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Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 27, Dok. 85
volume linkZürich/Locarno/Genève 2022
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E7113A#1989/193#248* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 7113(A)1989/193 39 | |
Dossiertitel | Beziehungen zu den EFTA-Ländern, Allgemeines (1977–1977) | |
Aktenzeichen Archiv | 777.231 |
dodis.ch/49373Der Chef des Integrationsbüros, F. Blankart, an den schweizerischen Botschafter in Kopenhagen, R. Hartmann1
Verhältnis EWG/EFTA2
Mit grossem Interesse haben wir von Ihren Berichten vom 1. und 23. August 19773 über Ihre Gespräche mit Aussenminister Andersen und Staatssekretär Ersbøll über das randvermerkte Problem Kenntnis genommen. Insbesondere Ihre Ausführungen über die «nordische Zusammenarbeit» haben wir mit Gewinn gelesen, und wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie die Entwicklung dieser Zusammenarbeit weiterhin verfolgen wollten. Wir haben uns erlaubt, Ihr erstgenanntes Schreiben nicht nur den interessierten Kreisen der Zentrale, sondern auch unsern Botschaften im westeuropäischen Raum zur Verfügung zu stellen.
Am Schlusse Ihres Briefes haben Sie und gebeten, Ihnen nähere Ausführungen über unsere Vorstellungen der Konsultation im Europäischen Freihandelsraum4 zu geben, welchem Begehren wir hiermit gerne nachkommen: eine umfassende Behandlung des ganzen Fragenkomplexes finden Sie in unserer Notiz vom 19. August 1976 an die Herren Bundesräte Brugger und Graber (770.315 – B/Bö/rs)5, von welcher Ihre Botschaft Kopie erhalten hat. Wir begnügen uns deshalb mit einigen summarischen Bemerkungen: Die Notwendigkeit von Konsultationen mit der Europäischen Gemeinschaft ist aufs engste mit der in ihrem Inneren stattfindenden Rechtsharmonisierung verknüpft. Diese Harmonisierung hat in vielen Fällen insofern eine Drittland-Diskrimination zur Folge, als Drittlandwaren zum Gemeinsamen Markt nur zugelassen werden, soweit sie den EG-Normen entsprechen. Als Prägnanzbeispiel sei hier die Ausfuhr schweizerische Pharmazeutika6 genannt, die – wiewohl in der Schweiz einer eingehenden Kontrolle unterworfen – in der EWG nicht verkauft werden können, solange sie nicht die (zusätzlichen) gemeinschaftsspezifischen Kontrollen durchlaufen haben, was aus Gründen des finanziellen Aufwandes und des Zeitverlustes einen erheblichen Wettbewerbsnachteil mit sich bringt. Allgemein gesprochen besteht somit die Gefahr, dass die Vorteile des durch den Zollabbau erreichten Warenfreiverkehrs durch die diskriminierende Wirkung unterschiedlicher Rechtsnormen, die als solche einer gegenseitigen Anerkennung nicht zugänglich sind, wieder in Frage gestellt werden.
Für unsere Land ergeben sich zwei Grundeinstellungen:
- - Inkaufnahme der Diskrimination, was die Produktivität unserer Volkswirtschaft und damit den Lebensstandard unserer Bevölkerung beeinträchtigen würde;
- - Überwinden der Diskrimination, indem wir entweder nachträglich unsere Gesetzgebung anpassen (autonomer Nachvollzug, Souveränitätsverlust) oder aber versuchen, bei der Entscheidungsfindung der EWG frühzeitig beigezogen zu werden (Konsultationen), bzw. nach der Verabschiedung des betreffenden EG-Rechtsaktes eine vertragliche Lösung zu finden (Versicherungsabkommen7; selten).
Konsultationen sind also in der Regel das einzige Mittel zur Absicherung unserer Zielsetzungen im europäischen Integrationsprozess.
Allein, die Gemeinschaft hat begreiflicherweise eine formelle Konsultationsverpflichtung gegenüber der Schweiz oder anderen EFTA-Staaten nie eingehen wollen. Wir haben aber die Erfahrung gemacht, dass sie in Praxis umso eher dazu bereit ist, je reibungsloser der gemeinschaftsinterne Entscheidungsprozess läuft. Harzt es auf diesem Gebiet, so richtet die Kommission ihre ganze Aufmerksamkeit auf den EG-internen Kompromiss, der dann gegenüber Drittstaaten als unabäderlicher Standpunkt aufrechterhalten wird. Aus diesen Tatsachen ergeben sich zwei Folgerungen:
- - Wir haben ein Interesse an einer gut funktionierenden und damit flexiblen Gemeinschaft. Dies bedingt unsererseits eine gewisse Loyalität gegenüber unseren Gesprächspartnern, d. h. das Absehen vom Versuch, die einzelnen Mitgliedstaaten gegenseitig auszuspielen.
- - Wir müssen das wohlverstandene Interesse der EWG an Konsultationen wecken. In seltenen Fällen kann ein solches Interesse durch den Einsatz unserer geopolitischen Lage (Omnibusverkehr8) oder mittels einer Gegendiskriminierung durch die EFTA unterstützt werden. Gut durchdachte und durch Fachkenntnis getragene Vorstösse sind indessen im Normalfall am ehesten geeignet, unsere Bedürfnis nach Konsultationen zu befriedigen.
Fazit: Die Konsultationen sind im Normalfall das einzige Mittel zur Verfolgung unserer aussenpolitischen Ziele im Rahmen der europäischen Integration. Um dieses Mittel wirkungsvoll einzusetzen, müssen wir eine vorausschauende und aktive Integrationspolitik betreiben, welche namentlich der Entwicklung der Details grosse Aufmerksamkeit schenkt, Details, welche in ihrer Gesamtheit eine Satellisierungsgefahr beinhalten. Letztlich sollte aber auch die Gemeinschaft an einem in Westeuropa gemeinsam erarbeiteten Erlass von einheitlichen Rechtsnormen ein Interesse haben, weil ihr dies die westeuropäischen Drittmärkte öffnet, weil eine Balkanisierung des Rechts die westeuropäische Wirtschaftskraft schwächt und weil es letztlich ihrem Ansehen abträglich wäre, einen Satellisierungseffekt auf ihre Nachbarstaaten auszuüben.
Was den Follow up des EFTA-Gipfels9 betrifft, so werden wir in gesonderten Zirkulationsschreiben10 auf dieses Problem zurückkommen.
- 1
- Schreiben (Kopie): CH-BAR#E7113A#1989/193#248* (777.231). Verfasst von Ch. Boesch. Kopie an P. R. Jolles, C. Sommaruga, Ch. Faessler, die Politische Direktion des Politischen Departements, die schweizerische Mission bei den europäischen Gemeinschaften in Brüssel sowie die schweizerische Delegation bei der EFTA in Genf.↩
- 2
- Vgl. dazu auch das Schreiben von C. Caillat an F. Blankart vom 19. Oktober 1978, dodis.ch/48613 sowie die Notiz von Ch. Faessler vom 18. Juli 1978, dodis.ch/50038.↩
- 3
- Schreiben von R. Hartmann an das Integrationsbüro vom 1. August 1977, dodis.ch/52969 und vom 23. August 1977, dodis.ch/52970. Zu weiteren Gesprächen mit N. Ersbøll vgl. die Notiz von F. Blankart vom 12. April 1978, dodis.ch/49986.↩
- 4
- Vgl. dazu die Notiz von F. Blankart an E. Brugger, P. Graber und K. Furgler vom 8. April 1976, dodis.ch/50014; die Notizen von F. Blankart vom 14. November 1976,dodis.ch/48627 und vom 16. Januar 1978, dodis.ch/50015; das Telegramm Nr. 25 von C. Caillat vom 19. Janaur 1978, dodis.ch/50016 sowie die Notiz von P. R. Jolles an F. Honegger vom 2. Juni 1978, dodis.ch/50263.↩
- 5
- Es handelt sich mit grosser Wahrscheinlichkeit um die Notiz von F. Blankart an E. Brugger und P. Graber vom 9. August 1976, dodis.ch/53031.↩
- 6
- Vgl. dazu das Schreiben von F. Blankart an J. Egli vom 30. Dezember 1976, dodis.ch/53065 sowie die Notiz von B. Hediger vom 17. Februar 1978, dodis.ch/53066.↩
- 7
- Vgl. dazu DDS, Bd. 27, Dok. 87, dodis.ch/49375.↩
- 8
- Vgl. dazu DDS, Bd. 27, Dok. 55, dodis.ch/48103.↩
- 9
- Zum EFTA-Gipfel vgl. DDS, Bd. 27, Dok. 25, dodis.ch/48714, bes. Anm. 7; Dok. 33, dodis.ch/48716 sowie Dok. 184, dodis.ch/49373.↩
- 10
- Vgl. Doss. CH-BAR#E7113A#1932#5* (770.315).↩
Tags
Europäische Union (EWG–EG–EU) Europäische Freihandelsassoziation (EFTA)