als «offiziellen Gesprächspartner» des EDA zu bezeichnen.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 1992, doc. 49
volume linkBern 2023
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2010A#2001/161#1310* | |
Dossier title | Palestinensische-Befreiungsorganisation (OLP), Band 1 (1991–1992) | |
File reference archive | A.45.22 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2010-01A#2000/217#392* | |
Dossier title | Palestine, vol. I (1991–1992) | |
File reference archive | B.58.2 |
dodis.ch/62755Der Direktor der Politischen Direktion, Staatssekretär Kellenberger, an den Vorsteher des EDA, Bundespräsident Felber1
Eröffnung eines Verbindungsbüros der palästinensischen Befreiungsbewegung (PLO) in Bern
Die PLO stellt nach wie vor die wichtigste palästinensische Organisation dar. Nach einer vorübergehenden Schwächung ihrer Position während und unmittelbar nach dem Golfkrieg, welche auf die eindeutige Unterstützung des Iraks zurückzuführen war, hat sie heute ihre frühere, einflussreiche Stellung wiedererlangt. Die Einflussnahmen der PLO bei den gegenwärtigen bilateralen und multilateralen Gesprächen im Rahmen des israelisch-arabischen Friedensprozesses zeigen, dass diese Organisation ein wenn auch nicht exklusiver, so doch nicht zu umgehender Vertreter des palästinensischen Volkes ist.2
Auch wenn die Schweiz die PLO nicht offiziell anerkennt, so hat der Bundesrat doch in wiederholten Stellungnahmen erklärt, dass die Kontakte mit dieser Organisation im Interesse des Departementes liegen3 und erlauben, einerseits Informationen aus erster Hand über die Lage im Nahen Osten zu erhalten und anderseits der PLO unseren Standpunkt darzulegen. Ausserdem sprechen Sicherheitserwägungen für derartige Kontakte. Im Sinne dieser Überlegungen traf Bundesrat Aubert wiederholt mit Farouk Kaddoumi, der für die Aussenbeziehungen der PLO zuständig ist, zusammen.4 Seit 1971 gab es verschiedene Kontakte zwischen Vertretern des EDA und der PLO sowohl in Bern wie auch im Ausland.5 Am 25. Juni 1975 entschied der Bundesrat auf Ersuchen des Generalsekretärs der UNO, dem PLO-Büro in Genf funktionelle Privilegien und Immunitäten zu gewähren.6
(Beilage 1: Weisung 805.1 betreffend Kontakte mit Vertretern der PLO).7
Während verschiedener Kontakte im Jahre 1991 und 1992 signalisierten Vertreter der PLO in Tunis und in Bern ihr Interesse, ein Verbindungsbüro in Bern eröffnen zu können.8 Mit Verbalnote vom 30. Mai 1992 ersuchte die PLO die Schweiz dann schriftlich um die Bewilligung, in Bern ein solches Büro eröffnen zu dürfen.9 Im Sinne eines Entgegenkommens lancierte Nabil Ramlawi, der Direktor des palästinensischen Beobachterbüros in Genf, am 15. Juli 1992 gegenüber Botschafter Simonin die Idee, als Alternative zur Eröffnung eines neuen Büros, den Chef des PLO-Büros in Genf als offiziellen Gesprächspartner des EDA zu bezeichnen.10
Wie dem beiliegenden Gutachten der Völkerrechtsdirektion zu entnehmen ist (Beilage 2), wird die Frage des Status von PLO-Vertretungen weltweit sehr unterschiedlich geregelt.11 Während sie in vielen arabischen Staaten als eigentliche Botschaft des palästinensischen Staates fungieren, reicht das Spektrum in mit der Schweiz vergleichbaren europäischen Staaten vom offiziellen Diplomatenstatus verbunden mit allen Privilegien (Griechenland) bis zum «Gastarbeiterstatus» ohne die geringste Vorzugsbehandlung (Schweden). In den meisten Staaten haben sich die Beziehungen auf pragmatische Art und Weise entwickelt und bilden nicht Gegenstand einer formellen Entscheidung der entsprechenden Regierung.12
Das Gesuch der PLO wurde durch verschiedene Stellen Ihres Departementes (Völkerrechtsdirektion, Direktion für internationale Organisationen, Politisches Sekretariat, Protokolldienst, Politische Abteilung II) in Bezug auf den möglichen juristischen Status sowie die politische Opportunität einer gründlichen Überprüfung unterzogen.
Gestützt auf deren Ergebnis schlagen wir Ihnen vor, dass mittels beiliegendem Schreiben an das PLO-Büro in Genf dessen Vertreter als «offizieller Gesprächspartner» der PLO für Ihr Departement bezeichnet wird.13
5.1. Rechtliche Begründung
– Bei der UNO akkreditierte Missionen ausländischer Staaten in Genf können nicht auch in Bern akkreditiert werden.14 Dieser Grundsatz steht der vorgeschlagenen Lösung nicht entgegen, da es sich bei der PLO nicht um einen Staat handelt, ihre «Vertretung» in Genf nur über den Status eines Büros verfügt und es sich bei den Beziehungen mit Bern nicht um eine Akkreditierung, sondern nur um eine Formalisierung der bereits bestehenden de-facto Kontakte handelt.
– Diese Formalisierung der bereits bestehenden Kontakte hätte keine Änderung des Status des PLO-Büros in Genf zur Folge.
5.2. Politische Begründung
– Die Schweiz hat ein Interesse an der Lösung des israelisch-arabischen Konfliktes und an einer Stabilisierung der Region. Aufgrund dieser Überlegung nimmt sie auch am multilateralen Friedensprozess teil15 und wird im Januar 1993 die Arbeitsgruppe «Wasserressourcen» beherbergen.16
– Die PLO spielt eine wichtige Rolle als Vertreterin des palästinensischen Volkes im allgemeinen und im Friedensprozess im speziellen. Einer Fortsetzung und Erleichterung des Dialoges mit ihr steht nichts entgegen. Dieses Vorgehen fördert auch den Goodwill in der arabischen Welt gegenüber der Schweiz.
– Nach dem Wechsel der Regierung in Israel ist das «Momentum» besonders günstig für den vorgeschlagenen Schritt. Noch nie war eine israelische Regierung so unvoreingenommen gegenüber der PLO wie die heutige.17
– Mit der obenerwähnten Lösung kann die Eröffnung eines eigentlichen PLO-Büros in Bern zur Zeit verhindert werden. Damit werden einerseits die Beziehungen mit Israel nicht über Gebühr belastet und anderseits bleibt die politische Aufwertung der PLO begrenzt.
Unseres Erachtens ist es vorzuziehen, dass der Departementschef des EDA und nicht der Gesamtbundesrat die vorgeschlagene Formalisierung der bereits bestehenden Kontakte beschliesst, da damit ein Regierungsentscheid vermieden werden kann. Allerdings erscheint es ratsam, den Gesamtbundesrat über den Entscheid zu informieren. Wir schlagen Ihnen auch vor, mich zu ermächtigen, das beiliegende Schreiben (Beilage 3) an den Direktor des PLO-Büros in Genf zu unterzeichnen.18
Die PLO ersuchte Ihr Department um die Bewilligung, in Bern ein Verbindungsbüro eröffnen zu dürfen oder, als der Schweiz entgegenkommende Alternative, den Direktor des bereits bestehenden und bei der UNO akkreditierten PLO-Büros in Genf als «offiziellen Gesprächspartner» des EDA zu bezeichnen. Aufgrund obstehender Überlegungen und in Absprache mit der DV, der DIO, dem politischen Sekretariat sowie dem Protokolldienst schlagen wir Ihnen vor, dass mittels beiliegendem Schreiben dem zweitgenannten Ersuchen stattgegeben wird.
Es wäre ratsam, den Bundesrat über diesen Entscheid zu informieren und den Unterzeichnenden zu ermächtigen, das beiliegende Schreiben an die PLO zu unterschreiben.19
- 1
- CH-BAR#E2010A#2001/161#1310* (A.45.22). Diese Notiz wurde vom Chef der Politischen Abteilung II, Botschafter Pierre-Yves Simonin, und dessen für die Region Naher Osten zuständigen Mitarbeiter, Christian Fotsch, verfasst und vom Direktor der Politischen Direktion des EDA, Staatssekretär Jakob Kellenberger, unterzeichnet. Ein Entwurf der Notiz wurde von Botschafter Simonin am 13. Oktober 1992 an die Direktion für Völkerrecht, das Politische Sekretariat und an den Protokolldienst des EDA sowie an die ständige Mission der Schweiz bei den internationalen Organisationen in Genf mit Bitte um Stellungnahme verschickt. Für den Entwurf mit zahlreichen handschriftlichen Kommentaren von Mitarbeitenden der Direktion für internationale Organisationen sowie des Politischen Sekretariats des EDA vgl. dodis.ch/62948. Entgegen dem ursprünglichen Entwurf wurde in der am 22. Oktober an den Vorsteher des EDA, Bundespräsident Felber, übermittelten Notiz vorgeschlagen, die PLO als offizielle Gesprächspartnerin des EDA und nicht der Schweiz zu betrachten.↩
- 2
- Zum Friedensprozess nach der Madrider Konferenz von 1991 vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C2274.↩
- 3
- Vgl. hierzu DDS, Bd. 26, Dok. 187, dodis.ch/38640; DDS, Bd. 27, Dok. 81, dodis.ch/48807, sowie die Präzisierungen des EDA zu einer entsprechenden Weisung an die schweizerischen Vertretungen im Ausland vom 8. Januar 1987, dodis.ch/48853.↩
- 4
- Zu den Treffen zwischen dem Vorsteher des EDA, Bundesrat Pierre Aubert, mit Farouk Kaddoumi 1981 in Bern, 1985 in Tunis und 1987 in Bern vgl. dodis.ch/59192, dodis.ch/57169 resp. dodis.ch/48854.↩
- 5
- Für eine Übersicht der Kontakte zwischen 1971 und 1989 vgl. dodis.ch/56203, S. 3–4.↩
- 6
- Vgl. das BR-Prot. Nr. 1126 vom 25. Juni 1975, dodis.ch/39528, sowie die thematische Zusammenstellung Vertretung der PLO in der Schweiz, dodis.ch/T1393.↩
- 7
- Vgl. dodis.ch/62820.↩
- 8
- Zur Vorsprache des Direktors des Beobachterbüros der PLO in Genf, Nabil Ramlawi, beim stv. Chef der Politischen Abteilung II des EDA, François Chappuis, vom 6. Mai 1991, vgl. dodis.ch/58980. Zum Treffen des PLO-Vertreters, Hail Al Fahoum, mit dem schweizerischen Botschafter in Tunis, Luciano Mordasini, am 20. Mai 1992 vgl. dodis.ch/62828.↩
- 9
- Vgl. dodis.ch/62822.↩
- 10
- Gemäss der Gesprächsnotiz schlug Ramlawi vor, dass der Chef des PLO-Büros in Genf als offizieller Gesprächspartner «für Bern» bezeichnet wird, vgl. dodis.ch/62763.↩
- 11
- Vgl. dodis.ch/62765.↩
- 12
- Das EDA befragte am 23. Juni 1992 verschiedene schweizerische Vertretungen über den Status der PLO in ihrem Gaststaat. Für die einzelnen Antworten vgl. das Dossier CH-BAR#E2010A#2001/161#1310* (A.45.22).↩
- 13
- Vgl. dodis.ch/62829.↩
- 14
- Vgl. dazu die Notiz von Protokollchef Johannes Manz an EDA-Staatssekretär Edouard Brunner vom 17. Juni 1985 sowie das Aide-mémoire in der Beilage, dodis.ch/63313.↩
- 15
- Vgl. dazu die Zusammenstellung dodis.ch/C2274.↩
- 16
- Zur Beherbergung der Arbeitsgruppe «Wasserressourcen» in Genf vom 16. bis 18. Februar 1993 vgl. das BR-Prot. Nr. 65 vom 20. Januar 1993, dodis.ch/62990, sowie die Zusammenstellung dodis.ch/C2297.↩
- 17
- Zur Haltung der neu gewählten israelischen Regierung unter Jitzchak Rabin zum Friedensprozess im Nahen Osten vgl. dodis.ch/63773.↩
- 18
- Vgl. dodis.ch/62829.↩
- 19
- Bundespräsident Felber hat am 27. Oktober 1992 sein Einverständnis gegeben und an der Sitzung vom 2. November 1992 den Bundesrat mündlich informiert, der die vorgeschlagene Lösung genehmigte, vgl. das Verhandlungsprotokoll der 34. Sitzung des Bundesrats vom 2. November 1992, CH-BAR#E1003#2003/92#3* (4.32). Botschafter Simonin informierte am 3. Dezember 1992 sowohl den PLO-Vertreter Ramlawi wie auch den israelischen Geschäftsträger in Bern, Arie Avidor, mündlich über den Entscheid, vgl. dodis.ch/59867 und dodis.ch/59868. Die Politische Abteilung II hat im Vorfeld eine Sprachregelung zum Entscheid ausgearbeitet, vgl. dodis.ch/62129.↩
Relations to other documents
http://dodis.ch/62820 | is the supplement to | http://dodis.ch/62755 |
http://dodis.ch/62765 | is the supplement to | http://dodis.ch/62755 |
http://dodis.ch/62948 | is the draft of | http://dodis.ch/62755 |
Tags
Representation of the PLO in Switzerland (1975–)