Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 23, Dok. 114
volume linkZürich/Locarno/Genève 2011
Mehr… |▼▶2 Aufbewahrungsorte
Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E7110#1976/21#1942* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 7110(-)1976/21 151 | |
Dossiertitel | Besuch von Handelsmissionen (1965–1965) | |
Aktenzeichen Archiv | 877.3 • Zusatzkomponente: Argentinien |
Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2001E#1978/84#1889* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2001(E)1978/84 519 | |
Dossiertitel | Schweiz. Anleihen und Abkommen über die Konsolidierung kommerzieller Aussenstände (1964–1967) | |
Aktenzeichen Archiv | C.41.152.0 • Zusatzkomponente: Argentinien |
dodis.ch/31450 Notiz des Delegierten des Bundesrats für Handelsverträge, P. R. Jolles1 Ergebnis der Besprechungen mit dem argentinischen Wirtschaftsminister, Juan Carlos Pugliese, in Bern, vom 1./2. November 19652
1. Minister Pugliese erläuterte die Wirtschaftspolitik Argentiniens und die Zielsetzung des 5-Jahresplanes. Er betonte besonders, dass sich die Lage der Staatsfinanzen verbessert habe und das Budgetdefizit für das Jahr 1966 um 30% habe herabgesetzt werden können. Es betrage noch 89 Milliarden Pesos, was der Höhe des Defizits der Staatsbahnen entspreche. Die Kontrolle der defizitären Staatsbetriebe sei verschärft worden. Diese beginnende Sanierung des Staatshaushaltes ermögliche es der Regierung, von weiteren Notenemissionen abzusehen. Die entsprechende Ermächtigung des Parlaments werde nicht benützt werden. Die Regierung habe das Steuersystem verbessert und versuche, die Industrialisierung durch gezielte Steuererleichterungen auf Prioritätssektoren zu stimulieren. Die Produktionskapazität sei jedoch auch heute noch um ca. 20% unausgeschöpft. Der Entwicklungsplan trachte danach, eine jährliche Produktionssteigerung von 5–6% zu erzielen. Im Vordergrund stehe eine massive Erhöhung der Stahlerzeugung und der Elektrizitätsversorgung. In diesem Zusammenhang komme dem Chocon-Projekt3 besondere Bedeutung zu.
2. Minister Pulgiese hat die Konsolidierungsaktion4 nur indirekt erwähnt, indem er auf die Schwierigkeiten, die sich aus der ungünstigen Struktur der Aussenverschuldung ergäben, hinwies. Er erwähnte das Konsolidierungsbegehren für 1966 mit keinem Wort. Auch sah er realistischerweise davon ab, neue Kreditbegehren zu stellen.
3. Fall Italo-Argentina 5. Pugliese unterstrich, dass ihm an einer endgültigen und befriedigenden Regelung dieses Falles sehr gelegen sei. Er gab zu, dass die Äusserungen des Energiesekretariats den Kredit der Italo in ungerechtfertigter Weise geschädigt hätten6 und der durch das Verschulden von Funktionären der Regierung entstandene Eindruck korrigiert werden müsse. Aus diesem Grund sei die Regierung bereit, die Staatsgarantie zu gewähren, obschon die rechtliche Verpflichtung, die sich aus dem Konzessionsvertrag ergebe, umstritten sei. Er bemühte sich, den Eindruck einer Zurücksetzung der CIAE gegenüber der SEGBA, der sich aus seinem Schreiben vom 15. Oktober7 ergibt, mit folgender Erklärung zu zerstreuen:
Der SEGBA werde lediglich die Priorität für das vor dem Abschluss stehende Darlehen der Weltbank eingeräumt. Sobald jedoch die Verhandlungen zwischen CIAE und SEGBA zu einem koordinierten Erweiterungsprogramm geführt hätten, würde für dieses Ausbauprogramm in seiner Gesamtheit die Staatsgarantie gewährt, gleichgültig welche Gesellschaft die einzelnen Etappen durchführe.
Pugliese erklärte, dass die Verhandlungen zwischen SEGBA und CIAE nach rein technischen Gesichtspunkten geführt würden. Das Ergebnis könne entweder in der Empfehlung bestehen, dass die SEGBA die CIAE kaufe oder dass die Netze der beiden Gesellschaften unter Wahrung der Unabhängigkeit der CIAE zusammengelegt würden. Er selber gebe dieser zweiten Lösung den Vorzug, da es wirtschaftlich wenig sinnvoll sei, dass der devisenarme argentinische Staat ein gut funktionierendes Unternehmen aufkaufe.
Im übrigen betonte er nochmals, dass CIAE und SEGBA gleich behandelt würden; wenn sich mit Bezug auf die Tariferhöhungen bei der Formulierung der Genehmigungsdekrete Unterschiede ergeben hätten, so beruhten diese Unterschiede auf der Verschiedenartigkeit der entsprechenden Klauseln in den beiden Konzessionsverträgen.
Wir haben von den Erklärungen Puglieses mit Befriedigung Kenntnis genommen und darauf hingewiesen, dass die Suspendierung der Ausbauarbeiten der CIAE bereits in seinem Brief vom 15. Juni8 zugesagt worden und somit nicht nur auf die Dauer der Verhandlungen zwischen CIAE und SEGBA beschränkt sei. Pugliese bestätigte im übrigen erneut, dass die Rechtsgültigkeit des Konzessionsvertrages der CIAE von der Regierung in keiner Weise bestritten werde. Er habe zur Sicherheit seinen Brief an die Italo vom 15. Oktober vorgängig vom Energiesekretariat visieren lassen, sodass dieses durch dessen Inhalt ebenfalls als gebunden betrachtet werden könne.
4. Fall Suizargel 9. Minister Pugliese betonte, dass der argentinischen Regierung an einer raschen Liquidation dieses Falles ebenfalls sehr gelegen sei. Die bei der Bezeichnung des dritten Schiedsrichters eingetretenen Verzögerungen könnten nicht einzig der Regierung zur Last gelegt werden; die Aktionäre hätten ihrerseits verlangt, dass eine Liste von 10 Kandidaten aufgestellt werde. Aus dieser Liste sei nun der Präsident der Börse10 im gegenseitigen Einvernehmen ausgewählt worden, dessen Zustimmung zur Übernahme des Mandates bereits vorliege. Der Anwalt des Schatzamtes habe das Ernennungsverfahren ebenfalls gutgeheissen, sodass lediglich noch das Ernennungsdekret vom Präsidenten11 unterzeichnet werden müsse, eine Formalität, die höchstens 10 bis 14 Tage erfordern werde.
Schweizerischerseits wurde betont, dass nach Einsetzung des Schiedsgerichts jede weitere Verzögerung bei der Bestimmung des Entschädigungsbetrages und der Überweisung vermieden werden müsse12.
5. Pharmasektor13. Minister Pugliese wies darauf hin, dass ein Frontalangriff gegen das umstrittene Dekret 3042 nicht zum Erfolg führen werde, weil die Regierung nicht gewillt sei, unter Druck der Privatwirtschaft14 dieses Dekret zu widerrufen. Publizistische Angriffe gegen die Politik der Regierung würden nur zu einer Verhärtung der Haltung des Gesundheitsministers15 führen. Es sei jedoch durchaus möglich, im Rahmen des Dekretes durch entsprechende Interpretationen eine Lösung zu finden, die den legitimen ausländischen Interessen Rechnung tragen werde. Als legitime Ansprüche anerkannte Pugliese das Begehren auf volle Berücksichtigung der Lizenzzahlungen und der Verzinsung der den Tochtergesellschaften von ihren Mutterhäusern gewährten Kredite. Pugliese anerbot seine guten Dienste, um die Vertreter der ausländischen und der inländischen Industrie zu einer Aussprache mit dem Gesundheitsminister zusammenzuführen. Herr Junod werde Ende November nach Buenos Aires reisen, und er werde ihm dann bei seiner Unterredung mit Onativia behilflich sein.
Wir versuchten, von Minister Pugliese die Zusicherung zu erhalten, dass in der Zwischenzeit die umstrittenen Formulare nicht eingereicht zu werden brauchen. Pugliese erklärte sich ausserstande, eine derartige Zu sicherung abzugeben, weil er nicht zugunsten einer ausländischen Gruppe eine Ausnahme von einer gesetzlichen Verpflichtung, die auch die nationale Industrie betreffe, zugestehen könne. Er erwähnte jedoch, dass die Fristen für die Einreichung der Formulare mehrmals erstreckt worden seien, dass sich die schweizerische Industrie im Verzug befinde, dass die Regierung jedoch keinerlei Sanktionen ergriffen hätte und man es somit bei diesem Status quo bewenden lassen könne.
Wichtig war ferner sein Hinweis, dass die Preise nicht durch Regierungsdekret herabgesetzt würden. Eine Anpassung an die wirtschaftlichen Begebenheiten durch Preiserhöhungen könne jedoch erst dann stattfinden, wenn die interessierten Kreise die nötigen Unterlagen eingereicht hätten. Dies könne sofort geschehen, indem die Formulare mit den von den Firmen als nötig erachteten zusätzlichen Angaben eingereicht würden. Die Weigerung der Gesellschaften, die Formulare einzureichen, schädige diese selbst, weil dadurch die Preiserhöhungen hinausgeschoben würden.
Im übrigen erklärte er, dass die zulässige Gewinnmarge nicht für ein einzelnes Produkt, sondern für das gesamte Assortiment eines einzelnen Laboratoriums festgesetzt werden soll. Die Fixierung eines Höchstpreises sei vor allem auch deshalb erforderlich, um einheitliche Preise für ganz Argen tinien zu erhalten. Durch die von den Apotheken in Buenos Aires gewähr ten Rabatte sei eine eigentliche Preisanarchie entstanden. Im übrigen habe die Regierung den Pharma-Unternehmungen abgeraten, die von den Gewerkschaften geforderte 35%ige Lohnerhöhung zuzugestehen; nach Auffassung der Regierung hätte eine Lohnanpassung von 25% ge nügt. Das zusätzliche Entgegenkommen der Industrie zeige, dass die Ge winn marge gross genug sei, um derartig massive Erhöhungen absorbieren zu können.
Wir wiesen unserseits auf die Notwendigkeit einer raschen Regelung dieses Problems im Interesse der Verbesserung des Investitionsklimas hin und legten anhand der uns von der SGCI zur Verfügung gestellten Zahlen dar, dass im laufenden Jahr die schweizerischen Tochtergesellschaften einen Verlust von 8% erleiden.
Minister Pugliese erklärte, auch mit der amerikanischen und der deutschen Industrie (Bayer) in Verbindung zu stehen und deren Vertreter ebenfalls zu Besprechungen nach Buenos Aires eingeladen zu haben.
6. Versicherungen16. Schweizerischerseits wurde einmal mehr die Diskriminierung der ausländischen Versicherungsgesellschaften beanstandet und eine Regelung im Interesse einer konstruktiven Zusammenarbeit der Versicherungsgesellschaften der Industriestaaten mit denjenigen der Entwicklungsländer bei der Durchführung der UNCTAD-Programme hingewiesen. Minister Pugliese erwiderte, dass das argentinische Gesetz der Regierung keine Möglichkeit zu einer Abänderung der gegenwärtigen Praxis einräume. Die der amerikanischen Transportversicherung gewährte Ausnahmebehandlung beruhe auf einer Abmachung im Rahmen der Allianz für den Fortschritt17.
7. Investitionsgesuch der Firma Suchard18. Dieses Problem wurde Herrn Minister Tettamanti kurz in Erinnerung gerufen, der versprach, den Fall nach seiner Rückkehr nach Argentinien abzuklären.
8. In einer allgemeinen Aussprache über Welthandelsprobleme bestätigte die argentinische Delegation19 ihre Opposition gegen jede Form von reziproken regionalen Nord/Süd-Präferenzen. An der argentinischen Haltung, gemäss welcher vor Jahrzehnten der amerikanische Vorschlag einer Zollunion abgelehnt worden sei, habe sich nichts geändert. Die argentinische Ausfuhr sei zwar bisher durch das Einfuhrregime der EWG nicht behindert worden; langfristig hegten die Argentinier jedoch grösste Bedenken.
Schweizerischerseits stellte man eine völlige Übereinstimmung der Auffassungen mit Bezug auf die Wünschbarkeit der Vermeidung einer weiteren Aufspaltung des Welthandels fest und legte dar, weshalb Argentinien als fortgeschrittenes Entwicklungsland ein grösseres Interesse an einem allgemeinen Zollabbau auf Meistbegünstigungsbasis als an zeitlich befristeten Präferenzen haben sollte20.
- 1
- Notiz: E 2001(E) 1978/84 Bd. 519 (C.41.152). Kopien an H. Schaffner, E. Stopper, P. Micheli, H. Homberger, M. Redli, B. Müller, O. Morand, A. Geiser, F. Rothenbühler, an die schweizerischen Botschaften in Buenos Aires, Washington und in Paris sowie an H. Hofer, H. U. Greiner, E. H. Léchot und H. Aebli.↩
- 2
- Für den weiteren Verlauf der Diskussionen bilateraler Angelegenheiten, bes. zu E. Stoppers Argentinienbesuch vom 5.–12. August 1966 vgl. das Schreiben von O. Seifert an P. Micheli vom 19. August 1966, dodis.ch/31488 und die Berichte von E. Stopper vom 25. August 1966, dodis.ch/31493 und vom 25. August 1966, dodis.ch/31490.↩
- 3
- Das Chocon Projekt ist ein Projekt der Weltbank.↩
- 4
- Zum Konsolidierungsabkommen zwischen der Schweiz und Argentinien vgl. das Schreiben von O. Seifert an E. Stopper vom 19. Februar 1965, dodis.ch/31479; die Notizen von H. Hofer vom 11. Mai 1965, dodis.ch/31480 und vom 21. Mai 1965, dodis.ch/31481; das BR-Prot. Nr. 1054 vom 14. Juni 1965, dodis.ch/31483; das Schreiben von J. Ruedi an E. Stopper vom 30. Juni 1965, dodis.ch/31484 sowie das BR-Prot. Nr. 1358 vom 15. Juli 1966, dodis.ch/31487.↩
- 5
- Zur Compañia Italo-Argentina de Electricidad vgl. DDS, Bd. 15, Dok. 16, dodis.ch/47620; DDS, Bd. 16, Dok. 108, dodis.ch/1703; DDS, Bd. 19, Dok. 76, dodis.ch/9066, und Dok. 105, dodis.ch/9070; DDS, Bd. 20, Dok. 12, dodis.ch/11134, Anm. 5 sowie DDS, Bd. 21, Dok. 1, dodis.ch/14947; Dok. 80, dodis.ch/14897; Dok. 145, dodis.ch/14893 sowie das Schreiben von E. Stopper an C. García Tudero vom 4. Juni 1965, dodis.ch/31482.↩
- 6
- Vgl. dazu z. B. das Schreiben von O. Seifert an E. Stopper vom 27. November 1964, dodis.ch/31473.↩
- 7
- Schreiben von J. C. Pugliese an A. Zamboni vom 15. Oktober 1965, E 2001(E) 1978/84 Bd. 520 (C.41.157).↩
- 8
- Schreiben von C. García Tudero an P. R. Jolles vom 15. Juni 1965, Doss. wie Anm. 7.↩
- 9
- Vgl. dazu Doss. wie Anm. 7.↩
- 10
- L. Baudizzone.↩
- 11
- A. U. Illia.↩
- 12
- Zum weiteren Verlauf der Ernennung des dritten Schiedsrichters im Fall Suizargel vgl. das Schreiben von E. Stopper an O. Seifert vom 16. Dezember 1965, E 2001(E) 1978/84 Bd. 519 (C.41.152).↩
- 13
- Zu den staatlich beschlossenen Preisreduktionen und Lohnerhöhungen in der Pharmaindustrie vgl. z. B. Doss. E 7110(-) 1976/21 Bd. 150 (867.3).↩
- 14
- Für eine Zusammenstellung der Demarchen der Association des fabricants suisses de produits chimiques pharmaceutiques vgl. den Bericht von E. Junod an P. R. Jolles vom 6. Dezember 1965, Doss. wie Anm. 13.↩
- 15
- A. Oñativia.↩
- 16
- Zu einer weiteren Erörterung der Frage der Diskriminierungen der Versicherungsgesellschaften mit der argentinischen Wirtschaftsmission vgl. die Notiz von M. Grossmann an das Politische Departement vom 3. November 1966, dodis.ch/31475 sowie Doss. E 2001(E) 1978/84 Bd. 521 (C.41.237) und E 7110(-) 1976/21 Bd. 150 (869.1).↩
- 17
- Handschriftliche Marginalie von A. Geiser: M. Schürpf Ass. cie. concess. informé en conséquence. tél. 4. 11. / GE.↩
- 18
- Vgl. dazu die Notiz von H. Hofer vom 11. Mai 1965, dodis.ch/31480, S. 4.↩
- 19
- Die argentinische Delegation setzte sich zusammen aus: J. C. Pugliese, A. Illia, L. H. Tettamanti, G. Martinez, F. Lerena, Z. Ceballos, H. Urtubey und E. Carrier.↩