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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 22, doc. 167
volume linkZürich/Locarno/Genève 2009
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E1003#1994/26#3* | |
Old classification | CH-BAR E 1003(-)1994/26 2 | |
Dossier title | Protokolle der 1.-89. Sitzung des Bundesrates (1963–1963) | |
File reference archive | 4.3 |
dodis.ch/30595
[…]3
Beitritt der Schweiz zum Abkommen vom 5. August 1963 über das teilweise Verbot von Kernwaffenexperimenten4
Herr von Mooserklärt, dass er der Frage, als sie auftauchte, skeptisch bis negativ gegenübergestanden sei. Er habe sich gesagt, das Abkommen spiegle etwas vor und erwecke nicht realisierbare Hoffnungen. Dazu komme der Verdacht, dass noch andere Gründe dahinter stecken. Die Bedenken könne man heute noch hegen, doch seien sie nicht mehr ausschlaggebend für die Unterzeichnung bzw. den Beitritt.
Man könne vermuten, dass Russland zugestimmt habe, weil es sich mit seinen Flügen ins Weltall überfordert habe und es wirtschaftlich nicht mehr stark genug sei, um den Wettlauf mit den Atomversuchen durchzustehen, ohne damit die Wohlstandsförderung aufs Spiel zu setzen. Dazu komme die gewollte Isolierung Rotchinas. In diesem Punkte werde auch unsere Neutralitätspolitik etwas berührt.
Die Befürchtung des deutschen Botschafters5, wegen Anerkennung der DDR, sei hier nebensächlicher Natur. Er teile hier die Auffassung des EPD. Diese Überlegungen solle man deutlich in der Botschaft erwähnen.
Kurz sei im Bericht des EPD6 die Frage des fakultativen Referendums gestreift. In dieser Hinsicht könnte man sagen, dass eigentlich nicht ein jederzeitiges Kündigungsrecht bestehe, sondern nur eine jederzeitige Kündigungsmöglichkeit. Das Kündigungsrecht nach Artikel 4 sei verbunden mit ausserordentlichen Ereignissen, die lebenswichtige Interessen eines Landes gefährden. Diese Frage müsse man noch gründlicher überlegen. Als ein solches Ereignis käme wohl auch eine Änderung des Abkommens in Frage, der wir nicht zustimmen könnten. Wir hätten dann wohl das Recht zu künden, es frage sich dann aber, ob nicht im betreffenden Zeitpunkt aus psychologischen Gründen ein Austritt viel schwieriger wäre, weil dann auch die Gefahr der Isolierung noch grösser wäre als heute.
Positiv müsse die Tatsache gewertet werden, dass die weitere Verseuchung der Atmosphäre verhindert wird durch den Stopp weiterer Versuche. Für den Beitritt spreche auch der Umstand, dass uns der Nichtbeitritt international gesehen psychologische und moralische Nachteile brächte.
Wenn man die positiven und negativen Elemente abwäge, dann hätten die positiven Elemente mehr Gewicht. Er opponiere der Unterzeichnung nicht.
Herr Chaudet anerkennt die positiven Aspekte des Abkommens, soweit sie Schlüsse zulassen auf den Willen, die Versuche zu stoppen und mit der Abrüstung ernst zu machen. Eine öffentliche Erklärung des Bundesrates, dass er dieses Abkommen begrüsse, hätte aber genügt, um unser Einverständnis vor aller Welt zu bekunden. Seines Erachtens wäre eine solche Erklärung heute noch möglich.
Beim Abkommen handle es sich um ein politisches Abkommen. Nach dem Ingress gehe das Ziel auf die Verwirklichung eines allgemeinen Abrüstungsabkommens. Dabei müsse man aber feststellen, dass nicht einmal der Stopp der Atomversuche ein vollständiger sei und die unterirdischen Versuche nicht umfasse.
Für die Beschaffung kleinkalibriger Nuklearwaffen benötige man nun aber ein Material, das man sich auf dem Wege unterirdischer Explosionsversuche beschaffen könne. Beide Blöcke wissen nicht, wie weit der andere in dieser Hinsicht aufgerüstet sei.
Das Abkommen stabilisiere lediglich die erreichten Positionen und beeinträchtige die Aufrüstung derjenigen, die auch eine Atombewaffnung wollen.
Die Unterzeichnung des Abkommens bringe uns in Widerspruch mit unserer Neutralitätspolitik. Wir unterwerfen uns den Ländern, die Atomwaffen besitzen. Der Inhalt des Abkommens umfasse weit mehr als die Einstellung der Atomversuche. Sobald es Staaten gebe, die das Abkommen ablehnen, werde es für die Schweiz riskant, ihm zuzustimmen. Als neutrales Land sollte man nicht das Spiel der einen Gruppe mitmachen. Wie werden Frankreich und Rotchina auf einen solchen Schritt reagieren? Wird es nicht heissen, wir hätten unsere Neutralitätspolitik selbst in Frage gestellt?
Die Unterzeichnung des Kelloggpaktes7 sei etwas ganz anderes gewesen. Damals seien wir Mitglied des Völkerbundes gewesen, heute gehören wir der UNO nicht an. Als neutrales Land können wir nicht Stellung nehmen gegen die Politik anderer Länder. Auch der Vatikan werde dem Abkommen nicht beitreten.
Er bezweifle sehr, ob wir wirklich am Beginne einer atomaren Abrüstung stehen. Die Frage eines Beitrittes könnte man prüfen, wenn man darüber einige Sicherheit hätte.
Der heutige Frieden sei nur ein Zustand der Nichtkriegführung (grosse Seemanöver, gewaltige Luftmanöver, dazu die enorme Verbesserung der Ausrüstung und Bewaffnung der in den Satellitenstaaten stationierten russischen Truppen, Verstärkung der Berliner Mauer durch Minenfelder usw.).
In Kuba werde die Regierung Castro weiterhin unterstützt. Herr Chaudet gibt Einzelheiten bekannt über die Fortsetzung der russischen Waffenlieferungen an Kuba. Es sei offensichtlich, dass RusslandKuba behalten wolle, als Stützpunkt für die Ausbreitung des Kommunismus in Südamerika.
Dazu kommen alle die Unruheherde, die von Russland geschürt werden (kommunistische Bewegungen in Afrika, die Agitation gegen Portugal und Südafrika, die Zwischenfälle in Korea, in Laos und Vietnam usw.).
Chruschtschew habe ausdrücklich bei der Propagierung des Abkommens erklärt, dass die kommunistische Aktion trotz allem unvermindert weitergehe. Man helfe damit der Arbeiterklasse in den kapitalistischen Ländern und könne so am besten die revolutionären Bewegungen in diesen Ländern verstärken. Es werden auch Anleitungen gegeben, die Kleinbauern und andere Kreise in die Arbeiterklasse einzubeziehen.
Überall auf der Welt sehe man den Einfluss der Sowjets. Die internationale Lage sei in Fluss. Sie könne sich jederzeit ganz unerwartet verschärfen in Richtung Krieg oder Revolution.
Was den Bericht des EPD anbetreffe, glaube der Sprechende nicht an den Willen der Atommächte, die Atomwaffen abzubauen. Die Gefahr des Atomkrieges bestehe weiter. Wenn wir dann aber daran gehen wollten uns auszurüsten, um dieser Gefahr zu begegnen, stünde dem unsere Unterschrift unter dem Abkommen entgegen.
Die Welt werde nicht durch die Versuche mit Atomexplosionen zerstört werden, sondern durch die vorhandenen Vorräte an Atomwaffen.
Herr Chaudet glaubt nicht daran, dass die moralischen Aspekte die Nachteile einer Unterzeichnung überwiegen.
Das EPD gebe zu, dass wir einem unwiderstehlichen Zwang folgen müssen. Unter IV c.8 werde zugegeben, dass die drei Grossmächte die Herren der Lage seien, und dass wir uns bei einer Änderung des Abkommens Mehrheitsbeschlüssen unterziehen müssen, bei denen sie eine ausschlaggebende Stellung haben und zwar in einer Materie, die auch einen hochpolitischen Aspekt habe.
Die Anspielung auf die Artikel des Iswestija und des Roten Stern zeige, dass wir die Angelegenheit gut prüfen müssen. Es stelle sich die Frage was wir machen, wenn man uns z. B. später auffordern sollte, einem Nichtangriffspakt zwischen der NATO und dem Warschauerpakt beizutreten.
Wenn wir Interesse hätten, uns aus dieser Affäre zu ziehen, müssten wir an die eidg. Räte gelangen. Wir stünden unter dem Druck unserer öffentlichen Meinung und unter dem Druck der Weltmeinung. Somit würden wir die grössten Schwierigkeiten haben, wenn wir uns wieder zurückziehen wollten.
Vom Standpunkt der Landesverteidigung aus sei zu betonen, dass uns die Unterzeichnung verhindern werde, uns jemals mit Atomwaffen auszurüsten.
Herr Chaudet glaubt, dass für uns eine moralische Zustimmungserklärung genügen würde, um der Einladung gerecht zu werden. Man werde, wenn man uns heute noch nicht ganz verstehe, vielleicht später einmal anerkennen, dass es die Schweiz verstanden habe, sich der Propagandawirkung zu entziehen und sich nicht habe für andere einspannen lassen. Eine solche Erklärung würde unserer Neutralitätspolitik viel besser entsprechen als die Unterzeichnung des Abkommens.
Es sei sehr bedauerlich, dass man einen so wichtigen Regierungsentscheid fällen müsse, ohne dass man Zeit habe, die Frage gründlich zu prüfen und den Landesverteidigungsrat zu konsultieren. Unsere Bevölkerung sei gegenüber dem Abkommen sehr reserviert und spüre instinktiv, dass das Abkommen für uns keinen grossen Wert habe. Die Befürworter rekrutieren sich zum grossen Teil aus den Kreisen, die schon die Atombewaffnung bekämpft hätten.
Der Bundesrat sei die einzige Instanz, die das Volk hier auf den richtigen Weg führen könne. Unsere öffentliche Meinung werde uns verstehen, wenn wir eine gute Erklärung abgeben und ausführlich begründen, warum wir dem Abkommen nicht beitreten können.
Sollte eine Volksinitiative für die Unterzeichnung lanciert werden, dann werde man ihr die Gründe für unsere Stellungnahme ebenfalls entgegenhalten.
Herr Chaudet schliesst mit dem Antrag, das Abkommen nicht zu unterzeichnen, sondern eine einseitige Erklärung abzugeben.
Herr Tschudibeurteilt die Angelegenheit zunächst vom Standpunkt des EDI aus, d. h. im Hinblick auf die Probleme der öffentlichen Gesundheit und der Hygiene. Er stellt fest, dass die Kommission zur Überwachung der Radioaktivität das Abkommen begrüsst und der Hoffnung Ausdruck gegeben habe, dass es dauern und dass man es einhalten werde. Vom Gesichtspunkte der öffentlichen Gesundheit aus müsse das Abkommen positiv beurteilt werden. Heute bestehe wegen der Radioaktivität kein Grund zur Beunruhigung, ausgenommen in Bezug auf das Zisternenwasser im Jura. Bei weiteren Versuchen mit noch grösseren Kalibern würde sich die Situation rasch verschlimmern.
Das Abkommen sei tatsächlich noch sehr unvollkommen. Man sei auch nicht sicher, ob sich die Grossmächte daran halten werden. Man hätte es sicherlich lieber gesehen, wenn auch die unterirdischen Versuche und die Aufrüstung mit Atomwaffen aufhören würden. Das Abkommen sei aber ein erster positiver Schritt und deshalb dürfe man es nicht von vorneherein ablehnen. Man müsse es in Beziehung setzen zu Verträgen wie dem Verbot der Verwendung von Giftgasen9. Wir müssten uns also fragen, ob wir genügend Grund hätten, um in der heutigen Situation nicht beizutreten?
Selbstverständlich stelle sich zuerst die Frage der Neutralität. Rechtlich stehe, wie sich aus allen Ausführungen ergeben habe, der Vertrag nicht in Widerspruch zur Neutralität. Neutralitätspolitisch könne man die Neutralität nicht bis ins Extreme durchführen. Man müsse auch auf die internationale Solidarität Rücksicht nehmen.
Bezüglich Landesverteidigung sei festzustellen, dass Atomversuche in der Luft und im Wasser in ganz Europa niemals möglich wären. Man müsse sich auch fragen, ob wir unterirdische Versuche bei uns durchführen könnten? Auch bei pessimistischer Beurteilung gelange man deshalb zur Feststellung, dass das Abkommen unsere Vorbereitungsmöglichkeiten für die Landesverteidigung nicht beeinträchtige. Das Risiko, dass man nicht mehr so leicht zurücktreten könne bestehe, doch sei jeder Beitritt zu einem Abkommen mit Risiken verbunden. Da die positiven Aspekte überwiegen, sei der Sprechende bereit, die Risiken zu übernehmen.
Mit einer Sympathieerklärung bald nach dem Zustandekommen des Abkommens hätte man sich vielleicht dem Beitritt entziehen können. Heute riskiere man, sich mit einer solchen Erklärung zu blamieren.
Herr Schaffnerist ebenfalls der Meinung, dass wir eine schmale Möglichkeit gehabt hätten, uns mit einer Deklaration der Unterschrift zu entziehen, was vielleicht die Ideallösung gewesen wäre. Man hätte erklären können, wir begrüssen das Abkommen, da wir10 nicht über die Elemente verfügen, um solche Versuche zu machen, brauchten wir uns11 nicht anzuschliessen.
Angesichts der Schwierigkeiten, auf die Herr Chaudet hingewiesen habe, müsse man sich fragen, ob nicht12 folgende Lösung denkbar wäre. Man würde erklären, dass wir es begrüssen, dass Luft und Wasser nicht mehr weiter verseucht werde und dass wir es begrüsst13, wenn man noch weiter hätte gehen können. Wir seien unserseits willens, die gleichen Verpflichtungen aus freien Stücken zu übernehmen, solange als das Abkommen in Kraft sei. Formaliter könnten wir nicht unterzeichnen, weil das Abkommen nicht weltweit gelte und zu Gruppenbildung fahre.
Mit dem langen Zuwarten14 habe die Angelegenheit in der öffentlichen Diskussion zu viel Gewicht erhalten und deshalb werde man eine Antwort15 von uns verlangen. Könnte man nicht die Lösung mit einer Erklärung konsultativ vorbereiten mit den auswärtigen Kommissionen, aber nicht mit andern Gremien? Herr Schaffner weist auf die guten Erfahrungen hin, die man mit diesem Vorgehen bei der Erklärung von Brüssel16 gemacht habe.
Herr Bonvinhält dafür, dass beide Hauptpartner (Sowjetrussland und USA) unter Druck gehandelt hätten. In den USA spiele die Rücksicht auf die Wahlen die grosse Rolle. Man könne sich auch fragen, ob die Atommächte auf dem Gebiete der Kernwaffen neue Lösungen gefunden hätten, weshalb die Versuche nicht mehr so notwendig seien.
Für uns stelle sich die Frage, was wir als ein Volk tun wollen, das den Frieden will und die Ordnung in der Freiheit, und das in seiner Politik die Lösungen im Wege der Diskussion und nicht der Gewalt suche. Können wir erklären, wir machen nichts, weil wir uns nicht in die Konflikte der Grossen ein mischen wollen?
Wir müssen doch von unserem Standpunkte aus die Entspannung begrüssen. Der Vergleich mit dem Verbot des Gaskrieges sei naheliegend. Das Abkommen sei ein Weg, der zum Frieden führen könne. Die Möglichkeit, nichts zu machen, scheide damit für uns von vorneherein aus. Es stelle sich also die Frage, welche der folgenden Möglichkeiten wir wählen sollen:
1. Kann man heute noch eine blosse Erklärung abgeben? Hier wäre es richtig gewesen, wenn man das sofort gemacht hätte.
2. Unterzeichnung mit gewissen Reserven.
3. Unterzeichnung ohne Reserven.
Von diesen Möglichkeiten komme nur in Frage die Unterzeichnung mit Reserven. Eine Konsultation der auswärtigen Kommissionen wäre wertvoll, nicht aber die Konsultation des Landesverteidigungsrates, der in der Angelegenheit nicht kompetent genug sei.
Da wir physisch in der Unmöglichkeit sind, irgendwelche Versuche mit Atomexplosionen irgendwo in der Schweiz zu machen, erfolgt unsere Zustimmung gewissermassen gratis. Für Versuche blieben uns im besten Falle die Kavernen in den Alpen, was nicht unter das Verbot fallen würde.
Wir sind moralisch engagiert, durch die Wichtigkeit der Aufgabe eine Psychose des Friedens zu schaffen. Entsprechend unserer Politik müssen wir uns zur Unterzeichnung entschliessen.
Herr Bonvinstellt die Frage, ob es möglich wäre, noch eine Konsultation der auswärtigen Kommissionen vorzunehmen oder ob man heute Beschluss fassen müsse?
Der Hr. Bundespräsident17 teilt die Beurteilung des Abkommens durch Herrn Chaudet im Hinblick auf die internationale Politik des Kommunismus weitgehend. Auch die Amerikaner beurteilen die Situation ähnlich.
Militärisch sei uns das Abkommen in keiner Weise hinderlich. Atomwaffen könnten wir uns nur beschaffen durch Kauf von der NATO oder durch Eigenentwicklung. Eine Erprobung in der Luft oder im Wasser sei für uns unmöglich. Aber in unserem dicht besiedelten Land erscheinen auch unterirdische Versuche als ausgeschlossen. Somit stelle das Abkommen für uns kein Hindernis dar für unsere nukleare Bewaffnung.
Der Sprechende sehe einen nahen inneren Zusammenhang des Abkommens mit den Rotkreuzabkommen. Es liege im Gebiete des Verbotes gewisser Waffen. Die Verhinderung der Verseuchung der Luft sei ein Ziel, das weitgehend im Zusammenhang stehe mit den humanitären Aufgaben des Roten Kreuzes.
Wegen der möglichen vertraglichen Weiterungen des Abkommens habe sich der Sprechende auch Sorgen gemacht. Hier habe man zwar die Kündigungsmöglichkeit, doch sei er ebenfalls überzeugt, dass eine Kündigung für uns nicht leicht wäre. Es stünden aber so wichtige Interessen auf dem Spiel, dass man das Risiko in Kauf nehmen müsse.
Der Sprechende sehe keine neutralitätspolitischen Nachteile. Die Schweiz könne beitreten, ohne dass man ihr von irgendeiner Seite einen Vorwurf machen könne. Neutralität könne niemals bedeuten, dass wir nur beitreten können, wenn die ganze Welt mitmache. Wenn das so weit ginge, dann sei das gleichbedeutend mit der Aufgabe unserer Entscheidungsfreiheit, mit der Abhängigkeit von andern und mit der Isolierung.
Auch der Sprechende habe sich die Frage vorgelegt, ob es möglich wäre, den Vertrag nicht zu unterzeichnen und stattdessen eine Erklärung abzugeben. Man habe in der Diskussion erklärt, dass wir sofort hätten handeln müssen und es gebe Kreise die behaupten, dass wir zu lange gewartet hätten. Das stimme allerdings nicht, denn solche Probleme könne man nicht ohne gründliche Prüfung lösen.
Eine Erklärung, dass die Einstellung der Versuche begrüsst werde und dass man nicht daran denke, selber Versuche zu machen, hätten schliesslich alle Staaten abgeben können, die in Bezug auf Atomversuchsmöglichkeiten gleich stünden wie wir. Diese Staaten haben fast alle trotzdem unterzeichnet.
Er habe sich weiter gefragt, ob man eine weitergehende Erklärung abgeben sollte im Sinne von Herrn Schaffner. Auch dafür sei der Moment verpasst. Vielleicht gebe es eine Möglichkeit, wenn wir über das hinausgehen wollten was wir bisher über unsere Atombewaffnung gesagt haben. Wir müssten erklären, dass wir überhaupt keine Versuche mit Atomwaffen unternehmen werden und dass wir keine Atomwaffen anschaffen werden, wenn man uns nicht dazu zwingt. Eine solche Erklärung wäre doch wohl nicht angängig. Die Welt erwarte unsern Beitritt zum Abkommen und das 100-jährige Jubiläum von Roten Kreuz18 weise uns in die gleiche Richtung.
Was den Landesverteidigungsrat betreffe, so sei festzustellen, dass er nicht das Gremium sei, um Ratschläge in politischen Fragen zu erteilen. Für eine vorherige Konsultation der auswärtigen Kommissionen sei der Moment auch vorbei. Man könne doch der Presse heute nicht erklären, man habe über die Angelegenheit beraten aber keine Beschlüsse gefasst. Man verlange vom Bundesrat in der Aussenpolitik eine Führung. Deshalb müsse man heute beschliessen und die auswärtigen Kommissionen nachher orientieren.
Herr Wahlennimmt Stellung zu den einzelnen Voten.
Er stellt fest, dass wohl alle das mehrfach geäusserte Gefühl der Skepsis teilen. Die Motive der drei Mächte seien vielfaltig und nicht bei allen die gleichen. Es stehe viel Politik dahinter. Es wäre besser gewesen, wenn sie die Verantwortung allein übernommen und auf die ganze Propagandapolitik verzichtet hätten.
Dass ein Unterschied zwischen Kündigungsmöglichkeit und Kündigungsrecht bestehe sei ihm neu. Verfassungsmässig bestehe jedenfalls kein Unterschied.
Was die Schwierigkeiten, die dem Abkommen inhärent seien, betreffe, so hätte der vorzeitige Vertragsbruch durch eine Partei automatisch die Folge, dass die andern auch sofort zurücktreten würden. Das Vertragsinstrument würde dann einfach zerbrechen und alle Unterzeichner würden ihre Handlungsfreiheit wieder gewinnen. Man führe ja auch die Vorbereitungen für die Fortsetzung der Versuche bei den Atommächten weiter. Bei einem Vertragsbruch würden die Versuche sofort wieder aufgenommen.
Die zweite Möglichkeit sei, dass in das Abkommen weitergehende Verpflichtungen eingebaut würden. Wenn damit weitere Entspannungen erreicht würden, so sollten wir darüber nur froh sein. Die erste Entspannung, die wir vor uns haben, sollten wir nicht unbeachtet vorbeigehen lassen. Die unangenehmste Folge des Beitrittes wäre, wenn man später dazu gelangen sollte, Europa zur kernwaffenfreien Zone zu erklären.
Wenn Herr Chaudet bedauert habe, dass nicht sofort eine Erklärung abgegeben worden sei, dann könne er nur antworten, dass das gar nicht möglich gewesen wäre. Das hätte nicht der Art des Bundesrates entsprochen, schwerwiegende aussenpolitische Probleme zu erledigen. Im EPD hatte man versucht, eine solche Erklärung zu redigieren. In Frage käme nur eine Erklärung die weiter ginge als das Abkommen. Dazu müsste man wegen unserer eigenen Atombewaffnung Vorbehalte einbauen, die zu Falschinterpretationen Anlass geben und die Erklärung selbst in den Augen anderer Staaten abwerten würden.
Die Auffassung von Herrn Chaudet, dass man das Abkommen nicht mit dem Kelloggpakt vergleichen könne, teile der Sprechende. Dagegen teile er die Auffassung nicht, dass der Beitritt zum Abkommen eine Stellungnahme gegen Frankreich und Rotchina bedeute. Wenn wir nichts unternehmen, so bedeute19 das eine Stellungnahme gegen die drei Atommächte. Auch die Nichtunterzeichnung hätte eine ähnliche Wirkung.
Mit dem Beitritt haben wir die Möglichkeit, den humanitären Bestrebungen weiter zu helfen. Dieser Gedanke soll auch in der Botschaft deutlich zum Ausdruck kommen.
Wenn Kuba noch nicht unterzeichnet hat, dann sei das auf das Lavieren zwischen Rotchina und Russland zurückzuführen. Es wäre möglich, dass es für seine Unterschrift noch Vorteile herausholen wolle. Sollte es nicht mitmachen, dann wäre das ein Minuspunkt für Chruschtschow.
Wenn die aussenpolitische Lage auch unerfreulich sei, so wie sie Herr Chaudet schildere, so bringe doch der Vertrag eine Entspannung. Der Konflikt Russland/China schafft den Satelliten mehr Bewegungsfreiheit. Die Spaltung des kommunistischen Blockes gehe deshalb weiter als eine blosse Zweiteilung.
Wenn Herr Chaudet erkläre, dass nicht die Versuche die Gefahr bedeuten, sondern die Vorräte an Atomwaffen, so müsse festgestellt werden, dass dem Stopp in der Verseuchung von Luft und Wasser doch grosse Bedeutung zukomme. Wollten die USA die Megatonnenzahl Russlands erreichen, dann würde die Verseuchungsgefahr noch gewaltig zunehmen. Die Verseuchung habe20 trotz der Einstellung der Versuche21 zugenommen.
Was die Haltung der Öffentlichkeit betreffe, teile er ebenfalls die Auffassung von Herrn Chaudet, dass kein Enthusiasmus bestehe. Herr Wahlen hat die Presse sehr eingehend studiert. Leute wie Dürrenmatt, Reverdin, Dr. Egger, seien für die Unterzeichnung. Bei Herrn Bretscher hätte er den Eindruck gehabt, er wolle dem Bundesrat die Bewegungsfreiheit lassen. Man könne zusammenfassend sagen, dass die kompetente schweizerische Öffentlichkeit für die Unterzeichnung sei.
Auf keinen Fall könnte sich der Sprechende einverstanden erklären, das Thema dem Landesverteidigungsrat zu unterbreiten. Das würde nur zu einer grossen Debatte über die schweizerische Atombewaffnung führen.
Herr Wahlenrügt scharf den Artikel von Oberst Mark in der Schweizerischen Militärzeitung22 und versteht nicht, dass man solche Leute nicht zurückhalten könne. Er nehme die Attacken in den Sowjetzeitungen nicht besonders ernst, aber man sollte ihnen keinen Grund dazu geben. Der Bundesrat müsse einmal zu einer gewissen Doktrin in dieser Frage kommen. Man müsse einmal wissen was bei der Beschaffung von Atomwaffen für die Schweiz möglich sei und was nicht.
Herr Wahlenteilt die Auffassung des Herrn Bundespräsidenten, dass für uns keine Möglichkeit bestünde für die Durchführung unterirdischer Versuche. Er möchte bitten, dass man die Aussprache über das ganze Problem der Atombewaffnung bald einmal durchführen könne23.
Das Neutralitätsrecht werde bei Unterzeichnung des Abkommens nicht berührt. Die Neutralitätspolitik werde berührt, doch sollten wir den Begriff der Neutralität nicht selbst zu stark strapazieren in der öffentlichen Auseinandersetzung. Der Bundesrat sei die einzige Instanz, die über die Zulässigkeit zu beschliessen habe.
Dem Vorschlag des EPD betreffend Aufnahme eines Passus über die Freiheit der Entscheide über unsere Atombewaffnung, könne er zustimmen. Über die endgültige Formulierung müsse man sich noch einigen.
Der Ersatz des Beitrittes durch eine Erklärung könne ernstlich nicht in Frage kommen. Man könnte uns das so auslegen wie wenn wir sagen würden: «Wir können es nicht tun, deshalb versprechen wir, es nicht zu tun!»
Was die Konsultation der auswärtigen Kommissionen betrifft, müsste man bei einer Erklärung eine Konsultation vorsehen. Wenn man sich dagegen zur Unterzeichnung entschliesse, dann müsse der Bundesrat einen Beschluss fassen und nachher die Kommissionen orientieren. Sonst würde die Konsultation bedeuten, dass wir das endgültige Entscheidungsrecht delegieren. Herr Wahlen hofft, dass der Rat heute entscheide, damit er am Dienstag die aussenpolitische Kommission des Nationalrates orientieren könne.
Er beantragt Zustimmung zum Antrage des EPD. Eine grosse Anzahl von Fragen würden dann in der Botschaft eingehend gewürdigt. Die Botschaft werde die Erklärung bedeuten, unter welchen Voraussetzungen wir beitreten.
Herr Chaudet frägt, ob man nicht den Entscheid auf Dienstag verschieben könne. Er glaube persönlich nicht, dass eine Erklärung im Sinne von Herrn Schaffner unmöglich wäre. Damit hätten wir eine starke Stellung und würden uns nicht ins Schlepptau nehmen lassen. Dafür sollte man aber einen Text vor sich haben. Wenn man heute entscheide, müsse man das tun ohne die Alternative ernstlich geprüft zu haben.
Herr Wahlenantwortet, dass die Schweiz nicht in der gleichen Lage sei wie der Vatikan, der keine Verteidigungspflichten habe. Als Staat, der seine Verteidigung durchführen muss, müssten wir unsere Vorbehalte machen, wodurch die Erklärung einfach zweideutig würde.
Herr von Mooserklärt, dass er Herrn Chaudet in der Sache selbst weitgehend beipflichte. Er habe nur seine ebenso grosse Skepsis durch die humanitären Gesichtspunkte überwinden können. Man könne den Beitritt nicht durch eine Erklärung ersetzen. Der Termin dafür sei verpasst.
Herr von Moos hätte es vorgezogen, wenn man das Communiqué24 erst am Dienstag herausgeben könnte, damit man sich über die Formulierung noch unterhalten könne. Er sei damit einverstanden, dass die Botschaft die erwarteten Verdeutlichungen bringe.
Herr Bonvinhält dafür, dass das in der Westschweiz wegen der Atombewaffnung bestehende Malaise noch vergrössert würde, wenn wir nicht unterzeichnen. Im Communiqué müsse betont werden, dass sich aus unserem Beitritt keine Schwächung unserer Landesverteidigung ergeben dürfe.
Herr Tschudischlägt vor, dass das EPD das Communiqué sofort neu redigie ren solle und dass der neue Text in einer Extrasitzung am Nachmittag beraten werde.
Herr Wahlenschlägt vor, den Zusatz laut Mitbericht des EMD25 wie folgt zu bereinigen: «Abs. 2 mit dem Hinweis auf die Erklärung von 1958» soll weggelassen werden, ebenso der «Abs. 4» der nicht notwendig sei, weil er nur eine Wiederholung bedeute.
«Absatz 3 und 1» sollen in einen Absatz zusammengefügt und ins Communiqué eingebaut werden.
Herr Schaffnerempfindet ein Missbehagen über die Zwangslage und das Prozedere. Ist es wirklich nicht möglich, uns autonom bereit zu erklären, alles das ebenfalls zu erfüllen was in Moskau abgemacht worden sei ohne einen formellen Beitritt zu vollziehen?
Die vorliegende Fassung des Communiqués scheine ihm einige gefährliche Erklärungen26 zu enthalten. Das Communiqué sollte weniger ausführlicher und etwas «trockener» im Tone werden27.
Der Herr Bundespräsident schlägt vor, die Beratungen um 16 Uhr 30 fortzusetzen.
Herr Wahlenbittet um konkrete Vorschläge für die Änderungen des Communiqués. Man stehe hier vor ähnlichen Schwierigkeiten wie bei der Abgabe einer Erklärung. Der Rat beschliesst, um 16 Uhr 30 eine Nachmittagssitzung abzuhalten.
Die Beratungen über dieses Geschäft werden hier unterbrochen28.
- 1
- Vorsitz: Bundespräsident W. Spühler. Abwesend: R. Bonvin (bis 9 Uhr 30). Schriftführer: Ch. Oser und F. Weber, Beginn: 9 Uhr, Schluss: 11 Uhr 50.↩
- 2
- (Auszug): E 1003(-)1994/26/2.↩
- 3
- Vorangehende Traktanden: Kleine Anfrage Bachmann vom 12. Juni 1963, Massnahmen zur Verwertung der Kernobsternte 1963.↩
- 4
- Vgl. dazu auch Nrn. 162, 165, 166 und 169 in diesem Band. Siehe auch die Notiz von R. BindschedlerBeitritt der Schweiz zum Abkommen über das Verbot der Kernwaffenexperimente vom 8. August 1963 (dodis.ch/30594) und die Notiz von P. Micheli vom 9. August 1963 (dodis.ch/30604).↩
- 5
- W. F. von Welck. Siehe dazu die Notizen von Micheli vom 9. August und vom 20. August 1963, E 2003(A)1974/52/213.↩
- 6
- Vgl. die Beilage zum BR-Prot. Nr. 1557 vom 23. August 1963 (dodis.ch/30612).↩
- 7
- Vgl. DDS, Bd. 9, Dok. 422, dodis.ch/45439 und Beilagen.↩
- 8
- Vgl. Anm. 5.↩
- 9
- Genfer Protokoll vom 17. Juni 1925 über das Verbot der Verwendung von erstrickenden, giftigen oder ähnlichen Gasen. Für den Beitritt des Bundesrates vgl. DDS, Bd. 9, Dok. 59, dodis.ch/45076.↩
- 10
- Handschriftlich eingefügt: aber.↩
- 11
- Handschriftlich eingefügt: formell.↩
- 12
- Handschriftlich eingefügt: theoretisch.↩
- 13
- Handschriftlich eingefügt: hätten.↩
- 14
- Handschriftlich eingefügt: längern Zeitablauf.↩
- 15
- Handschriftlich eingefügt: Beitrittsentscheidung.↩
- 16
- Vgl. DDS, Bd. 22, Dok. 102, dodis.ch/30292.↩
- 17
- W. Spühler.↩
- 18
- Zur Genfer Konvention vom 22. August 1864 und zum Beitritt der Schweiz vgl. DDS, Bd. 1, thematisches Verzeichnis: VI.4. Convention de Genève.↩
- 19
- Handschriftliche Anmerkung: wenn man auf diese Weise argumentieren wolle.↩
- 20
- Handschriftlich eingefügt: stellenweise.↩
- 21
- Handschriftlich eingefügt: wegen des Ausfalls aus der Stratosphäre.↩
- 22
- W. Mark, Atomwaffen für die Schweizer Armee – Können oder wollen?,Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift, August 1963, Nr. 8, S. 445–450. Siehe auch E 5001(G)1977/71/10.↩
- 23
- Siehe dazu das Protokoll der Sitzung der Militärdelegation des Bundesrates vom 28. November 1963 (dodis.ch/30493).↩
- 24
- Entwurf vom 23. August 1963. Vgl. E 2003(A)1974/52/213.↩
- 25
- Vom 22. August 1963. Vgl. die Beilage zum BR-Prot. Nr. 1557 vom 23. August 1963 (Do-DiS-30612).↩
- 26
- Handschriftliche Anmerkung: wenn man auf diese Weise argumentieren wolle.↩
- 27
- Handschriftlich eingefügt: über die Entspannung.↩
- 28
- Zur Wiederaufnahme der Diskussion vgl. das Verhandlungsprotokoll der 55. Sitzung des Bundesrates vom 23. August 1963, Nachmittagssitzung (Beginn: 16 Uhr 30. Schluss: 17 Uhr 45), nicht abgedruckt: […]Nach längerer Diskussion über einen Vermittlungsantrag Schaffner, der statt von «neutralitätsrechtlichen und neutralitätspolitischen Gründen», von «immerwährender Neutralität» oder «unserer Neutralität» sprechen möchte, entscheidet sich der Rat für die ursprüngliche Fassung des EPD, womit betont werden soll, dass man gefunden habe, dass auch keine neutralitätspolitischen Gründe dagegen sprechen. Eine zu allgemeine Fassung würde nur wieder Fragen und Diskussionen heraufbeschwören. Zur definitiven Stellungnahme des Bundesrates, siehe auch das BR-Prot. Nr. 1557 vom 23. August 1963 (dodis.ch/30612) und die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Genehmigung des in Moskau geschlossenen Abkommens über das Verbot von Kernwaffenversuchen in der Luft, im Weltraum und unter Wasser (vom 13. September 1963), BBl, 1963, II, S. 615–621.↩
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Neutrality policy Military policy Collective security projects Nuclear power