Bericht über die Verhandlungen zu einem Doppelbesteuerungsabkommen mit der BRD. Es werden auch weitere Aspekte der Beziehungen Schweiz - BRD dargelegt.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 19, doc. 80
volume linkZürich/Locarno/Genève 2003
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1969/121#2869* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1969/121 111 | |
Dossier title | Doppelbesteuerungsabkommen mit Deutschland (1946–1954) | |
File reference archive | B.34.12.0 • Additional component: Deutschland |
dodis.ch/9506 Interne Notiz des Politischen Departements1
1. Vom 9. bis 11. Dezember 1953 fanden in Bonn Doppelbesteuerungsverhandlungen statt, die zur Unterzeichnung des beiliegenden Verhandlungsprotokolls führten2. Es handelte sich zur Hauptsache um die Durchführung des Verständigungsverfahrens nach Artikel 13 des Doppelbesteuerungsabkommens. Das Verhandlungsprotokoll regelt eine Reihe von Einzelfällen, die mehr technischer Natur sind.
Nicht gelöst ist die Frage, ob die Kirchensteuern unter das Doppelbesteuerungsabkommen fallen. Die Deutschen wollten die Frage verneinen, während schweizerischerseits die gegenteilige Auffassung vertreten wurde. Die beiden Delegationen stellten aber mündlich fest, dass dem Problem keine grosse Tragweite zukommt, so dass davon abgesehen wurde, den Versuch zu unternehmen, schriftlich irgend etwas zu fixieren. Möglicherweise wird später eine Regelung getroffen werden müssen.
Eine praktisch wichtige Auskunft wurde von den Deutschen in dem Sinne gegeben, dass Berlin betreffende Doppelbesteuerungsfälle direkt von der schweizerischen Delegation in Berlin vertreten werden müssen, ohne dass die Behörden in Bonn zu begrüssen sind.
Die beiden Delegationen waren sich einig darüber, dass die Verhandlungsprotokolle und Notenwechsel aus den Jahren 1931, 1940 und 1943 weitergelten. Leider war es nicht mehr möglich, das Auswärtige Amt dazu zu bringen, den bestätigenden Notenwechsel sofort zu vollziehen. Im Auswärtigen Amt scheinen personelle und organisatorische Fragen im Vordergrund zu stehen, so dass mit raschen Reaktionen nicht zu rechnen ist. Herr Legationsrat Rebsamen und ich haben einen schweizerischen Notenentwurf vorbereitet. Die Gesandtschaft wird die Sache weiterhin beim Auswärtigen Amt, das den Entwurf besitzt, vertreten.
2. Die schwierigste Frage, die während der Verhandlungen aufgeworfen wurde, betraf das Verhältnis zwischen Doppelbesteuerungsabkommen und Lastenausgleich. Sie konnte nicht abschliessend bereinigt werden. Die Deutschen vertraten die Auffassung, (m. E. zu Unrecht), die Lastenausgleichsabgaben seien nicht Steuern im Sinne des Doppelbesteuerungsabkommens. Über diese Meinungsverschiedenheit konnte keine Einigung erzielt werden. Deutscherseits wurde mit Energie die Ansicht vertreten, das schweizerisch-deutsche Abkommen vom 26. August 1952 über die deutschen Vermögenswerte in der Schweiz3 sei nur verständlich, wenn die Lastenausgleichsabgaben nicht unter das Doppelbesteuerungsabkommen fallen. Das würde praktisch bedeuten, dass jenes Abkommen dieses abgeändert hat. Ich habe delegationsintern mich dagegen gewendet, dass wir in diesen recht komplizierten Fragen irgend etwas präjudizieren. Wir haben auch kein Interesse daran, um jeden Preis eine sofortige Lösung zu provozieren, nachdem vorläufig die Schweizerbürger die Lastenausgleichsabgaben nicht zahlen müssen.
3. Nebenbei erwähnte die deutsche Delegation das Rechtshilfeproblem, ohne aber irgend welche Begehren zu stellen4.
4. In einem Brief vom 25. November 1953 hatte der Vorort die Frage aufgeworfen5, ob nicht unter gewissen Voraussetzungen ausländische Buchsachverständige in der Schweiz Kontrollen durchführen könnten. Herr Dr. Herold, der der Delegation als Experte zugeteilt war, kam aber auf die Sache nicht zu sprechen, so dass ich mich hütete, dieses Problem zu dem wir wohl nur eine negative Haltung einnehmen könnten, aufzugreifen. Deutscherseits wurde es im Zusammenhang mit der Rechtshilfe (Ziffer 3) angedeutet.
5. Delegationsintern wurde der Fall Sandoz besprochen. Der Vorort ist im Besitz einer sehr langen Eingabe der Firma. Nach Auffassung von Herrn Dr. Locher, Steuerverwaltung, handelt es sich um einen Fall, den – weil dubios – der Bund nicht vertreten sollte. Mit der Gesandtschaft wurde vereinbart, dass sie vorläufig nichts unternehmen soll. Sie hat übrigens früher schon vom Departement Instruktionen erhalten, wonach sie zunächst den angekündigten Besuch eines Sandoz-Vertreters abwarten solle. Dieser ist bis jetzt nicht erschienen. Im übrigen wurde festgestellt, dass solche Fälle (das gilt auch für die Ciba) nur bearbeitet werden können, wenn konkrete Unterlagen vorliegen.
6. Ich habe mich während der Verhandlungen mehrmals gefragt, ob es richtig sei, dass ein Vertreter des Politischen Departementes an solchen Besprechungen teilnimmt, die ja zum grössten Teil technischen Charakter haben. Der Vertreter der Steuerverwaltung liess dann auch gelegentlich durchblicken, dass er bessere Ergebnisse zu erzielen pflege, wenn die Gespräche nur unter «fachkundigen Spezialisten» geführt werden. Es hat sich aber auch diesmal gezeigt, dass es nicht gut ist, wenn dem Fiskus allzu viel Freiheit eingeräumt wird. Der Vertreter der Steuerverwaltung wäre beispielsweise ohne weiteres bereit gewesen, eine sogenannte «praktische» Vereinbarung über das Verhältnis Lastenausgleich / Doppelbesteuerungsabkommen / Abkommen betreffend die deutschen Vermögenswerte abzuschliessen, obwohl diese Probleme nicht nur steuerlicher Natur sind.
7. Die Frage, in welcher Form die Weitergeltung des schweizerisch-deutschen Vertragswerkes festgehalten werden müsse, habe ich mit Herrn Legationsrat Rebsamen besprochen6. Er hält es für ausgeschlossen, jetzt vom Auswärtigen Amt die Zustimmung zur Publikation eines entsprechenden Notenwechsels zu erhalten. Bis eine solche Zustimmung erhältlich gemacht werden kann, dürfte noch längere Zeit verstreichen. Das Auswärtige Amt vermeidet es peinlich, solche Angelegenheiten mit den Alliierten zu besprechen. Wir sind zum Schlusse gekommen, es wäre am besten, die Sache auf sich beruhen zu lassen und abzuwarten, bis irgend eine Lösung, die publik gemacht werden kann, reif sei. Eine «diskrete» Bekräftigung jetzt abzuschliessen, hat wenig Sinn, nachdem schon heute hüben und drüben Einverständnis über die Weitergeltung des Vertragswerks besteht.
8. Auf der Gesandtschaft war zu erfahren, dass die baldige Inkraftsetzung des Bundesbeschlusses über die Verteilung der 121,5 Mio. SFr. für die Kriegsgeschädigten dringend erwünscht ist7. Ein Brief an das Departement ist unterwegs über die schon früher erörterte Frage der Bevorschussung von Lastenausgleichsleistungen. Die Gesandtschaft hat Muster von Darlehensverträgen verfasst. Da unsere Konsulate von Deutschland als Devisenausländer aufgefasst werden, müssen solche Darlehen grundsätzlich eine Bewilligung der deutschen Devisenbehörde erhalten. Über all diese Fragen werden m. E. Verhandlungen mit den deutschen Behörden geführt werden müssen. Auch unter diesem Gesichtspunkt wirft der Lastenausgleich schwierige Probleme auf.
9. Herr Minister Huber liess mich zu sich rufen, um mich zu fragen, wie meiner Auffassung nach die Einstellung der öffentlichen Meinung in der Schweiz gegenüber der Bundesrepublik Deutschland mit einem Wort zu umschreiben sei. Er habe den Eindruck, dass diese Einstellung – leider – nicht immer als positiv bezeichnet werden könne. Ich habe geantwortet, dass meiner rein privaten Ansicht nach in der öffentlichen Meinung eher ein Misstrauen gegenüber Deutschland herrsche. Auch in der letzten Sitzung der nationalrätlichen Kommission für auswärtige Angelegenheiten sei diese Tendenz deutlich hervorgetreten8. Immerhin sei es schwierig, die Haltung des breiten Publikums mit einem Wort zu umschreiben. Herr Minister Huber erwiderte, die Regierung Adenauer sei aus ehrenwerten Männern zusammengesetzt und verdiene Vertrauen. Jedenfalls seien die demokratischen Ideen in West-Deutschland fest verankert. Sollte die Regierung Adenauer stürzen, dann käme die sozialistische Opposition ans Ruder, welche wiederum demokratisch eingestellt sei. Dies sei auch der wahre Grund, warum der Bundeskanzler es abgelehnt habe, mit dem Sozialisten eine Koalitionsregierung zu bilden; die Sozialisten bildeten so eine Reserve und stünden für alle Fälle zur Verfügung. Die Verhältnisse seien also ähnlich geartet wie in England, während in Frankreich und Italien die wirkliche Opposition eben nicht demokratisch geartet sei. Es gäbe zwar in Deutschland «Betriebsunfälle». Es sei aber nicht wahr, dass ehemalige Nazi oder andere nationalistische Extremisten in Schlüsselpositionen (z. B. Bureau Blank) anzutreffen seien9.
- 1
- E 2001(E)1969/121/111. Paraphe: JF. Die von M. Jaccard verfasste Notiz war an R. Bindschedler gerichtet.↩
- 2
- Vgl. das schweizerisch-deutsche Verhandlungsprotokoll vom 11. Dezember 1953. Nicht abgedruckt.↩
- 3
- Vgl. DDS, Bd. 19, Dok. 28, dodis.ch/10297.↩
- 4
- Vgl. DDS, Bd. 19, Dok. 132, dodis.ch/9507.↩
- 5
- Nicht ermittelt.↩
- 6
- Vgl. BR-Prot. Nr. 1637 vom 2. Oktober 1954, E 1004.1(-)-/1/558 (dodis.ch/9117).↩
- 7
- Vgl. DDS, Bd. 19, Dok. 123, dodis.ch/10342.↩
- 8
- Vgl. das Protokoll der nationalrätlichen Kommission für auswärtige Angelegenheiten der Sitzung vom 19. November 1952, E 2800(-)1967/60/2.↩
- 9
- Vgl. das Protokoll vom 3. April 1952 der interdepartementalen Konferenz vom 31. März 1952, E 4300(B)1971/4/22 (dodis.ch/8892). Vgl. auch DDS, Bd. 19, Dok. 64, dodis.ch/9273.↩
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