Protokoll betreffend den Bericht des Bundesrates zum Abkommen über die Regelung der schweizerischen Forderungen an das ehemalige Deutsche Reich und warum der Bundesrat dieses der Bundesversammlung nicht vorlegen möchte.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 19, doc. 26
volume linkZürich/Locarno/Genève 2003
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2800#1967/60#1* | |
Old classification | CH-BAR E 2800(-)1967/60 1, 2, 3 | |
Dossier title | Commission des affaires étrangères du Conseil national (1945–1961) | |
File reference archive | 01 |
dodis.ch/9302
Sitzung der nationalrätlichen Kommission für Auswärtige Angelegenheiten1
[…]2
Der Vorsitzende (H. Eder) entschuldigt den Präsidenten, Herrn Nationalrat Bringolf-Schaffhausen, wegen Unpässlichkeit.
H. BundesratWeber: Die Mitglieder der Kommission haben den Bericht des Bundesrates erhalten, der Auskunft gibt darüber, aus welchen Gründen der Bundesrat das Abkommen über die Regelung der Forderungen an das ehemalige Deutsche Reich der Bundesversammlung nicht zur Genehmigung unterbreitet hat3. Er wollte damit in keiner Weise die Rechte des Parlaments beschränken, sondern er stützte sich auf das Präjudiz im Falle des Finanzabkommens mit Italien4. Damals ist dieses Vorgehen von niemandem beanstandet worden. Das Abkommen wurde den Finanzkommissionen beider Räte vorgelegt und nachher vom Bundesrat ratifiziert. Im Geschäftsbericht 1949 wurde darüber Auskunft erteilt5. Der Fall Deutschland liegt ganz ähnlich in juristischer und politischer Hinsicht. Es schien dem Bundesrat nicht erwünscht, über die Entstehung der Forderungen, den Verlauf der Verhandlungen und deren Ergebnis detailliert öffentlich zu orientieren. Das Abkommen wurde den Finanzkommissionen beider Räte vorgelegt6. Die juristischen Erwägungen sind im Bericht enthalten.
Da die Kompetenzfrage diesmal umstritten ist, so möchte der Sprechende im Einvernehmen mit dem Chef des Politischen Departements erklären, dass dieser Fall nicht als prinzipieller Entscheid über die Kompetenzabgrenzung zwischen Bundesrat und Bundesversammlung gemäss Art. 102, Ziff. 14, und Art. 85, Ziff. 5, der Bundesversammlung aufgefasst werden soll, sondern die Frage soll erneut eingehend geprüft werden. Die Bundesversammlung sollte jedoch den Bundesrat nicht veranlassen, ihr das Abkommen noch zur Genehmigung vorzulegen. Es würde dadurch eine unliebsame Verzögerung eintreten und die Auszahlungen an die Alliierten sowie an die deutschen Besitzer von Guthaben in der Schweiz würden erneut hinausgeschoben. Da von niemandem Opposition gemacht wird gegen das Abkommen, dürfte dieses Vorgehen am Platze sein. Wir werden dem Bundesrat beantragen, nach nochmaliger Prüfung einen Bericht über diese Kompetenzfrage zu erstatten und den Kommissionen zu unterbreiten, damit sie dann prinzipiell Stellung nehmen können7.
H. Oprechtist der Meinung, dass der Fall Deutschland nicht ganz gleich liege wie bei Italien. Diese Forderungen sind durch Beschlüsse des Parlaments zustandegekommen. Der Bericht des Bundesrates ist oberflächlich. Es geht nicht einfach um eine einmalige Zahlung, sondern um Zahlungen während mehr als 15 Jahren. Die Räte sollten darauf beharren, dass der Vertrag ihnen vorgelegt wird.
M. Perréarddemande s’il n’était pas possible de soumettre l’accord à l’Assemblée fédérale encore la semaine prochaine.
M. Favre: Il suffit d’avoir lu le rapport qui nous a été présenté pour constater que la question juridique n’est pas claire. La Constitution fédérale n’a pas prévu un tel cas. Si nous acceptons aujourd’hui que le Conseil fédéral ratifie l’accord avec l’Allemagne, nous renonçons à une partie de notre droit. Je ne vois donc pas d’autre possibilité que de soumettre la question au Parlement.
H. Duttweiler: Es geht nicht nur um den Vertrag von Washington8. Es geht darum, ob dem Parlament so viele Möglichkeiten als denkbar eingeräumt werden sollen oder ob so viel als möglich ohne das Parlament entschieden werden soll. Es ist schädlich, dass nur gewisse Kreise eingeweiht sind. Gewisse Wirtschaftsverbände haben mitgewirkt und sind orientiert. Ich glaube, man sollte auch bei den Vorverhandlungen die Kommissionen schon zuziehen. Der Bundesrat sollte danach trachten, die Verantwortung möglichst abzuwälzen auf die Räte. Dann hat er auch eine solidere Position, wenn es einmal wirklich schief gehen sollte. Das rechtliche Problem steht für mich im Hintergrund.
H. Renold: Ich möchte nur als Präsident Ihres Rates erwähnen, dass es meines Erachtens praktisch möglich wäre, den Vertrag noch den Räten zu unterbreiten. Am Dienstag könnte man die Sache behandeln.
H. BundesratWeberglaubt nicht, dass es durchführbar ist, dass jetzt der Bundesrat noch eine Botschaft genehmigt und dem Parlament zustellt. Ferner würde sich die Frage der Unterstellung unter das Referendum stellen. H. Duttweiler sagte, gewisse Kreise hätten mitgewirkt. Das war nicht der Fall und war auch nicht möglich. Ein halbes Dutzend Leute waren informiert, und es war unmöglich, darüber hinauszugehen. Ich glaube, das Parlament könnte sich damit abfinden, dass es verlangt, dass er ihm noch unterbreitet wird.
H. Schümperli: Das Gutachten des Bundesrates macht es jedem klar, dass es politische Überlegungen sind, die den Bundesrat veranlasst haben, dem Parlament den Vertrag nicht zu unterbreiten. Daneben sind andere Argumente vorgebracht worden, die juristisch äusserst schwach sind. Die politischen Überlegungen überzeugen mich einfach nicht. Nach meiner Meinung gehören die drei Teile zusammen und sollen auch zusammen dem Parlament unterbreitet werden. Da das nicht geschehen ist, müssen wir es verlangen.
H. Holenstein: Nach meiner Auffassung bewegen wir uns etwas im luftleeren Raum. Die grundsätzliche Rechtsfrage ist zum allermindesten umstritten. Eine andere Tatsache ist, dass ich keine Stimme gehört habe aus dem Parlament, die gegen die Genehmigung dieses Abkommens wäre. Da der Bundesrat bereit ist, die ganze Frage eingehend abzuklären, scheint es mir angezeigt, dass wir uns mit dieser Regelung für dieses Mal zufrieden geben. Wenn Sie auch erzwingen könnten, dass der Vertrag dem Parlament unterbreitet würde, so wäre der ganze Fragenkomplex damit doch nicht gelöst. Dann haben wir so eine Art Präjudiz geschaffen, aber man weiss immer noch nicht, wie es in Zukunft gemacht werden soll. Mir ist lieber, wir behandeln die Sache einmal gründlich. Auch müssen wir uns darüber klar sein, dass, auch wenn die beiden Räte die Motion9 annähmen, wir den Bundesrat nicht zwingen können, von seiner Auffassung abzugehen. Dann hätten wir einen Konflikt zwischen Bundesversammlung und Bundesrat über die gegenseitigen Kompetenzen. Ich würde Ihnen beantragen, von der Zusicherung des Bundesrates Kenntnis zu nehmen.
M. Petitpierre, Conseiller fédéral: Je ne veux pas reprendre la question juridique. Si nous n’avons pas soumis l’accord au Parlement, c’est parce que le Département politique s’est occupé de deux accords10 et le Département des finances de l’accord de clearing. Le Conseil fédéral n’a jamais discuté la question de compétence. Ces accords présentent des avantages non seulement pour la Suisse, mais aussi pour l’Allemagne et les Alliés. Il serait extrêmement désagréable de devoir dire que nous ne pouvons pas payer maintenant la somme de 121 millions pour les réfugiés parce que la ratification est renvoyée au mois de décembre. Je voudrais donc vous proposer que nous ratifions l’accord financier et le Conseil fédéral vous soumettra un rapport.
In der Abstimmung wird mit 5: 6 Stimmen (mehrere Herren haben den Saal bereits verlassen) beschlossen, von den Erklärungen des Bundesrates Kenntnis zu nehmen und nicht zu verlangen, dass das dritte Abkommen den Räten zur Genehmigung unterbreitet werde.
- 1
- (Kopie): E 2800(-)1967/60/2. Prot.↩
- 2
- An der Sitzung waren folgende Personen anwesend: C. Eder, W. Bretscher, D. Buri, P. de Courten, U. Dietschi, G. Duttweiler, A. Favre, E. Frei, Th. Holenstein, H. Oprecht, F. Perréard, P. Perrin, K. Renold, J. Schmid, R. Schümperli, K. Wick sowie die Bundesräte M. Petitpierre und M. Weber.↩
- 3
- Anlässlich der Sitzung der nationalrätlichen Kommission für die Ablösung des Abkommens von Washington vom 10./11. September 1952 wurde die Forderung aufgestellt, das Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über die Regelung der Forderungen der Schweizerischen Eidgenossenschaft gegen das ehemalige Deutsche Reich ebenfalls der Bundesversammlung vorzulegen. Zum Abkommen vgl. E 2801(-)1967/84/94.Vgl. den Bericht des Bundesrates an die Kommission des Nationalrates für die Ablösung des Abkommens von Washington und an die Kommission für auswärtige Angelegenheiten des Ständerates vom 15. September 1952, E 4110(A)-/38/34.↩
- 4
- Vgl. DDS, Bd. 17, Dok. 129, dodis.ch/4262 und 131 (dodis.ch/4261).↩
- 5
- Vgl. den Bericht des schweizerischen Bundesrates an die Bundesversammlung im Jahre 1949 vom 4. April 1950, S. 272–274.↩
- 6
- Vgl. das Protokoll der nationalrätlichen Finanzkommission vom 11. September für die Sitzung vom 4. September 1952, E 2801(-)1967/84/4.↩
- 7
- Vgl. das Schreiben von M. Feldmann an M. Weber und M. Petitpierre vom 31. Juli 1953, E 1004.1(-)-/1/558 (dodis.ch/9116). Dieses Gutachten der Justizabteilung fand die Zustimmung des Politischen Departements, das am 23. September einen Antrag an den Bundesrat richtete, ebd. (dodis.ch/9115). Das Gutachten und der Antrag wurden vom Bundesrat angenommen vgl. BR-Prot. Nr. 1634 vom 2. Oktober 1953, ebd. (dodis.ch/9114). Vgl. auch den Antrag des EJPD an den Bundesrat vom 19. und den Mitbericht des EPD vom 20. Februar 1954, E 2800(-)1967/59/6 und die Protokolle der nationalrätlichen Kommission für auswärtige Angelegenheiten vom 3. März bzw. 18./19. Mai 1954, E 2800(-)1967/59/6 resp. E 2800(-) 1967/60/2.↩
- 8
- Gemeint ist die vertragliche Ablösung des Abkommens von Washington von 1946 vgl. die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die deutschen Vermögenswerte in der Schweiz (vom 29. August 1952), BBl, 1952, Bd. 104, III, S. 1–32. Vgl. auch DDS, Bd. 16, thematisches Verzeichnis: Allgemeine Finanzbeziehungen und DDS, Bd. 17 und 18, thematisches Verzeichnis: Fortsetzung des Abkommens von Washington.↩
- 9
- Es handelt sich um die Motion, die E. Klöti anlässlich der Plenumsdiskussion zur Ablösung des Washingtoner Abkommens in der Herbstsession des Ständerates einreichte. Die Motion wurde am 24. September eingereicht, mit 21 zu 12 Stimmen aber abgelehnt, Sten. Bull. SR, 1952, S. 301–307, hier S. 307.↩
- 10
- Es handelt sich um das Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über die deutschen Vermögenswerte in der Schweiz und das Abkommen zwischen der Schweiz und Frankreich, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten betreffend deutsche Vermögenswerte in der Schweiz, vgl. Anm. 7.↩
Tags
Federal Republic of Germany (Politics) Italy (Economy) Foreign Affairs Committee of the National Council Parliament Washington Agreement (1946)