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Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 24, doc. 149
volume linkZürich/Locarno/Genève 2012
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Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
▼ ▶ Segnatura | CH-BAR#E2001E#1980/83#1012* | |
Vecchia segnatura | CH-BAR E 2001(E)1980/83 306 | |
Titolo dossier | Errichtung ostdeutscher Vertretungen (DDR) in der Schweiz und in Drittländern (1963–1970) | |
Riferimento archivio | B.15.11.2.(1) • Componente aggiuntiva: Deutschland |
dodis.ch/32468
Beziehungen zur DDR. Gespräch mit Frau Wittkowski2
1. Wenn wir uns ein Urteil bilden wollen, müssen wir uns zunächst folgendes vor Augen halten:
a) Die Aufrechterhaltung der Teilung Deutschlands wird von der Sowjetunion als Garantie für ihre Sicherheit betrachtet. Hierin wird sie von ihren Satelliten voll und ganz unterstützt. Eine Ausklammerung der DDR aus dem Ostblock, etwa auf Grund einer intern-politischen Entwicklung heraus, würde die Sowjetunion nie zulassen.
Unter diesen Umständen wird die Aufspaltung Deutschlands in zwei Staaten noch lange Zeit eine Realität bleiben.
b) Wir haben nicht nur ein Recht, sondern eine Pflicht, uns der im Gebiete der DDR niedergelassenen zahlreichen Schweizer3 und der dort notleidenden schweizerischen Vermögenswerte4 anzunehmen. Im Moment haben wir keine Möglichkeit, dies zu tun. Es ist eigentlich verwunderlich, dass dieser Zustand bisher im Parlament nur zu sporadischen Vorstössen geführt hat.
Anderseits besteht vom Standpunkt der wirtschaftlichen Beziehungen für die Schweiz kein starkes Bedürfnis nach einer Annäherung an die DDR. Auf Seiten der DDR liegt ein wirtschaftliches, vor allem aber ein eminent politisches Interesse an der Aufnahme offizieller Kontakte mit der Schweiz vor5.
c) Jeder Versuch, die Konsequenzen aus dieser beidseitigen Interessenlage zu ziehen, der über die Etablierung rein «privatrechtlicher» handelsmässiger Institutionen hinausgeht, stösst auf den erbitterten Widerstand der BRD, wo wir verglichen mit der DDR natürlich weit schwerwiegendere Interessen zu wahren haben6. Die Hallstein-Doktrin7 ist allerdings angeschlagen: Ausnahmen für die Sowjetunion, für Jugoslawien und Rumänien8. Unsicherheit mit Bezug auf die Reaktion gegenüber Kambodscha9. Man neigt in Bonn dazu, die Reaktion je nach der Interessenlage abzustimmen und kommt damit ins Schlingern. Anderseits bestehen zwischen BRD und DDR zahlreiche Verwaltungskontakte; es wird also hier das Bestehen gewisser echter Interessen anerkannt, mit Bezug auf welche eine Verständigung als zulässig erscheint. Neue Entwicklungen mögen sich nach den Bundestagswahlen in Deutschland ergeben.
d) Die BRD hat das Weiterbestehen der mit dem damaligen Reich abgeschlossenen Verträge anerkannt10. Sie ist auch den finanziellen Verpflichtungen gegenüber dem Ausland nachgekommen11, jedoch nur für ihr Teilgebiet, d. h. für das Gebiet der DDR wurde stets ein Abzug einkalkuliert. Anderseits hatten wir während zwanzig Jahren keine Möglichkeit, unsere Interessen in der DDR zu wahren. Der in den 50er Jahren unternommene Versuch, die Situation zu regeln, scheiterte an der Haltung der DDR12. Wenn wir heute einen neuen Versuch mit der DDR unternehmen wollen, wird sich die BRD auf die Hallstein-Doktrin berufen. Demgegenüber können wir auf unser echtes Interesse verweisen. Wir können aber auch hervorheben, dass uns die BRD ja nicht helfen kann. Es bestände wohl die Möglichkeit, das schweizerische Interesse durch Interventionen in unserem Parlament noch untermauern zu lassen. Jedenfalls sollte man unter den geschilderten Umständen für eine etwas über die reine Handelskammervertretung hinausgehende Lösung bei der BRD Verständnis erwirken können, umsomehr als es ja nicht um die Anerkennung der DDR bzw. Aufnahme diplomatischer Beziehungen geht.
e) Die öffentliche Meinung in der Schweiz steht der Aufnahme irgendwelcher Beziehungen mit der DDR im allgemeinen ablehnend gegenüber, dürfte aber für das Bedürfnis nach Betreuung unserer Landsleute und für die Wahrung notleidender schweizerischer Vermögenswerte Verständnis haben, wenn dafür kein allzu hoher Preis bezahlt werden muss.
2. Aus den ostdeutscherseits gemachten Vorschlägen ergibt sich vorläufig folgendes Bild:
a) Was sich bereits anlässlich der Gespräche vom 5./6. Juni 196813 gezeigt hat, wurde auch von Frau Wittkowski bestätigt. Die DDR möchte über das Konzept einer rein privaten Handelsvertretung hinausgehen, d. h. sie strebt eine Vertretung mit gewissen konsularischen Befugnissen an, die ausserdem in einer Vereinbarung zwischen staatlichen Stellen zu verankern wäre. Mit der Schweiz möchte man in der Tat einen Präzedenzfall für einen neuen Typ von Handelsvertretung schaffen. Was die Gegenleistung anbetrifft, so würde man es ostdeutscherseits am liebsten sehen, wenn die Schweiz ebenfalls eine derartige Vertretung in der DDR errichten würde. Einer Ausdehnung der Aktivität der schweizerischen Delegation in Berlin auf das Gebiet der DDR könnte die DDR nicht mehr zustimmen. Eher noch könnte ein Schweizer Diplomat von einem Ostblockstaat aus schweizerische Interessen in der DDR wahrnehmen.
b) Bezüglich der Geltendmachung von Vermögensansprüchen wiesen die Handelskammervertreter14 im Juni 1968 darauf hin, dass die Regelung solcher Fragen einem späteren Friedensvertrag vorbehalten bleiben müsste. Entsprechende Verhandlungen könnten im übrigen nach ostdeutscher Auffassung nur auf diplomatischem Wege durchgeführt werden, würden also die formelle Anerkennung voraussetzen. Frau Wittkowski war weniger ablehnend, wenn sie sagte, seit dem gescheiterten Versuch der 50er Jahre hätten sich die Verhältnisse geändert und die DDR sei bereit, über alles, was die Schweiz interessiere, mit sich reden zu lassen. Immerhin unterstrich auch sie, dass gerade gewichtige vermögensrechtliche Ansprüche nur auf Grund staatlicher Vereinbarungen geregelt werden könnten.
c) Was schliesslich den in der minimalen schweizerischen Offerte enthaltenen Vorschlag betreffend grössere Bewegungsfreiheit und Kontaktmöglichkeit für schweizerische Kaufleute im Gebiete der DDR anbetrifft, so dürfte sich dieses Begehren durchsetzen lassen.
3. Was kann nun aus der unter Ziffer 1 und 2 geschilderten Situation herausgeholt werden?
a) Als Gegenleistung für die Annahme ihres Vorschlags würden es uns die Ostdeutschen wohl ohne weiteres ermöglichen, in der DDR einen Delegierten zu unterhalten, der sich weniger mit Handelsfragen, als mit der Betreuung der Schweizer abgeben und daneben noch als Visumstelle fungieren würde. Auch die grössere Freizügigkeit für schweizerische Kaufleute sollte sich in diesem Rahmen verwirklichen lassen. Mit dieser Lösung hätten wir auch ein Minimum an Beziehungen mit der DDR hergestellt und dort einen Beobachter, der uns auch über die allgemeinen Verhältnisse berichten könnte.
b) Unklar bleibt die Frage der Wahrung unserer notleidenden Vermögensinteressen, die sich ohne zwischenstaatliche Vereinbarung kaum bewerkstelligen lässt. Es muss aber auf diesem Gebiet etwas geschehen, ansonst eine Annäherung an die DDR weder intern noch gegenüber der BRD gerechtfertigt werden könnte. Dass die DDR mit sich darüber reden lassen würde, wie Frau Wittkowski sich ausdrückte, heisst noch nicht viel. Denkbar wäre eine Verpflichtung für eine spätere Regelung, wobei die DDR vorläufig Hand bieten würde zur verbindlichen Feststellung der eingetretenen Schäden.
c) Ein besonders wichtiger Punkt ist die Frage, wo für die BRD die Reizschwelle liegt. Man sollte annehmen dürfen, dass für unser Recht auf Wahrung unserer Interessen Verständnis erweckt werden kann, solange in der Anerkennungsfrage nichts provoziert wird. Unsere Beziehungen mit der DDR müssten wohl weniger weit gehen als formelle konsularische Beziehungen, die einer de facto Anerkennung gleich kämen. Allenfalls könnte schweizerischerseits eine ausdrückliche Erklärung abgegeben werden (sog. Negativ-Erklärung).
Nach den Ausführungen Frau Wittkowskis scheint man sich in der DDR bewusst zu sein, dass eine Anerkennung nicht in Frage kommt.
Sofern in materieller Hinsicht mit der DDR eine Verständigung erzielt werden kann (notleidende Vermögensinteressen) dürfte man ohne weiteres eine auch für die BRD annehmbare Form finden.
4. Für das weitere Vorgehen scheinen folgende Punkte wichtig:
a) Die Frage, ob ostdeutscherseits auf dem vermögensrechtlichen Sektor überhaupt etwas geboten werden kann, ist noch nicht genügend abgeklärt.
b) Bei den bevorstehenden Wahlen in der Bundesrepublik (Bundestagswahlen) wird zweifellos die Ostpolitik15 eines der Hauptthemen sein und damit wird die Empfindlichkeit während der kommenden Monate sich steigern. Ein schweizerisches Experiment während dieser Zeit würde daher ganz besonders der Kritik ausgesetzt sein.
Von Interesse wird für uns sein, wie die Fälle Kambodscha, Irak16 und Sudan17 von der BRD erledigt werden.
c) Angemessene Vorbereitung der Bonner Regierungskreise: Es wäre interessant abzutasten, wie Bundeskanzler Kiesinger auf die schweizerischen Absichten reagiert. Sondierungen bei dem mit dem Bundeskanzler sehr verhängten Pressechef Diehl und bei anderen Persönlichkeiten (vonGutenberg, Jahn etc.) dürften sich empfehlen.
d) Ebenso müssten die schweizerischen parlamentarischen und öffentlichen Kreise vorbereitet werden (vgl. Ziffer 1 e).
5. Vorschlag für einen Arbeitsplan:
a) Anlässlich des nächsten Gesprächs mit Vertretern der DDR sollten insbesondere die Möglichkeiten auf dem vermögensrechtlichen Sektor weiter sondiert werden, nachdem die Grenzen auf dem rein handelsmässigen Gebiet auf Grund des Kontaktes vom letzten Jahr ziemlich klar abgesteckt sind. Es müsste dafür gesorgt werden, dass auf der DDR-Seite ein kompetenter Sprecher auftritt.
b) Je nach dem Ausgang dieser Sondierung Beschränkung auf die kleine Lösung oder in Aussichtnahme der mittleren Lösung (im Sinne des Berichts von Botschafter Grübel).
Im letzteren Falle Anhandnahme der Vorbereitungsarbeiten gemäss Ziffer 4 c und d mit entsprechendem «Timing» gemäss 4 b. Ausserdem nähere Abklärung der schweizerischen Forderungen sowie der völkerrechtlichen Situation (wie weit können wir gehen, ohne dass unser Vorgehen einer Anerkennung der DDR gleichkommt).
6. In formeller Hinsicht muss vor der nächsten Gesprächsrunde18 der Bundesrat über den Verlauf des Kontaktes 1968 sowie über die neuen Verhandlungsabsichten orientiert werden.
- 1
- Notiz: E2001E#1980/83#1012* (B.15.11.2.(1)).↩
- 2
- Zur Besprechung mit G. Wittkowski vgl. die Notiz von P. R. Jolles vom 12. Mai 1969, dodis.ch/32471.↩
- 3
- Zur Situation der Schweizer Bürgerinnen und Bürger in der DDR vgl. z. B. das Schreiben von M. Corti an P. Micheli vom 6. Dezember 1967, dodis.ch/32284; das Telegramm Nr. 33 der schweizerischen Delegation in Berlin an das Politische Departement, dodis.ch/32462 und das Schreiben von M. Corti an P. Micheli vom 7. August 1968, dodis.ch/32463.↩
- 4
- Vgl. die Notiz Schweizerische Vermögensinteressen in der DDR von H. Kaufmann vom 16. April 1968, dodis.ch/32467.↩
- 5
- Zur Frage der Anerkennung der Deutschen Demokratischen Republik vgl. z. B. DDS, Bd. 21, Dok. 38, dodis.ch/15230, und Dok. 56, dodis.ch/15241; DDS, Bd. 23, Dok. 82, dodis.ch/31183, sowie DDS, Bd. 24, Dok. 5, dodis.ch/32461, und Dok. 57, dodis.ch/32891.↩
- 6
- Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 179, dodis.ch/33041, Anm. 7.↩
- 7
- Zur Hallstein-Doktrin vgl. DDS, Bd. 20, Dok. 137, dodis.ch/11457.↩
- 8
- Zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zur Sowjetunion, zu Rumänien und Jugoslawien vgl. den Politischen Bericht Nr. 6 von R. Hunziker an M. Petitpierre vom 14. September 1955, E2300#1000/716#599* (114); den Politischen Bericht Nr. 1 von Ch. A. Dubois an W. Spühler vom 15. Februar 1967, E2300-01#1973/156#103* (A.21.31) sowie das Schreiben von H. Keller an P. Micheli vom 7. Mai 1968, E2300-01#1973/156#191* (A.21.31).↩
- 9
- Zu den Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kambodscha vgl. Doss. E2001E#1980/83#1021* (B.22.52).↩
- 10
- Zur Frage der Rechtsnachfolge der Bundesrepublik Deutschland in Bezug auf das Deutsche Reich vgl. DDS, Bd. 18, Dok. 59, dodis.ch/7983, und Dok. 88, dodis.ch/7927 sowie DDS, Bd. 23, Dok. 122, dodis.ch/31216.↩
- 11
- Zum Londoner Schuldenabkommen vgl. DDS, Bd. 18, Dok. 132, dodis.ch/8086; Dok. 137, dodis.ch/7200 und Dok. 143, dodis.ch/8021; DDS, Bd. 19, Dok. 28, dodis.ch/10297; das Schreiben von P. A. Nussbaumer an M. Troendle vom 18. November 1968, dodis.ch/33403; das Schreiben von P. Micheli an die Petitionskommission des Nationalrats vom 28. Januar 1969, dodis.ch/33399; das BR-Prot. Nr. 1737 vom 22. Oktober 1969, dodis.ch/33402 und das Schreiben von P. A. Nussbaumer an die Petitionskommission des Nationalrats vom 2. Dezember 1969, dodis.ch/33400.↩
- 12
- Vgl. dazu DDS, Bd. 19, Dok. 102, dodis.ch/9043. Vgl. auch Doss. E2001E#1969/121#2210* (B.31.02) und E2001E#1967/113#3462* (B.31.0.2).↩
- 13
- Zum Gespräch mit einer Delegation der DDR-Aussenhandelskammer in Zürich vgl. das BR-Prot. Nr. 809 vom 29. Mai 1968, dodis.ch/32465 und das Kreisschreiben von P. Micheli an die schweizerischen diplomatischen Vertretungen vom 20. Juni 1968, dodis.ch/32464. Vgl. auch das Referat von W. Spühler vor der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats vom 16. Mai 1968, dodis.ch/9561 und das Schreiben von H. Schaffner an W. Spühler vom 15. Oktober 1968, dodis.ch/32469.↩
- 15
- Zur Ostpolitik der Bundesrepublik Deutschland vgl. DDS, Bd. 24, Dok. 5, dodis.ch/32461.↩
- 16
- Vgl. dazu den Politischen Bericht Nr. 3 von P. Dumont an W. Spühler vom 7. Mai 1969, E2300-01#1977/28#7* (A.21.31).↩
- 17
- Vgl. dazu das Schreiben von G. Dubois an P. Micheli vom 5. Juni 1969, E2300-01#1977/28#34* (A.21.31).↩
- 18
- Zum Gespräch mit I. Oeser und Ch. Meyer vom 28./29. August 1969 in Zürich vgl. den Bericht von H. Miesch und H. Marti, dodis.ch/32470. Vgl. auch das BR-Prot. Nr. 1380 vom 20. August 1969, E1004.1#1000/9#749*.↩
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