Printed in
La Suisse et la construction du multilatéralisme. Die Schweiz und die Konstruktion des Multilateralismus, vol. 3. Documents diplomatiques suisses sur l’histoire de l’ONU. Diplomatische Dokumente der Schweiz zur Geschichte der UNO 1942–2002, vol. 15, doc. 21
volume linkBern 2022
more… |Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 23, doc. 40
volume linkZürich/Locarno/Genève 2011
more… |▼▶2 repositories
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2804#1971/2#352* | |
Old classification | CH-BAR E 2804(-)1971/2 47 | |
Dossier title | Generalsekretariat der Vereinten Nationen (1961–1965) | |
File reference archive | 08.04 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2804#1971/2#446* | |
Old classification | CH-BAR E 2804(-)1971/2 73 | |
Dossier title | Besuche von Persönlichkeiten (1960–1965) | |
File reference archive | 170.5 |
dodis.ch/31553
Notiz des Vorstehers des Politischen Departements, F. T. Wahlen1
Besprechung mit Generalsekretär U Thant vom 30. August 1964 in Genf2
Die Einladung zu einem Déjeuner tête-à-tête gab mir Gelegenheit, in einem ungefähr zweistündigen Gespräch die meisten Fragen zu besprechen, die irgendwelche Berührungspunkte zwischen den Vereinten Nationen und unserem Lande aufweisen3.
1. Obschon relativ spät während der Unterredung zur Sprache gebracht, war offenbar das Hauptanliegen U Thants die Frage, ob die Schweiz nicht in nächster Zeit ihre Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen in Aussicht nehmen könne4. Ich gab ihm eine vollständige Schilderung der innenpolitischen Lage (Notwendigkeit einer Volksabstimmung, gegenwärtig mit Sicherheit zu erwartende Ablehnung aus Gründen der Erfahrungen mit dem Völkerbund und einer weitverbreiteten Unzufriedenheit mit den politischen Arbeiten der Vereinten Nationen) und hob dabei besonders auch die Vorteile hervor, die der Völkergemeinschaft im allgemeinen und den Vereinten Nationen im besonderen durch unsere Nichtmitgliedschaft in speziellen Fällen erwachsen können5. Dagegen betonte ich, dass sich der Bundesrat positiv zu den Zielen der Vereinten Nationen einstelle und nach wie vor bereit sein werde, ihre friedenserhaltenden Missionen nach Möglichkeit zu unterstützen6, ganz abgesehen von unserer selbstverständlichen und intensiven Mitarbeit in den spezialisierten Organisationen7.
U Thant verwickelte mich dann in ein längeres Gespräch über unsere Institutionen und zeigte viel Verständnis für unsere Haltung. Dabei kam wiederum sein Wunsch zum Ausdruck, es möchte seinem Land, Burma, gelingen, sich eine ähnliche Stellung wie die Schweiz zu erobern. In bezug auf die Disponibilität für schwierige Missionen gab er u. a. zu, dass Burmas Stellungsnahme im Kaschmir-Konflikt8 in der Generalversammlung eine vermittelnde Mission, an der ihm viel liegen würde, verunmögliche.
Ich hatte das Gefühl, dass das Gespräch einen sehr positiven Ausgang nahm. Es ist sicher nicht unwichtig, wenn an der Spitze des Sekretariats das notwendige Verständnis für den Sonderfall Schweiz besteht.
2. U Thant fragte mich, ob es stimme, dass die Schweiz an der nächsten Neutralistenkonferenz9 durch einen Beobachter vertreten sein werde. Man hätte ihm das von Seiten Jugoslawiens und der Vereinigten Arabischen Republik zu verstehen gegeben. Ich erklärte, dass wir auf alle darauf hinzielenden Sondierungen negativ reagiert hätten und dass der Bundesrat nicht in der Lage sei, seine Stellungnahme zu revidieren10. U Thant scheint von der Neutralistenkonferenz u. a. eine Resolution zu erwarten, durch welche die gegenüber den Vereinten Nationen in Zahlungsrückständen befindlichen Länder aufgefordert werden sollen, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Offenbar hatte er in dieser Richtung Kontakte mit Nasser und Tito. Er möchte aber keinenfalls, dass diese Tatsache nach aussen bekannt würde.
Auf meinen Einwand, eine solche Resolution würde wahrscheinlich durch die Aktionen Tshombes im Kongo erschwert, drückte er die Hoffnung aus, dass die Konferenz von Addis Abeba mit diesen Problemen noch vor der Neutralistenkonferenz fertig werde.
3. Sehr eingehend besprachen wir dann die Welthandelskonferenz11, ihre Resultate und besonders die zu schaffenden Institutionen. U Thant war über die Absichten von Philippe de Seynes und Prebisch orientiert, das mit der Vorbehandlung der institutionellen Fragen betraute Komitee möglichst klein zu halten und als Vertreter des Westens die Schweiz (Minister Jolles) und Dänemark (Kaufmann) vorzusehen. Ich erklärte unsere bekannte negative Haltung gegenüber diesem Vorschlag und machte geltend, dass die ursprünglich von englischer Seite vorgeschlagene Kandidatur Jolles für das Präsidium der 55er Gruppe viel wichtiger sei12. Ich machte aber in aller Deutlichkeit darauf aufmerksam, dass wir uns nicht um dieses Amt bemühen, sondern uns lediglich zur Verfügung stellen13, falls es dem Wunsch einer Mehrheit der Industrieländer und der Entwicklungsländer entsprechen sollte. Ich orientierte U Thant im einzelnen über die bisherigen Sondierungen. Er war offensichtlich nicht in der Lage, mangels genauer Kenntnisse der Situation, Stellung zu beziehen.
4. Das Zypern-Problem14 wurde sehr ausführlich besprochen. Entgegen den Vermutungen in der in- und ausländischen Presse äusserte aber U Thant keinerlei den Wunsch nach Ersetzung des bisherigen Vermittlers Tuomioja durch eine schweizerische Persönlichkeit15. Nachdem gewisse Sondierungen (Chanderli) negativ verliefen, halte ich es trotzdem nicht für ausgeschlossen, dass sich die Frage im weiteren Verlauf der Krise noch stellen könnte.
5. Generalversammlung der UN.
Offenbar stellt sich die Abhaltung der Generalversammlung in Genf nicht mit der gleichen Dringlichkeit wie es noch letztes Jahr den Anschein hatte. Anlässlich seines Moskauer Besuches wurde U Thant der Vorschlag unterbreitet, die Generalversammlung 1966 in Moskau abzuhalten. Ähnliche Vorstösse wurden zugunsten Turins unternommen. In beiden Fällen ist U Thant ablehnend. Offenbar hält er dafür, dass die Frage nicht durch Verlegung einer Generalversammlung nach Genf neu aktiviert werden sollte.
6. Hinsichtlich der Finanzkrise der Vereinten Nationen äusserte U Thant gegenüber der Schweiz keinerlei Wünsche.
Die Unterhaltung über dieses Thema sowohl hinsichtlich Einstellung der UN-Überwachung wie der Wünschbarkeit der Weiterführung der Rotkreuz-Aktion deckt sich völlig mit dem Bericht unseres Beobachters17 in New York vom 28. August 196418.
8. Es wurde dann noch eine Reihe von kleineren Fragen behandelt. Was das UN-Training and Research Institute betrifft, so ist seine Errichtung durch die Möglichkeit gesichert, in nächster Nähe des UN-Gebäudes in New York ein 5stöckiges Gebäude zum Preise von $ 500’000.– durch eine Zuwendung der Rockefeller Foundation zu erwerben. Damit erweist sich die Weiterführung der Tätigkeit des Institut pour les hautes études internationales auch von diesem Gesichtspunkte der UN als erwünscht.
Über meine Mitteilung, die Schweiz werde die zur Zeit gesperrten Mittel für die Auszahlung an die UNO durch die Balzan-Stiftung19 sofort freigeben, wenn ein bezüglicher Beschluss der Stiftung «Premi» vorliege, zeigte sich U Thant sehr erfreut. Er wies aber darauf hin, dass die Verwendung dieser Mittel für die UN-Schule nicht mehr so dringlich sei. Die Ford-Foundation hat ihm einen Betrag von $ 7,5 Millionen zugesichert, um an der Nordecke der Parzelle, auf der das UN-Hauptgebäude steht, eine Schule errichten zu können.
U Thant äusserte sich von sich aus sehr positiv über die in Genf und Bern durchgeführten Kurse für Diplomaten aus Entwicklungsländern, die nach seiner Auffassung einem grossen Bedürfnis entsprechen20.
Endlich kam er auf die Wahrscheinlichkeit zu sprechen, dass sich die UN in nächster Zeit mit der Berlin-Frage zu befassen hätten. Man habe ihm – von welcher Seite wurde nicht gesagt – die Verlegung des Sitzes irgendeiner UN-Organisation nach Berlin angeraten21. Ich machte U Thant darauf aufmerksam, dass die Tendenz bestehe auf irgendeiner anderen Ebene unlösbar gewordene Probleme den Vereinten Nationen zuzuschieben, was mit der oft unlösbaren Natur dieser Probleme die Stellung der Organisation auf die Dauer erschüttern müsse. So sei beispielsweise der Verlauf der UN-Aktionen im Kongo22 und in Zypern einer der Gründe für den Pres tigeverlust der Organisation in der schweizerischen Öffentlichkeit. U Thant schien den Einwand zu begreifen. Ob er in Rücksicht auf gewisse Zusagen noch praktisch wirksam wird, ist eine andere Frage.
- 1
- Notiz: E 2804(-) 1971/2 Bd. 47 (08.04). Kopien an P. Micheli, J. Burckhardt, A. R. Lindt, M. Grässli, R. Bindschedler, A. Janner, R. Probst, E. Diez, P. R. Jolles, F. H. Andres, W. Jaeggi und E. Thalmann.↩
- 2
- F. T. Wahlen berichtete darüber im Bundesrat, vgl. das BR-Verhandlungsprot. der 60. Sitzung vom 4. September 1964, E 1003(-) 1994/26 Bd. 3, S. 2. Zu weiteren Treffen von F. T. Wahlen mit S. U Thant vgl. das BR-Verhandlungsprot. der 52. Sitzung vom 9. Juli 1965, dodis.ch/32009, S. 6–8.↩
- 3
- Zu den Beziehungen der Schweiz zur UNO vgl. DDS, Bde. 16–18, thematisches Verzeichnis: III.3. Die Schweiz und die UNO; DDS, Bde. 19–21, thematisches Verzeichnis: III.2. Die Schweiz und die UNO; DDS, Bd. 22, Dok. 36, dodis.ch/30162; Dok. 51, dodis.ch/30184; den Aufsatz von F. T. WahlenUnsere Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen vom 1. Oktober 1964, dodis.ch/31926; das Protokoll von P.-A. Ramseyer vom 9. Februar 1966, dodis.ch/32044; den Politischen Bericht Nr. 30 von B. Turrettini vom 29. April 1966, dodis.ch/31555; die Notiz von P. Micheli vom 5. Mai 1966, dodis.ch/31559; das Schreiben von R. Hartmann vom 28. Mai 1966, dodis.ch/32045 sowie die Antwort von F. T. Wahlen auf die Interpellation von K. Furgler und H. Hubacher vom 7. Oktober 1965, Sten. Bull. NR, 1965, S. 555–557.↩
- 4
- Zur Beitrittsfrage vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 132, dodis.ch/30939; den Bericht von E. Thalmann vom 12. Juni 1965, dodis.ch/31554; die Stellungnahme von L. von Moos im BR-Verhandlungsprot. der 7. Sitzung vom 24. Januar 1964, E 1003(-) 1994/26 Bd. 2: M. le Président de la Confédéra tion constate que la question de l’adhésion de la Suisse à l’ONU a un aspect objectif et un aspect subjectif. Il espère que la décision à prendre devra être prise beaucoup plus tard, par d’autres. Vgl. auch die Stellungnahme von W. Spühler im BR-Verhandlungsprot. der 67. Sitzung vom 25. Oktober 1966, dodis.ch/32026, S. 3 f.: Je suis convaincu qu’il arrivera un jour où une adhésion s’imposera, si la neutralité peut être sauvegardée. Nous devrions consacrer une séance spéciale à cet objet.↩
- 5
- Vgl. dazu auch den Vortrag von W. Spühler vor den Aussenpolitischen Kommissionen der eidg. Räte vom 16. Mai 1966, dodis.ch/31561.↩
- 6
- Vgl. dazu das BR- Prot. Nr. 124 vom 17. Januar 1964, dodis.ch/31560.↩
- 7
- Vgl. dazu das Schreiben von J. Burckhardt an E. Stadelhofer vom 14. Juni 1965, dodis.ch/31558.↩
- 8
- Zu den Konsequenzen des Kaschmir-Konflikts für die Schweiz vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 109, dodis.ch/30890.↩
- 9
- Vgl. dazu DDS, Bd. 23, Dok. 3, dodis.ch/30896 sowie Doss. E 2001(E) 1978/84 Bd. 166 (B.73.8).↩
- 10
- Vgl. dazu die Mitteilung von A. Janner an die diplomatischen Vertretungen vom 11. Juni 1964, Doss. wie Anm. 9.↩
- 11
- Zur Welthandelskonferenz vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 111, dodis.ch/31695.↩
- 12
- Zur Kandidatur von P. R. Jolles für das Präsidium der UNCTAD vgl. Doss. E 2804(-) 1971/2 Bd. 48 (08.09).↩
- 13
- Vgl. dazu die Notiz von F. T. Wahlen vom 8. Juli 1965, dodis.ch/31557.↩
- 14
- Zur UNO-Aktion in Zypern und der Frage der Beteiligung der Schweiz vgl. die Notiz von R. Bindschedler vom 18. März 1964, dodis.ch/31924; den Bericht von R. Bindschedler vom 18. März 1964, dodis.ch/31923; das Schreiben von B. von Fischer an P. Micheli vom 24. März 1964, dodis.ch/31922; das Schreiben von P. Micheli an A. Soldati vom 20. März 1964, dodis.ch/31925; das BR- Prot. Nr. 649 vom 26. März 1964, dodis.ch/31927; das BR-Verhandlungsprot. der 81. Sitzung vom 19. November 1965, dodis.ch/32005, S. 6 sowie das BR-Verhandlungsprot. der 91. Sitzung vom 28. Dezember 1965, E 1003(-) 1994/26 Bd. 3, S. 8: Herr Wahlen erinnert daran, dass die aussenpolitische Kommission sich positiv ausgesprochen hätte. Nun seien aber die Verhandlungen der UNO in New York nicht gut verlaufen. Botschafter Dr. Thalmann beantrage deshalb den Antrag noch zurückzustellen. Vgl. ferner das BR-Verhandlungsprot. der 14. Sitzung vom 1. März 1966, dodis.ch/32029.↩
- 15
- Zur Diskussion standen M. Petitpierre und P. Rüegger, vgl. das BR-Verhandlungsprot. der 22. Sitzung vom 17. März 1964, dodis.ch/31068.↩
- 16
- Zur IKRK-Aktion in Jemen vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 36, dodis.ch/31742.↩
- 17
- E. Thalmann.↩
- 18
- Vgl. den Politischen Bericht Nr. 37 vom Büro des schweizerischen Beobachters bei der UNO vom 28. August 1964, E 2300(-) 1000/716 Bd. 315 (122).↩
- 19
- Vgl. dazu das BR-Verhandlungsprot. der 15. Sitzung vom 21. Februar 1964, dodis.ch/31970 sowie das BR-Verhandlungsprot. der 16. Sitzung vom 25. Februar 1964, dodis.ch/31969, S. 3–5; das BR-Verhandlungsprot. der 10. Sitzung vom 4. Februar 1964, E 1003(-) 1994/26 Bd. 2 und das BR-Verhandlungsprot. der 87. Sitzung vom 7. Dezember 1964, E 1003(-) 1994/26 Bd. 3, S. 2 f. Zur Absetzung des Stiftungskomitees vgl. das BR-Verhandlungsprot. der 92. Sitzung vom 29. Dezember 1964, E 1003(-) 1994/26 Bd. 3, S. 6.↩
- 20
- Vgl. dazu DDS, Bd. 23, Dok. 104, dodis.ch/31614.↩
- 21
- Vgl. dazu das Schreiben von R. Hartmann an die Abteilung für Politische Angelegenheiten des Politischen Departements vom 11. September 1961, dodis.ch/30567.↩
- 22
- Vgl. dazu DDS, Bd. 21, Dok. 85, dodis.ch/15248; Dok. 86, dodis.ch/15335; Dok. 95, dodis.ch/15341; Dok. 122, dodis.ch/15397 und Dok. 128, dodis.ch/15378 sowie DDS, Bd. 22, Dok. 70, dodis.ch/30218, und Dok. 89, dodis.ch/30220.↩
Tags
Geneva's international role Non-Aligned Movement