Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 21, doc. 15
volume linkZürich/Locarno/Genève 2007
more… |Aus Adenauers Nähe. Die politische Korrespondenz der schweizerischen Botschaft in der Bundesrepublik Deutschland 1956–1963, vol. 2, doc. 156
volume linkBern 2012
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#396* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 194 | |
Dossier title | Köln, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 22 (1958–1958) | |
File reference archive | 082 |
dodis.ch/15401
Mein Gespräch mit Aussenminister von Brentano vom 22. August 1958
Einleitend erklärte ich, dass ich das Gespräch nicht schweizerisch-deutschen Problemen, sondern einem «tour d’horizon» über aktuelle Fragen der Weltpolitik widmen möchte. Im weiteren Verlauf unserer Unterredung leitete ich das Gespräch auf die Auslassungen der TASS wegen der geplanten atomaren Ausrüstung der schweizerischen Armee2, um die Reaktion des Aussenministers auf die schweizerische Antwort kennenzulernen und um ihm einige Ergänzungen zum schweizerischen Standpunkt zu geben.
1. Nahost-Resolution der UNO-Vollversammlung3:
Mein Gesprächspartner begrüsst diese Resolution vorbehaltlos. Eine interne Beilegung des Nahost-Konflikts durch die Araber selbst sei das beste, was unter den obwaltenden Umständen gemacht werden könne. An der Resolution schätzt er besonders, dass sie elastisch und konziliant ist. Ihre Elastizität empfange sie durch die Einschaltung von Generalsekretär Hammarskjöld, was das erfolgversprechendste Mittel sei, eine Lösung des Nahost-Konflikts anzubahnen. Besonders glücklich sei die Formulierung, der Generalsekretär solle Verhandlungen führen um einen «baldigen Abzug» der amerikanischen und britischen Truppen «zu erleichtern»; sie verletze niemanden, vielmehr erlaube sie allen Beteiligten, das Gesicht zu wahren. Vor allem ist damit den Versuchen, das amerikanische und britische Eingreifen im Libanon und in Jordanien als Aggression hinzustellen, der Boden entzogen. Ferner werde mit dieser Formulierung Zeit gewonnen, damit sich ein anderer tragender Gedanke auswirken kann: der Plan einer grosszügigen wirtschaftlichen Hilfe für den Nahen Osten, aufgebaut auf dem Prinzip der Selbstverwaltung und Selbstverantwortung der Araber und ihrer Heranziehung zu echter Partnerschaft. Mein Gesprächspartner sieht darin einen besonders gangbaren Weg zur Überwindung der Vertrauenskrise zwischen der arabischen und der westlichen Welt.
2. Irak:
Selbstverständlich könne die innenpolitische Lage noch nicht als konsolidiert gelten. Es bestehe indessen alles Interesse, die relativ gemässigten Elemente in der jetzigen Regierung zu unterstützen. Die rechtzeitige Anerkennung durch den Westen habe sich als glücklich erwiesen. Für die Bundesrepublik bedeute sie speziell die Nichtaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen
Bagdad und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Aber auch den anderen westlichen Staaten werde dieser Akt günstige Auswirkungen zeitigen:
Die Gefahr, dass sich der Irak auf die sowjetische Seite schlage, sei vermieden worden. Eine Fusion mit Ägypten hält Brentano für unwahrscheinlich. Vom Standpunkt Bagdad wäre es eine Societas leonina; andererseits müssten die Hoffnungen auf eine Beteiligung der Araber im westlichen Allianzsystem aufgegeben werden. Ihre Neutralität wäre das Maximum, was erwartet werden könne. Eine neutrale Stellung der Mächte im Nahen und Mittleren Osten und auch Indiens ist nach Auffassung meines Gesprächspartners durchaus zu begrüssen.
3. Israel:
Das schwierigste Problem des Nahen Ostens bleibe ungelöst: Israel! Allerdings sei durch die Resolution der UNO-Vollversammlung die Gefahr einer Präventivaktion weitgehend in den Hintergrund gerückt.
4. Iran:
Mein Gesprächspartner hat nichts konkretes gehört über eine bevorstehende Änderung der iranischen Haltung gegenüber dem Bagdadpakt und einer
Rückkehr zur Neutralität. Natürlich könne man eine solche Entwicklung auch nicht ausschliessen, denn der Bagdadpakt habe sich von Anbeginn an als eine sehr künstliche Schöpfung erwiesen.
5. Genfer Atomkonferenz:
Der Aussenminister begrüsst die von den wissenschaftlichen Experten erzielte Einigung über die technischen Möglichkeiten, Atomversuche zu kontrollieren. Er rechnet auch mit einem baldigen amerikanischen und auch britischen Verzicht auf Atomversuche. Wenn darüber eine verbindliche Einigung zustande käme, so würde ein solches Abkommen eine sehr wertvolle Grundlage abgeben für die noch ausstehende und dringend notwendige allgemeine Abrüstungskonferenz.
6. Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Polen:
Die Frage sei noch nicht reif zum Entscheid. Die Regierung möchte in dieser Frage nur Schritte unternehmen, wenn sie einer breiten Zustimmung im Parlament sicher sein kann. Das sei zur Stunde noch nicht der Fall. Offene Widerstände bestünden bei den Flüchtlingen, aber auch bei der Mehrheit der Christlich Demokratischen Union (CDU).
Meine Frage, ob Bonn seitens der polnischen Regierung zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen gedrängt werde, verneinte mein Gesprächspartner.
Übrigens könne man sich die Frage stellen, ob ein so spektakulärer Akt wie die Aufnahme von Beziehungen zwischen Bonn und Warschau angesichts der schwachen Position Polens in dessen wohlverstandenem Interesse wäre. Der Minister sieht jedenfalls keine Dringlichkeit in der Lösung dieses Problems.
Das Bundeskabinett habe in der Frage noch keine Entscheidung getroffen, es sei auch noch nicht offiziell befasst worden.
7. General de Gaulle:
Mein Gesprächspartner bestätigt, dass Bundeskanzler Adenauer auf dem
Rückweg von Cadenabbia General de Gaulle am 14. September in dessen Besitzung in Colombey besuchen werde. Die Initiative zu diesem Besuch sei von Bonn ergriffen worden, wobei man sich über protokollarische Rücksichten
– der erste Besuch hätte dem amtsälteren Adenauer gebührt – hinweggesetzt habe, um die Empfindlichkeit des Generals zu schonen. Die Reaktion von Paris sei ein sofortiges «Ja» gewesen.
Der Minister äusserte sich sehr anerkennend über die Geschicklichkeit der bisher von de Gaulle unternommenen Schritte. Er neigt zur Auffassung, dass die Abstimmung über die Verfassung am 28. September positiv ausfallen werde. Mit einem scherzhaften Bonmot bemerkte er: Die alte Verfassung sei so diskreditiert, dass die Massen die neue Verfassung ungelesen akzeptieren werden. Selbstverständlich flösse das neue Projekt Bedenken ein, weil es auf einen Supermann wie de Gaulle zugeschnitten sei. Wie werde ein Nachfolger damit fertig? Namentlich könnte ein Nachfolger damit viel politisches Unheil anrichten! Die schwierigste Frage sei Algerien, die reinste Quadratur des Zirkels. Der General operiere aber sehr geschickt. Sehr klug sei auch, dass er der Reihe nach an die Probleme herangehe, denn er müsse Zeit gewinnen, um sich die durch lange politische Absenz geschwundene Hausmacht wieder aufzubauen.
8. Schweizerische Antwort auf die TASS Auslassungen
wegen der geplanten Atomausrüstung der schweizerischen Armee:
Ich umriss unseren Standpunkt: Die These von der Unvereinbarkeit einer atomaren Aufrüstung der schweizerischen Armee mit taktischen Waffen mit der Neutralität und Neutralitätspolitik sei völkerrechtlich völlig unbegründet. Der Neutrale sei gemäss Völkerrecht völlig frei in der Herstellung, Lagerung und im Ankauf von atomaren Waffen. Das Neutralitätsrecht lege ihm diesbezüglich keinerlei Beschränkungen auf. Vielmehr sei ein Neutraler verpflichtet, mit allen Mitteln die Neutralität seines Territoriums zu wahren. Mein Gesprächspartner stimmte allen diesen Thesen ausdrücklich und vorbehaltlos bei. Einer Armee, die nicht über taktische Atomwaffen verfüge, bleibe nur der «unconditional surrender». Der Minister kannte die schweizerische Antwort sehr gut und zitierte als besonders eindrucksvoll ihren Schlusssatz: Eine mit Atomwaffen so hoch gerüstete Macht, die sich dessen noch brüstet, sei nicht legitimiert, der Schweiz Lektionen zu erteilen.
Spontan berührte dann mein Gesprächspartner die schweizerische Antwort auf den Protest Budapests wegen des Überfalls auf die Gesandtschaft in Bern4.
Er bezeichnete den Überfall als dilettantischen und sinnlosen Akt. Auch in diesem Fall drückte er sich sehr anerkennend über die schweizerische Antwort aus: eine freche Beschuldigung habe die treffende Zurückweisung erhalten.
Mein Gesprächspartner erwähnt dann noch aus eigenem Antrieb das Verbot des Sozialistischen Friedenskongresses von Basel5 durch den Bundesrat und sagte, auch diese Massnahme sei in jeder Beziehung am Platze gewesen.
- 1
- E 2300(-)1000/716/194.↩
- 2
- Zur Frage der atomaren Bewaffnung der Schweizer Armee vgl. Nrn. 10, 11, 72 und 73 in diesem Band und DDS, Bd. 16, Dok. 24, dodis.ch/334 sowie das Schreiben von A. Zehnder an M. Petitpierre vom 14. August 1958 (dodis.ch/14505), das Schreiben von R. Bindschedler an L. de Montmollin vom 1. Februar 1957 (dodis.ch/13217), das Schreiben von P. Chaudet an M. Petitpierre vom 7. August 1956 (dodis.ch/13275) und den Antrag des EMD an den Bundesrat vom 23. September 1955 (dodis.ch/10166).↩
- 3
- Gemeint ist die Resolution Nr. 1237 vom 21. August 1958 der ausserordentlichen Sitzung der UNO-Vollversammlung zum Nahen Osten vom 8.–21. August 1958.↩
- 4
- Zur Frage des Überfalls auf die ungarische Gesandtschaft in Bern vgl. die Notiz von R. Kohli vom 16. und 21. August 1958, E 2808(-)1974/13/35, die Notiz von R. Kohli vom 18. August 1958, ibid. (dodis.ch/16624) und die Note des Bundesrates an die Ungarische Regierung vom 23. September 1958, E 2001(E)1972/33/77 (dodis.ch/16637).↩
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