Pubblicato in
Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 1993, doc. 54
volume linkBern 2024
Dettagli… |▼▶2 collocazioni
Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
Segnatura | CH-BAR#E2010-01A#2000/217#977* | |
Titolo dossier | OTAN sous dossier PFP (Parnership for Peace) (1994–1996) | |
Riferimento archivio | B.58.82.03 |
Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
Segnatura | CH-BAR#E2010A#2001/161#5137* | |
Titolo dossier | Stellung der Schweiz zur NATO (1991–1993) | |
Riferimento archivio | B.51.10.5 |
dodis.ch/65281
Der Chef der Politischen Abteilung I, Botschafter von Däniken, an den Direktor der Politischen Direktion des EDA, Staatssekretär Kellenberger1
Amerikanische Initiative für «Partnerschaft für Frieden»2
Am 21. Oktober 1993 haben die USA anlässlich der Tagung der NATO-Verteidigungsminister einen Vorschlag eingebracht, wonach europäische Staaten, welche nicht der NATO angehören, mit dieser Organisation eine sog. Partnerschaft für Frieden eingehen könnten. Wie könnte sich die Schweiz zu dieser amerikanischen Initiative stellen?3
1. Es gibt verschiedene Gründe, welche für eine Annäherung der Schweiz an Sicherheits- und Verteidigungsbündnisse in Europa sprechen.
– Bedeutungsverlust der Neutralität: Infolge der fundamentalen Veränderungen in Europa hat die Bedeutung der Neutralität abgenommen, während sich gleichzeitig die Frage nach einer Mitwirkung der Schweiz an gesamteuropäischen Verteidigungsanstrengungen in wachsendem Masse stellt.4
– Grenzen der autonomen Verteidigungsfähigkeit: Vor allem von seiten des EMD wird immer öfter die Frage gestellt, ob heute ein Kleinstaat wie die Schweiz noch über die materiellen und planerischen Voraussetzungen verfügt, um eine autonome Verteidigungsfähigkeit aufrechtzuerhalten.5
– Sicherheitsdimension der europäischen Integration: Gemäss den im Maastrichter Vertrag enthaltenen Vorgaben wird die Europäische Union zunehmend auch eine gemeinschaftliche Aussen- und Verteidigungspolitik entwickeln, wobei die WEU als der europäische Pfeiler der NATO bezeichnet wird. Eine Annäherung der Schweiz an die Europäische Union muss deshalb auch Klarheit über unsere Haltung zur sicherheits- und verteidigungspolitischen Dimension derselben bringen.6
– Gesamteuropäische Bemühungen um den Aufbau eines europäischen Sicherheitssystems: Die sicherheitsrelevanten Organisationen und Institutionen Europas beschäftigen sich seit dem Umbruch mit der Frage, wie die Sicherheit in Europa verstärkt werden könnte. Mit dieser Problematik, die unter den Vorzeichen einer verstärkten Verantwortung der europäischen Staaten steht, muss sich auch die Schweiz auseinandersetzen. Die Stellung der Schweiz in der europäischen Sicherheitsordnung geniesst bekanntlich höchste aussenpolitische Priorität.7
2. Die verstärkte Beteiligung der Schweiz an europäischen Sicherheitsanstrengungen muss aus innenpolitischen Gründen äusserst behutsam und schrittweise erfolgen. Da sich auch die sicherheitspolitische Zusammenarbeit in Europa nur schrittweise entwickelt, haben wir es mit einem dialektischen Vorgang zu tun:
– Je tragfähiger und verbindlicher die Strukturen der europäischen Sicherheit, desto stärker schwindet die sicherheitspolitische Bedeutung der Neutralität und desto grösser sollte die Bereitschaft der Schweiz sein, an gesamteuropäischen Sicherheitsstrukturen mitzuwirken.
– Je grösser die Belastungen und Grenzen sind, welche sich einer autonomen Verteidigungsfähigket entgegenstellen, desto stärker ist der Bedarf nach Einbindung in gesamteuropäische Sicherheitsstrukturen. Diese Einbindung muss sich nach und nach, pragmatisch entwickeln. Man kann sich dabei, in Anlehnung an im EMD zirkulierenden Ideen, mehrere Stufen vorstellen, z. B.:
· Zusammenarbeit bei der Beschaffung von Rüstungsgütern
· Zusammenarbeit bei der Ausbildung
· Zusammenarbeit im logistischen Bereich
· usw.8
– Eine ähnliche Dialektik weist auch die sicherheitspolitische Herausforderung auf, welche sich im Verhältnis zwischen der Schweiz und der europäischen Integration stellt. Die europäische Gemeinschaft wird sich nur Schritt für Schritt zu einer aussen- und sicherheitspolitsch gemeinsam auftretenden Union entwickeln. Entsprechend werden sich die sicherheitspolitischen Probleme für die Schweiz bei ihrer Annäherung an die Europäische Union bzw. bei ihrem Beitritt nur sukzessive ergeben.9
3. Dies alles spricht für einen lockeren, allmählichen Einstieg der Schweiz in gesamteuropäische Sicherheitsstrukturen. Die Partnerschaftsinitiative der Vereinigten Staaten trägt genau diesem Bedarf nach einer allmählichen Annäherung Rechnung.10 Die wesentlichen Punkte dieser Initiative lassen sich aufgrund der vorliegenden Texte wie folgt zusammenfassen:
– Schaffung von Rahmenbedingungen für eine verstärkte politische und militärische Zusammenarbeit zwecks Vorbereitung und Durchführung multilateraler «Tätigkeiten»
– Detachierung eines Offiziers zu einer Planungsgruppe im NATO-Oberkommando, deren Mitglieder an den Beratungen ausgewählter NATO-Organe teilnehmen sollen und die auch gemeinsame «Partnerschafts»-Übungen beobachten sollen
– Mitwirkung der Partner an den Tätigkeiten der NATO à la carte: Jeder Partner kann Pläne über die von ihm beabsichtigte Mitwirkung vorlegen, enthaltend die spezifischen Beiträge zur Partnerschaft, wie z. B.
· Transparenz im Verteidigungshaushalt
· Umrüstung militärischer Produktion auf zivile Produktion
· Teilnahme an militärischen Übungen.
Diese Beiträge können sich in einem Rhythmus entwickeln, den jedes mitwirkende Partnerland selbst bestimmt.
– Konsultationsrecht und Konsultationspflicht bei Bedrohungen der territorialen Integrität, der Sicherheit oder der Unabhängigkeit
– Schaffung eines lockeren partnerschaftlichen Rahmens für einen evolutiven Prozess in Richtung verteidigungs- und sicherheitspolitischer Zusammenarbeit.
Die Konturen der Partnerschaft sind somit nicht ein für allemal festgelegt, sondern können sich nach Bedarf und nach Entwicklung der Grosswetterlage weiterentwicklen.
4. Zusammenfassend zeigt sich, dass die Initiative «Partnership for Peace» ziemlich genau den Bedürfnissen der Schweiz nach einer sukzessiven Annäherung an ein Sicherheitsbündnis entspricht. Sie erlaubt eine dosierte, pragmatische Annäherung, für welche keine völkerrechtliche Vereinbarung erforderlich ist. Sie ermöglicht der Schweiz kleine, ganz konkrete Schritte, welche unser bisheriges Sicherheits- und Neutralitätsverständnis nicht revolutionieren, aber nach und nach in einen europäischen Rahmen einbinden.
Alles in allem sollte die Schweiz deshalb auf die Initiative positiv reagieren. Die Mitwirkung an dieser Friedenspartnerschaft liegt im langfristigen aussen- und sicherheitspolitischen Interesse der Schweiz. Neben der europäischen Integration ist die Sicherheitsarchitektur Europas für die Schweiz ein ganz wichtiger aussenpolitischer Schauplatz, dessen vorsichtiges Betreten der Initiative der Amerikaner erlaubt. Macht die Schweiz mit, so würde dies eine willkommene Entlastung der aussenpolitischen Diskussion in der Schweiz, welche sich derzeit stark auf die Integration konzentriert, mit sich bringen.11
Konkret möchte der Unterzeichnende vorschlagen, dass wir den NATO-Staaten im Hinblick auf ihre Januar-Tagung, bei welcher die amerikanische Initiative erörtert werden soll, ein positives Signal geben.12 Ein solches Signal würde den NATO-Staaten auch zeigen, dass sich nicht nur die mittel- und osteuropäischen Staaten, sondern auch die übrigen europäischen Staaten für die Initiative interessieren.
- 1
- CH-BAR#E2010A#2001/161#5137* (B.51.10.5). Diese Notiz wurde vom Chef der Politischen Abteilung I, Botschafter Franz von Däniken, verfasst und unterzeichnet. Sie richtete sich an den Direktor der Politischen Direktion des EDA, Staatssekretär Jakob Kellenberger. Kopien gingen an die Politische Abteilung III und das Politische Sekretariat des EDA sowie an das Integrationsbüro EDA/EVD und die schweizerischen Botschaften in Brüssel und Washington.↩
- 2
- Vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C2275.↩
- 3
- Für erste Beurteilungen einer Schweizer Beteiligung an der Partnerschaft für den Frieden vgl. die Notiz des stv. Generalsekretärs des EMD, Bernhard Marfurt, vom 2. November 1993, dodis.ch/65674, sowie die Notiz des Beauftragten des Generalstabschefs für sicherheitspolitische Fragen des EMD, Theodor Winkler, vom 11. November 1993, dodis.ch/65675. Vgl. ferner den Bericht der Reise im Rahmen des Ausbildungsprogramms für sicherheitspolitische Experten SIPOLEX nach New York und Washington vom 19. bis 29. Oktober 1993, dodis.ch/64630, sowie die Notiz der Politischen Abteilung III des EDA vom 20. Dezember 1993, dodis.ch/62773.↩
- 4
- Vgl. dazu die Diskussionen im Bundesrat über den aussenpolitischen Bericht, DDS 1993, Dok. 8, dodis.ch/61211; Dok. 53, dodis.ch/61212, sowie die thematische Zusammenstellung Bericht über die Aussenpolitik der Schweiz in den 1990er Jahren, dodis.ch/T1981. Vgl. auch die Vorbereitungsarbeiten der Studiengruppe des EDA zu Fragen der schweizerischen Neutralität, DDS 1992, Dok. 12, dodis.ch/59120.↩
- 5
- Vgl. DDS 1992, Dok. 34, dodis.ch/61955, sowie das Schreiben des Vorstehers des EMD, Bundesrat Kaspar Villiger, an den Vorsteher des EVED, Bundespräsident Adolf Ogi, vom 12. November 1993, dodis.ch/65597.↩
- 6
- Für eine Analyse des Maastrichter Vertrags aus sicherheitspolitischer Perspektive durch das Politische Sekretariat des EDA vom Januar 1992 vgl. dodis.ch/62699.↩
- 7
- Vgl. DDS 1993, Dok. 43, dodis.ch/62714.↩
- 8
- Diese drei Punkte wurden bereits im Diskussionspapier der Arbeitsgruppe Eurovision für die Botschafterkonferenz 1992 so formuliert, vgl. DDS 1992, Dok. 35, dodis.ch/55907. Vgl. dazu auch das Referat des Vorstehers des EMD, Bundesrat Kaspar Villiger, an der Botschafterkonferenz 1993, dodis.ch/56019.↩
- 9
- Vgl. dazu den Bericht über den politischen Dialog mit der belgischen EU-Präsidentschaft über sicherheitspolitische Fragen in Brüssel vom 17. Dezember 1993, dodis.ch/62773.↩
- 10
- Zum Bedürfnis einer sicherheitspolitischen Annäherung der Schweiz an die NATO und die WEU vgl. DDS 1992, Dok. 62, dodis.ch/61267.↩
- 11
- Die Schweiz nahm ab 1996 an der Partnerschaft für den Frieden teil, vgl. das BR-Prot. Nr. 1594 vom 30. Oktober 1996, dodis.ch/67069.↩
- 12
- Vgl. den Bericht über die Reise von Staatssekretär Kellenberger nach Washington vom 15. und 16. November 1993, dodis.ch/64828, sowie den Politischen Bericht Nr. 55 des schweizerischen Botschafters in Washington, Carlo Jagmetti, vom 6. Dezember 1993,dodis.ch/65282. Das schweizerische Interesse an einer Teilnahme an der Partnerschaft für den Frieden wurde auch der Präsidentschaft der EU mitgeteilt, vgl. die Notiz des stv. Generalsekretärs des EMD, Bernhard Marfurt, vom 11. Januar 1994, dodis.ch/65164.↩
Tags