Notiz Schnyders betreffend die Beziehungen der Schweiz zur DDR. Frage des Austauschs von Handelsvertretungen wird diskutiert.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 19, doc. 102
volume linkZürich/Locarno/Genève 2003
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1970/217#1106* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1970/217 73 | |
Dossier title | Beziehungen zur ostdeutschen Regierung (Deutsche Demokratische Republik) (1954–1957) | |
File reference archive | B.15.11.2 • Additional component: Deutschland |
dodis.ch/9043
NOTIZ ZUM BRIEF VON HERRN MINISTER DAENIKER VOM 14. MAI 1954 BETREFFEND DIE FRAGE DER BEZIEHUNGEN ZU DER REGIERUNG DER DDR.
1. Die schweizerischen Behörden haben sich in den vergangenen Jahren auf den Standpunkt gestellt, dass es sich bei der Frage der Beziehungen zu der Regierung der DDR nicht um eine grundsätzliche politische Frage sondern um eine praktische Frage der auf dem Spiele stehenden schweizerischen Interessen und der Bereitschaft der DDR handle, diese Interessen zu respektieren. (Die Schweizerische Delegation war deshalb ermächtigt, zur Behandlung praktischer Fragen mit der Regierung der DDR den Verkehr zu pflegen, der dann allerdings von dieser Regierung unmöglich gemacht worden ist3.)
2. Im Sinne dieser These bot die Schweiz vor zwei Jahren Hand zu Verhandlungen mit der DDR4, bei welchen der Abschluss eines Handelsabkommens auf Regierungsbasis in Aussicht genommen wurde, unter der Voraussetzung, dass gleichzeitig auch für die Wahrung der schweizerischen Interessen in der DDR und die Betreuung der ca. 4500 damals noch in der DDR lebenden Schweizerbürger ein «modus vivendi» gefunden werden könnte.
Auf dem Sektor des Handelsverkehrs schien der Abschluss eines Vertrages durchaus möglich. Dagegen führten die gleichzeitigen Besprechungen über die Wahrung der schweizerischen Interessen nicht zum Ziel. Diese Besprechungen wurden vielmehr von seiten der DDR mit einer Stellungnahme beendigt, die darauf schliessen liess, dass eine Wahrung der schweizerischen Interessen nur auf normalen diplomatischen Wege d. h. nach einem Austausch von diplomatischen Missionen möglich sein würde, der für die schweizerische Regierung nicht in Frage kam.
3. Aus Äusserungen führender Leute des Aussenhandelsministeriums der DDR gegenüber dem damaligen Chef der Schweizerischen Delegation in Berlin, kurz vor und nach Ende des vergangenen Jahres5, war zu entnehmen, dass die Regierung der DDR in der Frage der formellen Gestaltung der Beziehungen zu den Staaten, die nicht zum Ostblock gehören, nun eine elastischere Haltung einnahm. Diese Leute wiesen darauf hin, dass es im Interesse der Förderung der Handelsvertretung wünschbar wäre, wenn die DDR in der Schweiz eine offizielle Handelsvertretung errichten könnte. Sie liessen weiter eine gewisse Bereitschaft der DDR erkennen, einen «modus vivendi» zu akzeptieren, der eine Wahrung der schweizerischen Interessen und eine Betreuung der Schweizerbürger in der DDR ohne formelle diplomatische Beziehungen ermöglicht hätte.
Es schien allerdings, dass die Regierung der DDR die in Westberlin bestehende schweizerische Delegation (deren Bureau im Ostsektor die ostdeutschen Behörden zu Beginn des vergangenen Jahres zur Schliessung gezwungen hatten) nicht als geeignetes Instrument zu diesem Zweck betrachteten. Sie waren der Meinung, dass eine im Austausch gegen die ostdeutsche Handelsvertretung in der Schweiz bei der DDR zu errichtende schweizerische Handelsvertretung auch die nichthandelsmässigen Obliegenheiten erfüllen sollte, an welchen die Schweiz besonderes Interesse hat.
Ferner verlangte die DDR die Zulassung ihrer Handelsvertretung in Bern, während man schweizerischerseits eher an die Errichtung einer solchen Vertretung in Zürich gedacht hatte6.
4. Es machte den Anschein, als ob eine praktische Lösung, ein «modus vivendi», wie er nach der bisherigen schweizerischen Einstellung zu dieser Frage als annehmbar hätte betrachtet werden können, realisierbar war.
Eine gewisse Opposition machte sich aber von seiten der Kreise geltend, die für die Gestaltung unseres zwischenstaatlichen Handelsverkehrs zuständig sind. Sie hielten die Zulassung einer offiziellen ostdeutschen Handelsvertretung in der Schweiz aus praktischen Gründen nicht für sehr erwünscht7.
Von schweizerischer Seite hatte man bei den Kontakten mit den Beauftragten der DDR darauf hingewiesen, dass es sich bei der Verwirklichung eines «modus vivendi», wie er in Betracht gezogen wurde, um eine rein praktische Massnahme handeln würde, der keine spektakuläre politische Bedeutung gegeben werden solle. – Nach dem ergebnislosen Verlauf der Berliner Viermächte-Konferenz hat die Sowjetmacht eine Erklärung abgegeben, derzufolge die Ausübung der Souveränität ganz der Regierung der DDR überlassen werde (eingeschränkt nur noch durch das Verbleiben der russischen Besetzungstruppen in der DDR). Im Zusammenhang mit dieser Erklärung und der Reaktion der Westmächte sowie von Bundeskanzler Adenauer erhielt die Frage der Beziehungen der DDR zu den Staaten ausserhalb des Ostblocks eine neue akute Bedeutung. Unter diesen Umständen schien es momentan unmöglich, einen «modus vivendi» zu verwirklichen und ihm dabei, wie das die Absicht der Schweiz war, den Charakter einer unpolitischen praktischen Lösung zu geben8.
Die bereits eingeleiteten Besprechungen, die zuletzt bei Anlass der Ost-Westhandelskonferenz in Genf geführt worden waren, wurden deshalb schweizerischerseits vorläufig nicht weitergeführt.
5. Zur Sachlage selbst ist grundsätzlich im übrigen folgendes zu sagen:
Vom Westen aus kann die praktische Pflege des Handelsverkehrs mit der DDR nicht als illegitim betrachtet werden. Die Bundesrepublik selbst hat einen Handelsverkehr mit der DDR, der durch ein grosses Vertragswerk geregelt ist. Frankreich hat mit der DDR ein Zahlungs- und Handelsabkommen abgeschlossen.
Das geschah allerdings, um der DDR politisch nicht entgegenkommen zu müssen, auf dem Wege von praktischen Lösungen, bei welchen die beiderseitigen Regierungen nicht direkt in Erscheinung traten. Für den Vertrag zwischen Frankreich und der DDR zum Beispiel wurden die beiderseitigen Notenbanken vorgeschoben.
Auch die Schweiz hat nicht an eine Lösung der Frage der Beziehungen auf diplomatischer Ebene gedacht. Für sie ist das Problem aber deshalb etwas schwieriger zu lösen als für andere Regierungen, weil ihr gar nicht in erster Linie an der Pflege des Handelsverkehrs sondern an der Interessenwahrung der Betreuung der Landsleute gelegen ist. Dieses Anliegen kann nicht so leicht in einem getarnten Procedere befriedigt werden, sondern setzt den Einsatz offizieller schweizerischer Beauftragter voraus, welche mit den Behörden der DDR verkehren können.
Wenn die Schweiz sich dazu entschliessen sollte, mit der DDR Handelsvertretungen auszutauschen, in der Meinung, dass die schweizerische Handelsvertretung in Ostberlin gleichzeitig auch andere als nur handelsmässige Belange wahren soll, so könnte in diesem Vorgehen nicht eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR erblickt werden. Es würde durch die Wahl der Form vielmehr sehr klar zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine praktische und nicht um eine politische Lösung handelt. Das könnte den Westmächten und der Regierung der Bundesrepublik später – wenn die Auseinandersetzung über die «Souveränität» der DDR etwas von ihrer Aktualität verloren hat – vielleicht doch klar gemacht werden.
Gleichzeitig könnten sie darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie, ebenso wie sie gegen die praktische Lösung der Franzosen keinen Einspruch erhoben haben, auch kein Interesse haben, gegen unsere praktische Lösung zu protestieren und ihr damit eine politische Bedeutung zu geben, die sie nicht hat und die ihr die schweizerische Regierung auch gar nicht zu geben wünscht.
- 1
- Diese Notiz zum Brief von Herrn Minister Daeniker vom 14. Mai 1954 betreffend die Frage der Beziehungen zu der Regierung der DDR wurde von F. Schnyder verfasst, der zu dieser Zeit als Legationsrat im Politischen Departement und nicht mehr als Chef der Schweizer Delegation amtete.↩
- 2
- E 2001(E)1970/217/73.↩
- 3
- Zur Frage der Schliessung des Ostberliner-Büros der Schweizer Delegation vgl. DDS, Bd. 19, Dok. 42, dodis.ch/9040 sowie das Schreiben von F. Schnyder an A. Zehnder vom 3. Februar 1953, E 2001(E)1969/121/174 (dodis.ch/9054).↩
- 4
- Vgl. DDS, Bd. 18, Dok. 133, dodis.ch/7984(dodis.ch/7984).↩
- 5
- Vgl. das Schreiben von E. Thalmann an A. Zehnder vom 9. November 1953, E 2001(E)1969/ 121/66 (dodis.ch/9050), das Schreiben von H. Lacher an A. Zehnder vom 30. März 1954, ibid. (dodis.ch/9057) sowie die Notiz von S. Stiner vom 26. April 1954, ibid. (dodis.ch/9058).↩
- 6
- Für Bern war der Standort Zürich insofern von Bedeutung, als sich so die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Bern nicht durch eine ostdeutsche Handelsvertretung konkurrenziert fühlen konnte. Vgl. die Notiz von F. Schnyder vom 23. März 1954, ibid.↩
- 7
- Vgl. die Notiz von A. Zehnder an M. Petitpierre vom 29. November 1954, E 2001(E)1970/ 217/73.↩
- 8
- Vgl. Nrn. 94 und 96 in diesem Band, das Schreiben von A. Huber an A. Zehnder vom 7. April 1954, E 2001(E)1969/121/66 (dodis.ch/9053) sowie die Notiz von E. Graffenried an A. Zehnder und S. Stiner vom 21. April 1954, ibid. (dodis.ch/9059).↩
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