Unterhaltung mit Adenauer über die Frage der diplomatischen Akkreditierung bei der BRD. Sorge des Bundesrates wegen einer eventuellen Benachteiligung von in der Ostzone wohnenden Schweizern. Frage der Reichsschulden: Weitergeltung der alten Verträge. Haltung Adenauers zur Wiederaufnahme der Verträge und der Reichschulden. Entsprechende bilaterale Verhandlungen sollten vorgesehen werden.
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Documents Diplomatiques Suisses, vol. 18, doc. 72
volume linkZürich/Locarno/Genève 2001
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Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E2001E#1967/113#2118* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 2001(E)1967/113 152 | |
Titre du dossier | Beziehungen zur westdeutschen Bundesregierung. Aufnahme diplomatischer Beziehungen und Errichtung von dipl. Vertretungen der Schweiz und Drittländern in der Deutschen Bundesrepublik (1945–1951) | |
Référence archives | B.15.11.1 • Composant complémentaire: Deutschland |
dodis.ch/8062 Der Leiter der Schweizerischen Diplomatischen Mission bei der Alliierten Hohen Kommission in Deutschland, A. Huber, an den Chef der Abteilung für Politische Angelegenheiten des Politischen Departements, A. Zehnder1
Ich beehre mich Bezug zu nehmen auf unsere Unterredung vom 29. vorigen Monats mit Herrn Bundespräsidenten Petitpierre2, in welcher unser Vorgehen in der Frage der Akkreditierung bei der Bundesrepublik Deutschland besprochen wurde.
Ich habe gestern in einer Unterredung mit Bundeskanzler Adenauer Gelegenheit gehabt, den schweizerischen Standpunkt in dieser Angelegenheit eingehend darzulegen. Einleitend bemerkte ich, dass der Gesamt-Bundesrat, der allein über die wichtige Frage zu entscheiden habe, noch keinen Beschluss getroffen habe3. Wegen der besonderen Lage der Eidgenossenschaft werde ihm die Entscheidung auch nicht leicht fallen. Selbstverständlich liege es nicht an gefühlsmässigen Gründen, im Gegenteil, die bisherigen Kontakte zwischen Mitgliedern der beiden Bundesregierungen seien so zahlreich und herzlich, dass es sich erübrigt, eine solche Annahme zu zerstreuen4.
Vielmehr handelt es sich für uns um gewichtige Bedenken, die in den besonderen, völkerrechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen der Schweiz liegen.
Besondere Schwierigkeiten ergeben sich zunächst für die Schweiz als den einzigen Staat der Völkergemeinschaft mit dem völkerrechtlichen Statut der ewigen und grundsätzlichen Neutralität. Dem Bundesrat bereitet das Schicksal der in der Ostzone lebenden Schweizer grosse Sorge, weil ihre Stellung durch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Bundesrepublik gefährdet würde5. Auch in dieser Beziehung steht die Schweiz eben allein da, denn keiner der in Bonn vertretenen Staaten hat Staatsangehörige in vergleichbarer Zahl in der Ostzone leben.
Endlich berührt die Frage der Akkreditierung wichtige Vermögensinteressen. Das Reich ist für hohe Beträge Schuldnerin der Schweiz6. Das Ausmass der privaten Verschuldung ist sehr bedeutend7. Eine Reihe bedeutsamer Staatsverträge regeln wichtige zwischenstaatliche Fragen8.
Der Bundesrat hat sich bereits im Mai 1945 auf den Standpunkt gestellt9 – und diesen Standpunkt immer aufrecht erhalten –, dass Deutschland als Staat nicht aufgehört hat zu bestehen10. Daher leben seiner Auffassung nach die mit dem Reich abgeschlossenen alten Verträge und die alten Verbindlichkeiten weiter. Der Bundesrat, im Bestreben, die rechtliche Basis dieser Position nicht preiszugeben, hat den verständlichen Wunsch, vorgängig jeder Entscheidung in der Akkreditierungsfrage, Aufschluss über die Stellungnahme des Bundeskanzlers zu den alten Staatsverträgen, der öffentlichen und privaten Verschuldung zu erhalten. Eine Klärung dieser Frage würde den Entschluss, den der Bundesrat in der Frage der Akkreditierung treffen würde, erleichtern und ich appellierte an das Verständnis des Kanzlers im Sinne einer konstruktiven Lösung11.
Der Bundeskanzler skizzierte die in den Verhandlungen mit den Besatzungsmächten betreffend Anerkennung der Reichsschulden unternommenen Schritte12. Er hoffe und glaube, dass noch diese Woche der Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten seine Zustimmung zu dem Textentwurf geben werde, durch welchen die Anerkennung für die ehemaligen Reichsschulden ausgesprochen werde. Diese Anerkennung decke auch schweizerische Forderungen.
Hier bat ich den Kanzler, mir den Text der geplanten Vereinbarungen zugänglich zu machen. Der Bundeskanzler beauftragte den der Unterredung beiwohnenden stellvertretenden Chef der Bundeskanzlei, Legationsrat Dittmann, mir den gewünschten Text zu geben13. Meinerseits bemerkte ich, soweit ich unterrichtet sei, bezöge sich die Anerkennung nur auf Vorkriegsschulden des Reichs und gewisse Kategorien von Nachkriegsschulden, dagegen werde die für die Schweiz überaus wichtige aus der Kriegszeit 1939–1945 stammende und ca. eine Milliarde Franken betragende sogenannte «Clearingschuld»14 des Reichs von der Anerkennung nicht erfasst. Es sei aber für den Bundesrat von höchster Bedeutung, über die Haltung des Bundeskanzlers speziell zu diesem Teil der Altverschuldung eine Präzisierung zu erhalten, ansonsten der Bundesrat sich schwere Kritiken zuzöge und die Angelegenheit mit einem schweren psychologischen Rückschlag in der Öffentlichkeit enden könnte. Der Bundeskanzler bestätigte zunächst, dass der Textentwurf nur die Vor- und Nachkriegsschulden visiere. Hinsichtlich der Clearingschuld könne er natürlich heute keine bindenden Verpflichtungen eingehen; er sei jedoch persönlich der Auffassung, dass hinsichtlich der Anerkennung dieses Teils der Altverschuldung gegenüber der Schweiz nicht anders vorgegangen werden solle, als wie hinsichtlich der Vor- und Nachkriegsschulden des Reichs und dass eine beiderseits befriedigende Lösung gefunden werden müsse. Ich dankte dem Kanzler für diese Erklärung und bat ihn, mich zu ermächtigen, Bern die Mitteilung zu machen, dass er einverstanden sei, dass zu gegebener Zeit bilaterale Verhandlungen wegen der Regelung der aus der Kriegszeit stammenden «Clearingschuld» eingeleitet werden. Der Bundeskanzler bejahte vorbehaltlos diese Frage15.
Der Bundeskanzler erklärte mir ferner, dass er die schweizerische Auffassung, wonach Deutschland 1945 als Staat nicht untergegangen sei, teile. Seiner Auffassung nach seien infolgedessen die alten Staatsverträge mit Neutralen nicht untergegangen16. Was das Verhältnis der Bundesrepublik zum Reich anbetrifft, so umschrieb der Kanzler diese Beziehung nicht als Rechtsnachfolge, sondern nach seiner Ansicht sei die Bundesrepublik die «Fortsetzung des Reichs»17. Ich dankte dem Kanzler für diese weitere Erklärung.
Was die private Verschuldung anbetrifft, so sagte der Kanzler, dass diesbezüglich für eine Anerkennung durch die Bundesrepublik kein Raum sei, weil es sich nicht um Verbindlichkeiten des Reichs, sondern um Verbindlichkeiten handle, die zwischen privaten deutschen Schuldnern und privaten schweizerischen Gläubigern bestehen. Ich erwiderte, dass aber auch für dieses Problem Verhandlungen von Staat zu Staat erforderlich seien, weil die Regelung der mit dem Transfer18 zusammenhängenden Fragen nur mit staatlicher Mitwirkung erfolgen könne. Der Kanzler stimmte dieser Auffassung zu.
Ich glaube, dass durch diese Unterredung das Problem der Altverschuldung einen Schritt vorwärts gekommen ist19. Nach dem Stand der Dinge riskierte insbesondere die Clearingschuld zwischen Stuhl und Bank zu fallen. Allerdings ist diese Gefahr noch nicht völlig gebannt. Abgesehen von Schwierigkeiten im deutschen Parlament besteht noch das Risiko, dass die Besatzungsmächte sich gegen die vom Bundeskanzler gemachten Erklärungen wenden20. Es gilt daher vorsichtig zu operieren. Es bleibt aber die wichtige Tatsache, dass es gelungen ist, den Kanzler auf diese für uns günstige These zu fixieren21. Dass er den Vorbehalt machte, noch keine verbindliche Verpflichtung einzugehen, ist eine staatsrechtliche Selbstverständlichkeit.
Ich bin in allen Phasen des 3/4 stündigen Gesprächs beim Kanzler auf ein tiefes Verständnis und eben solches Vertrauen zu unserem Land gestossen. Es kam dem Fortschritt des Gesprächs zu gut, dass die Frage der Akkreditierung nicht im Ton einer conditio sine qua non vielmehr eines Appells an die Mitwirkung des Kanzlers für die Lösung des Problems gestellt wurde. Anspielungen auf das Washingtoner Abkommen oder auf Aushändigung des von uns verwalteten Reichsvermögens erfolgten keine.
Ich habe von meinem Gespräch mit dem Bundeskanzler eine Aufzeichnung angefertigt, die gestern von Herrn Legationsrat Dittmann geprüft und richtig befunden wurde22. Ich lege eine Abschrift hier bei, ebenso übermittle ich Ihnen beigefügt den mir inzwischen ausgehändigten Entwurf des zwischen der Bundesregierung und der Hohen Kommission geplanten Notenwechsels betreffend Anerkennung der Vor- und Nachkriegsschulden23.
- 1
- Schreiben: E 2001(E)1967/113/152. Handschriftliche Notiz von A. Zehnder vom 16. Dezember 1950 an E. Bernath: Sehr gut, insbesondere durch Bundeskanzler bestätigte Aufzeichnung. Diese verteilen mit Vermerk: streng vertraulich.↩
- 2
- An dieser Unterredung hat auch A. Zehnder teilgenommen. Dabei wurde das Memorandum der Alliierten Hohen Kommission in Deutschland vom 15. November 1950 besprochen, wonach ausländische Staaten Vorbereitungen zur Aufnahme direkter diplomatischer Beziehungen treffen sollten. Nicht abgedruckt.↩
- 3
- Kurze Zeit nach dem Inkrafttreten des revidierten Besatzungsstatuts der Westalliierten vom 6. März 1951 fasste der Bundesrat den Entscheid zur Aufnahme von diplomatischen Beziehungen zur BRD, vgl. BR-Prot. Nr. 566 vom 16. März 1951, E 1004.1(-)-/1/527 (dodis.ch/8077).↩
- 4
- Vgl. die Notiz von A. Zehnder an M. Petitpierre vom 19. Januar 1950 zum Vortrag von L. Erhard, E 2001(E)1967/113/191 (dodis.ch/8105).↩
- 5
- Vgl. das Schreiben von F. Schnyder an E. Scheim vom 24. August 1950, E 2001(E)1967/ 113/339 (dodis.ch/8013).↩
- 6
- Vgl. DDS, Bd. 18, Dok. 59, dodis.ch/7983, Anm. 17.↩
- 7
- Vgl. den von der Schweizerischen Verrechnungsstelle erstellten Überblick über die schweizerischen Vermögenswerte in Deutschland [in den Grenzen nach 1945] nach dem Stande vom 1. Januar 1946 (auf Grund der Bestandesaufnahme gemäss Bundesratsbeschluss vom 29.1.1946) vom Juni 1951, E 2001(E)1967/113/627 (dodis.ch/8903).↩
- 8
- Vgl. die Liste der schweizerisch-deutschen Staatsverträge seit 1848, E 2001(E)1969/121/64.↩
- 9
- Vgl. DDS, Bd. 15, Dok. 441, dodis.ch/48045.↩
- 10
- Vgl. das Rechtsgutachten von R. Bindschedler vom 18. Oktober 1946, E 2001(E)-/1/93 (dodis.ch/6341).↩
- 11
- Ende März 1951 ernannte der Bundesrat A. Huber zum ersten schweizerischen Gesandten in der Bundesrepublik Deutschland, vgl. BR-Prot. Nr. 633 vom 30. März 1951, E 1004.1 (-)-/1/527.↩
- 12
- Vgl. die Notiz zur Frage der deutschen öffentlichen und privaten Verschuldung gegenüber der Schweiz von H. Miesch vom 11. Dezember 1950, E 2001(E)1967/113/627 (dodis.ch/7849).↩
- 13
- A. Huber erhielt eine Abschrift der deutschen Erklärung zur Schuldenfrage mit einem Begleitschreiben von K. Adenauer an A. François-Poncet und eine Abschrift der alliierten Stellungnahme zur deutschen Erklärung von A. François-Poncet, die er dem EPD übermittelte. Nicht abgedruckt.↩
- 16
- Vgl. auch das Schreiben von A. Huber an A. Zehnder vom 14. Oktober 1950, E 2001(E)1969/121/64 (dodis.ch/8020).↩
- 19
- Vgl. DDS, Bd. 18, Dok. 59, dodis.ch/7983, Anm. 17.↩
- 20
- Handschriftliche Notiz von A. Zehnder: Mir wäre es lieber, wenn Adenauer nicht so positiv gewesen wäre!↩
- 22
- Nicht abgedruckt.↩
- 23
- Nicht abgedruckt.↩
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