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Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 25, Dok. 30
volume linkZürich/Locarno/Genève 2014
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E7001C#1982/117#300* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 7001(C)1982/117 8 | |
Dossiertitel | Delegation für Finanz und Wirtschaft (1970–1970) | |
Aktenzeichen Archiv | 110.2 |
dodis.ch/35735
Protokoll der Sitzung der bundesrätlichen Delegation für Finanz und Wirtschaft vom 1. Juli 19701
[…]2
3. Münzgesetz3
3.1. Standpunkt der Nationalbank
Nationalbankpräsident Stopper legt eingehend die Gründe dar, die gegen eine Weiterleitung der Botschaft über das Münzgesetz an die eidgenössischen Räte und die Beratung dieses Gesetzes in der September- und Dezembersession 19704 sprechen.
Angesichts – der gegenwärtig neuen Spannungsverhältnisse im Währungssektor5; – des Übergangs vom Goldexchange- zum Dollarstandard6; – der seit drei Jahren spekulationsgeladenen währungspolitischen
Atmosphäre7, insbesondere das Flottierenlassen des kanadischen Dollars8
und die Gerüchte über eine weitere Aufwertung der D-Mark9; – der nun später als erwarteten Verfügbarkeit des Exportdepots10; – sowie der Schwierigkeiten zur Eindämmung einer Dollarflut (Eurodollar)11
und der deshalb damit verbundenen Gefahr eines weiteren Inflationsschubs ist die Nationalbank der Auffassung, dass die Verhältnisse heute für eine offizielle Änderung des Münzgesetzes weniger günstig sind, als dies noch im Frühjahr 1970 angenommen wurde. Die Parlamentsdebatten könnten eine Aufwertungsspekulation12 auslösen, die noch mehr Auftrieb erhalten würde, wenn sich die Dollarsituation in den nächsten Monaten verschlechtern sollte.
Herr Stopper stellt deshalb die Frage, ob die offizielle Einleitung der mit der Revision des Münzgesetzes vorgesehenen Änderung der Kompetenzordnung für die Paritätsfestsetzung (womit im übrigen die Nationalbank vollständig einig gehe) nicht auf einen günstigeren Zeitpunkt zu verschieben sei. Ein solcher günstiger Zeitpunkt wäre die nächste internationale konjunkturelle Beruhigung oder eine Rezession, weil in einer solchen Situation wohl kaum jemand von einer Aufwertung sprechen und deshalb die Gefahr einer Aufwertungsspekulation nicht bestehen würde, wie dies heute zu erwarten sei. Ob und wann eine solche Änderung des Konjunkturklimas13 eintreten werde, könne allerdings nicht vorausgesagt werden.
Der andere Fall wäre, dass die Verhältnisse im Ausland zu einer Aufwertung zwingen. Ohnehin sei nicht damit zu rechnen, dass die Schweiz im Alleingang eine Aufwertung vornimmt. In diesem Falle sei alsdann der Zeitpunkt gekommen, die sich eventuell aufzwingende Paritätsänderung (mehrere neue Aufwertungen im Ausland) zu benützen, um den Räten auch die mit der Revision des Münzgesetzes vorgesehene Änderung der Kompetenzordnung durch dringlichen Bundesbeschluss, eventuell auch in einer Extrasession vorzuschlagen (für nähere Einzelheiten vgl. Beilage Exposé von Herrn Stopper14).
3.2 Aussprache
In der anschliessenden Aussprache stellt Herr BundesratCelio mit Genugtuung fest, dass auch die Nationalbank weiterhin die Notwendigkeit einer Änderung der Kompetenzordnung für eine Paritätsänderung bejaht. Zudem wurde im Zusammenhang mit den Debatten über das Exportdepot die Vorbereitung und Einreichung einer Botschaft15 betreffend Kompetenzordnung wiederholt erwähnt. Übrigens seien die parlamentarischen Kommissionen bereits bestimmt und deren Sitzungen festgelegt. In bezug auf die Gefahr einer Aufwertungsspekulation kann dieses Risiko nicht abgelehnt werden, aber es sei auch nicht gesagt, dass dies unbedingt unkontrollierbare Ausmasse annehmen werde. Abgesehen von der ausserordentlich passiven Handelsbilanz sei dieses Jahr entweder mit einer passiven oder im besten Falle ausgeglichenen Ertragsbilanz zu rechnen. Der Entwicklung der ganzen Angelegenheit des Exportdepots sei immerhin das zu verdanken, dass der Bundesrat nach dessen Inkrafttreten zum mindesten bis Ende 1972 ein Instrument in der Hand hat, über dessen Zeitpunkt des Einsatzes er alleine und kurzfristig verfügen kann. Zudem sollte auch berücksichtigt werden, dass eine Regierung, die so sehr für das Exportdepot gekämpft hat, nicht an eine Aufwertung16 denkt. Dieser Eindruck wurde deutlich in den Parlamentsdebatten gemacht und dürfte sich dämpfend auf Aufwertungsspekulanten auswirken. Schliesslich werde die mit der Revision des Münzgesetzes vorgesehene Kompetenzänderung im Parlament noch einen harten, wenn nicht noch härteren Kampf als derjenige um das Exportdepot absetzen. Auch dies werde zweifellos eine dämpfende Wirkung auf eine Aufwertungsspekulation haben. Verschiebt man die Änderung der Kompetenzordnung auf den Fall, in welchem ein dringlicher Bundesbeschluss für eine Aufwertung möglich ist, dann ist erstens nicht gesagt, wie rasch man im Parlament durchkommt, und zweitens, ob eine Aufwertung mit einem dring lichen Beschluss, der an sich befristet sein muss, möglich ist und einen Sinn hat.
Die Frage ist einfach die, ob man jetzt, ohne die Gefahren einer Aufwertungsspekulation zu verkennen, aber auch ohne sie genau voraussagen zu können, bereit ist, das Risiko einzugehen und die Botschaft zu verabschieden. Die Sache ist angekündigt und der Bundesrat sollte sie jetzt durchstehen und sich zusammen mit der Nationalbank auf ein Auffangen einer eventuellen Aufwertungsspekulation, von der auch nicht gesagt ist, dass sie die von Herrn Stopper befürchteten Ausmasse erreichen wird, einrichten.
Auf Anfrage des Vorsitzenden, Herrn BundesratBrugger, ist es nach Herrn BundesratCelio natürlich möglich, die Übung abzublasen, aber Herr Vize direktor Müller gibt zu bedenken, dass dann der Bundesrat das Gesicht verlieren würde. Dies vor allem auch deshalb, weil die Sache auch publizistisch bereits ausgewertet wird. Herr BundesratBrugger stellt noch fest, dass offenbar ein ausserordentliches Verfahren für einen dringlichen Beschluss nicht der gangbare Weg zu sein scheint (wegen Befristung und den doch kaum vermeidbaren längeren Debatten im Parlament). Bleibt dann der andere von Herrn Stopper aufgezeigte Weg, eine Besserung des Konjunkturklimas abzuwarten. Aber, ob und wann dieser Moment vorliegt, ist eine Frage, die niemand beantworten kann. Da aber gehandelt werden muss, und sowohl die Nationalbank als auch der Bundesrat die Notwendigkeit einer Änderung der Kompetenzordnung bejahen, bleibt wohl nichts anderes übrig, als mit der Übung weiterzumachen.
Auch Herr BundesratGraber ist der Meinung, dass ein Ausweichen ein Luxus ist, den sich der Bundesrat nicht leisten kann. Die Frage stellt sich nur, ob die Debatten im Parlament nicht so eingeschränkt werden können, dass die der Aufwertungsspekulation verfügbare Zeitspanne von Ende Sommer 1970 bis Frühjahr 1971 wesentlich gekürzt wird. Nach seiner Parlaments-Erfahrung sollte dies nicht unmöglich sein – auf jeden Fall wäre diese Frage zu prüfen.
Die Vertreter der Nationalbank sind für eine Aufschiebung der Verabschiedung der Botschaft bis ein ausserordentliches dringliches Verfahren möglich ist, wobei Herr BundesratCelio nicht glaubt, dass ein solches Verfahren in 48 Stunden durchgeführt werden kann. Wenn sich aber der Bundesrat trotzdem für das normale Verfahren entscheidet, dann sollte er17 auch bereit sein, gegebenenfalls direkte Massnahmen zur Eindämmung einer Inflation zu treffen.
3.3 Schlussfolgerung
Abschliessend dankt der Vorsitzende für die aufschlussreiche Aussprache, die dem Bundesrat zweifellos für den nun von ihm zu treffenden Entscheid18 von Nutzen sein wird.
[…]19
- 1
- Protokoll: CH-BAR#E7001C#1982/117#300* (110.2).nur für amtsinternen Gebrauch. Verfasst von F. Walthard. Anwesend: E. Brugger (Vorsitz), N. Celio, P. Graber, E. Stopper, A. Hay, F. Leutwiler, B. Müller, A. Peter, H. Kneubühler, P. A. Nussbaumer und F. Walthard.↩
- 2
- Für das vollständige Dokument vgl. dodis.ch/35735.↩
- 3
- Vgl. dazu das Referat von E. Stopper vom 11. September 1970, dodis.ch/36521 und das BR-Prot. Nr. 482 vom 15. März 1971, dodis.ch/36523.↩
- 4
- Zur Beratung im Parlament vgl. das Amtl. Bull. NR, 1970, S. 625–644 und S. 740 f. sowie das Amtl. Bull. SR, 1970, S. 395–405.↩
- 5
- Vgl. dazu DDS, Bd. 25, Dok. 140, dodis.ch/35401, Anm. 3.↩
- 6
- Vgl. dazu DDS, Bd. 25, Dok. 140, dodis.ch/35401, Punkt I und II.↩
- 7
- Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 116, dodis.ch/33022; Dok. 142, dodis.ch/33246, bes. Anm. 7 sowie DDS, Bd. 25, Dok. 179, dodis.ch/33041.↩
- 8
- Zum Kurs des kanadischen Dollars vgl. das Schreiben von E. Bernath an P. A. Nussbaumer vom 10. August 1970, dodis.ch/35647.↩
- 9
- Zur Aufwertung der D-Mark vom Oktober 1969 vgl. DDS, Bd. 24, Dok. 179, dodis.ch/33041.↩
- 10
- Vgl. dazu das BR-Prot. Nr. 242 vom 4. Februar 1970, dodis.ch/37124; die Notiz von P. R. Jolles an N. Celio und E. Brugger vom 1. Juni 1970, dodis.ch/37125; das BR-Prot. Nr. 2252 vom 21. Dezember 1970, dodis.ch/37127 sowie das BR-Beschlussprot. II vom 5. November 1970 der 41. Sitzung vom 4. November, CH-BAR#E1003#1994/26#13*.↩
- 11
- Vgl. dazu die Notiz von E. Stopper vom 1. September 1971, dodis.ch/34584 sowie den Be richt Nr. 199 der Schweizerischen Nationalbank vom Mai 1971, CH-BAR#E2001E-01#1982/58#529* (C.41.104.0.1).↩
- 12
- Zur Aufwertung des Schweizerfrankens vom 9. Mai 1971 vgl. DDS, Bd. 25, Dok. 72, dodis.ch/35737.↩
- 13
- Zu den Massnahmen zur Konjunkturdämpfung vgl. die Notiz von A. Peter an N. Celio vom 18. Februar 1970, dodis.ch/37128 sowie das Protokoll Nr. 194 des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank vom 19. Februar 1970, dodis.ch/36740. Vgl. ferner Anm. 11.↩
- 14
- Referat von E. Stopper vom 1. Juli 1970, dodis.ch/37129.↩
- 15
- Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Entwurf eines Bundesgesetzes über das Münzwesen vom 7. Juli 1970, BBl, 1970, S. 105–118.↩
- 16
- Korrektur aus: Entwertung.↩
- 18
- BR-Prot. Nr. 1186 vom 7. Juli 1970, dodis.ch/36519.↩
- 19
- Für das vollständige Dokument vgl. dodis.ch/35735.↩