus erfolgt. – dass die «Volksfrontfür die Befreiung Palästinas» ihren Sitz in Beirut habe;
deren Sitz befinde sich vielmehr in Amman; in Beirut existiere lediglich ein Zweigbüro wie in anderen arabischen Staaten sowie auch z. B. in Paris. – dass der Chef der Organisation in Beirut residiere.
Anderseits räumt der Botschafter ein, dass die arabischen Regierungen den verschiedenen palästinischen Befreiungsbewegungen ihre moralische Unterstützung angedeihen liessen.
Herr Bundesrat Spühler erklärt, von den Einwänden des Botschafters Kenntnis zu nehmen.
Die Unterredung dauert ca. 20 Minuten.
Vorsprache des Herrn Arye Levavi, Botschafter Israels, 11.30 Uhr
1) Herr Bundesrat Spühler bringt einleitend nochmals das Beileid des Bundesrates zum Tode Herrn Eschkols zum Ausdruck. Hierauf erläutert er die wesentlichen Punkte der für Herrn Levavi bestimmten Note4 und händigt diese aus. Herr Levavi erklärt, er werde seine Regierung über die schweizerische Demarche informieren und fügt bei:
Nach den der Botschaft zur Verfügung stehenden Informationen waren die Befugnisse des Herrn Mordechai Rachamim begrenzt. Sein amtlicher Auftrag beschränkte sich darauf, im Innern des Flugzeuges, während sich dieses in der Luft befindet, sicherzustellen, dass kein Entführungsversuch unternommen wird. Seine Handlungsweise in Kloten lag demnach ausserhalb seiner Instruktionen und erfolgte auf Grund seiner persönlichen Einschätzung der Situation, wobei, nach allem was bisher bekannt sei, ein Fall von Notwehr vorliege. Es handelt sich somit nicht um eine verbotene Amtshandlung im Sinne des schweizerischen Rechts.
Herr Bundesrat Spühler bemerkt hierzu, dass eine Verantwortung des Staates gegeben sei, auch wenn der betreffende Sicherheitsbeamte seine Instruktionen überschritten haben sollte.
2) Herr Levavi bringt hierauf folgendes zur Sprache:
In Israel wird das Zürcher Strafverfahren begreiflicherweise sehr eingehend verfolgt. Die Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte wird anerkannt. Ohne sich in irgendeiner Weise in das Verfahren einmischen zu wollen, hätten die israelischen Behörden angesichts des politischen Charakters der Angelegenheit und aus optischen Gründen den Wunsch, dass, sofern Gerichtsverhandlungen stattfinden sollten, der israelische Staatsangehörige nicht im gleichen Verfahren gemeinsam mit den arabischen Angeschuldigten abgeurteilt werde. Falls die Botschaft richtig beraten sei, sollte es vom prozessrechtlichen Standpunkte aus möglich sein, eine solche Trennung der Verfahren vorzunehmen, und bei den zuständigen richterlichen Instanzen zeichne sich bereits eine Tendenz in dieser Richtung ab. Die israelische Regierung würde es begrüssen, wenn auch die politischen Behörden einen Einfluss in dieser Hinsicht geltend machen könnten.
Herr Bundesrat Spühler nimmt von diesem Anliegen Kenntnis, weist auf das Prinzip der Gewaltentrennung hin, erklärt sich indessen bereit, den israelischen Wunsch weiterzugeben.
3) Abschliessend übergibt der israelische Botschafter Herrn Bundesrat Spühler informationshalber die beiliegende Fotokopie eines Schreibens5 der Schweizerischen Liga für Menschenrechte betr. eine dieser Organisation zugegangene anonyme Zuschrift eines Juden im Irak.
Die Unterredung dauert ca. 30 Minuten.
Vorsprache des Herrn M. Allaf, Generalkonsul Syriens in Genf, 14.45 Uhr6
(Vgl. Notiz des Herrn Natural.)7
Vorsprache des Herrn Abdel El Hamid Siraj, Botschafter Jordaniens,
18.00 Uhr
Herr Bundesrat Spühler gibt mündlich vom Inhalt der Protestnote8 Kenntnis. Er wird dabei von Anfang an häufig durch Einwände des jordanischen Botschafters unterbrochen. Dieser erklärt, die jordanische Regierung habe mit dem Zürcher Attentat nicht das Geringste zu tun. Sie sei weder direkt noch indirekt für die Attentäter, deren Ausbildung und deren Vorgehen in Zürich verantwortlich. Dies sei dem Politischen Departement bereits mit einer Note9 der jordanischen Botschaft mitgeteilt worden. Er sei nicht in der Lage, die Protestnote entgegenzunehmen, da durch deren Annahme eine Anerkennung der erhobenen ungerechtfertigten Anschuldigungen impliziert wäre. Indessen sei er bereit, seine Regierung über die heutige Aussprache zu informieren. (Der jordanische Botschafter lässt die Protestnote auf dem Tisch liegen.)
Zur Erläuterung seiner Haltung macht der jordanische Botschafter im wesentlichen folgendes geltend:
Die «Volksfrontfür die Befreiung Palästinas» sei in der Tat in Jordanien vertreten. Ihre Tätigkeit, insbesondere die Guerilla-Aktionen, entzögen sich indessen jeglicher Kontrolle der jordanischen Regierung und würden von dieser – im Gegensatz zur Haltung anderer Staaten, wie beispielsweise derjenigen Algeriens und der VAR – nicht geschätzt. Es möge sein, dass in Jordanien Ausbildungslager für Freiheitskämpfer bestünden; derartige Lager existierten aber «überall» (gemeint waren offensichtlich die übrigen arabischen Staaten), insbesondere in Syrien. Es möge auch zutreffen, dass die vier in Rede stehenden Attentäter in Jordanien ausgebildet worden seien. Für diese beiden Umstände treffe die jordanische Regierung jedoch keinerlei Verantwortung.
Israel schleuse laufend aus den von ihm besetzten Gebieten Tausende und Abertausende von Palästinensern nach Jordanien ein. Ihre Gesamtzahl belaufe sich heute auf über 2 Mio. Menschen. Diese stellten ein Potenzial dar, dem die jordanische Regierung machtlos gegenüberstehe. Jedes Eingreifen müsste unweigerlich zum Bürgerkrieg führen, eine Gefahr, der sich Jordanien angesichts der gleichzeitigen dauernden Bedrohung von Aussen nicht aussetzen könne. Die jordanische Regierung verurteile Terrorakte wie denjenigen von Kloten. Angesichts der geschilderten Situation sehe sie sich indessen nicht in der Lage und verfüge ganz einfach nicht über die notwendigen Mittel, irgendeine Kontrolle über allfällige Trainingslager palästinensischer Freiheitskämpfer auszuüben, geschweige denn eine solche Ausbildungstätigkeit zu verhindern. Wenn einzelne der Angeschuldigten mit jordanischen Pässen in die Schweiz eingereist sein sollten, so sei damit keineswegs erwiesen, dass es sich tatsächlich um jordanische Staatsangehörige handle. Es sei leider notorisch, dass die Palästinenser meist über gefälschte Ausweispapiere verfügten. Aus all diesen Gründen müsse er die gegenüber der jordanischen Regierung erhobenen Anschuldigungen bestreiten und zurückweisen. Seine Regierung sei interessiert an der Aufrechterhaltung guter Beziehungen zur neutralen Schweiz.
Die Unterredung, in welcher der jordanische Botschafter immer wieder die gleichen Argumente wiederholt, dauert 45 Minuten.
- 1
- Notiz (Kopie): E2001E#1980/83#231* (B.11.40.1.Uch).↩
- 2
- Zum Attentat von Kloten vgl. DDS, Bd. 24, Dok. 177, dodis.ch/33291, bes. Anm. 3.↩
- 3
- Vgl. die Note des Politischen Departements an die libanesische Botschaft in Bern vom 28. Februar 1969, dodis.ch/34029.↩
- 4
- Note des Politischen Departements an die israelische Botschaft in Bern vom 28. Februar 1969, E2001E#1980/83#228* (B.11.40.1).↩
- 6
- Vgl. dazu die Note des Politischen Departements an das syrische Konsulat in Genf vom 28. Februar 1969, dodis.ch/34029.↩
- 7
- Notiz von A. Natural vom 28. Februar 1969, Doss. wie Anm. 4.↩
- 8
- Note des Politischen Departements an die jordanische Botschaft in Rom vom 28. Februar 1969, dodis.ch/34029.↩
- 9
- Note der jordanischen Botschaft in Bern an das Politische Departement vom 21. Februar 1969, dodis.ch/34029.↩
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