Darin: Schreiben von M. Vogelbacher an W. Spühler vom 4.9.1969 (Beilage).
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Die Schweiz und die NNSC. Diplomatische Dokumente der Schweiz zur Geschichte der Neutral Nations Supervisory Commission in Korea 1951–1995, vol. 21, doc. 41
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2200.174#1988/78#194* | |
Dossier title | Corée, Commission de surveillance (1966–1975) | |
File reference archive | 711.1 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2001E-01#1988/16#2782* | |
Dossier title | Schlussbericht von Vogelbacher (1968–1978) | |
File reference archive | B.73.0.1.(30) • Additional component: Korea, Republik |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2200.148-03#1992/187#151* | |
Dossier title | NNSC Korea (1969–1974) | |
File reference archive | 362.1 |
dodis.ch/65590Schlussbericht des Chefs der schweizerischen NNSC-Delegation, Botschaftsrat Vogelbacher1
Meine Tätigkeit als Chef der Schweizerischen Delegation in der Neutralen Überwachungskommission für Korea (18. Juni 1968–4. Juli 1969)
[...]2
[...]3
4. Ein besonderes Ereignis war die am Vorweihnachtsabend (23. Dezember 1968) nach genau elfmonatiger Gefangenschaft erfolgte Übergabe der noch 82 Mann zählenden Besatzung des Nachrichtenschiffes «Pueblo» über die Brücke «of no return» in Panmunjom an die Vertreter der amerikanischen Armee.4
Mein schwedischer Kollege5 und ich waren als Zaungäste Zeugen der Unterzeichnung des sehr eigenartigen Übergabedokumentes durch den amerikanischen Unterhändler in den «Pueblo»-Verhandlungen, Generalmajor Woodward, und dem nordkoreanischen Delegierten in der Waffenstillstandskommission, Generalmajor Pak. Wir waren später auch Zeugen der Übergabe der Besatzung, die seitens der Nordkoreaner in kalkuliert demütigender Weise für die Amerikaner vollzogen wurde.
Ich habe das Politische Departement hierüber in einem besonderen Bericht unterrichtet.6
Der Preis, den die Amerikaner für die Übergabe der Besatzung zu bezahlen hatten, war an dem von den Nordkoreanern damit angestrebten Propagandaerfolg hoch. Der amerikanische Unterhändler war gezwungen, ein von nordkoreanischer Seite redigiertes Dokument zu unterschreiben – dessen Inhalt er vor der Unterzeichnung in einer mündlichen Erklärung gegenüber dem nordkoreanischen Delegierten als nicht den Tatsachen entsprechend bezeichnete –, in welchem:
a) die Gültigkeit der von den Besatzungsmitgliedern während ihrer Gefangenschaft abgelegten Schuldbekenntnisse sowie die Echtheit der von den Nordkoreanern vorgelegten Beweismittel über das «ungesetzliche Eindringen des Schiffes in die Hoheitsgewässer der Demokratischen Volksrepublik Korea» anerkannt werden.
b) die volle Verantwortung für diese Spionagehandlung anerkannt und hiefür eine feierliche Entschuldigung dargebracht wird.
c) eine feste Zusicherung abgegeben wird, dass kein amerikanisches Schiff künftig die Hoheitsgewässer der Demokratischen Volksrepublik Korea verletzen werde.
Die Regelung der «Pueblo»-Angelegenheit stiess in Südkorea auf scharfe Kritik und führte in der Folge zu einer schweren Verstimmung in den südkoreanisch-amerikanischen Beziehungen, was durchaus in der Absicht Nordkoreas lag. In einer amtlichen Erklärung begrüsste Aussenminister Tschoi Kyu Ha die Freigabe der Besatzung aus humanitären Gründen, äusserte aber Zweifel darüber, ob die der Freigabe vorangegangenen Verhandlungen ehrenvoll waren. Er unterstrich, dass die Regierung in Söul die einzige gesetzmässige Regierung in Korea sei und die Unterzeichnung des Dokuments vom 23. Dezember 1968 durch einen Vertreter der USA gegenüber dem ungesetzlichen Regime in Pjongjang rechtlich ungültig sei. Die aussenpolitische Kommission der südkoreanischen Nationalversammlung beschuldigte die USA, dass ihre geheimen Verhandlungen mit Nordkorea die Souveränitätsrechte der Republik herabgesetzt und ihrer internationalen Stellung geschadet hätten. Besonderen Anstoss erregte auch die viermalige Anführung Nordkoreas im Übergabedokument mit «Demokratische Volksrepublik Korea», woraus auf eine Anerkennung dieses für Südkorea nicht bestehenden Staates seitens der USA geschlossen wurde.
5. Der Abschuss eines amerikanischen Marine-Nachrichten-Flugzeuges EC 121 am 15. April 1969 durch zwei nordkoreanische MIG-Jagdflugzeuge über dem Japanischen Meer mit einem Verlust von 31 Menschenleben führte, wie zur Zeit der Kaperung der «Pueblo», zu einer spannungsgeladenen Atmosphäre in Korea. Er konfrontierte Präsident Nixon mit der ersten internationalen Krise während seiner 100-tägigen Regierungszeit.
Das mit sechs Tonnen elektronischen Instrumenten versehene Flugzeug startete vom amerikanischen Flugzeugstützpunkt in Atsugi (Japan) zu einem Routineflug entlang der nordkoreanischen Ostküste. Im Zeitpunkt des Abschusses hatte es Kurs auf Chongjie, einer nordkoreanischen Stadt nahe der mandschurischen Grenze. Sein Auftrag bestand darin, nordkoreanische Funksprüche abzufangen und Radartätigkeit aufzudecken. Während Pjongjang behauptete, das Flugzeug sei «tief in den nordkoreanischen Luftraum» eingeflogen, besteht gemäss der mit Unterstützung von zwei sowjetrussischen Zerstörern aufgefundenen Flugzeugüberresten und amerikanischen Radaraufzeichnungen kaum ein Zweifel, dass das Flugzeug weit ausserhalb der 12 Meilen-Zone, d. h. über internationalen Gewässern, abgeschossen wurde. Es war zudem ominös, dass der Abschuss am 57. Geburtstag Kim Il Sungs erfolgt ist.
Es brauchte drei Tage, bevor Moskau die Version Pjongjangs über den Abschuss veröffentlichte. Die überraschende Tatsache indessen blieb, dass sowjetrussische Kriegsschiffe zusammen mit denjenigen der USA an den allerdings erfolglosen Rettungsaktionen nach Überlebenden teilnahmen.
Peking schwieg sich über den Zwischenfall aus. Es hatte keinen Anlass, Kim Il Sung für etwas zu loben, was es wohl selbst in seiner aggressiven Haltung gegenüber den USA als imperialistischer Weltfeind Nummer Eins stets wortlaut verkündet, jedoch nicht in Taten umzusetzen pflegt. Warum den kleinen David – Kim Il Sung – verherrlichen, der es zum zweiten Mal wagte, dem amerikanischen Goliath einen spürbaren Schlag zu versetzen, während der grosse Mao nur wie ein «Papiertiger» gegen die USA loszieht?
6. Die USA hat sich auch nach diesem gefährlichen Zwischenfall der Zurückhaltung befleissigt.
Diplomatisch beschränkte sie sich darauf, die von ihrem Delegierten in der Waffenstillstandskommission7 in Panmunjom abgegebene Erklärung, wonach es sich beim Abschuss des EC 121 um «eine vorausbedachte, unprovozierte, ohne vorangehende Warnung erfolgte Angriffshandlung» handelte,8 bei den Mitgliedern des Sicherheitsrates der UNO in Umlauf zu setzen. Angesichts des zu erwartenden Vetos der Sowjetunion verzichtete Washington auf einen formellen Protest an den Sicherheitsrat. Militärisch war seitens der USA an einen direkten Vergeltungsschlag gegen Nordkorea kaum zu denken, weil das aller Voraussicht nach die Auslösung eines neuen Krieges in Korea bedeutet hätte.
Dagegen gab Präsident Nixon angesichts der nordkoreanischen Herausforderung den Befehl, die nach dem Abschuss des EC 121 während kurzer Zeit aufgehobenen Spionageflüge entlang den nordkoreanischen Küsten wieder aufzunehmen, von nun an aber unter dem Schutz der Kriegsmarine und Luftwaffe.
7. Daraus entwickelte sich in der dritten April-Woche der mächtigste amerikanische Flottenzusammenzug seit Beendigung des Korea-Krieges. Die «Task Force 71» benannte Flotte kreuzte unter dem Befehl Konteradmirals Cagles während einer Woche im Japanischen Meer. Ihr gehörten 40 Kriegsschiffe, darunter 4 Flugzeugträger mit 300 Flugzeugen, 3 Kreuzer und 22 Zerstörer an. Nach einer Woche verliess der Flottenverband das Japanische Meer. Ein Teil wurde nach dem Chinesischen Meer, einer für Nordkorea weniger exponierten Gegend, entsandt.
Die Entsendung dieser amerikanischen Armada barg zweifellos die Gefahr neuer Zwischenfälle in sich. Die Reaktion in Pjongjang auf diese Flottendemonstration war wütend und drohend zugleich. Radio Pjongjang warnte die USA, dass jedem Eindringen von Erkundigungsflugzeugen in den nordkoreanischen Luftraum mit Waffengewalt begegnet würde, selbst dann, wenn die USA dies zum Vorwand nehmen sollte, einen Vergeltungsschlag zu führen, was seinerseits nur zu einem neuen totalen Krieg in Korea führen werde.
Diese Warnung war klar und eindeutig. Gleichzeitig verkündete Pjongjang die Erhöhung seines Verteidigungsbudgets um 11%.
Glücklicherweise hielt sich für einmal auch Nordkorea an die anderswo in einem solchen Fall der Konfrontation beobachteten Spielregeln. Die kostspielige Machtdemonstration der US-Navy wickelte sich im Rahmen des gesetzten Programms ab – die Nordkoreaner wagten es anderseits nicht, ihrerseits einen neuen Zwischenfall zu provozieren.
Die Kommission hat ihre Sitzungen in unverändertem Rahmen, d. h. öffentlich, weitergeführt. Dagegen sind erfreulicherweise die früher organisierten Touren für in- und ausländische Schaulustige, welche der Konferenzarea einen kermessähnlichen Charakter verliehen haben, trotz Bestrebungen des südkoreanischen Büros für Tourismus (!), nicht wieder aufgenommen worden.
Von nordkoreanischer Seite werden die Sitzungen weiterhin in erster Linie als Plattform für Propaganda- und Schmähreden benutzt. Alle klassischen Merkmale des kalten Krieges, wie sie andernorts der Vergangenheit angehören, stehen in Panmunjom in hoher Blüte.
Von amerikanischer Seite wird geschätzt, dass seit dem ersten Zusammentritt der Gemischten Waffenstillstandskommission im Jahr 1955 bis zu ihrer 278. Sitzung im September 1968 mindestens 7 Millionen Worte in Englisch, Koreanisch und Chinesisch gesprochen wurden. Charles Mohr, Korrespondent der «New York Times» hat nach einem Besuch in Panmunjom in einem dort am 22. September 1968 veröffentlichten Artikel die Sitzungen der Kommission sehr treffend «als eine Mischung des Unheilverkündenden und der Komik, des Abstossenden und der Inkonsequenz» beschrieben.9
Die Verhandlungen über die Freigabe der «Pueblo»-Besatzung haben indessen den Beweis geliefert, dass die Kommission eine wichtige Funktion zu erfüllen vermag, dann nämlich, wenn es über Routine- und Propagandaangelegenheiten hinaus darum geht, über wirklichen «business» zu sprechen. Darin – und weil die Kommission die einzige direkte Nahtstelle zwischen Amerikanern und Nordkoreanern ist – liegt die potentielle, wenn auch der Aussenwelt – soweit sie überhaupt noch vom Bestehen dieser Kommission Notiz nimmt – verborgene Bedeutung der Gemischten Waffenstillstandskommission.
[...]10
- 1
- CH-BAR#E2001E-01#1988/16#2782* (B.73.0.1.(30)). Dieser Schlussbericht wurde vom ehemaligen Chef der schweizerischen NNSC-Delegation, Botschaftsrat Marcel Vogelbacher, in Beijing verfasst und unterzeichnet, wo er nach Beendigung seiner Tätigkeiten in Panmunjom ab dem 11. Juli 1969 das Amt des schweizerischen Geschäftsträgers a. i. übernahm. Botschaftsrat Vogelbacher übermittelte den Bericht am 4. September 1969 an den Vorsteher des EPD, Bundesrat Willy Spühler. Der Bericht fand eine breite Verteilung im EPD und ging in Kopie an das Büro des schweizerischen Beobachters bei der UNO in New York, an die schweizerischen Botschaften in Beijing, Tokio, Stockholm, Warschau, Prag und Washington sowie an die Sektion Konventionen/Sonderaufgaben und an die Unterabteilung Nachrichtendienst und Abwehr des EMD.↩
- 2
- Für das vollständige Dokument vgl. das Faksimile dodis.ch/65590.↩
- 3
- Für das vollständige Dokument vgl. das Faksimile dodis.ch/65590.↩
- 4
- Zur Kaperung der USS Pueblo vgl. QdD 21, Dok. 40, dodis.ch/33824. Zu den Vermittlungstätigkeiten der NNSC vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C2556.↩
- 5
- Generalmajor Karl Sergel.↩
- 6
- Vgl. das Schreiben von Botschaftsrat Vogelbacher an den Generalsekretär des EPD, Botschafter Pierre Micheli, vom 26. Dezember 1968, dodis.ch/66049.↩
- 7
- Generalmajor James B. Knapp.↩
- 8
- Vgl. das Protokoll des 290. MAC-Meetings vom 18. April 1969, CH-BAR#E9500.188-01A#1995/563#10* (2.1).↩
- 9
- Im Original: «The scene here is a strange mixture of the ominous and the comic, the forbidding and the inconsequential». Vgl. Charles Mohr: «Panmunjom Talk Just Drones On», New York Times, 22. September 1968, S. 13.↩
- 10
- Für das vollständige Dokument vgl. das Faksimile dodis.ch/65590.↩
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Neutral Nations Supervisory Commission (NNSC)