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Documents Diplomatiques Suisses, vol. 1991, doc. 58
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Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
Cote d'archives | CH-BAR#E2200.157-04#2000/409#34* | |
Titre du dossier | Besuch Staatssekretär Klaus Jacobi (1991–1991) | |
Référence archives | 331.1 |
Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
Cote d'archives | CH-BAR#E2010A#2001/161#6875* | |
Titre du dossier | Allgemeines (1991–1993) | |
Référence archives | C.41.111.0 • Composant complémentaire: Russie |
Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
Cote d'archives | CH-BAR#E2024B#2002/7#116* | |
Titre du dossier | Staatssekretariat (1991–1993) | |
Référence archives | a.152.3 |
Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
Cote d'archives | CH-BAR#E2010A#2001/161#1740* | |
Titre du dossier | Besuch von Aussenminister Géza Jeszenszky in Bern, 12.Dezember 1991 (1991–1991) | |
Référence archives | B.15.21(19) • Composant complémentaire: Hongrie |
Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
Cote d'archives | CH-BAR#E2025A#2002/145#5509* | |
Titre du dossier | Offizielle Besuche beim Departementschef, Generalsekretär, usw. und deren Besuche im Ausland, Band 2 (1991–1991) | |
Référence archives | t.712-5(2) |
Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
Cote d'archives | CH-BAR#E2010A#2001/161#1725* | |
Titre du dossier | Besuch von Staatssekretär Klaus Jacobi in der Sowjetunion, 14.-20. November 1991 (1991–1991) | |
Référence archives | B.15.21(13) • Composant complémentaire: Russie |
dodis.ch/58470Gespräche von EDA-Staatssekretär Jacobi in St. Petersburg, Moskau und Kiew1
Besuch von Staatssekretär Klaus Jacobi in der Sowjetunion, 14.–20. November 19912
Der Besuch hat zu einem Zeitpunkt stattgefunden, da sich die tiefe wirtschaftliche und politische Krise in der Sowjetunion weiter zuspitzt und der Erosionsprozess der Union sich beschleunigt.3 Angesichts der gleichzeitigen Entstehung neuer Regeln im Verhältnis zwischen Union und Republiken und neuer Strukturen in den einzelnen Republiken und Gebietskörperschaften selbst, standen drei Ziele im Vordergrund:
1. eine Zwischenbilanz über die aktuelle interne Lage und die wichtigsten Entwicklungstrends zu ziehen;
2. Klarheit darüber zu erhalten, inwiefern das neue Verhältnis zwischen Union und Republiken die Aussenbeziehungen beeinflusst und
3. abzuklären, inwiefern diese Veränderungen die bilateralen Beziehungen beeinflussen, und wo allenfalls ein aussenpolitischer Handlungsbedarf besteht.
Gegenüber den Gesprächspartnern auf Unions- und Republiksebene wurde folgende Haltung der Schweiz dargelegt:
– Wir sind interessiert, unsere bisher fast ausschliesslich mit der Union gepflegten Beziehungen auf das neue Verhältnis zwischen Union und Republiken einzurichten. In diesem Sinne erfolgt eine Gewichtsverschiebung zugunsten der Republiken. Dies wird durch den Umstand unterstrichen, dass Gespräche sowohl mit Vertretern der Union als auch mit solchen von Republiken stattfinden.
– Entsprechend unserer Grösse und unseren beschränkten finanziellen Möglichkeiten sind wir bereit, dort, wo wir ein spezifisches Know-how haben und wo dies gewünscht wird, den Prozess des Wandels zu unterstützen.4
– Die Schweiz ist daran interessiert, dass durch den Wandel in der Sowjetunion und ihren Republiken internationale Verträge und Standards, insbesondere bezüglich Sicherheit, Grund- und Menschenrechten respektiert werden.
Jacobi führte Gespräche mit folgenden Personen:
– A. Sobtschak | Oberbürgermeister von St. Petersburg5 |
– G. Iavlinski | Stv. Leiter des Wirtschaftsrates der Union |
– Y. Deriabin | Stv. Aussenminister der UdSSR |
– S. Tarassenko | Stv. und Berater Schewardnazes |
– A. Kozyrev | Russischer Aussenminister6 |
– A. Belo[nog]ow | Stv. Aussenminister der UdSSR |
– P. Pankin | Aussenminister der UdSSR (bis 19.11.)7 |
– A. Zlenko | Aussenminister der Ukraine |
– W. Matvienko | Präsident der Nationalbank der Ukraine |
– V. Tentuk | Finanzminister der Ukraine8 |
– I. Pliouchtch | Vizepräsident des Obersten Sovjet der Ukraine9 |
– L. Stesenko | Aussenhandelsminister der Ukraine |
Im Sinne einer Auswahl können folgende Schlussfolgerungen gezogen werden:
4.1 Staatsstruktur und Anerkennungsfrage:
Die Dekolonisierung des alten Imperiums zaristischer und später bolschewistischer Prägung erfolgt unter chaotischen politischen und wirtschaftlichen Bedingungen und ist begleitet von Unsicherheiten bezüglich der staatlichen Struktur in Gegenwart und absehbarer Zukunft. Die innere Entwicklung dominiert denn auch, im Gegensatz zu früher als die Sowjetunion noch ein weltpolitischer Akteur ersten Ranges war, alle Diskussionen.10 Dabei stehen sich zwei Gruppen mit unterschiedlichen Konzeptionen gegenüber:
– Die Unionisten, d. h. jene, die sich für den Fortbestand einer Union aussprechen. Nach ihren Vorstellungen soll ein koordinierendes Zentrum erhalten bleiben, doch sollen die Entscheidungsprozesse im Zentrum demokratisiert werden. Dies ist der Grundgedanke des von Gorbatschow vorgeschlagenen und bis heute noch nicht paraphierten Unionsvertrages.11 Nach dem heutigen Stand der Diskussion kann man davon ausgehen, dass es sich höchstens um eine «Union à la carte» handeln wird, in welcher es den einzelnen Republiken grundsätzlich offensteht, ob sie in einer bestimmten Frage ihre Interessen über die Union oder ob sie sie selbständig artikulieren wollen. Im Bereich der Aussenpolitik bedeutet dies, dass inskünftig der Rat der Aussenminister der Republiken dem Ministerium für auswärtige Beziehungen vorstehen soll. Wenn sich dieser nicht auf eine gemeinsame Position einigen kann, soll der Entscheid dem Staatsrat obliegen. Entsprechend dem neuen Gewicht der Republiken sollen in den bisherigen sowjetischen Auslandvertretungen Repräsentanten einzelner Republiken entsandt werden. Die Vertretung bei internationalen Organisationen würde von Fall zu Fall durch die Union oder durch einzelne Republiken erfolgen. Es bleibt gegenwärtig offen, ob überhaupt, und wenn ja, welche Republiken an der Union teilnehmen werden. Praktisch ausgeschlossen scheint die Teilnahme der Ukraine, Armeniens und Georgiens, eventuell auch Aserbaidschans.
– Die Nationalisten, d. h. jene die sich für die Bildung unabhängiger Staaten anstelle der Union aussprechen. Gemäss dieser Konzeption, welche unter anderem durch die gegenwärtige ukrainische Führung vertreten wird, soll es auch in Zukunft enge Beziehungen zwischen den ehemaligen Republiken der Sowjetunion geben, doch sieht man hier keinen Nutzen für ein – wie auch immer gestaltetes Zentrum. Die Beziehungen sollten vielmehr zwischenstaatlich und nach dem Grundsatz der Gleichberechtigung gestaltet werden.
Im Ergebnis führen beide Konzeptionen zu einem ähnlichen Resultat:
Direkte Beziehungen zur Union einerseits (unter Prüfung, ob die Unionsvertreter mandatiert sind) und zu den einzelnen Republiken sind nicht nur möglich, sie werden gewünscht oder mindestens ausdrücklich toleriert. Das neu entstehende Gebilde ist eine Struktur sui generis, für welche traditionelle Souveränitätsbegriffe und damit auch übliche Kriterien der Anerkennung von Staaten keine Anwendung mehr finden. Im Sinne einer pragmatischen Politik müssen daher Beziehungen inskünftig sowohl mit der Union als auch mit den Republiken gepflegt werden.12
4.2 Rechtsnachfolge
Während der gegenwärtigen Übergangsphase galt es abzuklären, inwiefern die mit der Union abgeschlossenen Verträge inskünftig auch für die einzelnen Republiken Geltung haben werden. Die verschiedenen Gesprächspartner haben sich dazu unterschiedlich geäussert. Die russische Föderation ist bereit, bestehende Verträge der Union in ihrer Substanz zu übernehmen, wünscht aber Anpassungen, verbunden mit einer formalen Anerkennung als neuer Partner (z. B. Absichtserklärungen). Die Ukraine will als bald unabhängiger Staat neue Staatsverträge aushandeln und abschliessen. In jedem Falle werden wir aber gezwungen, in den nächsten Monaten die vertraglichen Verhältnisse mit der UdSSR zu überprüfen und die nötigen Anpassungen in Verhandlungen mit den tatsächlich zuständigen Behörden zu tätigen.13
4.3 Humanitäre Hilfe
Aufgrund der geführten Gespräche kann man im Sinne einer Zwischenbilanz folgende Schlüsse ziehen:
– Wir können von einem dringenden Bedürfnis an Lebensmitteln und Medikamenten für bestimmte soziale Gruppen und Regionen ausgehen, nicht aber von einer generellen Notlage, welche die ganze UdSSR betreffen würde. Dieses Bedürfnis scheint insbesondere für die Wintermonate offensichtlich. Es dürfte sich in diesem Jahr stellen, möglicherweise aber im Winter 1992/93 noch gravierender werden.
– Der neue Kredit zugunsten ost- und mitteleuropäischer Staaten14 ist in den kommenden Monaten weder verfügbar, noch finden die Kriterien der Nachbarschaftshilfe15 auf die beschriebene Notlage Anwendung.
– Andere Staaten und Staatengruppen (G-7,16 EG etc.) sind daran, für die kommenden Wochen Hilfsaktionen zu lancieren.
– Eine konkrete, schnelle und sichtbare Aktion der Schweiz könnte für uns gerade im gegenwärtigen Augenblick der innenpolitischen Verunsicherung in der UdSSR einen beträchtlichen «goodwill» schaffen.
Das EDA wird zusammen mit den zuständigen Stellen der Bundesverwaltung, insbesondere mit dem Bundesamt für Landwirtschaft und dem Bundesamt für Zivilschutz prüfen, ob allenfalls eine humanitäre Hilfe im eigentlichen Sinne, ob die Verwertung von landwirtschaftlichen Überschüssen respektive die Lieferung von Überlebensnahrung angezeigt wäre.17
4.4 Technische Zusammenarbeit
Während zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine internationale Finanzhilfe in grossem Ausmasse nicht opportun erscheint, rückt die technische Zusammenarbeit in den Mittelpunkt einer möglichen schweizerischen Unterstützung. Politische Kultur (Föderalismus, Fiskal- und Verwaltungsorganisation) sowie das Bankwesen (Handels- und Zentralbanken) wurden in erster Linie als mögliche Gebiete erwähnt. Während für die europäischen Republiken eine Zusammenarbeit über den neuen Kredit zur Unterstützung ost- und mitteleuropäischer Länder finanziert werden kann, ist angesichts ihrer geographischen Lage und ihres tiefen Prokopfeinkommens der Einbezug der asiatischen Republiken in die schweizerische Entwicklungszusammenarbeit ernsthaft zu überprüfen.18
4.5 Vertretungsnetz
Die neuen Beziehungen zwischen Union und Republiken und die Intensivierung der Zusammenarbeit der Schweiz mit der Sowjetunion und ihren Republiken erfordert einen personellen Ausbau der bestehenden Vertretungen und eine Neukonzeption des Vertretungsnetzes in Ost- und Mitteleuropa im allgemeinen. Was die Sowjetunion betrifft drängt sich in erster Linie eine Verstärkung unserer Botschaft in Moskau und die Eröffnung eines Generalkonsulates/Botschaft in der Ukraine auf. Mittelfristig wäre wahrscheinlich auch eine Eröffnung einer Vertretung in St. Petersburg, insbesondere im Hinblick auf die wirtschaftliche Bedeutung der Stadt sinnvoll.19 (Die Problematik des diplomatischen und konsularischen Vertretungsnetzes wird in nächster Zeit in einem gesonderten Aussprachepapier vor den Bundesrat gebracht.)20
- 1
- CH-BAR#E2010A#2001/161#1725* (B.15.21(13)). Diese Notiz wurde von Peter Maurer, dem diplomatischen Sekretär des Direktors der Politischen Direktion des EDA, Staatssekretär Klaus Jacobi, verfasst. Es handelt sich um eine Synthese der ebenfalls von Maurer verfassten Zusammenstellung der einzelnen Gesprächsnotizen, dodis.ch/58471. Die Notiz richtete sich an die persönlichen Mitarbeiter der Departementschefs, an die Generalsekretariate der Departemente, an diverse Amtsstellen des EDA sowie an die schweizerische Botschaft in Moskau. Für die Verteilerliste vgl. das Faksimile dodis.ch/58470. Die vorliegende Kopie ging an die für die Beziehungen zur Sowjetunion zuständige Politische Abteilung I des EDA und wurde vom Abteilungschef, Botschafter Jenö Staehelin, visiert. Handschriftliche Marginalie: Sehr gut!↩
- 2
- Es handelte sich um den ersten hochrangigen schweizerischen Besuch in der UdSSR seit der Reise des Vorstehers des EDA, Bundesrat René Felber, nach Moskau im November 1990, vgl. DDS 1990, Dok. 58, dodis.ch/55430. Neben Staatssekretär Jacobi und Maurer reiste der stv. Chef der Politischen Abteilung I, Daniel Woker, mit in die UdSSR. Vor Ort wurden sie von Botschafter Jean-Pierre Ritter, Minister Stefan Speck sowie Heidi Tagliavini von der schweizerischen Botschaft in Moskau begleitet. Vgl. dazu das Dossier CH-BAR#E2200.157-04#2000/409#34* (331.1).↩
- 3
- Vgl. die thematische Zusammenstellung Zerfall der Sowjetunion (1990–1991), dodis.ch/T1958.↩
- 4
- Vgl. dazu dodis.ch/55741.↩
- 5
- Die Stadt Leningrad erhielt nach einer Volksabstimmung vom 12. Juni 1991 am 6. September 1991 wieder ihren ursprünglichen Namen. Ebenfalls am 12. Juni 1991 wurde Anatoli Sobtschak zum neuen Bürgermeister der Stadt gewählt. Vgl. dazu das Fernschreiben des schweizerischen Botschafters in Moskau, Francis Pianca, vom 14. Juni 1991, dodis.ch/58200.↩
- 6
- Für die erwähnten Gespräche vgl. die ausführliche Besuchsnotiz dodis.ch/58471, Punkte 1–3, 6 und 5.↩
- 7
- Vgl. dodis.ch/58471, Punkt 4.↩
- 8
- Für die Gespräche mit Wolodymyr Matwijenko und Wiktor Tentjuk vgl. dodis.ch/58471, Punkt 8.↩
- 9
- Für die Gespräche mit Anatoli Slenko und Iwan Pljuschtsch vgl. dodis.ch/58471, Punkt 7.↩
- 10
- Vgl. dodis.ch/58472 und dodis.ch/59806. ↩
- 11
- Die für den 20. August 1991 vorgesehene Unterzeichnung des Vertrags wurde durch den Putsch vom 19. bis 21. August 1991 gegen Staatschef Michail Gorbatschow verhindert, vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C1951.↩
- 12
- Am 28. November 1991 kündigte Botschafter Ritter die Planung einer Dienstreise nach Kasachstan und Usbekistan an, vgl. dodis.ch/60292. Gleichentags übermittelte das tadschikische Aussenministerium an die schweizerische Botschaft in Moskau Vorschläge für eine Zusammenarbeit mit der Schweiz, dodis.ch/60294. Vgl. auch DDS 1991, Dok. 61, dodis.ch/57514.↩
- 13
- Für die völkerrechtlichen Betrachtungen zur Staatennachfolge in Verträgen vgl. dodis.ch/59822. Zu den Erwägungen des Bundesamts für Aussenwirtschaft des EVD vgl. dodis.ch/59805.↩
- 14
- Vgl. DDS 1991, Dok. 35, dodis.ch/57522.↩
- 15
- Zum neuen Konzept der Nachbarschaftshilfe in Abgrenzung zur humanitären Hilfe vgl. dodis.ch/58187.↩
- 16
- Zum 17. Weltwirtschaftsgipfel der Gruppe der Sieben vom 15. bis 17. Juni 1991 in London vgl. dodis.ch/58355 und dodis.ch/58822.↩
- 17
- Nach der Rückkehr von Staatssekretär Jacobi wurden verschiedene Vorschläge für schweizerische Hilfsmöglichkeiten geprüft und ausgearbeitet, vgl. dodis.ch/60363 und dodis.ch/60022. Am 18. Dezember 1991 wurde an einer von der Politischen Abteilung I des EDA einberufenen Sitzung eine Bestandesaufnahme bestehender und geplanter Hilfsaktionen gemacht, dodis.ch/59575. Vgl. auch die Zusammenstellung dodis.ch/C1877.↩
- 18
- Vgl. die Zusatzbotschaft über die Weiterführung der verstärkten Zusammenarbeit mit ost- und mitteleuropäischen Staaten vom 1. Juli 1992, dodis.ch/59002 sowie dodis.ch/59575.↩
- 19
- Vgl. dazu auch die Erwägungen von Botschafter Ritter, dodis.ch/59792.↩
- 20
- Im Aussprachepapier des EDA zu den schweizerischen Vertretungen in Mittel- und Osteuropa vom 3. Dezember 1991 wurden die hier skizzierten Vorschläge übernommen, vgl. das BR-Prot. Nr. 27 vom 15. Januar 1992, dodis.ch/58006. Vgl. dazu auch die Zusammenstellung dodis.ch/C2011.↩
Liens avec d'autres documents
http://dodis.ch/58470 | est le résumé de | http://dodis.ch/58471 |
Tags
Ukraine (Général) Effondrement de l'Union Soviétique (1990–1991)