Beschlagnahme des Werkes von Léon Degrelle «La Cohue de 1940». Reise dieses belgischen Nazis in die Schweiz und Darlegung der gegen die nationalsozialistische und extremistische Propaganda getroffenen Massnahmen.
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Documents Diplomatiques Suisses, vol. 18, doc. 46
volume linkZürich/Locarno/Genève 2001
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Ancienne cote | CH-BAR E 2001(E)1967/113 353 |
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dodis.ch/7302
BUNDESRAT
Beschlussprotokoll der Sitzung vom 9. Juni 19501
LÉON DEGRELLE «LA COHUE DE 1940». EINZIEHUNG2
Beschlussprotokoll der Sitzung vom 9. Juni 19501
I. Mit Antrag vom 18. Februar 1950 berichtete das Justiz- und Polizeidepartement wie folgt: «I.
1. Der Presse war vor kurzem zu entnehmen, dass in der Schweiz ein Buch von Léon Degrelle unter dem Titel ‹La Cohue de 1940› erschienen sei4.
Die Erkundigungen der Bundesanwaltschaft ergaben, dass dieses Buch tatsächlich im Verlag des Robert Crausaz in Lausanne erschienen ist.
a) Über den Verfasser des Buches, Léon Degrelle, ist bekannt, dass er Führer der belgischen Rexistenbewegung war, welche in den Vorkriegs- und noch während der Kriegsjahre in Belgien eine beachtliche politische Rolle spielte5. Die Rexistenbewegung war ideologisch mit dem Nationalsozialismus verbunden, ähnlich wie bei uns die verschiedenen ‹Fronten›, welche verboten und aufgelöst wurden. Degrelle hielt sich nach dem Krieg einige Zeit in Spanien auf. Am 24. August 1946 teilte die spanische Regierung der belgischen Botschaft in Madrid mit, dass er Spanien verlassen habe. Die Bundesanwaltschaft erhielt zu dieser Zeit verschiedene Meldungen, wonach Degrelle beabsichtige, nach der Schweiz zu fliehen6. Da eine Asylgewährung für Degrelle zum vornherein nicht in Frage kam, wurde er im Fahndungsblatt der Bundespolizei vom 27. August 1946 zur Festnahme ausgeschrieben. Die schweizerischen Gesandtschaften in Rom, Lissabon und Kairo sowie die Konsulate in Algier und Tunis wurden angewiesen, Degrelle kein Einreisevisum zu erteilen.
Degrelle war Kommandant der SS-Freiwilligen Brigade ‹Wallonien›, die 1944 gegen Russland kämpfte. Der Zeitung ‹LaSuisse› vom 12. Oktober 1947 war zu entnehmen, dass der Vater Degrelle’s vom Militärgericht Liège wegen seiner Haltung während der deutschen Besetzung zu 10 Jahren Haft und 250’000 Fr. Busse verurteilt wurde. Das ‹BernerTagblatt› vom 6. Juli 1945 teilte mit, dass sich Degrelle in Argentinien aufhalte, wo er sich in einer SS-Uniform photographieren liess und erklärt haben soll, seine frühere Tätigkeit in keiner Weise zu bedauern.
Degrelle wurde am 27. Dezember 1944 vom ‹Conseil de guerre de Bruxelles› in contumaciam zum Tode durch Erschiessen verurteilt.
b) Für den Inhalt des Buches ‹La Cohue en 1940› kann auf die Beilage verwiesen werden7.
Es handelt sich um ein Memoirenwerk, in welchem die vielgestaltigen Schicksale Belgiens in den Jahren 1939–1945 behandelt werden. Mit der Schweiz befasst sich Degrelle auf Seite 188, wobei er sich beklagt, dass seine Frau an die Grenze gestellt worden und daraufhin in Belgien zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt worden sei. (Davon ist der Bundesanwaltschaft, der Flüchtlingssektion und der Fremdenpolizei nichts bekannt.) Demgegenüber hätte die Schweiz dem verkappten Nazi und Kollaborationisten de Man8 Asyl gewährt, während der Schriftsteller Jean Paquis ausgewiesen wurde und daraufhin in Paris füsiliert worden sei (S. 188).
Degrelle befasst sich eingehend mit der Persönlichkeit des Königs Leopold III.9, mit dem er in regem Kontakt stund und der bei wichtigen Entschlüssen die Ansicht Degrelle’s kennen wollte. Degrelle bezeichnet den König als ‹têtu, neurasténique au naturel, qui recourait volontiers à d’obscures manœuvres›. Immerhin anerkennt Degrelle, dass der König das Beste wollte, aber der Situation nicht gewachsen war. Trotzdem betrachtet Degrelle Leopold III. als Repräsentanten der nationalen Idee, zu dem er aufblickt und den er nicht beleidigen will.
Sehr scharf ist die Stellungnahme des Verfassers gegen die Mitglieder der belgischen Regierung in den Jahren 1939–1940, insbesondere gegen Pierlot, Janson und Spaak, die er der rücksichtslosen Kollaboration mit den Deutschen und sogar des Verrates bezichtigt. (Janson veranlasste die Inhaftnahme Degrelle’s am 15. Mai 1940.) Degrelle wurde dann nach Frankreich gebracht, wo er durch Intervention des Marschalls Pétain gerettet wurde.
Degrelle kannte Hitler schon seit dem Jahre 1936. Anlässlich eines kurzen Aufenthaltes in Berlin wurde er Hitler durch Ribbentrop vorgestellt. Degrelle versuchte im Jahre 1940 eine Begegnung zwischen dem König und Hitler herbeizuführen, welche aber wegen des schlechten Gesundheitszustandes des Königs zunächst unterblieben sei. (Später erfolgte dann doch ein Besuch des Königs in Berchtesgaden.) Degrelle war in ständigem Kontakt mit den Deutschen und hatte besonders nahe Beziehungen zum deutschen Botschafter in Paris, Otto Abetz.
Degrelle war überzeugter Kollaborationist, weil er der Meinung war, dass HitlerBelgien wohlgesinnt gewesen sei. Degrelle bekundet eine überschwengliche Begeisterung für Hitler, den er als grossen Staatsmann bezeichnet. In den Augen Degrelle’s ist Hitler nicht nur Deutscher, sondern der grosse Europäer. Die Begeisterung für Hitler war der Beweggrund für die Bildung der SS-Freiwilligen Brigade ‹Wallonien› und einer internationalen Legion zum Kampf gegen Russland und den Kommunismus.
2. Die von der Bundesanwaltschaft durchgeführten Erhebungen ergaben folgendes:
a) In den Einvernahmen vom 30. Januar und 3. Februar 1950 erklärte der Verleger CrausazRobert, geb. 15. 3. 1926 in Zürich, von Bavois (Vaud), wohnhaft in Lausanne, dass er das Manuskript Degrelle’s vom vormaligen Direktor der ‹Editions du cheval ailé› in Genf, Constant Bourquin, erhalten habe. Bourquin habe erklärt, dass er das Manuskript erfolglos verschiedenen Verlegern angeboten habe. Crausaz hätte den Druck und die Herausgabe der Schrift aus eigener Initiative und auf eigenes Risiko übernommen. Er sei dabei weder von Ausländern beeinflusst worden, noch hätte er finanzielle Zuwendungen von dritter Seite erhalten.
Mit dem Druck habe er die ‹Imprimerie de la plaine du Rhône SA› in Aigle beauftragt, weil sein Vater dort Leiter der Druckerei sei. Politische Absichten hätte er mit der Herausgabe des Buches nicht bezweckt. Crausaz erklärt, dass er lediglich aus geschäftlichen Gründen den Verlag übernommen habe. Nach seiner Ansicht sei der Inhalt des Buches, in Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich um die Memoiren eines aktiven Politikers handle, nicht zu beanstanden. Die Ausdrucksweise und die Angriffe gegen andere Politiker gingen nicht über das übliche Mass derartiger Schriften hinaus. Crausaz machte geltend, dass er ohne weiteres auch politische Schriften der Gegner des Degrelle in Verlag nehmen würde, wenn ein solches Angebot vorläge.
Das Manuskript habe er nach erfolgter Drucklegung wieder Herrn Bourquin zurückgesandt.
Das Buch sollte in einer Auflage von 6000 Exemplaren herausgegeben werden. Die ganze Auflage ist jedoch noch nicht fertiggestellt. Vorläufig beschlagnahmt wurden 2597 Expl., zum Teil noch nicht broschiert.
An Hand der Belege konnte festgestellt werden, dass nach Belgien 869, nach Holland 308 und nach Frankreich 3 Expl. exportiert wurden. Eine weitere belgische Bestellung von 1516 Expl. konnte noch nicht ausgeführt werden.
In der Schweiz wurden 478 Expl. an Buchhandlungen und 20 Expl. an die Presse versandt. Von den ungefähr 70 Buchhandlungen erhielt ca. die Hälfte nur 1 bis 3 Expl. Die folgenden Buchhandlungen erhielten 10 und mehr Exemplare:
[...]10
b) Bourquin, der Vermittler des Manuskriptes Degrelle’s, ist Schweizer und kam im Sommer 1927 von Frankreich (Paris) nach Genf. In Frankreich ist er wegen Herausgabe ungedeckter Schecks vorbestraft. In den Jahren 1926 und 1928 war er in Konkurs. Durch ministeriellen Erlass vom 23. November 1937 ist Bourquin aus Frankreich ausgewiesen.
Die von ihm geleitete Firma ‹Editions du cheval ailé› in Genf, soll sich wegen Überschuldung in Liquidation befinden. Seit einigen Monaten befinde sich Bourquin in Sevilla. Den Wohnsitz in Genf habe er aufgegeben.
Der heutige Verwalter der ‹Editions du cheval ailé›, Herr Nicolet, erklärt, dass er nie im Besitze des Manuskriptes war.
3. Aufgrund von Art. 1 des Bundesratsbeschlusses vom 29. Dezember 1948 betreffend staatsgefährliches Progagandamaterial11 hat die Bundesanwaltschaft die beim Verleger und Drucker gefundenen Bücher vorläufig beschlagnahmt. Ebenso wurde der Drucksatz in der Druckerei versiegelt. Einem Gesuch des Druckers entsprechend, hat die Bundesanwaltschaft eingewilligt, dass der Satz unter polizeilicher Kontrolle eingeschmolzen wird, damit das Material zu anderen Zwecken weiter verwendet werden kann.
Die provisorische Beschlagnahme der Bundesanwaltschaft erfolgte, um den Vollzug der mit vorliegenden Bericht beantragten Einziehung durch den Bundesrat sicherzustellen.II.
1. In Art. 1, Abs. 1, des Bundesratsbeschlusses vom 29. Dezember 1948 betreffend staatsgefährliches Propagandamaterial wird die Bundesanwaltschaft beauftragt, Propagandamaterial, das geeignet ist, die innere oder äussere Sicherheit der Eidgenossenschaft, insbesondere die Beziehungen zu ausländischen Staaten, die politischen, namentlich demokratischen Einrichtungen der Schweiz zu gefährden, zu beschlagnahmen.
Gemäss Abs. 2 des Artikels entscheidet der Bundesrat über die Einziehung.
2. a) Das Buch Degrelle’s ist ein sog. Memoirenwerk, das vor allem bezweckt, die politische Haltung des Verfassers zu erklären. Das tut er einerseits durch die Rechtfertigung des Nationalsozialismus, dessen hauptsächliche Träger, wie z. B. Hitler, er verherrlicht und andererseits durch Verunglimpfung oder Beleidigung seiner politischen Gegner, insbesondere von Mitgliedern der belgischen Regierung in den Jahren 1939/40.
An Memoirenwerke wird man im allgemeinen keine allzugrossen Anforderungen in Bezug auf Objektivität und historische Wahrheit stellen. Ein Mangel in dieser Hinsicht würde auch nicht die Beschlagnahme auf Grund des Bundesratsbeschlusses vom 29. Dezember 1948 rechtfertigen, denn nicht jede unwahre oder subjektiv gefärbte Betrachtung ist geeignet, unsere Landessicherheit zu gefährden. Verschiedene Ausländer, die in der Schweiz Asyl fanden, konnten ihre Memoiren in unserem Lande herausgeben, wie z. B. de Man12, Bonnet13 und Alfieri14. Allerdings taten sie es zum Teil ohne Bewilligung, aber trotzdem wurden die Schriften selbst nicht beschlagnahmt, weil ihr Inhalt nicht geeignet war, unsere Landessicherheit irgendwie zu gefährden. Dagegen kamen andere Sanktionen in Frage. Alle diese Schriften stehen zudem auf höherem Niveau und sie lehnen insbesondere die nationalsozialistische oder faschistische Diktatur ab. Bei Degrelle’s Buch handelt es sich jedoch um eine Rechtfertigung und Verherrlichung des Nationalsozialismus durch den Nationalsozialisten. Degrelle ist überzeugter Nazi.
Hier stellt sich nun die Frage, wie weit das zugelassen werden kann.
Zunächst könnte man den Standpunkt vertreten, dass eine Gefährdung der demokratischen Einrichtungen der Schweiz nur dann in Frage käme, wenn der Verherrlichung Hitlers im Buche Degrelle’s eine derart propagandistische Bedeutung zukäme, dass sie geeignet wäre, in der Schweiz nationalsozialistische Tendenzen irgendwie zu fördern. Eine solche Wirkung ist kaum anzunehmen. Demgegenüber stellen wir jedoch folgende Erwägungen allgemeiner Natur:
Der Nationalsozialismus brachte unser Land in schwere Gefahr. Das Schweizervolk musste grosse Opfer auf sich nehmen, um seine Selbständigkeit und Freiheit zu behaupten und sich im Innern der nationalsozialistischen Zersetzungsversuche zu erwehren. Gerade gegen die nationalsozialistische Propaganda führten unsere militärischen und zivilen Stellen im Interesse der innern Sicherheit unseres Landes einen kontinuierlichen Kampf. Dieser Kampf wurde unterstützt von der überwältigenden Mehrheit unseres Volkes und seiner Presse, weil sehr wohl erkannt wurde, was durch geschichtliche Beispiele belegt ist, dass sich diese Propaganda in der letzten Zielsetzung immer gegen die Selbständigkeit der Eidgenossenschaft und ihre demokratische Staatsform richtete. Was aber damals im Interesse der innern Sicherheit als richtig erkannt wurde, ist es heute noch. Einen andern Standpunkt könnte man einnehmen, wenn der Nationalsozialismus endgültig der Geschichte angehören würde. Das ist aber noch keineswegs der Fall. Gegenteils mahnt die Entwicklung in Deutschland in dieser Hinsicht zur Wachsamkeit. Solange aber der Nationalsozialismus lebt, bleibt auch die Bedrohung gegenüber unserem Lande. Wenn auch das Mass dieser Bedrohung im Vergleich zu den Vorkriegs- und den Kriegsjahren heute als gering erscheint, so kann sich doch morgen wiederholen, was gestern war. Deshalb heisst es, den Anfängen zu wehren, nämlich jedem Aufflackern nationalsozialistischer Propaganda in unserem Lande, weil sie sich in der Zielsetzung immer gegen unsere Landessicherheit, insbesondere auch gegen die demokratischen Einrichtungen der Eidgenossenschaft richtet.
In zweiter Linie ist zu beachten, dass die Schrift Degrelle’s auch Beleidigungen gegen fremde Politiker und Staatsmänner enthält. Die noch heute amtierenden belgischen Minister Spaak und Devèse werden als Verräter bezeichnet. Insofern ist der Tatbestand der Beleidigung eines fremden Staats gemäss Art. 296 StGB erfüllt. Damit wird aber auch das Interesse unseres Landes verletzt, das wir an guten Beziehungen zu andern Staaten haben; das Strafgesetzbuch schützt sie gegen Angriffe im 16. Titel seines zweiten Buches, ‹Störung der Beziehungen zum Ausland› (vergl. Hafter: Schweiz. Strafrecht, besonderer Teil, 2. Hälfte, S. 762). In der von der belgischen Gesandtschaft dem Politischen Departement überreichten Note vom 30. Januar 1950 wird u. a. gesagt: ‹Cet ouvrage contient des accusations calomineuses et injurieuses contre la plupart des hommes politiques belges›.
Jede Störung der Beziehungen zum Ausland schliesst deren Gefährdung im Sinne von Art. 1 des erwähnten Bundesratsbeschlusses in sich. Damit ist aber eine weitere Voraussetzung zur Beschlagnahme auf Grund des Bundesratsbeschlusses vom 29. Dezember 1948 gegeben.
b) Neben dem Inhalt der Schrift ist auch deren Verfasser, im vorliegenden Fall die Persönlichkeit Degrelle’s in Betracht zu ziehen. Es fragt sich, ob es jedem Ausländer gestattet sein soll, in unserem Lande eine Propaganda zu entfalten.
Es gibt Ausländer, die auf unserem Boden überhaupt nichts zu suchen haben. Das betrifft in erster Linie die prominenten Nationalsozialisten. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass wir z. B. Hitler – wenn er noch lebte – nie gestatten würden, seine Memoiren auf Schweizerboden herauszugeben, in denen er seine Haltung rechtfertigen wollte. Das wäre eine Provokation des Schweizervolkes, die es sich nicht gefallen lassen würde. Träger des nationalsozialistischen Gedankens und der Kollaboration mit den Nazis war in BelgienDegrelle. Er verriet zudem sein Vaterland an das nationalsozialistische Deutschland, welches Belgien überfiel und besetzte. Diese Tat und der Versuch, sie heute durch Verherrlichung Hitlers und seines Systems rechtfertigen zu wollen, lassen Degrelle vor allem auch vom schweizerischen Standpunkt als unwürdig erscheinen. In diesem Zusammenhang darf man sich wohl daran erinnern, mit welch grosser Entrüstung die überwältigende Mehrheit des Schweizervolkes den Überfall der nationalsozialistischen Armeen auf Belgien und Holland im Jahre 1940 zur Kenntnis nahm.
Als Ganzes genommen, ist das Buch Degrelle’s die Rechtfertigung der politischen Haltung eines Verräters.
Ein Ausländer, der – wie Degrelle – wegen seiner persönlichen Unwürdigkeit nie Aufnahme in unserem Land finden würde, hat bei uns keine Propaganda in irgend einer Form zu treiben, durch die ein diktatorisches und antidemokratisches Regime, das unsere Landessicherheit in höchstem Masse gefährdete, verherrlicht wird.
c) in einer Eingabe des Verlegers des Buches von Degrelle, Robert Crausaz in Lausanne, vom 7. Februar 1950 an den Vorsteher des eidg. Justiz- und Polizeidepartementes15, wird um Freigabe des von der Bundesanwaltschaft vorläufig beschlagnahmten Buches ersucht. Crausaz macht geltend,
dass die Beschlagnahme im Widerspruch zum Recht auf freie Meinungsäusserung stehe;
Art. 296 StGB nicht anwendbar sei, da es sich um ein geschichtliches Werk handle;
die Schrift enthalte keine Beleidigung des Königs Leopold III. Die Angriffe gegen belgische Politiker, von denen nur noch Devèse belgischer Minister sei, wären zwar übertrieben, seien aber polemischer Natur;
auch de Man, Alfieri etc. hätten in der Schweiz Memoiren veröffentlichen dürfen; insbesondere wäre auch die Schrift Kravtchenkos16 in der Schweiz erschienen, in welcher die Regierung eines fremden Staates stark angegriffen worden sei;
Crausaz erklärt, ‹de ne pas suivre Degrelle dans l’amour incorrigible et enfantin qu’il porte encore aujourd’hui aux idées totalitaires, style fascisme et nazisme›;
endlich macht der Verleger auf den finanziellen Schaden aufmerksam, der sich für ihn aus der Einziehung des Buches ergeben würde und seinen Ruin zur Folge hätte.
Da sich die Beantwortung auf die vorstehenden Einwände zur Hauptsache bereits aus den obigen allgemeinen Ausführungen ergibt, braucht nur noch kurz darauf eingetreten zu werden:
Die freie Meinungsäusserung ist – wie alle andern subjektiven Freiheitsrechte – begrenzt durch das staatliche Interesse (vgl. Burckhardt: Kommentar zur BV, S. 526).
Der Tatbestand von Art. 296 StGB ist objektiv erfüllt, indem zwei amtierende belgische Minister, Spaak und Devèse (nicht nur letzterer) des Verrats beschuldigt werden. Dieser Gesichtspunkt steht jedoch nicht im Vordergrund, weil im vorliegenden Fall die Frage über Beschlagnahme und Einziehung nicht in erster Linie in strafrechtlicher Hinsicht zu stellen ist, sondern sich vor allem aus der Unzulässigkeit nationalsozialistischer Propaganda beantwortet.
Die Memoiren de Man’s, Alfieri’s etc. liegen nicht auf der Ebene derjenigen Degrelle’s. Erstere entfalten keine antidemokratische Propaganda.
Das schweizerische Bundesstaatsrecht kennt keine Ersatzpflicht für den Schaden, der sich aus rechtmässigen Massnahmen der Behörden ergibt. Im Einzelfall wurde allerdings dem Geschädigten ex aequo et bono ein Teil des Schadens ersetzt, der sich aus einer Beschlagnahme ergab, wenn der Geschädigte nachweisen konnte, dass er alle Sorgfalt, wie Erkundigungen über die Zulässigkeit bei zuständigen Stellen, anwandte. Crausaz wusste aber, dass vor ihm schweizerische Verleger die Übernahme des Buches von Degrelle ablehnten. Der Vermittler des Manuskriptes, Herr Bourquin – der selbst wenig vertrauenswürdig ist – hat ihn darauf aufmerksam gemacht. Das hätte Crausaz zu besonderer Vorsicht veranlassen sollen: dies um so mehr, als er heute selbst zugesteht, Degrelle sei ‹dans l’amour incorrigible et enfantin qu’il porte encore aujourd’hui aux idées totalitaires›.
Der Hinweis des Crausaz auf das Erscheinen des Buches von Kravtchenko: ‹Ich wählte die Freiheit›, gibt zu folgender Bemerkung Anlass:
Das eidg. Politische Departement befürchtet – wie sich aus einer Besprechung zwischen den Herren Minister Dr. Zehnder und Legationsrat Dr. Cuttat einerseits und den Herren Bundesanwalt Prof. Dr. Lüthi und Adjunkt Dr. Dick anderseits ergab – dass im Falle der Einziehung des Buches von Degrelle ausländische Vertretungen gleiche Massnahmen für Druckschriften verlangen könnten, in denen ihre Regierungen angegriffen oder beleidigt werden. Diese Befürchtung wäre in der Tat berechtigt, wenn die Einziehung des Buches von Degrelle aus aussenpolitischen Gründen, wegen Gefährdung der äussern Sicherheit erfolgen würde. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Einziehung wird deshalb beantragt, weil das Buch nationalsozialistische Propaganda enthält. Diese Propaganda richtet sich – wie die gemachten Erfahrungen zur Genüge zeigten – gegen die innere Sicherheit unseres Landes, weil sie – offen oder versteckt, bewusst oder unbewusst – auf die innere Zersetzung hinzielt und insbesondere darauf gerichtet ist, die demokratischen Grundlagen der Eidgenossenschaft zu unterhöhlen. Deshalb können wir, solange die nationalsozialistische Gefahr nicht erloschen ist, keine derartige Propaganda durch Ausländer in unserem Lande dulden. Die Bundesanwaltschaft hat denn auch ihre Erhebungen wegen des Erscheinens des Buches von Degrelle eingeleitet, bevor die belgische Gesandtschaft dem Politischen Departement die oben erwähnte Note überreichte17. Das Erscheinen des Buches von Degrelle könnte Schule machen. Es könnten sich weitere Verleger finden, die aus geschäftlichen oder anderen Gründen, Werke dubioser Ausländer veröffentlichen wollten, welche gegen schweizerisches Gedankengut und gegen unsere demokratischen Auffassungen gerichtet sind. Man kann sich freilich fragen, ob wirklich von einer Gefährdung die Rede sein könne. Herr a. Oberrichter Bäschlin, der als Zensor beigezogen worden ist, kam zu folgendem Schluss:
‹Eine Gefährdung der demokratischen Einrichtungen der Schweiz käme wohl nur dann in Frage, wenn der Verherrlichung Hitlers auf S. 451/57 des Degrelle’schen Buches eine derart propagandistische Bedeutung zukommen könnte, dass sie geeignet wäre, in der Schweiz nationalsozialistische Tendenzen irgendwie zu fördern, allein dies erscheint eher unwahrscheinlich; denn der Verfasser ist ein prominenter Belgier und nicht ein Schweizer, und die ganze Darstellung seines Werkes schildert die besondern politischen Verhältnisse seines Landes in den kritischen Jahren, welche grundverschieden sind von den unsrigen. – Es erscheint deshalb meines Erachtens sehr fraglich, ob vorliegend eine definitive Beschlagnahmung des Degrelle’schen Buches am Platze ist.›
Trotz diesen Schlussfolgerungen heisst es jedoch, den Anfängen zu wehren. Die Bundesanwaltschaft hielt es deshalb für ihre Pflicht, die Bücher mit Beschlag zu belegen, und wir sind der Auffassung, dass diese Beschlagnahme nun nicht nachträglich aufgehoben werden solle, sondern dass gegenteils die Einziehung zu verfügen sei.
Das nationalsozialistische Propagandamaterial kann auch nicht anders behandelt werden als das kommunistische. Mit Beschluss vom 14. Juni 1948 hat der Bundesrat auf Antrag des eidg. Justiz- und Polizeidepartementes und im Einvernehmen mit dem eidg. Politischen Departement eine Anzahl kommunistischer Schriften eingezogen18, welche die Bundesanwaltschaft zuvor beschlagnahmt hatte. Der Einziehung unterlagen folgende ‹Schriften des internationalen und parteigebundenen Kommunismus› (vergl. Protokollauszug aus der Sitzung des Bundesrates vom 14. Juni 1948, S. 7 und 8): ‹Jeunessedu Monde›, ‹Cahiersdu Communisme›, ‹Parallelle 50›, ‹Wegund Ziel›, ‹DieSowjetstimme› und ‹Pour une paix durable› – Organ des Kominform.
Die Einziehung erfolgte, obschon die einzelnen Schriften weder nach ihrer Anzahl, noch nach ihrem Inhalt, unsere Landessicherheit unmittelbar gefährdet hätten. Der Bundesrat zog jedoch in Erwägung, dass die ausländische kommunistische Propaganda insgesamt geeignet sei, eine solche Gefährdung herbeizuführen. Deshalb musste die Grenzlinie irgendwo gezogen werden, nämlich dort, wo die Propaganda für den internationalen parteigebundenen Kommunismus beginnt.
Der erwähnte Einziehungsbeschluss des Bundesrates gab der Bundesanwaltschaft eine Wegleitung für die einzuschlagende Praxis. Gemäss derselben hat die Bundesanwaltschaft seither eine ganze Anzahl kommunistischer Schriften beschlagnahmt, worüber das Departement dem Bundesrat demnächst Bericht und Antrag erstatten wird. Bei den beschlagnahmten Schriften handelt es sich wiederum um solche, die – wie das Buch von Degrelle – die Landessicherheit weder nach Anzahl noch nach Inhalt unmittelbar gefährden. Verherrlichen die kommunistischen Schriften das kommunistische Regime und dessen Träger, tut Degrelle in seinem Buche das Gleiche in Bezug auf den Nationalsozialismus. In beiden Fällen wird jedoch Propaganda gemacht für diktatorische Regimes, die sich gegen unsere demokratischen Auffassungen und gegen schweizerisches Gedankengut richten. Deshalb rechtfertigt sich die Gleichbehandlung. Es wäre schwierig, in Zukunft kommunistische Schriften gemäss bisheriger Praxis zu beschlagnahmen und einzuziehen, wenn das Buch von Degrelle freigegeben würde.
Degrelle war nicht Nationalsozialist und nicht Faschist, sondern Rexist, d. h. belgischer Frontist extremster Sorte. Sein ganzes Buch verherrlicht diesen, jeder demokratischen Staatsform ablehnend gegenüber stehenden Gedanken, so gut es auch geschrieben ist. Wir haben in der Schweiz die frontistischen Organisationen aufgehoben und ihre Zeitungsorgane verboten. Beide wären zu einer ernsten Landesgefahr geworden und zum Ausgangspunkt für die wirksame Unterstützung der 5. Kolonne. Bei uns endete es mit den Landesverratsprozessen, mit Vollzug der Todesstrafe an manchen Verrätern. Und nun sollten wir dieses Buch der Verherrlichung des belgischen antidemokratischen Frontistenchefs in der Schweiz erscheinen und verkaufen lassen?
Das kann nicht in der Linie der vom Bundesrat konsequent verfolgten Politik gegen die Unterminierung durch frontistische Umtriebe liegen.
3. Wie oben erwähnt, hat die Bundesanwaltschaft bloss die sich beim Verleger befindlichen Exemplare des Buches von Degrelle provisorisch beschlagnahmt. Sie hat jedoch darauf verzichtet, diese Massnahme auf diejenigen Exemplare auszudehnen, die sich bei den schweizerischen Buchhandlungen befinden. Im Falle der Einziehung des Buches durch den Bundesrat müsste sich diese Massnahme auch auf die sich bei den Buchhandlungen befindlichen Exemplare erstrecken.III.
Auf Grund der vorstehenden Erwägungen stellen wir den Antrag, der Bundesrat möge in Anwendung von Art. 1, Abs. 2, des Bundesratsbeschlusses vom 29. Dezember 1948 betreffend staatsgefährliches Propagandamaterial beschliessen:
1. Von der provisorischen Beschlagnahme des Buches von Degrelle: ‹La Cohue de 1940› durch die Bundesanwaltschaft wird zustimmend Kenntnis genommen.
2. Die beschlagnahmten Bücher werden eingezogen.
Die Einziehung bezieht sich auch auf die sich noch bei den Buchhandlungen befindlichen Exemplare.
3. Das Manuskript des Buches, falls es in der Schweiz gefunden wird, ist ebenfalls einzuziehen.
4. Die Bundesanwaltschaft wird mit dem Vollzug dieses Beschlusses beauftragt.»
II. [sic]
In seiner Sitzung vom 13. März 1950 beschloss der Bundesrat19, seine Beschlussfassung über den Anhang des Justiz- und Polizeidepartementes aufzuschieben und die Angelegenheit der Gemischten politischen Pressekommission zu unterbreiten. Mit Schreiben vom 16. Mai 1950 teilte die Pressekommission20 nunmehr mit, dass sie zu diesem Geschäft nicht Stellung zu nehmen habe.
Gemäss dem Antrag des Justiz- und Polizeidepartementes und in Anwendung von Art. 1, Abs. 2, des Bundesratsbeschlusses vom 29. Dezember 1948 betreffend staatsgefährliches Propagandamaterial wird beschlossen:
1. Von der provisorischen Beschlagnahme des Buches von Degrelle: «La Cohue de 1940» durch die Bundesanwaltschaft wird zustimmend Kenntnis genommen.
2. Die beschlagnahmten Bücher werden eingezogen21.
Die Einziehung bezieht sich auch auf die sich noch bei den Buchhandlungen befindlichen Exemplare.
3. Das Manuskript des Buches, falls es in der Schweiz gefunden wird, ist ebenfalls einzuziehen.
4. Die Bundesanwaltschaft wird mit dem Vollzug dieses Beschlusses beauftragt.
- 1
- E 2001(E)1967/113/353.↩
- 2
- Vgl. insbesondere E 4001(C)-/1/73, E 4320(B)1973/17/52 und E 2001(E)1967/113/353.↩
- 3
- Der Bundesrat hat also erst knapp vier Monate nach Antragsstellung einen Beschluss gefasst. Der Antrag wurde auf der letzten Seite mit dem Kapitel II. In seiner Sitzung vom 13. März 1950 [...] ergänzt, um die zwischenzeitlich vorgenommenen Beschlüsse zu dokumentieren. Der Bundesratsbeschluss Nr. 1072 fehlt in der Sammlung der Bundesratsbeschlüsse vom Juni 1950, vgl. E 1004.1(-)-/1/518. Der Bundesratsbeschluss vom 9. Juni 1950 wurde übersetzt, ergänzt, abgeändert und als motivierter Entscheid dem betroffenen Verleger im September mitgeteilt, vgl. BR-Prot. Nr. 1613 vom 5. September 1950 mit Anhang, E 1004.1(-)-/1/521 (dodis.ch/7780). Ebenso fehlt der Antrag des EJPD in der Sammlung der Departementsanträge. Dafür enthält die Antragssammlung den Auszug aus dem Protokoll des Bundesrates vom 9. Juni mit den Änderungen vom 5. September 1950. Auf dessen Rückseite steht die Beschlussnummer 1072, die ursprünglich für den Bundesratsbeschluss vom 9. Juni vorgesehene Nummer, vgl. E 1001(-)-/1/267. Dafür wurde der Bundesratsbeschluss vom 5. September nachträglich als Bundesratsentscheid Nr. 1043a, datiert auf den 5. Juni, eingefügt.↩
- 4
- Vgl. die Neue Zürcher Zeitung und die Agenturmeldungen vom 16. Februar 1950, E 4001(C)-/1/73.↩
- 5
- Zur Person von Léon Degrelle vgl. E 4320(B)1973/17/52 und E 2001(E)1970/217/207.↩
- 6
- Vgl. E 4320(B)1973/17/52.↩
- 7
- Zur summarischen Inhaltsübersicht vom 8. Februar 1950 vgl. E 2001(E)1967/113/353.Die Beilage enthielt neben der summarischen Inhaltsübersicht, die belgische Note vom 30. Januar und das Buch von L. Degrelle.↩
- 8
- Vgl. E 4320(B)1991/243/116 und E 2001(E)1969/121/153.↩
- 9
- Vgl. DDS, Bd. 18, Dok. 47, dodis.ch/7301.↩
- 10
- Für die Tabelle vgl. dodis.ch/7302. Pour le tableau, cf. dodis.ch/7302. For the table, cf. dodis.ch/7302. Per la tabella, cf. dodis.ch/7302.↩
- 11
- Vgl. AS, 1948, S. 1282.↩
- 12
- Vgl. Henri de Man, Cavalier seul. 45 années de socialisme européen, Genève 1948.↩
- 13
- Vgl. Georges Bonnet, Défense de la paix. De Washington au Quai d’Orsay, vol. 1, Genève 1946 und Ders., Défense de la paix. Fin d’une Europe, de Munich à la Guerre, vol. 2, Genève 1948. Vgl. auch E 4320(B)1991/243/102 und E 2001(E)1967/113/370.↩
- 14
- Vgl. Dino Alfieri, Deux dictateurs face à face. Rome, Berlin 1939–1943, Genève 1948. Vgl. E 4320(B)1991/243/95 –96, E 4001(C)-/1/282, E 2001(E)-/1/91 und DDS, Bd. 16, Dok. 18, dodis.ch/304.↩
- 15
- Vgl. E 4001(C)-/1/73.↩
- 16
- Der Titel der Buches lautet J’ai choisi la liberté. Zur Person V. Kravtchenkos vgl. E 2001(E)1967/113/72.↩
- 17
- Vgl. die diplomatische Note der belgischen Gesandtschaft an das Politische Departement vom 30. Januar 1950, E 2001(E)1967/113/353.↩
- 18
- Vgl. BR-Prot. Nr. 1437 vom 14. Juni 1948, E 1004.1(-)-/1/494 (dodis.ch/6586). Vgl. auch E 4001(C)-/1/25.↩
- 19
- Vgl. BR-Prot. Nr. 505 vom 13. März 1950, E 1004.1(-)-/1/515.Zu den Diskussionen im Bundesrat und zwischen Bundesräten vgl. das Verhandlungsprotokoll der 20. und 41. Sitzung des Bundesrates vom 13. März bzw. 5. Juni 1950, E 1003(-)1970/343/ R 3105 bzw. das Schreiben von E. von Steiger an M. Petitpierre vom 30. August 1950, E 2001(E)1967/113/ 353 (dodis.ch/7625).↩
- 20
- Vgl. E 4001(C)-/1/73.↩
- 21
- Vgl. das Schreiben der Bundesanwaltschaft an das Justiz- und Polizeidepartement des Kantons Waadt vom 12. Juli 1950, E 4320(B)1973/17/52.↩
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