Überblick über die Probleme, welche sich bei den Verhandlungen zwischen Japan und der Schweiz betreffend Kriegsentschädigung stellen.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 19, doc. 60
volume linkZürich/Locarno/Genève 2003
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2200.136-01#1000/186#30* | |
Old classification | CH-BAR E 2200.136-01(-)1000/186 3 | |
Dossier title | Réparations, indemnités de guerre (1952–1954) | |
File reference archive | N.04.1 |
dodis.ch/10200
Der stellvertretende Chef der Abteilung für Politische Angelegenheiten des Politischen Departements, E. von Graffenried, an den schweizerischen Gesandten in Tokio, R. Hohl1
Mit Brief vom 13. d. M.2 haben wir Ihnen eine Kopie unserer am 10. April der japanischen Gesandtschaft in Bern übergebenen Note3 betreffend die hängigen Finanzprobleme übermittelt. Im folgenden beehren wir uns, Sie im einzelnen über die Entwicklung zu unterrichten. Der fraglichen Note lag der Gedanke zu Grunde, unsere Stellungnahme sowohl materiell wie punkto Prozedur niederzulegen und weiterhin nach Möglichkeit für eine Gesamtbehandlung aller Probleme einzutreten.
1. Freigabe der japanischen Guthaben:
Die Japaner hatten in ihrer Note vom 3. März4 aus grundsätzlichen Überlegungen die Aufhebung der Sperre postuliert. Eine solche separate Freigabe liesse sich jedoch im jetzigen Zeitpunkt kaum verantworten. Zudem wäre zweifellos mit Versuchen zu Arrestnahme auf den Guthaben der Yokohama Specie Bank5 zu rechnen, namentlich für die bekannten Lizenzforderungen6. Der japanische Gesandte7 gibt sich von diesen Umständen Rechenschaft, war jedoch offensichtlich mit dem grundsätzlichen Begehren beauftragt. Vermutlich wird er sich nach den von uns angedeuteten «Präzedenzfällen» erkundigen.
Auch eine nur teilweise Aufhebung, begrenzt auf die eigentlichen privaten Guthaben, scheint uns jedenfalls zurzeit verfrüht. Wir werden uns vorläufig darauf beschränken, auf Gesuch hin einzelne private Guthaben nur teilweise freizugeben. So haben wir vor kurzem auf Wunsch der japanischen Gesandtschaft in Bern Fr. 10’000.– aus dem Guthaben des Herrn Shô Kurihara, ehemaliger japanischer Botschafter in Ankara, deblockiert8.
Was andrerseits die alliierten Ansprüche gemäss Art. 16 des Friedensvertrages von San Francisco9 betrifft, haben wir einer vertraulichen Mitteilung der Schweizerischen Gesandtschaft in London10 entnommen, man beabsichtige, von den Japanern eine Globalsumme zugunsten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz zu verlangen. Wir wissen nicht, wie sich diese Angelegenheit unterdessen entwickelt hat. Jedenfalls lässt sich aber daraus schliessen, dass die Japaner wieder vermehrtes Interesse an einer baldigen Freigabe der in der Schweiz gesperrten Guthaben besitzen, was von uns verhandlungstaktisch ausgenützt werden sollte.
2. Schweizerische Gegenforderungen:
Die Schweizerische Verrechnungsstelle wurde von uns beauftragt, sich mit einem Zirkular an alle diejenigen Schweizergläubiger zu wenden, die seinerzeit Forderungen gegenüber Japan angemeldet hatten, um deren heutigen Stand kennen zu lernen. Es wird darin ausdrücklich hervorgehoben, dass es grundsätzlich Sache des Gläubigers bleibt, nicht nur seine Forderungen gegenüber dem Schuldner selbst geltend zu machen, sondern auch letzteren zu veranlassen, die zur Zahlung seiner Schuld notwendigen Schritte bei den zuständigen Devisenbehörden zu unternehmen. In der Anlage übermitteln wir Ihnen eine Kopie des betreffenden Zirkulars11.
Die alten Lizenzforderungen gegenüber dem japanischen Marineministerium werden dabei besondere Probleme darstellen. Wenn wir auch die Interessenten grundsätzlich auf den Weg der direkten Geltendmachung verweisen werden, so wird es sich kaum vermeiden lassen, dass wir uns früher oder später mit einzelnen Fällen zu befassen haben werden. In diesem Zusammenhang ist denn auch Herr Nationalrat Duft, Präsident des Verwaltungsrates der Bank für Anlagewerte, erneut an uns gelangt. Wir übermitteln Ihnen beiliegend eine «Aktennotiz»12 mit unserer Antwort vom 1. April13, aus welchen unser Verhalten hervorgeht.
3. Kriegsschäden:
a) Annexe A14 unserer Note vom 10. April betrifft die Verwendung eines Betrages von rund SFr. 2,4 Millionen, welche im Jahre 1948 den Guthaben der ehemaligen japanischen Gesandtschaft in Bern entnommen und an die an Leib und Leben geschädigten Landsleute verteilt wurden15. Wir haben es vermieden, darin auf die japanischen Grausamkeiten während des Krieges genauer einzugehen, aus der Überlegung, dass die heutige japanische Regierung wohl ebenfalls ein Interesse daran haben wird, nicht mehr auf die unrühmliche Vergangenheit zurückzukommen. Wenn sich Japan mit unseren Erklärungen nicht begnügt, besteht immer noch die Möglichkeit zu Präzisierungen.
Annexe B16 stellt die eigentliche Basis für unsere Verhandlungen über Requisitions- und Plünderungsschäden mit den Japanern dar. Da bisher immer die Rede von ca. Fr. 9 Millionen war, werden Sie wohl durch die Erwähnung von Fr. 12–15 Millionen überrascht sein. Dazu ist jedoch zu sagen, dass bisher erst 2/3 der Dossiers endgültig bearbeitet wurden; ferner muss mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass noch neue Fälle in Erscheinung treten, die bisher unbekannt waren; dazu kommt noch die taktische Überlegung im Hinblick auf die Festsetzung eines Forfait-Betrages. Nach wie vor sehen wir nämlich in der Bezahlung einer Globalabfindung die einzige Lösung17. Unter allen Umständen muss verhindert werden, dass die Japaner sämtliche Einzelfälle überprüfen, was nicht nur ausserordentlich zeitraubend und mühsam wäre, sondern zweifellos auch zu einer ganzen Reihe von Kontroversen führen würde. Wir sind uns jedoch bewusst, dass wir den Japanern wahrscheinlich Einblick in eine Anzahl Unterlagen geben müssen, damit sie wenigstens einige Beispiele kennen lernen und sich vergewissern können, dass unsere Überprüfung objektiv durchgeführt wurde18.
Der Hinweis, dass wir bereit sind, Einblick in einige Einzelfälle zu ermöglichen, entspricht gleichzeitig dem Bestreben, eine Abtrennung von den übrigen Fragen, wie sie in der japanischen Note angedeutet war, zu vermeiden. Es liegt uns besonders viel daran, so lange wie möglich alle Probleme gesamthaft zu behandeln und deshalb in Bern zu zentralisieren; die Frage der Kriegsschäden soll daher auch nicht ausgeschieden werden.
Die durch eigentliche Kriegshandlungen (Bombardierungen, Beschiessungen usw.) verursachten Schäden wurden im Betrag von Fr. 12–15 Millionen nicht berücksichtigt.
b) Wie Sie wissen, galt in Japan während des Krieges ein vom 19. 12. 1941 datiertes Gesetz, das die Versicherung gegen Kriegsschäden regelte und das auch auf Schweizerbürger anwendbar war. In der Folge zeigte es sich, dass die von den Versicherten zu leistenden Prämien sehr hoch waren, während die Entschädigungen zum grössten Teil auf Sperrkonti überwiesen wurden. Die Versicherung hatte praktisch somit weitgehend einen spoliativen Charakter. Ob sie jetzt noch in irgendeiner Form besteht, entzieht sich unserer Kenntnis, weshalb wir über diesen Punkt und insbesondere über das Schicksal der von den Versicherten einbezahlten Prämien und der von der Versicherung auf Sperrkonti geleisteten Entschädigungen näher orientiert werden sollten. Ausserdem wäre uns gedient, eine Übersetzung eines allfälligen japanischen Kriegsschadengesetzes zu erhalten, gleichgültig ob es nur auf das Mutterland oder auch auf die früher besetzten Gebiete anwendbar ist19. Möglicherweise ist die Geltendmachung von Ersatz für Ausschreitungs-, Plünderungs- und Requisitionsschäden, für die bekanntlich ein völkerrechtlicher Wiedergutmachungsanspruch grundsätzlich besteht, besonders geregelt, weshalb wir Sie bitten, dieser Frage Ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Schliesslich ersuchen wir Sie, nach Möglichkeit abzuklären, ob und welche Abkommen Japan mit Drittstaaten in der Kriegsschadenfrage in der letzten Zeit abgeschlossen hat20.
4. Japanische Aussenschuld:
Diese Frage schien bisher sowohl für die Japaner, die alles Interesse daran haben, ihre Kreditwürdigkeit wieder herzustellen, als auch für uns, da die Banken eine rasche Lösung forderten, am dringendsten. Die Japaner wollen jedoch weiterhin mit uns darüber keine Besprechungen führen so lange sie mit den Franzosen keine Einigung über ähnliche Probleme gefunden haben. Wie Ihnen bekannt ist, wurden die Verhandlungen in Paris21 unterbrochen und sollen erst im Monat Juni wieder aufgenommen werden. Es wäre bedauerlich, wenn aus diesem Grunde auch die Besprechungen mit der Schweiz erneut verschoben werden müssten.
Schweizerischerseits hat jedoch das praktische Interesse an einer raschen Lösung etwas nachgelassen, indem zufolge der heutigen geringen Kursdifferenz zwischen dem Abkommens-Pfund und dem freien Pfund (sog. B-Pfund) eine Abwicklung ausserhalb des Clearings mit kleinem Verlust möglich ist. Dies kann jedoch nur als eine provisorische Lösung angesehen werden.
In Vorbereitung eventueller Verhandlungen haben wir die Schweizerische Bankiervereinigung beauftragt, eine Enquete über den Gesamtnominalbetrag der von schweizerischen Banken verwalteten japanischen Pfundtiteln durchzuführen. Wir legen zu Ihrer Kenntnisnahme eine Kopie des Zirkulars an die Banken bei22.
Wir wollten nicht verfehlen, Sie über den heutigen Stand der Lage zu orientieren und erwarten nun mit grossem Interesse die japanische Reaktion auf unsere Note23.
- 1
- Schreiben: E 2200.136(-)-/6/3. Paraphe: DT.↩
- 2
- Vgl. das Schreiben des Politischen Departements an die schweizerische Gesandtschaft in Tokio vom 13. April 1953. Nicht abgedruckt.↩
- 3
- Vgl. die Note des Politischen Departements an die japanische Gesandtschaft in Bern datiert vom 9. April 1953, E 2001-06(-)1968/248/1.↩
- 4
- Vgl. die Note der japanischen Gesandtschaft in Bern an das Politische Departement vom 3. März 1953, E 2001(E)1969/121/386.↩
- 5
- Vgl. die Notiz von H. Vischer an H. Frölicher vom 11. August 1952, E 2001-06(-)1968/ 248/1 (dodis.ch/7387).↩
- 6
- Zu den Lizenzforderungen von O. Wyss, A. Schmid, E. Maurer und J. Rochat vgl. E 2200.136(-)-/6/3, E 2001(E)1969/121/384 oder E 2001(E)1970/217/477.↩
- 7
- T. Hagiwara.↩
- 8
- Zu den gesperrten Vermögenswerten japanischer Diplomaten vgl. E 2001(E)1969/121/386.↩
- 9
- Artikel 16 des Friedensvertrages von San Francisco vom 8. September 1951 lautet: As an expression of its desire to indemnify those members of the armed forces of the Allied Powers who suffered undue hardships while prisoners of war of Japan, Japan will transfer its assets and those of its nationals in countries which were neutral during the war, or which were at war with any of the Allied Powers, or, at its option, the equivalent of such assets, to the International Committee of the Red Cross which shall liquidate such assets and distribute the resultant fund to appropriate national agencies, for the benefit of former prisoners of war and their families on such basis as it may determine to be equitable. E 2001-06(-) 1968/248/1.↩
- 10
- Vgl. das Schreiben von H. de Torrenté an A. Zehnder vom 12. März 1953, E 2001(E)1969/ 121/386.↩
- 11
- Vgl. das Zirkular Japan der Schweizerischen Verrechnungsstelle (undatiert). Nicht abgedruckt.↩
- 12
- Vgl. die Akten-Notiz, Schweizerische Forderungen gegenüber Japan und japanische Guthaben in der Schweiz vom 24. März 1953. Nicht abgedruckt.↩
- 13
- Vgl. das Schreiben von E. von Graffenried an E. Duft vom 1. April 1953. Nicht abgedruckt.↩
- 14
- Vgl. Annexe A. Dommages causés à des ressortissants suisses à la suite de sévices imputables à des organes japonais der Note des Politischen Departements an die japanische Gesandtschaft in Bern vom 9. April 1953, E 2001-06(-)1968/248/1.↩
- 15
- Vgl. DDS, Bd. 18, Dok. 103, dodis.ch/7402(dodis.ch/7402).↩
- 16
- Vgl. Annexe B. Dommages causés à des ressortissants suisses à la suite de pillages et réquisitions imputables à des organes japonais der Note des Politischen Departements an die japanische Gesandtschaft in Bern vom 9. April 1953, E 2001-06(-)1968/248/1.↩
- 17
- Vgl. die Notiz von R. Bindschedler an W. Weingärtner vom 17. August 1953, ibid. (dodis.ch/10201).↩
- 18
- Am 10. und 12. März 1954 übergab die Schweiz der japanischen Regierung die Unterlagen zu insgesamt 50 Schadensfällen. Die Japaner forderten nach der Durchsicht dieser Einzelfälle, dass die Schadenssumme von 22 Mio. um rund die Hälfte gesenkt werde vgl. die Notiz von W. Weingärtner an A. Zehnder vom 14. Oktober 1954, ibid.↩
- 19
- Vgl. das Schreiben von E. V. A. de Becker an R. Hohl vom 9. Juni 1953. Dieses enthält eine englische Übersetzung des japanischen Kriegsschadengesetzes vom 19. Dezember 1941, ibid.↩
- 20
- Vgl. die Schreiben von R. Hohl an A. Zehnder vom 14. Juli 1953, E 2001(E)1969/121/ 384 und E. von Graffenried an O. K. Seifert vom 24. Februar 1955, E 2001(E)1976/17/483 (dodis.ch/10090).↩
- 21
- Die Verhandlungen zwischen der japanischen und der französischen Regierung betreffend die Bezahlung der japanischen Schulden begannen am 5./6. Februar 1953 und wurden am 28./29. März 1953 unterbrochen vgl. E 2001(E)1969/121/384.↩
- 22
- Vgl. das Zirkular Japan / betr. auf £ lautende äussere Anleihen vom 1. April 1953. Nicht abgedruckt.↩
- 23
- Am 21. Januar 1955 unterzeichneten Japan und die Schweiz die Vereinbarung zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und Japan über die Regelung gewisser schweizerischer Ansprüche gegenüber Japan vgl. AS, 1955, S. 344–346 (dodis.ch/10172).↩
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