Zusammenfassung der Frage der seit dem Washingtoner Abkommen von 1946 in der Schweiz liegenden nachrichtenlosen Vermögen; dies besonders nach der Unterhaltung mit Vertretern der amerikanischen jüdischen Organisationen. Ein informeller Kontakt mit deren Vertreter in Paris sollte aufrechterhalten bleiben und gleichzeitig müssen sie über das entsprechende Bundesratsbeschlussprojekt informiert werden.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 18, doc. 10
volume linkZürich/Locarno/Genève 2001
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2200.41-05#1000/1696#868* |
Old classification | CH-BAR E 2200.41-05(-)1000/1696 61 |
Dossier title | Accords de Washington (Tomes 2 et 3) (1952–1954) |
File reference archive | C.43.18.0 |
dodis.ch/8664
Der Chef der Abteilung für Politische Angelegenheiten des Politischen Departements, A. Zehnder, an den schweizerischen Gesandten in Paris, C. J. Burckhardt1
Wir beehren uns, Ihnen nachstehende Angelegenheit zu unterbreiten.
Wie Ihnen wohl bekannt ist, wurde bei Anlass der Unterzeichnung des Washingtoner Abkommens vom 25. Mai 1946 in einem vertraulichen Briefwechsel zugesichert, die schweizerische Regierung «examinera avec bienveillance la question des mesures nécessaires pour mettre à la disposition des trois Gouvernements alliés, à des fins d’assistance, le montant des biens en Suisse de victimes d’actions de violence perpétrées récemment par l’ancien Gouvernement allemand, qui sont mortes sans héritiers.»2
Die Prüfung dieses Problems konnte in der Schweiz bisher nicht zum Abschluss gebracht werden. Von Seiten der Alliierten scheint man der Sache nicht mehr grosse Bedeutung beizumessen. Die letzte offizielle Eingabe, die in dieser Sache bei uns vorliegt, ist eine Note der französischen Botschaft vom 27. Mai 19473. (Der «Final act of the Paris Conference on Reparations» vom 21. Dezember 19454 lautet im Teil I, Art. 8, lit. C: «Governments of neutral countries shall be requested to make available for this purpose assets in such countries of victims of Nazi action who have since died and left no heirs». Am 14. Juni 19465 haben sodann Frankreich, die Vereinigten Staaten von Amerika, Grossbritannien, die Tschechoslowakei und Jugoslawien eine Vereinbarung getroffen, worin (unter anderem) bestimmt wurde, dass die französische Regierung im Namen der fünf erwähnten Staaten den in Aussicht genommenen Schritt bei den neutralen Staaten unternehmen würde.) Es ist bezeichnend, dass darin bemerkt wird, in Frankreich seien keine herrenlosen Hinterlassenschaften der Opfer von Gewalthandlungen der ehemaligen deutschen Regierung festgestellt worden («… à la suite de l’enquête menée par l’Administration française, il résulte qu’il n’existe en France aucune succession en déshérence provenant des victimes d’actions de violence commises par l’ancien gouvernement allemand»). Offenbar hat man die Erwartungen, auf umfangreiche solche Vermögen in der Schweiz greifen zu können, einigermassen aufgegeben.
Dem Versuch, das Problem einer Lösung näher zu bringen, haben sich in der Schweiz aus grundsätzlichen Erwägungen insbesondere die Bankkreise widersetzt. Die Banquiervereinigung hat sich immerhin [… 6 bereit erklärt, bei ihren Mitgliedern diskret Erkundigungen über den Umfang allenfalls in Betracht kommender Guthaben einzuziehen. Das Ergebnis dieser vertraulichen Enquête ist höchst bescheiden. Bankguthaben, deren Eigentümer der deutschen Kriegführung zum Opfer gefallen sein konnten, wurden nur im Belaufe von etwas weniger als einer halben Million festgestellt, wovon mehr als die Hälfte Deutschen gehörten und deshalb in Anwendung des Washingtoner Abkommens bei der Verrechnungsstelle angemeldet worden sind7.
Bei dieser Sachlage bestand zunächst kein Anlass, den Gegenstand mit besonderem Eifer weiter zu verfolgen. Erst gegen Ende 1947 wurde die Frage wieder aktuell durch Vorschläge, die der Schweizerische Israelitische Gemeindebund dem Politischen Departement unterbreitete8. Dieses Departement wandte sich seinerseits in der Folge an das Justiz- und Polizeidepartement in der Meinung, dass die neuen Vorschläge zunächst in rechtlicher Hinsicht von der Justizabteilung geprüft werden sollten9. Das erbetene Gutachten liegt noch nicht vor.
Herr Bundesrat von Steiger hat sich bereit erklärt, Persönlichkeiten der ausländischen jüdischen Kreise zu empfangen, die sich mit der Frage des herrenlosen Nachlasses von Naziopfern befassen10. Über diese Konferenz, die am 8. Juli d. J. bei Herrn Bundesrat von Steiger stattfand, orientiert Sie der Text des beiliegenden Protokolls11.
Inzwischen wurde am 25. Juni d. J. in Warschau ein Abkommen, worin ausser Fragen des laufenden Wirtschaftsverkehrs auch die seit Ende des Krieges offen stehenden finanziellen Probleme (Nationalisierungen usw.) gelöst werden sollten, abgeschlossen12. Die Vereinbarung berührt auch die Frage des herrenlosen polnischen Eigentums in der Schweiz; der Entwurf zur Botschaft, womit der Bundesrat das Abkommen den Räten zur Ratifikation unterbreiten wird, führt darüber folgendes aus13:
«Die polnische Regierung hat in allen Verhandlungen seit dem Krieg immer wieder darauf hingewiesen, dass viele polnische Staatsangehörige, die während des Krieges ohne Hinterlassung von Erben verschwunden sind, zum Teil Depots bei schweizerischen Banken und Lebensversicherungen bei schweizerischen Gesellschaften unterhalten haben, auf die jetzt niemand Anspruch erhebt. Dieses Problem, auf dessen Regelung die polnische Regierung den grössten Wert legte, wurde ohne Eingriff in die privatrechtlichen Verhältnisse so gelöst, dass solche Guthaben und Versicherungsansprüche nach einem gewissen Zeitablauf ins schweizerisch-polnische Clearing einbezahlt werden müssen, unter Vorbehalt der Rücküberweisung, wenn sich später privatrechtlich Anspruchsberechtigte bei den schweizerischen Banken oder Versicherungsgesellschaften melden.»
Zu ihrer weitern Orientierung erhalten Sie anbei die Kopie einer Notiz, die dieserhalb am 3. August 1949 für den Vorsteher des Politischen Departements ausgefertigt wurde14.
Die internationalen jüdischen Kreise, die mit dem Justiz- und Polizeidepartement in Verbindung gestanden waren, erhielten von der mit Polen getroffenen Vereinbarung Kenntnis. Herr Max Isenbergh, Paris, «Counsel for European Operations» des American Jewish Committee», richtete deswegen am 26. August 1949 den in Kopie beiliegenden Brief an Herrn Bundesrat von Steiger15. Dieser leitete den Brief mit der Bitte um Beantwortung an das Politische Departement weiter, das seines Erachtens für die weitere Behandlung des Problems zuständig sei16.
Wir möchten es unserseits tunlichst vermeiden, uns mit den interessierten internationalen jüdischen Kreisen in eine direkte Korrespondenz einzulassen. Wir wären Ihnen deshalb dankbar, wenn Sie eine Möglichkeit finden könnten, sich mit Herrn Isenbergh in Verbindung zu setzen, um ihm Bescheid zu geben. Dabei würde es sich im wesentlichen darum handeln, ihm die oben wiedergegebenen Ausführungen über die Verwendung herrenlosen politischen Vermögens aus dem Entwurf zu einer bundesrätlichen Botschaft zur Kenntnis zu bringen und ihn im übrigen wissen zu lassen, dass das grundsätzliche Problem weiter geprüft werde. Gleichzeitig würden wir es begrüssen, wenn Sie Herrn Isenbergh, falls die jüdischen Vereinigungen die Frage in der Schweiz weiter zu verfolgen wünschen, veranlassen wollten, sich zu diesem Zwecke der Vermittlung der schweizerischen Kreise zu bedienen, die bereits mit dem Politischen Departement in Verbindung standen (Schweizerischer Israelitischer Gemeindebund und die von ihr eingesetzte juristische Expertenkommission).
- 1
- Schreiben: E 2200.41(-)-/39/61. Paraphe: DO.↩
- 2
- Vgl. DDS, Bd. 16, Dok. 75, dodis.ch/17, Anm. 2, DDS, Bd. 17, Dok. 19, dodis.ch/2004 und das Protokoll der Sitzung des Expertenkomitees vom 17. April 1951 betreffend die schweizerisch-alliierten Verhandlungen über die Durchführung des Abkommens von Washington, E 2801(-)1968/84/91 (dodis.ch/8677).↩
- 3
- Vgl. die Note der französischen Botschaft in Bern an das Politische Departement vom 27. Mai 1947, E 2001(E)1967/113/374.↩
- 4
- Vgl. E 2001(E)1969/121/155.↩
- 5
- Vgl. die Note der französischen Botschaft in Bern an das Politische Departement vom 20. August 1946, E 2001(E)1967/113/374.↩
- 6
- Gestrichen wurde unter der Hand.↩
- 7
- Vgl. das Schreiben der Schweizerischen Bankiervereinigung an das Politische Departement vom 7. Oktober 1947, ebd., und das Memorandum der schweizerischen Delegation, das den Alliierten am 17. Mai 1951 während der schweizerisch-alliierten Verhandlungen über die Durchführung des Abkommens von Washington übergeben wurde, E 2801(-)1968/84/91 (dodis.ch/8678).↩
- 8
- Vgl. das Schreiben von G. Brunschvig an M. Petitpierre vom 8. Dezember 1947 und den Bericht von Ch. Knapp, G. Sauser-Hall und A. F. Schnitzer in der Beilage, E 2001(E)1967/ 113/374 (dodis.ch/6360).↩
- 9
- Vgl. das Schreiben von W. Stucki an das Justiz- und Polizeidepartement vom 5. November 1948, ebd.↩
- 10
- Vgl. das Schreiben von S. Cahn-Debré und M. Isenbergh an E. von Steiger vom 16. Juni 1949 und das Schreiben des Justiz- und Polizeidepartements an das American Jewish Committee vom 24. Juni 1949, E 4001(C)-/1/309.↩
- 11
- Vgl. DDS, Bd. 18, Dok. 5, dodis.ch/2661.↩
- 12
- Zu den polnisch-schweizerischen Verhandlungen und dem Abkommen vom 25. Juni 1949 vgl. DDS, Bd. 17, Dok. 132, dodis.ch/4761, Dok. 134, dodis.ch/4760, die Antwort von M. Petitpierre auf die Interpellation von W. Schmid vom 14. März 1950, E 2801(-)1968/84/91 (dodis.ch/8676).↩
- 13
- Zu diesem Entwurf vgl. E 2001(E)1967/113/11.Auf Weisung von M. Troendle wurde der folgende Abschnitt in die Endversion der Botschaft aufgenommen, vgl. die Notiz von F. Kappeler an M. Petitpierre vom 22. September 1949, E 2001(E)1967/113/775.↩
- 14
- Vgl. die Notiz von H. Vischer an M. Petitpierre vom 3. August 1949, E 2001(E)1967/113/ 374.↩
- 15
- Vgl. das Schreiben von M. Isenbergh an E. von Steiger vom 26. August 1949, ebd.↩
- 16
- Vgl. das Schreiben von E. von Steiger an M. Petitpierre vom 30. August 1949, ebd.↩
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Swiss financial market Dormant Bank Accounts (1947–1973)