Stellungnahme der Regierung der BRD zu der von Bern vorgeschlagenen Regelung der deutschen Schulden. Enttäuschung von W. Stucki. Diskussion über die ersten Zahlungen: Höhe und Modalitäten. Wie werden Guthaben von in der DDR wohnhaften Deutschen behandelt?
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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 18, doc. 143
volume linkZürich/Locarno/Genève 2001
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2801#1968/84#5* | |
Old classification | CH-BAR E 2801(-)1968/84 4 | |
Dossier title | Schweiz. Staatsforderungen gegen Deutschland (CLF 1) (1951–1956) |
dodis.ch/8021 Interne Notiz des Politischen Departements1 PROTOKOLL ÜBER DIE BESPRECHUNG ZWISCHEN EINER SCHWEIZERISCHEN UND EINER DEUTSCHEN DELEGATION BETREFFEND DAS PROBLEM DER SCHWEIZERISCHEN CLEARINGFORDERUNG AN DEUTSCHLAND UND FRAGEN IM ZUSAMMENHANG MIT DER ABLÖSUNG DES ABKOMMENS VON WASHINGTON, VOM 24. APRIL 1952, 1000 UHR
[…] 2
Stucki begrüsst die Herren und bittet Herrn Wolff, über seine Fühlungnahme mit Bonn zu berichten3.
Wolff: Ich muss Ihnen insofern eine Enttäuschung bereiten, als ich die endgültige Stellungnahme meiner Regierung noch nicht bekanntgeben kann. Meine Regierung ist grundsätzlich bereit, auf den schweizerischen Plan einzutreten und anerkennt durchaus die von schweizerischer Seite gemachten Zugeständnisse. Das Gesamtergebnis scheint uns nun aber doch für die Schweiz eine Behandlung vorzusehen, wie sie den andern Gläubigern in London nicht zugestanden werden könnte. Ausgehend von einem Betrag von 1,5 Mrd. kommt der schweizerische Plan zu einer Schlussumme von 750 Mio. Fr., was einer 50%igen Reduktion gleichkommt. Wir haben aber die Absicht, von den andern Gläubigern mehr zu verlangen. Wahrscheinlich wird auch die Dreimächtekommission einen Abschluss auf der jetzigen Basis zwischen Deutschland und der Schweiz nicht genehmigen. Der Betrag von 750 Mio. Fr. wird vom Bundesfinanzminister4 von der Etatseite her als nicht unerhebliche Belastung betrachtet, was sich bei den in Aussicht genommenen Zahlungsmodalitäten vor allem am Anfang auswirken würde. Z. Z. bereiten wir einen Vorschlag für eine Schuldenregelung vor, den wir in London vorlegen wollen. Dabei müssen auch diejenigen Forderungen berücksichtigt werden, die an sich nicht unter das Scope-Dokument5 fallen, wie z. B. die schweizerische Clearing Milliarde. Die Prüfung der dabei sich stellenden Aufbringungs- und Transferprobleme ist noch nicht abgeschlossen, und ich bitte daher um Verständnis dafür, dass wir bis zum Zeitpunkt, wo diese Arbeiten beendet sein werden, unsererseits nicht endgültig zum schweizerischen Plan Stellung nehmen können. Bei der vorläufigen Prüfung in Bonn sind wir auf die gleichen Fragen gekommen, die ich bereits einmal mir erlaubte aufzuwerfen:
1. Was den nunmehr auf 318 Mio. SFr. festgelegten Zinszuschlag anbetrifft, so scheint es uns schwer möglich, diesen Betrag zuzugestehen, wenn wir in London von den andern Gläubigern einen Verzicht auf Zinsrückstände erreichen wollen.
2. Können wir beim allgemeinen Reduktionsfaktor nicht auf 50% gehen? Wenn wir die vorgesehenen 40% annehmen, dann wären uns wiederum in London die Hände gebunden. Eventuell können wir 40% belassen und beifügen, dass die Schweiz bereit ist, den Reduktionsfaktor zu erhöhen, falls in London von der deutschen Delegation ein besseres Ereignis erzielt werden sollte.
3. Kann man beim Restbetrag nicht auf die Verzinsung verzichten und einfach 25 gleiche Jahresraten zugrundelegen?
Kann sich die Schweiz nicht nochmals zu einer Überprüfung der Gesamtrechnung herbeilassen?
Schliesslich möchte ich erwähnen, dass Art. 7 (Transferklausel) beim Bundeswirtschaftsministerium ebenfalls im Hinblick auf London auf gewisse Bedenken stösst. Wir sind daran, für London mehrere Sicherheitsklauseln vorzubereiten und möchten Sie bitten, mitbezug auf diesen Punkt ebenfalls zuzuwarten. Im übrigen bin ich der Meinung, dass wir unsere Arbeiten möglichst soweit treiben sollten, dass nachher nur noch die Zahlen diskutiert werden müssten (Bereinigung des Liquidationsabkommens und des Abkommens über die Clearing Milliarde).
Stucki: Sie werden sich nicht wundern, wenn ich sage, dass ich eine ganz andere Reaktion erwartet habe. Von Methode 2 geht man in Bonn nunmehr offensichtlich auf Methode 1 über. Ich bin allerdings gewiss, dass die Opposition nicht von Herrn Abs6 herkommt. Man will nun in Bonn versuchen, herauszupressen was immer möglich ist. Was mich erstaunt, ist Ihre Bemerkung, wonach Sie hoffen von den übrigen Gläubigern Kapitalabstriche von über 50% zu erreichen. Ich bin im Gegenteil überzeugt davon, dass kein in London vertretener Gläubiger auch nur annähernd bereit ist, Kapitalabstriche von 50% hinzunehmen. Es ist verschiedentlich in London zum Ausdruck gekommen, dass die Gläubiger irgendwelchen Kapitalabstrichen nicht zustimmen werden. Ich glaube mich auch daran zu erinnern, dass andere Erleichterungen als Kapitalabstriche auch von der deutschen Delegation ins Auge gefasst wurden. Ihr Argument lässt mich daher gleichgültig; es wird nie spielen. Was Ihre übrigen Bemerkungen anbetrifft, so möchte ich zunächst sagen, dass bezüglich der Zinsfrage, Herrn Abs ein anderer Vorschlag gemacht wurde. Er legte aber grösstes Gewicht darauf, dass wir beim Geographiefaktor möglichst weit entgegenkommen. Ich könnte mir lediglich denken, dass ich allenfalls der schweizerischen Regierung empfehlen könnte, Ihren Vorschlag zu prüfen, wonach der von uns vorgeschlagene Reduktionsfaktor neu zu besprechen wäre, falls deutscherseits von den übrigen Gläubigern ein weitergehendes Zugeständnis erwirkt werden sollte. Wir könnten das allenfalls in einem Briefwechsel festhalten. Damit, glaube ich, würden wir überhaupt kein Risiko eingehen. Wenn Sie von uns Zugeständnisse bei den Zinsen verlangen, dann könnten wir natürlich auch nicht auf 40% gehen, nachdem für uns, wie ich schon früher bemerkte, nur die Schlussumme von Bedeutung ist. Ich hatte Gelegenheit, bei den zuständigen parlamentarischen Kommissionen zu sondieren7 und halte es für ausgeschlossen, dass das Parlament unter die Summe geht, die wir Ihnen genannt haben.
Die Tatsache, dass Sie nicht endgültig Stellung nehmen können, bringt unseren Fahrplan in Unordnung. Das ist zu bedauern, aber wir können warten. Wir hofften allerdings, mit Ihnen und mit den Alliierten die uns hier beschäftigenden Fragen soweit voranzutreiben, dass die entsprechenden Botschaften bereits in der Juni-Session hätten zur parlamentarischen Behandlung kommen können. Aber wie gesagt, von allen Beteiligten können wir am ehesten warten. Wir müssten dann allerdings die Öffentlichkeit vermehrt darauf aufmerksam machen, dass die Verzögerung der Ablösung des Abkommens von Washington in keiner Weise der schweizerischen Seite zur Last gelegt werden kann.
Was die Haltung der Dreimächtekommission anbetrifft, so befürchte ich genau das Gegenteil von dem was Sie sagten. Die Dreimächtekommission wird eher sagen, dass unser Abkommen die Stellung der übrigen Gläubiger allzusehr schwäche. Auf Grund von Gesprächen, die ich in den letzten Tagen mit alliierten Kreisen hatte, hat sich diese Meinung bei mir verstärkt.
Wolff: Ich möchte bemerken, dass die von mir aufgeworfenen Punkte bereits in einer der letzten Sitzungen vorgetragen worden sind. Ich habe von allem Anfang an die Sorge gehabt, dass diese Punkte in Bonn Anlass zu Kritik geben würden. Nach sehr eingehenden Beratungen innerhalb der deutschen Schuldendelegation hatten wir den allgemeinen Eindruck, dass wir bei Festlegung auf die schweizerischen Vorschläge unsere Position in London wesentlich gefährden würden. Wir hofften, dass die Sache nochmals in diesem Sinne überprüft werden könne. Wenn ich sagte, dass wir von den andern Gläubigern mehr Zugeständnisse erwarten, so meinte ich vor allem die Zinsfrage. Wenn in London die rückständigen Zinsen gestrichen werden können, dann spielt das Kapital nicht mehr eine so grosse Rolle. Was die Dreimächtekommission sagt, weiss ich nicht. Nach den Besprechungen in London waren die Alliierten der Meinung, dass über die 121,5 Mio. hinaus verhältnismässig nur wenig zugestanden würde. Natürlich dachten wir an mehr als etwa 20 Mio., aber jetzt sind wir auf einen neuen, erheblich grösseren Betrag gekommen. Ich wäre verwundert, wenn die Dreimächtekommission ohne weiteres ihre Zustimmung geben würde. Aber in erster Linie muss die Bundesregierung ihren eigenen Standpunkt vertreten. Im übrigen betone ich nochmals, dass wir nicht definitiv Stellung genommen haben. Ich bedaure die dadurch eingetretene Verzögerung und möchte Sie noch um Bekanntgabe des Termins bitten, den Sie brauchen, um die Sache noch in der Juni-Session vorzubringen.
Stucki: Das muss ich noch abklären und werde Ihnen eine Mitteilung zukommen lassen. Den Parlamentariern wurde aber versprochen, dass Ihnen die entsprechenden Botschaften rechtzeitig vorgelegt würden. Es sind sechs Kommissionen, die sich um die Kompetenz zur Behandlung streiten. Je zwei bestehen für auswärtige und Finanzfragen. Deren Kompetenz wird nicht bestritten. Dann hat sich aber die Zollkommission für die Sache interessiert und auf den 7. Mai Bericht verlangt8. Es stellt sich ferner die Frage, ob nicht für die Ablösung des Abkommens von Washington eine besondere Kommission gebildet werden muss, weil dies seinerzeit auch bei der Genehmigung der Fall war.
Wolff: Ich stellte die Frage, weil ich gerne versuchen will, die Sache nach Möglichkeit so zu beschleunigen, dass sie von Ihnen noch in die Juni-Session hineingenommen werden kann. Es bleibt aber immer noch das Abkommen mit den Alliierten.
Stucki: Das ist eine Sache von ein oder zwei Tagen. Ich will Ihnen nicht verhehlen, dass in den letzten Tagen die Alliierten den dringenden Wunsch geäussert haben, einigermassen zu wissen, auf welcher Grundlage die Bereinigung der Clearing Milliarde erfolgen werde9. Ich glaubte nicht ablehnen zu können und habe die Alliierten in grossen Zügen orientiert. Diese waren erstaunt über die grossen Konzessionen der Schweiz.
Wolff: Ich möchte meinerseits nicht verhehlen, dass ich die Vertreter der Alliierten Hohen Kommission ebenfalls in grossen Zügen orientiert habe. Die Reaktion war genau umgekehrt.
Stucki: Wenn Ihnen die Zinsen Kummer machen, können wir ja eine andere Rechnung aufstellen. Wir könnten z. B. die Zinsen streichen und dafür die Raubgoldforderung und gewisse Ansprüche für die Beherbergung von Zivilflüchtlingen geltend machen. Das ergäbe ebenfalls einen Betrag von rund 300 Mio. Bezüglich des Raubgoldes können wir auf Grund der in den Archiven der Reichsbank gefundenen Protokolle den eindeutigen Nachweis erbringen, dass uns die Reichsbank gröblich getäuscht hat10. Das hat uns 250 Mio. Fr. gekostet, trotzdem der gute Glaube der Nationalbank von den Alliierten nicht bestritten wurde. Für uns wäre es ein Kinderspiel, die Rechnung so zu machen.
Iklé: Allenfalls können wir auch eine andere Rechnung in dem Sinne machen, als Sie uns zwar während der ersten Jahre einen guten Zins, während der restlichen Jahre (Hinweis auf 25-jährige Amortisationsfrist) jedoch einen schlechten Zins zahlen, und das Kapital überhaupt nicht zurückbezahlt wird.
Wolff: Ich habe schon früher immer auf die gespannte Finanzlage der Bundesrepublik verwiesen. Es ist nicht abzuschätzen, welche Verpflichtungen wir schliesslich in London übernehmen müssen; ich erinnere z. B. an die Forderungen von Israel. Wenn wir nur die Schweiz hätten, dann wäre die Sache einfach. Wenn wir aber z. B. die Forderungen Israels voll erfüllen würden, dann hätten wir überhaupt keine Möglichkeit, für andere Gläubiger etwas zu leisten.
Stucki: Wenn ich an die seinerzeitigen Verhandlungen in Bonn vom 30. April 1951 denke, wo noch der Plan bestand, die deutschen Vermögen in der Schweiz restlos zu liquidieren (Deutschland hätte 90 Mio. in Devisen erhalten, hätte aber 360 Mio. aufbringen müssen), und den Vergleich mit heute ziehe, dann muss ich sagen, dass Sie gewaltige Fortschritte gemacht haben. Wenn Sie jetzt den Bogen überspannen, dann laufen Sie das Risiko, dass alles über den Haufen geworfen wird.
Wolff möchte die Sache vorläufig damit bewenden lassen und bringt die Sprache auf gewisse Spezialfragen.
Granow: Ich hatte Gelegenheit, mit Herrn Iklé über die Bezahlung der 121,5 Mio. zu sprechen. Wir haben die Variante gewählt, 121,5 Mio. in zwei Jahren zu bezahlen unter Verzinsung zu 5%. Wir haben die Möglichkeit in Betracht gezogen, Ihnen allenfalls einen andern Vorschlag zu machen. Eventuell könnte man die Zahlung in zwei Raten teilen und 60 Mio. auf den 1. April 1953 und den Rest auf den 1. April 1954 bezahlen. Ich habe einen Entwurf vorbereitet für eine entsprechende Klausel (wird vorgelegt). Des weitern haben wir die Frage der Liquidation der pendenten Zahlungsaufträge diskutiert. Diese Frage ist sehr kompliziert und kann hier nicht erledigt werden. Sie muss irgendwie vorbehalten bleiben, aber ohne dass die Alliierten darauf aufmerksam werden. Ich habe daher einen entsprechenden Entwurf für einen Briefwechsel gemacht (wird vorgelegt). Es gab noch gewisse Differenzen betreffend Rheinregulierung, die praktisch mit Herrn Iklé geklärt werden konnten. Bezüglich der Internierungskosten konnte ich mich mit Herrn Oberst Bieler und Herrn Major Zehnder unterhalten; die Sache ist klar. Aus einer Diskussion zwischen unserem Herrn Verger und Ihrem Herrn Egli über die Forderungen der SBB ergaben sich gewisse Unklarheiten, die noch zu bereinigen wären. Im übrigen ist der Text des Abkommens soweit klar, wie auch der Wortlaut des schweizerischen Planes.
Stucki: Ich bin damit einverstanden, dass alles bereinigt wird. Wir haben die Sache unsererseits vom Rechtsstandpunkt aus überprüfen lassen und Herr von Graffenried wird Sie kurz über unsere Bemerkungen orientieren.
Graffenried: Neben gewissen rein redaktionellen Punkten haben wir zwei oder drei materielle Fragen vorzubringen. Das Hauptproblem liegt bei Art. 8 betreffend Saldoquittung. Auf Grund der jetzigen Formulierung könnten Schadenersatzforderungen aus völkerrechtswidrigen Handlungen deutscher Organe im Moment der Geltendmachung deutscherseits unter Hinweis auf Art. 8 zurückgewiesen werden. Wir haben in der Tat z. B. 200 Fälle von Schweizern, die in Konzentrationslagern waren und z. T. dort umkamen11. Wenn auch diese Angelegenheiten zahlenmässig keinen sehr hohen Betrag ausmachen dürften, so konnten sie doch bis jetzt nicht restlos abgeklärt werden. Wir sollten daher einen Vorbehalt machen. Für uns ist es insbesondere eine interne Frage, da wir Schadenersatzansprüche seitens der Betroffenen zu gewärtigen haben, wenn wir jetzt von vorneherein auf die weitere Geltendmachung dieser Ansprüche verzichten. Ich habe hier einen entsprechenden Entwurf für Alinea 2 von Art. 8.
Bei der anschliessenden Diskussion zeigt sich, dass man deutscherseits möglichst alle Pendenzen bereinigen möchte. Die Schwierigkeiten, diese Forderungen jetzt klar zu präzisieren, lassen indessen diese Möglichkeit ausscheiden. Nachdem schweizerischerseits erklärt wurde, man gehe in London und hier an sich nur von anerkannten Forderungen aus und die Prüfung und allfällige Zurückweisung deutscherseits bleibe vorbehalten, einigt man sich darauf, eine Formel zu suchen, welche der Schweiz die Möglichkeit zur Geltendmachung der in Rede stehenden Fälle auf diplomatischem Wege offen lässt. Diese Ergänzung wird entweder in das Abkommen hineingenommen oder in einem Briefwechsel verankert.
Graffenried: Ist die jetzige Formulierung der Revisionsmöglichkeit nicht unbefriedigend?
Wolff: Wir hatten die Auffassung, die von uns gewählte Formel sei genügend. Gegen einen allgemeinen Vorbehalt im Sinne der Ausführungen im Scope-Dokument haben wir keine Bedenken.
Graffenried: Die Frage der Liquidation des alten Clearing haben wir bereits besprochen. Eine weitere Frage ergibt sich daraus, dass noch nicht bestimmt ist, was geschehen soll, wenn Deutschland mit der Erfüllung in Verzug kommt. Man könnte in Art. 8 folgende Formulierung übernehmen «… vorbehältlich der Erfüllung der durch die Bundesrepublik übernommenen Verpflichtungen …».
Stucki: Mit dieser Formulierung wäre ich nicht einverstanden. Diese Frage wird mit absoluter Sicherheit im Parlament aufgeworfen werden. Als Jurist würde ich eine Formulierung folgenden Sinnes vorziehen «Wenn die deutsche Seite in Verzug ist, und auf erfolgte Mahnung nicht nacherfüllt, dann kann die Schweiz vom Vertrag zurücktreten, wobei die ursprünglichen Forderungen – abzüglich des bisher Geleisteten – wieder aufleben.»
Wolff: Das Bedenkliche an dieser Formulierung ist das Wiederaufleben der alten Forderungen. Ich hoffe nur, dass diese Möglichkeit Theorie sei. Ich gebe allerdings zu, dass eine Bestimmung für den Fall der Nicht-Erfüllung ins Abkommen aufgenommen werden muss. Im Grunde genommen können wir uns an das Zivilrecht halten, welches die Mahnung kennt und den Rücktritt vom Vertrag, wobei der alte Zustand wiederhergestellt wird.
Stucki: Die Frage ist nur, ob man es sagen muss oder ob es selbstverständlich ist, dass die ursprünglichen Forderungen wieder aufleben.
Wolff: Wir können sagen: Rücktritt vom Vertrag nach Mahnung.
Graffenried: Zu den schweizerischen Ansprüchen aus der Rheinregulierung mit Österreich ist unsere Haltung klar. Wir unterstützen die Österreicher nicht, die Ihnen die Zahlung der betreffenden Kosten aus der Kriegszeit überbinden wollen.
In der Diskussion wird festgestellt, dass Österreich selbst dann Schuldner gegenüber der Schweiz bleibt, wenn Deutschland die Verpflichtungen in London übernehmen müsste. Dieser Fall braucht daher bei der Neuformulierung der Saldoquittungsklausel nicht berücksichtigt zu werden. Dasselbe gilt, wie Herr Iklé feststellt, auch für allfällige Salden aus dem gegenseitigen Postverkehr etc.
Granow bringt die Sprache auf die Bereinigung des Ablösungs-Abkommens, insbesondere auf das Problem der in Ostdeutschland lebenden Deutschen.
Stucki: Ich glaube nicht, dass wir irgendwelche Richtlinien zu dieser Frage festlegen können. In der Tat verhandelt z. Z. eine schweizerische Delegation in Berlin über den Schutz der schweizerischen Interessen in Ostdeutschland12. Neben einer zahlreichen Schweizerkolonie haben wir dort auch wesentliche vermögensrechtliche Interessen. Die rund 30 Mio. Guthaben in der Schweiz von Deutschen in Ostdeutschland müssen wir als Trumpf bewahren. Wir werden weder Ihnen noch den Alliierten dieserhalb irgendwelche Erklärung abgeben können. Das hindert nicht, dass folgende Fälle vorgesehen sind: a) Wir sind bereit, Fälle anzuerkennen, in denen Firmen mit Sitz in Ostdeutschland auch einen empfangsberechtigten Sitz in Westdeutschland
haben. b) Punkto Domizil stellen wir ab auf den Moment der Durchführung des
Planes. c) Wenn ein Ostdeutscher zuverlässig erklärt, er wünsche 1/3 zugunsten der
Bundesrepublik zu verzichten, dann geben wir sein Guthaben frei.
Eventuell ändern wir unsere Haltung nach Rückkehr der in Berlin weilenden Delegation.
Wolff: Es genügt uns, dass wir dies zur Kenntnis nehmen können. Wir bitten Sie, uns im Moment der Unterzeichnung des Abkommens zu sagen, wie die Sache dann steht.
Stucki: Ich bitte Sie, diese Erklärung nicht irgendwie zu verwerten, sonst müssen wir Schwierigkeiten seitens der Ostdeutschen gewärtigen.
Weiteres Programm: Donnerstag Nachmittag: Bereinigung der Schiedsgerichtsklausel im Ablösungsabkommen. Freitag Nachmittag 1600 Uhr Paraphierung dieses Abkommens. Bereinigung des Abkommens über die Clearing Milliarde soweit z. Z. möglich. Abklärung gewisser Zahlungsfragen zwischen den Herren Iklé und Granow.
- 2
- Anwesend waren: B. Wolff, H. U. Granow (deutscherseits); W. Stucki, M. Iklé, E. von Graffenried sowie H. Miesch, E. Suter und R. Pestalozzi (schweizerischerseits).↩
- 3
- Die schweizerisch-deutschen Verhandlungen in Bern dauerten vom 17. bis 19. April, wurden am 24. April weitergeführt und endeten am 25. April mit einem bereinigten Abkommensentwurf zur Clearing-Milliarde und einem paraphierten Abkommen zu den deutschen Vermögenswerten in der Schweiz.↩
- 5
- Hierbei handelt es sich um das Memorandum des alliierten Dreimächteausschusses vom Dezember 1951.↩
- 6
- W. Stucki und H. J. Abs haben am 14. April einen Plan zur Regelung der Clearing-Milliarde ausgearbeitet.↩
- 7
- Vgl. auch die undatierte Notiz für die Sitzung der ständerätlichen Kommission für auswärtige Angelegenheiten vom 5. März 1952, E 2800(-)1967/59/5.↩
- 8
- Vgl. das Schreiben von W. Stucki an K. Obrecht vom 22. April 1952. Nicht abgedruckt.↩
- 9
- Die allliierten Gesandtschaften in Bern wurden über den schweizerisch-deutschen Plan am 22. April orientiert.↩
- 11
- Vgl. E 2001-08(-)1978/107/1.↩
- 12
- Vgl. DDS, Bd. 18, Dok. 133, dodis.ch/7984.↩
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