dodis.ch/48693Notiz des Chefs der Politischen Abteilung I des Politischen Deprtements, A. Hegner1

Antrittsbesuch des sowjetischen Botschafters Lavrov bei Bundesrat Aubert

Die weit über die für solche Besuche vorgesehene protokollarische Zeit hinausgehende Audienz wurde fast ausschliesslich von einem Monolog Botschafters Lavrovs über das schweizerisch-sowjetische Verhältnis2 aus Moskauer Sicht eingenommen. Dabei sind folgende Punkte festzuhalten.

1) Das anlässlich des Besuches3 von Aussenhandelsminister Patolichev unterzeichnete Abkommen4 über die Entwicklung der wirtschaftlichen, industriellen und wissenschaftlich-technischen Kooperation sei Ausgangspunkt zu neuen vertraglichen Bindungen zwischen der UdSSR und der Schweiz, so vor allem auf dem Gebiete des Energiewesens, der Rohstoffe und des Handelsaustausches5. Im Verkehr mit der Sowjetunion sei es nicht möglich, aufgrund der marktwirtschaftlichen Prinzipien alle Möglichkeiten auszuschöpfen. Aufgabe solcher Vereinbarungen wäre es, die Wirtschaftszweige auf die sich ihnen bietenden Absatzmöglichkeiten aufmerksam zu machen. Lavrov habe diesbezüglich bereits Kontakte mit den Herren von Planta und Leutwiler6 aufgenommen. Zu berücksichtigen sei, dass in Moskau gegenwärtig die Vorarbeiten für den nächsten 5-Jahres-Plan im Gang seien.

2) Vertragliche Bindungen sollten auch andere Tätigkeitsgebiete des öffentlichen Lebens erfassen. Dabei steht aus russischer Sicht der Abschluss eines Kulturabkommens im Vordergrund, das beispielsweise für zwei Jahre einen genau definierten Kulturaustausch vorsieht7.

3) Die Ausweitung des Reiseverkehrs zwischen der Sowjetunion und der Schweiz führe dazu, dass sich immer zahlreichere konsularische Probleme stellen. Die sowjetischen Behörden seien zuweilen aufgerufen, Schweizerbürgern Hilfeleistungen zu bieten, für die keine vertraglichen und gesetzlichen Grundlagen bestehen (Fürsorge für Kranke und Verunfallte etc.). Aus diesem Grunde treten die sowjetischen Behörden für den Abschluss eines Konsularabkommens ein (das den Rahmen der Wiener Konvention8 nicht zu überschreiten brauche).

4) Im Gespräch mit Kreisky hätten sowohl Breschnew wie Kossygin ihre positive Bewertung der Rolle, welche die europäischen Neutralen spielen, unterstrichen9. Dabei sei besonders die Aktivität dieser Staaten in Belgrad10 bei der Überwindung von Schwierigkeiten zwischen den Militärallianzen von Bedeutung. Botschafter Lavrov wiederholte daraufhin die bekannten sowjetischen Thesen betreffend die Nicht-Einmischung. Er freue sich, dass der Plan einer Expertengruppe SRPD sich im Laufe dieses Jahres verwirklichen werde11; immerhin sei der Konsensus zu einem Kurzbericht nur unter der Bedingung möglich, dass darin die sogenannten «Menschenrechte»12 keine Erwähnung finden.

5) Die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Schweiz haben sich heute soweit entwickelt, dass Kontakte auf höchster Ebene möglich und wünschenswert wären.

Der Departementschef antwortet, dass Generalsekretär Weitnauer sich im Laufe dieses Semesters nach Moskau begeben werde13 und dort auch Fragen betreffend einen Aufenthalt des Chefs des Politischen Departements in Moskau im kommenden Jahr behandeln könne14. Gerade Länder wie die Schweiz sind an der Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa besonders interessiert. Sie halte dafür, dass am Belgrader Treffen konkrete Fortschritte erzielt werden. Aufgabe solcher Treffen ist es, selbst kleine Schritte herbeizuführen und über die Durchführung der Bestimmungen zu befinden, ohne sich jedoch in ein Tribunal zu verwandeln. Wir wünschen eine Weiterentwicklung des Entspannungsprozesses und eine möglichst weitgehende Durchführung der Bestimmungen der Schlussakte15.