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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 1993, doc. 4
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern |
Old classification | CH-BAR Amtl. Bull. Vereinigte Bundesversammlung, 1993 I, S. 663–666 |
(1993–1993) |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E1100-02#2004/521#945* | |
Dossier title | Vereinigte Bundesversammlung, diverse Unterlagen: u.a Wahlen, Sitzungen, Reden etc. (1990–1999) | |
File reference archive | 7 |
dodis.ch/65237Rede von Nationalratspräsident Schmidhalter vor der Vereinigten Bundesversammlung1
Rücktritt von Herrn Bundesrat René Felber
[...]2
Im Dezember 1987 wurden Sie als Nachfolger von Bundesrat Pierre Aubert an die Spitze des Departementes für auswärtige Angelegenheiten berufen.3
Die Welt, in der Sie Ihr Amt vor sechs Jahren antraten, sah ganz anders aus als heute. Nichts kündigte das Niederreissen der Berliner Mauer, das Ende des Kommunismus, den Zusammenbruch der Volksrepubliken oder das Auseinanderbrechen der Sowjetunion an. Europa hat sich tiefgreifend gewandelt. Leider sind aber an diese Stelle die schlimmen Folgen des Totalitarismus, solche des Nationalismus getreten.
Sie, Herr Bundesrat, haben Ihren Teil beigetragen beim Übergang der Länder Ost- und Zentraleuropas zu Demokratie und Marktwirtschaft.4 Die Schweiz hat unter Ihrer Amtsführung auch in der KSZE, die ursprünglich 35 und heute 53 Staaten zählt und deren Rolle neu zu definieren ist, eine sehr nützliche Rolle gespielt. Sie waren an der Seite von Herrn Bundespräsident Arnold Koller, als die Charta von Paris für ein neues Europa unterzeichnet wurde.5 Sie haben mit Erfolg das Ministerkomitee des Europarates von November 1991 bis Mai 1992 präsidiert6 und bei Ihrem Besuch bei Präsident George Bush die nötigen Kontakte zwischen der Organisation in Strassburg und den Vereinigten Staaten von Amerika geknüpft.7 Angesichts des Dramas in Kroatien und Bosnien, wo sich nur 500 km von hier schwer vorstellbare Greuel abspielen, haben Sie die Gefühle des Schweizervolkes und dessen Bereitschaft, den Opfern dieser Tragödie zu helfen, zum Ausdruck gebracht.8
Sie haben auch die Dritte Welt nicht vergessen. Ihr Besuch in Madagaskar legt davon Zeugnis ab.9 Das Ende der Apartheid in Südafrika ist für den afrikanischen Kontinent ein Ereignis von grosser Bedeutung.10 Unsere Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe zugunsten der Ärmsten unseres Planeten haben sich erfreulich entwickelt.11 Auch der Golfkrieg hat Sie beschäftigt, und Sie versuchten, vor der Konfrontation Anfang 1991 an die Vernunft der beiden Parteien zu appellieren.12 Die Ausstrahlung der Stadt Genf als Sitz wichtiger internationaler Organisationen war Ihnen wichtig, und Sie haben sich dafür eingesetzt, dass diese Stadt ihre internationale Bedeutung erhalten kann.13
Liebe Kolleginnen und Kollegen, selten sind diejenigen unter uns, welche die Aussenpolitik zum Thema ihres Wahlkampfes gemacht haben. René Felber hatte den Mut dazu. 1971 schrieb er an seine Wählerinnen und Wähler einen Artikel mit dem Titel «Aus unserem Elfenbeinturm ausbrechen».14 Eine Schweizer Fahne, umrahmt von der europäischen Fahne und diese wiederum von der Fahne der Vereinten Nationen, illustrierte den Artikel. Herr Felber bemerkte dazu, dass zahlreiche Länder von uns eine Teilnahme an ihren Bemühungen zur Lösung ihrer Probleme, die auch die unseren sind, erwarten. Sie haben schon damals Ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger aufgerufen, zu verhindern, dass die Schweiz zu einem Museum wird. Und Sie haben nie aufgehört, an die Solidarität zu appellieren.
Als Bundesrat haben Sie alles darangesetzt, um Ihre früheren Appelle Wirklichkeit werden zu lassen. Sie haben die Notwendigkeit einer Neudefinition unserer Europapolitik erkannt und die Initiative zur Überprüfung der Neutralität der Schweiz in einem neuen aussenpolitischen Umfeld ergriffen.15
Die Studie16 kommt zum Schluss, dass die schweizerische Aussenpolitik folgenden Zielsetzungen als Hauptzielen folgen sollte:
1. der Wahrung unserer nationalen Interessen und der Erhaltung eines möglichst grossen Masses an Unabhängigkeit und Selbstständigkeit in einem Umfeld globaler Interdependenz;
2. der Wahrung und Förderung des Friedens in Freiheit, Stabilität und Sicherheit in Europa und in der Welt;
3. der Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen in der Welt als einer Voraussetzung der Wohlfahrt in der Schweiz.
Ihre Experten waren der Meinung, dass die Neutralität kein Hindernis für einen Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft oder zur Europäischen Union, wie sie sich heute präsentieren, bildet.
Sie konnten Ihre Kollegen im Bundesrat von Ihrer Meinung überzeugen und am 18. Mai 1992 der EG ein Gesuch um Aufnahmeverhandlungen stellen.17 Vor diesem grossen Schritt wollten Sie aber sicherstellen, dass die Schweiz am grossen europäischen Binnenmarkt voll teilnehmen kann.18 Sie haben weder Zeit noch Mühe gescheut, die kapitale Bedeutung der Ratifizierung des Abkommens von Porto19 zu unterstreichen. In Ihrem Kanton, der am 6. Dezember 1992 den grössten Anteil an Jastimmen vorweisen konnte, aber auch in der ganzen Romandie und in den beiden Basel folgten Ihnen die Stimmbürger und Stimmbürgerinnen in grossem Ausmass. Ihre Überzeugung und Ihr Engagement wurden indessen für den Moment in der übrigen Schweiz von der Mehrheit nicht geteilt.20
In einer Demokratie haben wir das Resultat einer Abstimmung zu akzeptieren. Das heisst aber nicht, dass wir auch unsere Meinung zu ändern haben. Unsere geographische Lage, unsere Kulturen, unsere engen gegenseitigen Beziehungen in allen Bereichen zwingen uns, eine neue Lösung für solide Beziehungen zu Europa zu finden. Und es stimmt doch hoffnungsvoll, dass jetzt unsere Jugend die Diplomaten und Politiker abgelöst und eine neue Initiative für unsere Zukunft im Herzen Europas lanciert hat.21 Am Tag, an welchem die Schweiz ihren richtigen Platz im Rahmen der europäischen Institutionen gefunden haben wird, wird man sich an diejenigen erinnern, welche diese Sache vorangetrieben haben, und man wird auch an Felber, den Europäer, denken.
Pendant votre longue carrière politique, vous avez eu la chance de bénéficier du constant soutien de votre épouse, Mme Luce Felber, à laquelle j’adresse mes hommages. Mme Felber n’a pas craint d’accepter un mandat électif dans votre commune d’adoption de St-Aubin-Sauges, sur les rives du lac de Neuchâtel. Votre épouse a compris tout l’intérêt que pouvait représenter le Sommet sur la promotion économique des femmes rurales qui réunissait reines et épouses de présidents à Genève l’an dernier.22 Merci, Madame.
Le moment est venu de prendre congé. Le Parlement fédéral et ses deux Chambres ainsi que le peuple suisse conserveront du conseiller fédéral René Felber, président de la Confédération en 1992, l’image d’un magistrat intègre et droit, intéressé par les arts, sensible à toutes les formes du Beau et du Bien et dont les qualités ne demandaient qu’à s’épanouir longtemps encore dans les autres fonctions que l’Assemblée fédérale lui avait confiées.
En formant des vœux sincères pour votre avenir personnel et pour celui de votre famille, nous vous adressons, Monsieur le Conseiller fédéral, le témoignage de la profonde estime et de la vive gratitude de l’Assemblée fédérale suisse. (Applaudissements nourris)
- 1
- Amtl. Bull. Vereinigte Bundesversammlung, 1993, I, S. 663–666. Die Rede von Nationalratspräsident Paul Schmidhalter wurde vom stv. Generalsekretär der Parlamentsdienste, John Clerc, auf Französisch verfasst. Nationalrat Schmidhalter hielt die Rede auf Deutsch und Französisch anlässlich der Ersatzwahl in den Bundesrat für den zurückgetretenen Vorsteher des EDA, Bundesrat René Felber, durch die Vereinigte Bundesversammlung vom 3. März 1993. Zu Beginn der Sitzung wurde Bundesrat Felbers Rücktrittsschreiben vom 13. Januar 1993 verlesen, vgl. dodis.ch/65913.↩
- 2
- Für das vollständige Dokument vgl. das Faksimile dodis.ch/65237.↩
- 3
- Der Staatsrat des Kantons Neuenburg, René Felber, wurde am 9. Dezember 1987 anlässlich der Gesamterneuerungswahl des Bundesrats als Nachfolger des Vorstehers des EDA, Bundesrat Pierre Aubert, im ersten Wahlgang mit 152 Stimmen gewählt. Vgl. Amtl. Bull. Vereinigte Bundesversammlung, 1987, IV, S. 1916.↩
- 4
- Zum Reformprozess in Osteuropa vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C1729.↩
- 5
- Vgl. DDS 1990, Dok. 50, dodis.ch/54685.↩
- 6
- Vgl. dazu die Zusammenstellung dodis.ch/C2016.↩
- 7
- Vgl. DDS 1992, Dok. 8, dodis.ch/59917.↩
- 8
- Vgl. DDS 1992, Dok. 55, dodis.ch/60645.↩
- 9
- Vgl. dazu DDS 1990, Dok. 39, dodis.ch/56092.↩
- 10
- Für das Treffen von Bundesrat Felber mit dem Vizepräsidenten des African National Congress, Nelson Mandela, vom 8. Juni 1990 vgl. DDS 1990, Dok. 25, dodis.ch/54851.↩
- 11
- Durch die Sanierungsmassnahmen für den Bundeshaushalt geriet das Budget für die Entwicklungszusammenarbeit allerdings zunehmend unter Druck, vgl. dazu DDS 1992, Dok. 40, dodis.ch/61423.↩
- 12
- Das EDA lud am 9. Januar 1991 die Aussenminister der USA und des Iraks zu einem Treffen in Genf ein. Die Gespräche zwischen James Baker und Tarek Aziz führten aber zu keiner Annäherung der Standpunkte, vgl. dazu die Zusammenstellung dodis.ch/C2056. Zur Golfkrise vgl. ferner DDS 1990, Dok. 29, dodis.ch/55715; Dok. 30, dodis.ch/54497, und Dok. 60, dodis.ch/55703; DDS 1991, Dok. 2, dodis.ch/57332, und Dok. 4, dodis.ch/54707, sowie die thematische Zusammenstellung dodis.ch/T1673.↩
- 13
- Vgl. dazu bspw. DDS 1992, Dok. 56, dodis.ch/62551, sowie die thematische Zusammenstellung Die internationale Rolle Genfs, dodis.ch/T982.↩
- 14
- Vgl. den Artikel «Sortir de notre tour d'ivoire» in der Kampagnen-Broschüre der SP Neuenburg von 1971, dodis.ch/68674.↩
- 15
- Vgl. das BR-Prot. Nr. 482 vom 11. März 1991, dodis.ch/57635.↩
- 16
- Vgl. den Bericht Schweizerische Neutralität auf dem Prüfstand – Schweizerische Aussenpolitik zwischen Kontinuität und Wandel der Studiengruppe des EDA zu Fragen der schweizerischen Neutralität vom März 1992, dodis.ch/60120.↩
- 17
- Vgl. dazu die thematische Zusammenstellung Beitrittsgesuch der Schweiz zur EG, dodis.ch/T1955.↩
- 18
- Vgl. dazu die thematische Zusammenstellung Verhandlungen EFTA–EWG über das EWR-Abkommen, dodis.ch/T1713.↩
- 19
- Vgl. dazu dodis.ch/62914.↩
- 20
- Vgl. DDS 1992, Dok. 58, dodis.ch/60622, sowie die thematische Zusammenstellung Abstimmung über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), dodis.ch/T2163.↩
- 21
- Am 19. Dezember 1992 hatte die Bundeskanzlei die Vorprüfung der Volksinitiative «für unsere Zukunft im Herzen Europas» des Komitees «Né le 7 décembre 1992», welche u. a. einen EWR-Beitritt der Schweiz forderte, abgeschlossen, vgl. BBl, 1993, I, S. 143–145. Die Initiative wurde nach erfolgreichem Zustandekommen am 10. Juni 1997 zurückgezogen, vgl. BBl, 1997, III, S. 869. Vgl. dazu auch dodis.ch/65609.↩
- 22
- Vgl. dazu den Wochentelex 10/92 vom 2. März 1992, dodis.ch/61127.↩
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Federal Council and Federal Chancellery