Pubblicato in
Die Schweiz und die Konstruktion des Multilateralismus, Bd. 3. Diplomatische Dokumente der Schweiz zur Geschichte der UNO 1942–2002, vol. 15, doc. 27
volume linkBern 2022
Dettagli… |▼▶Collocazione
Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
Segnatura | CH-BAR#E7001C#1982/118#837* | |
Titolo dossier | Beziehungen der Schweiz zu den Vereinten Nationen (1971–1971) | |
Riferimento archivio | 2510.13 |
dodis.ch/55193Notiz des Integrationsbüros EPD–EVD1
UNO-Beitritt
Herr Direktor Jolles hat mir den UNO-Berichtsentwurf des EPD2 zum Lesen gegeben und mich als EWG-Arrangement-Propagandisten und ehemaligen UNO-Funktionär gebeten, meine ihm mündlich präsentierten Bemerkungen Ihnen in einer Notiz zu unterbreiten.
Der Berichtsentwurf zielt in seiner ganzen Tendenz auf einen raschmöglichen Beitritt der Schweiz zur UNO ab. Sobald er herauskommt, wird er die Diskussion über einen UNO-Vollbeitritt beleben, und dies zu einer Zeit, wo wir unser Arrangement mit Europa in möglichst überzeugender Weise durch eine Volksabstimmung schleusen müssen. Aus verschiedenen Gründen, die ich unten in der Reihenfolge ihrer Wichtigkeit aufführe, betrachte ich diese Kadenz als inopportun:
1. Wir sollten m.��E. dem Schweizervolk in Sachen neuer internationaler Verpflichtungen nicht zu viel auf einmal zumuten. Seine Absorptionsfähigkeit in dieser Beziehung erscheint noch als limitiert. Deshalb sollten wir uns im nächsten Jahr auf das vordringliche Arrangement mit Europa und auf die diesbezüglichen Aufklärungsbemühungen konzentrieren. Es wäre eine Erschwerung unserer Aufklärungstätigkeit, wenn wir gleichzeitig auch noch erklären müssten, warum der Bundesrat auch noch den UNO-Beitritt der Schweiz wünscht. Wenn der Bundesrat durch den kommenden UNO-Bericht den Eindruck erweckt, er sei entschlossen, dem Volk auch den UNO-Beitritt «den Rachen hinabzujagen», dann könnte sich als Trotzreaktion auch die Zahl der Nein-Stimmen gegen das EWG-Arrangement erhöhen.3 Obwohl die Frauenstimmrechtsabstimmung4 gezeigt hat, dass die Schweizer aufgeschlossener werden, würde ich eher für Vorsicht plädieren, umso mehr als besondere Dringlichkeit des UNO-Beitritts alles andere als erwiesen ist.
Es kann natürlich erwidert werden, diese Risiken seien nicht sehr gross, da wir für das EWG-Arrangement ja die Unterstützung des gesamten Parlamentes geniessen. Das wäre aber voreiliger Optimismus, da wir noch nicht alle Auflagen kennen, die uns in den Verhandlungen überbunden werden könnten; auch brauchen wir für das EWG-Arrangement eine überzeugende Mehrheit (Ev. auch Ständemehr?), damit wir das Resultat als Mandat für die aktive Ausnützung der Entwicklungsfähigkeit des Abkommens interpretieren können.
Weiter mag eingewendet werden, im UNO-Berichtsentwurf stehe nirgends, der Bundesrat habe den Beitritt schon beschlossen. Die folgenden Sätze geben dem Leser aber den gegenteiligen Eindruck:
«Nous prenons peu à peu plus nettement conscience du fait que la ligne de la politique étrangère de la Suisse passera un jour par l’adhésion aux Nations-Unies... Le Conseil fédéral entend préparer le pays à la décision qu’il s’agira de prendre dans un avenir que nous avons lieu de croire relativement proche.»5
Die Tatsache, dass die zu konstituierende Konsultative Kommission nur eine Alibifunktion hat, kommt im übrigen darin zum Ausdruck, dass gesagt wird, eine solche Kommission habe schon 1945 den Beitritt empfohlen und man wolle jetzt ein «organe analogue» schaffen, das «aux mêmes milieux» einen freien Entscheid über die Beitrittsfrage ermöglichen solle. Gleiche Zusammensetzung wie vor 25 Jahren, also Gewissheit, dass auch gleiches Ergebnis.6
2. Der UNO-Berichtsentwurf insistiert darauf, wie nachteilig es sei, dass die Schweiz in den UNO-Organen nicht auf der Basis der Gleichberechtigung vertreten sei, und dies trotzdem aus dem Bericht hervorgeht, dass wir in den meisten Fragen eine Mitsprachemöglichkeit haben. Dazu ist folgendes zu bemerken:
a) die Tatsache, warum die gegenwärtigen Formen der Beteiligung unbefriedigend seien, ist nirgends überzeugend dargelegt. Wenn man schon die relativ kleinen Probleme erwähnt, die mit Bezug auf die 6. Kommission (internationales Recht) bestehen, hätte man umgekehrt mit allem Nachdruck hervorheben müssen, dass wir in den wirtschaftlichen Organen der UNO (namentlich UNCTAD und UNIDO) trotz unserer Nichtmitgliedschaft eine grosse Rolle spielen können. Wir haben in der UNO weitgehend das, was wir langfristig in Europa möchten: wirtschaftliche Beteiligung ohne politisches «Involvement».
b) Der gegenwärtige Zeitpunkt ist für die Insistenz auf der Notwendigkeit eines vollen Mitspracherechts besonders inopportun: Denn in der Volksaufklärung betr. EWG-Arrangement werden wir unsern Vertrag, der kein Mitspracherecht enthalten wird und unter dem Titel der «Entwicklungsfähigkeit» uns lediglich eine Hoffnung auf punktuelle Mitsprache gewährt, als befriedigend bezeichnen müssen. Das zu einer Zeit, wo der gleiche Bundesrat in Sachen UNO, wo wir ein viel weitergehendes Mitspracherecht schon haben, erklärt, die gegenwärtige Lösung sei unbefriedigend! Durch die zeitliche Vermengung beider Fragen kommen Regierungssprecher in die Lage, einerseits zu behaupten, das fehlende Mitspracherecht in der EWG sei gar nicht schlimm, anderseits aber zu anerkennen, mit Bezug auf die UNO sei der Bundesrat zur Auffassung gelangt, das Fehlen eines vollen Mitspracherechts sei abträglich.
Eine solche Linie der Argumentation verfolgen zu müssen, ist aus verschiedenen Gründen unerwünscht:
(i) Der einfache Bürger kommt erst recht nicht mehr nach. Warum ist in einem Fall etwas richtig, was im andern Fall falsch wäre?
(ii) Eine solche Argumentation wäre nicht ehrlich. Denn das fehlende Mitspracherecht in Europa ist potentiell wesentlich folgenschwerer als das fehlende volle Mitspracherecht in der UNO.
(iii) Indem wir den UNO-Beitritt als «l’aboutissement logique d’une collaboration étendue sur plus d’un quart de siècle» bezeichnen, exponieren wir uns den Argumenten der Schwarzenbachs7 und übrigen Isolationisten, die unter unserer Insistenz auf der Entwicklungsfähigkeit eines EWG-Abkommens die Tendenz, auf einen Vollbeitritt hinzuwirken, wittern: «Wie Ihr das bei der UNO gemacht habt, wollt Ihr mit Salamitaktik uns für einen Vollbeitritt zur EWG langsam weich machen.» Nun sollten wir aber in der Volksaufklärung betr. EWG-Abkommen alles vermeiden, was den Eindruck aufkommen lässt, es werde «eigentlich» über den Beitritt zur EWG abgestimmt. Abkommensgegner wie Extremlinke und Extremrechte sollten nicht «Wehret den Anfängen!» oder «Gib nicht den kleinen Finger!» warnen können. Jedenfalls wird in verschiedenen Kreisen das Verständnis für die Notwendigkeit der Entwicklungsfähigkeit eines EWG-Abkommens nicht gefördert, wenn wir gleichzeitig am Exempel UNO eine Entwicklungsfähigkeit vordemonstrieren, die laut Bundesrat logischerweise in einen Vollbeitritt ausmünden muss. Wiederum: Eine Aktivierung der UNO-Problematik im jetzigen Zeitpunkt riskiert die Konfusion der Geister zu erhöhen.
3. Der Berichtsentwurf bemüht sich, zu beweisen, dass «la mission de l'ONU dans les domaines techniques est donc inséparable de sa mission proprement politique... Vue sous cet angle, notre adhésion à l'ONU signifierait une pénétration dans une sphère non pas distincte, mais naturellement complémentaire de celle dans laquelle nous nous mouvons actuellement. Ces deux sphères sont au demeurant en constante symbiose.» Diese Art der Argumentation ist in v��lligem Widerspruch zu unseren Thesen betreffend Beteiligung an der wirtschaftlichen Integration Europas, wo wir stets behaupten, es gebe wirtschaftliche Formen der Beteiligung, die nicht politisch seien und uns politisch nicht ins Spiel hineinziehen würden. Wenn ich die «Europa-Union» wäre, würde ich diesen Widerspruch der Argumentation an die grosse Glocke hängen. Auch hier kommt «das Volk» nicht mehr draus; jedenfalls ist die Volksaufklärung wesentlich erschwert, wenn es erscheint, dass von oben je nach Zweck vollkommen widersprüchlich argumentiert wird.
4. Ich anerkenne durchaus, dass die Schweiz international «partizipationistischer» werden muss. Bei der Durchführung einer solchen Politik müssten jedoch Prioritäten gesetzt werden. Man müsste dort beginnen, wo wirtschaftliche Interessen oder die politische Dringlichkeit eine Ausdehnung unserer Verpflichtungen nahelegen. In dieser Prioritätsordnung kommt m. E. der UNO-Beitritt an letzter Stelle: Das Europa-Arrangement im Rahmen einer Gesamtlösung, der Beitritt zum Internationalen Währungsfonds, die Aktivierung unserer Entwicklungspolitik, ja sogar die Sicherheitskonferenz, kommen m. E. vor dem UNO-Beitritt. Die Nicht-Aktivierung unserer Politik auf diesen Gebieten hat m. E. mehr Nachteile, als es die vorläufige Beibehaltung unseres gegenwärtigen Status bei der UNO hätte. Gegenüber dem Argument, wonach ein UNO-Beitritt als Balanceakt zu unserem grösseren Engagement in Europa notwendig sei, kann erwähnt werden, dass die Universalisierung unserer diplomatischen Beziehungen (Nordvietnam,8 Nordkorea,9 DDR10), der Beitritt zum IWF11 und die Entwicklungspolitik vorläufig eine genügende Aktivierung der universalistischen Komponente unserer Aussenpolitik darstellen.12
5. Ich ziehe aus den obigen Überlegungen folgende Konklusionen:
a) Der neue UNO-Bericht sollte keine Sätze enthalten, die den Eindruck erwecken, die Meinungen seien oben schon definitiv gemacht. Es handle sich nur noch um die «Konditionierung» («préparer») der öffentlichen Meinung.
b) Die Nachteile der Nicht-Gleichberechtigung sollten im Hinblick auf unser EWG-Arrangement weniger herausgestrichen werden.
c) Es sollte klar gesagt sein, dass die Konsultativkommission das Für und Wider eines Beitritts prüfen sollte und dass sie aus Befürwortern und Zweiflern zusammengesetzt sein wird.
d) Es sollte klargemacht werden, dass der Bericht der Konsultativkommission erst für 1973 (oder anfangs 1973) erwartet wird, damit die UNO-Frage nicht mit der EWG-Frage vermengt wird. Weiterer Vorteil: Wir wissen dann auch, wie das Volk in Sachen EWG reagiert hat.13
- 1
- CH-BAR#E7001C#1982/118#837* (2510.13). Diese, an den Vorsteher des EVD, Bundesrat Ernst Brugger, gerichtete Aktennotiz wurde von Christoph Eckenstein, Chef der Abteilung Informationsfragen im Integrationsbereich des Integrationsbüros EPD–EVD, verfasst und unterzeichnet. Eine Kopie der Notiz ging an den Direktor des Bundesamts für Aussenwirtschaft, Botschafter Paul Rudolf Jolles. Der Generalsekretär des EVD, Alfons Hasler, visierte die Notiz am 20. Oktober 1971.↩
- 2
- Für eine Kopie des Berichtsentwurfs des EPD vgl. das Dossier CH-BAR#E7001C#1982/118#837* (2510.13), für den definitiven Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über das Verhältnis der Schweiz zu den Vereinten Nationen und ihren Spezialorganisationen für die Jahre 1969–1971 vom 17. November 1971 vgl. dodis.ch/34439. Zum zweiten UNO-Bericht des Bundesrats vgl. zudem die Zusammenstellung dodis.ch/C2246.↩
- 3
- Vgl. dazu die thematische Zusammenstellung Freihandelsabkommen mit der EWG (FHA), dodis.ch/T2064. Am 3. Dezember 1972 stimmte die schweizerische Stimmbevölkerung schliesslich mit 72,53% Ja-Stimmen dem Freihandelsabkommen mit der EWG zu.↩
- 4
- Zur Abstimmung vom 7. Februar 1971 über die Einführung des Stimm- und Wahlrechts für Frauen in eidgenössischen Angelegenheiten vgl. das Schlagwort Frauenstimmrecht, dodis.ch/D881.↩
- 5
- Zur Haltung des Bundesrats betreffend den Schlussfolgerungen des geplanten Berichts vgl. das BR-Prot. Nr. 1569 vom 15. September 1971, dodis.ch/34293.↩
- 6
- Zur Arbeit und den Berichten der konsultativen Kommission für die Prüfung der Satzung der Vereinten Nationen vgl. dodis.ch/54228 und dodis.ch/54229.↩
- 7
- Anspielung auf die «Volksinitiative gegen die Überfremdung» vom 7. Juni 1970, eingereicht von einem Komitee rund um Nationalrat James Schwarzenbach. Vgl. dazu insbesondere den Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über das zweite Volksbegehren gegen die Überfremdung vom 22. September 1969, das BR-Prot. Nr. 1244 vom 15. Juli 1970, dodis.ch/36347 sowie die thematische Zusammenstellung Überfremdungs-Initiativen, dodis.ch/T2030. ↩
- 8
- Zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Nordvietnam vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C2229.↩
- 9
- Zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Nordkorea vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C2234, insbesondere die BR-Prot. Nr. 995 vom 24. Juni 1974, DDS, Bd. 26, Dok. 91, dodis.ch/39265 und Nr. 161 vom 5. Februar 1975, dodis.ch/39282.↩
- 10
- Zur Normalisierung der wirtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen mit der DDR vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C2256, insbesondere die BR-Prot. Nr. 1330 vom 9. August 1972, dodis.ch/34365; Nr. 2197 vom 4. Dezember 1972, dodis.ch/34375 und Nr. 16 vom 10. Januar 1973, dodis.ch/39404.↩
- 11
- Zu den Diskussionen um einen Beitritt der Schweiz zum IWF in den frühen 1970er Jahren vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C2258. Zum definitiven Beitritt der Schweiz zum IWF am 29. Mai 1992 vgl. das BR-Prot. Nr. 979 vom 20. Mai 1992, dodis.ch/60632 sowie die thematische Zusammenstellung Beitritt der Schweiz zu den Bretton-Woods-Institutionen (1989–1993), dodis.ch/T1721.↩
- 12
- Anmerkung im Original: Im übrigen sollte man sich auch der Probleme voll bewusst sein, die ein UNO-Beitritt mit sich bringen würde. U. U. Belastung unserer Beziehungen zu Staaten, gegen die wir stimmen. Vor allem aber: Im letzten Jahrdutzend war die Meinung des «Establishment» jedenfalls der deutschen Schweiz in vielen Fragen in absolutem Gegensatz zur UNO-Mehrheit: «Die Schweizer» waren für Tschombé, gegen die Anti-Rhodesien- und Anti-Südafrika-Kampagne der UNO, gegen die anti-israelische, pro-arabische UNO-Mehrheit, gegen die «überstürzte» Dekolonisierung, gegen das Schweigen der UNO bei der Besetzung des CSR etc. Der schweizerische Vertreter wird bei der Stimmabgabe die Wahl haben, entweder zur dominierenden UNO-Tendenz oder zur «öffentlichen Meinung» unseres Landes im Gegensatz zu stehen. Wenn man hingegen noch ein bisschen zuwartet, könnte sich die in der Schweiz schon jetzt feststellbare Tendenz zu einer weniger einseitigen aussenpolitischen Sensibilisierung verstärkt haben.↩
- 13
- Vgl. Anm. 3.↩
Collegamenti ad altri documenti
http://dodis.ch/55193 | vedere anche | http://dodis.ch/34293 |
http://dodis.ch/60378 | vedere anche | http://dodis.ch/55193 |
Tags
Questioni legate all'adesione a organizzazioni internazionali