▼▶2 Aufbewahrungsorte
Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
Signatur | CH-BAR#E2010A#2001/161#4782* | |
Dossiertitel | Behandlung politischer Flüchtlinge und Staatenloser in der Schweiz, Band 03 (1991–1991) | |
Aktenzeichen Archiv | B.41.20.1 |
Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
Signatur | CH-BAR#E2010A#2001/161#5717* | |
Dossiertitel | Allgemeines, Band 1 (1991–1992) | |
Aktenzeichen Archiv | B.73.0 |
dodis.ch/57978
Die Direktion für Völkerrecht an die Direktion für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe sowie an den Koordinator für internationale Flüchtlingspolitik des EDA1
Zum Verhältnis Flüchtlingspolitik / Menschenrechtspolitik – Bemerkungen für Ihre Arbeitsgruppensitzung vom 26. August
Wie an der Sitzung vom 19. August besprochen, erhalten Sie im folgenden einige Bemerkungen zum erwähnten Problem.
In seinem Brief vom 1. Juli 1991 an BFF-Direktor Arbenz stellt BR Koller fest, dass «die Schweiz zur Lösung des Migrations- und Asylproblems vordringlich vermehrte Anstrengungen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge unternehmen muss. Nicht nur unsere humanitäre und Entwicklungshilfe, sondern auch unsere Aussenwirtschaftspolitik haben hiezu ihren geeigneten Beitrag zu leisten.»2 Diese Feststellung über die notwendige Ursachenbekämpfung in den Herkunftsländern ist zweifellos unbestritten.
Für die schweizerische Menschenrechtspolitik heisst dies, dass das EDA vermehrt und intensiver als bis anhin auf Menschenrechtsverletzungen in den hauptsächlichen Herkunftsländern von Asylbewerbern reagieren sollte. Wie dies konkret aussehen könnte, legt der Bericht des Bundesrates zur Ausländer- und Flüchtlingspolitik vom Mai 1991 (S. 30 f.)3 dar. In diesem Zusammenhang stellen sich allerdings einige Probleme, welche von der schweizerischen Asylpolitik im engeren Sinn nicht zu trennen sind.
Die Menschenrechtssituation in einem bestimmten Land wird vom EDA im Hinblick auf seine Menschenrechtspolitik und vom EJPD im Hinblick auf seine Asylpolitik bis heute grundsätzlich unabhängig bewertet, obwohl das BFF zum Teil die zuständigen Dienste des EDA (Koordinator Flüchtlingspolitik, Politische Abteilungen, Sektion Menschenrechte) in seine allgemeinen Lagebeurteilungen einbezieht. Dies rechtfertigt sich im Grundsatz auch, da das BFF seine Einschätzung der Lage auf die Entscheidfindung über Asyl und Rückschaffung in individuellen Fällen ausrichten muss.
Trotz dieser grundsätzlichen Unabhängigkeit der Einschätzung der Lage ist die Menschenrechtspolitik, will sie glaubwürdig sein, alles andere als unabhängig von der Praxis unserer Asylbehörden. Das Beispiel der Türkei zeigt dies deutlich: Unseren in letzter Zeit zahlreichen diplomatischen Interventionen zugunsten der Menschenrechte in diesem Land begegneten die türkischen Behörden zum Teil mit dem Hinweis auf die Tatsache der zahlreichen Rückschaffungen von abgewiesenen Asylbewerbern in die Türkei. Sie machten damit geltend, dass der Grundsatz des Non-refoulement ja solche Rückschaffungen verböte, wenn die Menschenrechtslage wirklich so schlimm wäre. Die türkischen Behörden formulierten angesichts der niedrigen Anerkennungsziffer für türkische Asylbewerber sogar den Wunsch, von der Schweiz als «Safe Country»4 bezeichnet zu werden. Es liegt auf der Hand, dass die asylpolitischen Tatsachen die Glaubwürdigkeit und die Wirkung diplomatischer Interventionen, mögen sie noch so stark formuliert sein, wesentlich beeinträchtigen. Mit Recht kann der Schweiz vorgeworfen werden, dass ihre Worte (im Bereich der Menschenrechtspolitik) und Taten (im Bereich der Flüchtlingspolitik wie des Kriegsmaterialexportes) nicht übereinstimmen oder mindestens andere Akzente setzten.5
Mit dem Konzept der «Safe Countries» hat sich diese Problematik noch verschärft. Das Asylrecht ist damit von einer individuellen Betrachtungsweise (Beurteilung der konkreten Verfolgungslage einer Person) abgerückt, zugunsten einer allgemeinen Beurteilung der Verfolgungssicherheit eines ganzen Landes. Auf Antrag des BFF hat der Bundesrat den Begriff der Verfolgungssicherheit unseres Erachtens zu weit ausgelegt und beispielsweise Indien (wegen des angeblichen Bestehens von innerstaatlichen Fluchtalternativen) und Algerien als «Safe Countries» bezeichnet.6 Trotz der grundsätzlichen Revidierbarkeit dieser «Safe Country»-Entscheide hat sich im Falle Algerien gezeigt, dass die aus innerstaatlichen Gründen getroffene Massnahme nun aus aussenpolitischen Gründen schwerlich rückgängig gemacht werden kann, obwohl das EDA wie grundsätzlich auch das BFF die Lage in Algerien heute als nicht mehr «safe» einschätzen.7 Dies hat zur Folge, dass diplomatische Interventionen zur Verbesserung der Menschenrechtslage in so problematischen Ländern wie Indien und Algerien praktisch von vornherein ausgeschlossen sind. Dazu kommt der politische Druck von anderen, mit Indien oder Algerien vergleichbaren Ländern, welche im Sinne einer Gleichbehandlung ebenfalls die Aufnahme in die Schweizer «Safe Country»-Liste verlangen: Es wird aussenpolitisch wohl schwierig sein, diesem Druck im Interesse einer effizienten Menschenrechtspolitik standzuhalten.
Diese Bemerkungen haben gezeigt, dass eine glaubwürdige Menschenrechtspolitik des EDA gegenüber einigen, asylpolitisch relevanten Staaten unter anderem durch die aktuelle Asylpolitik massiv behindert wird. Das EDA kann seine Menschenrechtspolitik angesichts der aktuellen schweizerischen Asylpolitik deshalb in dieser Hinsicht nur beschränkt intensivieren. Das EJPD und im speziellen das BFF sollte im übrigen erneut darauf hingewiesen werden, dass die kurzfristigen Auswirkungen von diplomatischen Interventionen auf Migrationsbewegungen nicht überschätzt werden sollten. Eine schweizerische Intervention zugunsten der Menschenrechte ist nicht gleichbedeutend mit der Verbesserung der Menschenrechtslage!
Laut der Basler Zeitung vom 30. Juli 1991 hat sich Direktor Arbenz gegenüber Parlamentariern im Zusammenhang mit der Türkei beklagt, «dass das EDA in Sachen Diplomatie viel zu wenig unternimmt». Dieser Vorwurf ist unzutreffend und unangebracht, unter anderem weil er den Zusammenhang der «Sache Diplomatie» insbesondere mit der Asylpolitik des Bundes verkennt.
- 1
- CH-BAR#E2010A#2001/161#4782* (B.41.20.1). Diese Notiz wurde von Erika Schlaeppi des Diensts für Menschenrechte der Direktion für Völkerrecht des EDA verfasst und unterzeichnet. Sie war gerichetet an Jean-François Giovannini, Chef der Abteilung Politik und Planung der Direktion für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe (DEH), sowie an Rudolf Weiersmüller, Koordinator für internationale Flüchtlingspolitik des EDA.↩
- 2
- Vgl. dodis.ch/60377.↩
- 3
- Vgl. dodis.ch/57212.↩
- 4
- Zum Konzept der verfolgunssicheren Staaten vgl. DDS 1991, Dok. 54, dodis.ch/57837 sowie die Zusammenstellung dodis.ch/C1969.↩
- 5
- Vgl. dazu DDS 1991, Dok. 3, dodis.ch/58521. ↩
- 6
- Vgl. das BR-Prot. Nr. 548 vom 18. März 1991, dodis.ch/57674.↩
- 7
- Für die Einschätzung des EDA vgl. das Schreiben der Sektion Menschenrechte des EDA an das BFF vom 5. Juli 1991, dodis.ch/59124 sowie die Notiz der Politischen Abteilung II an die Sektion Menschenrechte vom 28. Juni 1991, dodis.ch/59125. Für die Einschätzung des BFF vgl. deren Schreiben an die Sektion Menschenrechte vom 15. Juli 1991, dodis.ch/59871.↩