Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 23, doc. 37
volume linkZürich/Locarno/Genève 2011
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern |
Old classification | CH-BAR E 7170(B)1977/67 261 |
Dossier title | Abkommen und Verhandlungen mit Italien (1964–1964) |
File reference archive | 241.1 |
dodis.ch/30798 Der Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartements, H. Schaffner, an den Direktor des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit, M. Holzer1
Das Emmigrationsabkommen mit Italien2 wird, bevor es überhaupt nur publiziert worden ist, nach Strich und Faden heruntergemacht. Haupttenor: der nach kürzerer Zeit mögliche Nachzug der Familien widerspricht der Konjunkturpolitik! Sogar die Schweiz. Handelszeitung3, die noch einen Funken ökonomischer Kenntnis haben sollte, aber auch die Kreise um das Gewerbe, sogar der sozialdemokratische bundesstädtische Pressedienst4, aber auch die Solothurner Zeitung5, usw., haben sehr wenig wählerisch dieses Abkommen attackiert.
Ich glaube, dass es notwendig ist, eine sorgfältig vorbereitete und mit einem Rohstoff begleitete Pressekonferenz6 durch Sie7 und Herrn Dr. Mäder durchzuführen. Die Schweizer machen sich eben kolossale Illusionen, wenn sie glauben, wir könnten auf die Dauer nur die aktive, im Berufsleben stehende Bevölkerung des Nachbarstaates hereinnehmen, die Familien, Frauen, Kinder und Betagte, aber im Absenderstaat der an und für sich willkommen Arbeitskräfte zurückzulassen. Wir haben ohnehin ein vollständig falsches Bild der sogenannten schweizerischen Bevölkerungspyramide. Der Anteil der im aktiven Berufsleben Stehenden, Steuer- und Abgabeleistenden ist im Verhältnis zu der passiven oder nicht mehr aktiven Bevölkerung, Kinder, Betagte, Hausfrauen, ohnehin viel zu günstig. Wir machen uns auch in dieser Hinsicht grosse Illusionen.
Das Abkommen mit Italien kann gut verteidigt werden. Man muss einmal deutlich sagen, dass man auf die Dauer den Fremdarbeitern nicht das Zölibat zumuten kann, dass die Trennung von der Familie auf die Dauer keine Lösung ist, dass wir deshalb sicher zu viele und nicht zu wenig Fremdarbeiter hereingenommen haben, und dass auch auf dem Gebiete der fremden Arbeitskräfte einmal «l’heure de la vérité» kommt.
Dabei sind die Konzessionen, die die Schweiz gemacht hat, m. E. relativ bescheiden. Sie unterschreiten jedenfalls alle italienischen Postulate und Wünsche8. Sie stehen auch in keinem Verhältnis zu den Möglichkeiten, die die Konkurrenz in der EWG, die sich um die fremden Arbeitskräfte bewirbt, zu offerieren in der Lage ist.
Ob es auf die Dauer klug sein wird, so viele Fremdarbeiter in der Schweiz zu haben, damit sie den ganzen Samstag die Zähne an der Sonne trocknen können, ohne einen Streich zu arbeiten, währenddem sie in Italien sogar am Samstagnachmittag Bauleistungen vollbringen, ist eine Frage für sich. Wir sind eben insgesamt widerspruchsvoll und unvernünftig. Verstand und Vernunft sind bei uns rare Artikel geworden!
- 1
- Schreiben: E 7170(B) 1977/67 Bd. 261 (241.1).↩
- 2
- Vgl. das Abkommen vom 10. August 1964 zwischen der Schweiz und Italien über die Auswanderung italienischer Arbeitskräfte nach der Schweiz, BBl, II 1964, S. 1026–1037. Vgl. auch DDS, Bd. 23, Dok. 48, dodis.ch/30799; Dok. 53, dodis.ch/30796 und Dok. 54, dodis.ch/30797.↩
- 3
- Vgl. die Schweizerische Handelszeitung vom 13. August 1964, Doss. wie Anm. 1.↩
- 4
- Vgl. die Zeitschrift Gewerkschaftskorrespondenz vom 13. August 1964, Doss. wie Anm. 1.↩
- 5
- Vgl. die Solothurner Zeitung vom 12. August 1964, Doss. wie Anm. 1.↩
- 6
- Für diese Pressekonferenz, die am 24. August 1964 statt fand, vgl. die Notiz von M. Holzer an H. Schaffner vom 19. August 1964 und die Notiz Pressekonferenz vom 24. August 1964, Doss. wie Anm. 1.↩
- 7
- Handschriftliche Korrektur aus: von Ihnen.↩
- 8
- Vgl. DDS, Bd. 21, Dok. 151, dodis.ch/14400.↩
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Italy (Politics) Foreign labor Italy (Economy) Italy (General)