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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 27, doc. 149
volume linkZürich/Locarno/Genève 2022
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E-01#1988/16#1932* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)-01/1988/16 581 | |
Dossier title | Beziehungen der Schweiz zu anderen Staaten (1968–1978) | |
File reference archive | B.15.21 • Additional component: Saudi-Arabien |
dodis.ch/48773Aufzeichnung des Chefs der Politischen Abteilung II des Politischen Departements, J. Iselin1
Unterredung des saudiarabischen Königs Khaled mit Bundesrat Pierre Aubert2
Anlässlich der Einweihung der islamischen Kulturstiftung (Moschee) in Genf, empfängt König Khaled im Beisein des Verteidigungsministers, Prinz Sultan, und des langjährigen königlichen Beraters, Dr. Pharaon, am 1. Juni den Departementschef, Bundesrat Aubert, in Audienz3 (A[ubert] ist begleitet von den Botschaftern Iselin und Gottret). Das Gespräch gilt der politischen Entwicklung in Afrika und im Nahen Osten sowie den bilateralen Beziehungen.
Zunächst dankt [König] K[haled] dem Bundesrat für die Gastfreundschaft in der Schweiz. Lachend bezeichnet er seinen Bruder, Prinz Sultan, und seinen Berater als «gute Genfer»4
[König] K[haled] der soeben von Gesprächen mit dem französischen Staatspräsidenten5 aus Paris kommt, bestätigt, dass dort die bedrohliche Entwicklung der letzten Monate im schwarzen Afrika von ihm und dem saudischen Aussenminister, Prinz Faisal, mit den Franzosen eingehend erörtert wurde. Saudiarabien teile mit Frankreich die grosse Besorgnis über die kommunistische Infiltration in Afrika. Die Probleme dieses Kontinents müssten zwar von den Afrikanern selbst bewältigt werden, indessen drohe der ganzen freien Welt Gefahr. [König] K[haled] bezweifelt nicht, dass, wie im Horn von Afrika6, nunmehr auch in Shaba im südlichen Zaire die Kubaner und im Hintergrund die Russen an den Interventionen massgeblich beteiligt waren7. Das Grundübel in Afrika seien, wie Mitglieder des Königshauses auf ausgedehnten Reisen in schwarzafrikanischen Staaten feststellen konnten, grosse Armut, Unwissenheit, Krankheiten und Hunger bei den afrikanischen Massen. Dadurch werde der Boden für extreme Ideologien vorbereitet. Die beste Gegenwehr gegen sowjetischen Einfluss böten somit nicht militärische Massnahmen, sondern Verbesserungen der wirtschaftlichen Bedingungen. Dafür sei Afrika auf die Hilfe vor allem auch der europäischen Staaten angewiesen.
A[ubert] hält die positiven Punkte in der Entwicklung der letzten Monate fest. Mit der Reise des ägyptischen Präsidenten8 nach Jerusalem, im November v. J., sei der Immobilismus überwunden worden. Hoffentlich halte die Bewegung auf eine friedliche Lösung hin an. Die starre Haltung des israelischen Premiers9 verhindere zwar vorläufig wesentliche Fortschritte. Verschiedene neue Faktoren könnten jedoch in diesem Sinne wirken. A[ubert] erwähnt die vor einiger Zeit in Israel durchgeführten Massendemonstrationen für einen Verhandlungsfrieden und die Bildung neuer Fronten in der öffentlichen Meinung Amerikas. Bei der Auseinandersetzung im amerikanischen Senat über die Flugzeugverkäufe an Israel, Ägypten, und Saudiarabien gewannen die Araber einflussreiche neue Freunde, die von der Notwendigkeit einer ausgeglichenen Neuregelung im Nahen Osten überzeugt seien. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten stellte die schweizerische Diplomatie ihre guten Dienste auch hier zur Verfügung. Dazu gehöre u. a. die Disponibilität Genfs als Konferenzort10.
[König] K[haled] und [Prinz] S[ultan] betonen die Notwendigkeit eines friedlichen Einvernehmens, auch wenn sie angesichts des sturen Verhaltens von Beginn an einem Erfolg der Initiative Sadat's zu zweifeln scheinen. Jedenfalls dränge die Zeit. Im arabischen Lager müssten die gemässigten Kräfte gestärkt werden. Saudiarabien setze sich in diesem Sinne ein11.
A[ubert] gibt seiner Freude über die guten Beziehungen zwischen der Schweiz und Saudiarabien und über ihre erfreuliche Entwicklung in letzter Zeit, vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet, Ausdruck13 Die Kontakte zwischen den beiden Ländern nehmen auf den verschiedensten Gebieten ständig noch zu: Handelsaustausch; Beteiligung schweizerischer Firmen an saudiarabischen Entwicklungsvorhaben; Luft- und Strassen- (Lastwagen) Verkehr. Die vor einiger Zeit geschaffene Gemischte Wirtschaftskommission bilde den bestgeeigneten Rahmen für die Erörterung einer noch intensiveren Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem Gebiet. Grosse und erfahrene Schweizer Unternehmen zeigten dafür lebhaftes Interesse.
[König] K[haled] erwähnt nebenbei, dass bilaterale Wirtschaftsfragen bei den Gesprächen der von ihm geleiteten saudiarabischen Delegation mit dem Präsidenten und der Regierung Frankreichs im Vordergrund standen. Dieser Delegation gehörten auch die Minister für Industrie, Landwirtschaft, Aussenhandel und Verteidigung Saudiarabiens14 an.
[König] K[haled] seinerseits erklärt sich befriedigt über die bisherige Zusammenarbeit mit der Schweiz in der Gemischten Wirtschaftskommission, welche zum ersten Mal bekanntlich im Mai 1976 (mit Bundesrat Brugger) in Ryadh15 und sodann im Herbst letzten Jahres in Bern tagte16 und nützliche Arbeit leistete. Saudiarabien sei an einer Intensivierung dieser Kontakte interessiert. Lobend erwähnt [König] K[haled] u. a. folgende Entwicklungsprojekte seines Landes, an welchen schweizerische Firmen massgeblich beteiligt sind:
- - Ernährung von Schulkindern in Zusammenarbeit zwischen «Nestlé» und «Wagons-Lits» (Frankreich) und dem saudiarabischen Erziehungsministerium, vorläufig in Ryadh und Djeddah. (Für 180/81 ist die Abgabe von 600'000 Mahlzeiten pro Tag vorgesehen).
- - Bau einer Autobahn zwischen Taif und Ryadh. Beteiligung der Schweizer Gesellschaft «Gesteb» welche einen Abschnitt von ca. 125 km übernommen hat.
A[ubert] ruft das seit mehreren Wochen hängige Gesuch für Botschafter Maillard in Erinnerung. Die Delegation des Königs verspricht Prüfung.
Is[elin] überreicht den Begleitpersonen von [König] K[haled] ein vom 1. d[iesen] M[onats] datiertes Memorandum18, worin die saudiarabischen Behörden ersucht werden, aus humanitären Gründen einer Ausreise des wegen unbezahlter Schulden seit Februar d[iesen]. J[ahres]. in Saudiarabien festgehaltenen Schweizers Otto Lanz zuzustimmen.
In der Folge bestätigt der saudiarabische Botschafter in Bern, Cheikh Basrawi, Is[elin] gegenüber, der Kabinettschef des Königs19, welcher diesen nach Genf begleitete, habe das Memorandum betreffend Lanz mitgenommen und Prüfung versprochen.
Auf seinen Wunsch wird der saudiarabische Botschafter in Bern, Basrawi, am 6. Juni vom Departementschef empfangen. Im Auftrag des Verteidigungsministers, Prinz Sultan, der in Genf nicht mehr persönlich mit Bundesrat Aubert darüber sprechen konnte, bringt [Cheikh] B[asrawi] die Schwierigkeiten von Mardam, Administrateur der Banque Commerciale Arabe S.A. (BCA) in Genf20, zur Sprache.
[Cheikh] B[asrawi], der sich seiner delikaten Mission bewusst ist, erklärt, die Prinzen des Königshauses betrachteten Mardam (der bekanntlich syrischer Abstammung ist) wie einen «Bruder». Sie seien besorgt wegen der nunmehr in Genf gegen Mardam laufenden Gerichtsverfahren. Dies gelte namentlich für die vom Untersuchungsrichter des Kantons Genf, Dussaix, am 22. Mai formell eingereichte Anklage gegen Mardam wegen Veruntreuung (Art. 140 Str.G.B.). Dem saudiarabischen Königshaus liege daran, dass Mardam in diesem Strafverfahren fair behandelt werde und sich angemessen verteidigen könne. Zwar hätten die saudischen Behörden volles Vertrauen in das schweizerische Rechtssystem. Auch wüssten sie um die sorgfältige Beachtung unserer Prinzipien der Gewaltentrennung und des Föderalismus. [Cheikh] B[asrawi] unterstreicht, dass er in seinen Berichten nach Ryadh immer wieder darauf hinweise. Immerhin frage man sich in Ryadh, ob die schweizerischen Behörden nicht Möglichkeiten sähen, ihren Einfluss dahin geltend zu machen, dass Mardam in den laufenden Gerichtsverfahren unvoreingenommen beurteilt werde. In den Berichten, die vor allem in der Genfer Presse über die Auseinandersetzung Mardam-Algerischer Staat periodisch erschienen, sei jedenfalls oft das Gegenteil festzustellen.
Anderseits erwähnt [Cheikh] B[asrawi], Mardam sei nach wie vor bereit und willens, seinerseits nach Möglichkeiten zu einer Beilegung des Streits über das Khider-Vermögen mit dem algerischen Staat beizutragen. Sollten wir dies wünschen würde das saudiarabische Königshaus gerne auch noch auf Mardam einwirken, um ihn in diesem Bestreben zu bestärken.
A[ubert] erläutert nochmals die Eigenheiten unserer Prinzipien der Gewaltentrennung und des Föderalismus. Alle Gerichtsverfahren, die bisher gegen Mardam angestrengt wurden, waren zivilrechtlicher Art. Die Behörden in Bern konnten darauf keinerlei Einfluss nehmen. Das gleiche gelte für die vom Genfer Untersuchungsrichter Dussaix kürzlich gegen Mardam erhobene Anklage wegen Veruntreuung. Auch dieses Verfahren entziehe sich somit dem Einfluss Berns. Es richte sich nach den Genfer Prozessvorschriften, welche — wie diejenigen anderer Kantone — dem Angeklagten alle Rechte der Verteidigung einräumten. Der Ausgang der Zivilverfahren, bei welchen Mardam vor Bundesgericht jeweils obsiegte, dürfte im übrigen die Objektivität des schweizerischen Rechtssystems beweisen.
Dass Bern gegenüber Mardam unvoreingenommen sei, gehe auch daraus hervor, dass wir verfügbar seien, sofern Mardam oder seine Anwälte Kontakt mit uns suchten. So werde ein Mitarbeiter des Departements21 dieser Tage mit Me Bourquin, dem Berater der BCA, in Genf zusammentreffen.
Selbstverständlich, unterstreicht A[ubert] seien wir als Politisches Departement an einer gütlichen Beilegung der Streitigkeiten zwischen Mardam und der algerischen Regierung stark interessiert. Diese wirkten sich nämlich sehr nachteilig auf die zwischenstaatlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und Algerien aus. In Algerien seien gewichtige Interessen schweizerischer Landsleute von staatlichen Massnahmen betroffen worden und es sei unsere Pflicht, sie nach Möglichkeit zu schützen.
Schliesslich erwähnt A[ubert] das hängige Verfahren Mardams vor der Eidgenössischen Bankenkommission22, für welches indessen andere Normen als in den laufenden Gerichtsverfahren massgeblich seien. Die Bankenkommission als autonome schweizerische Institution sei verpflichtet, über die Wahrung der Interessen der Bankkunden zu wachen. Zur Diskussion ständen u. a. eine Aufstockung des Geschäftskapitals der BCA um 10 Millionen Franken und eine Neubestellung der Organe; Massnahmen, die sich als notwendig erwiesen, damit die BCA weiterhin als Handelsbank funktionieren könne23.
- 1
- Aufzeichnung: CH-BAR#E2001E-01#1988/16#1932* (B.15.21). Kopie an P. Aubert, P. Bettschart, J. Cuendet, M. Disler, D. Dreyer, P. Gottret, A. Hegner, A. Heuberger, J. Iselin, P. R. Jolles, H. Kaufmann, M. Krafft, P. Luciri, J. Monnier, E. Moser, F. Nordmann, F. Pometta, A. Weitnauer, J. Zwahlen und die schweizerischen Botschaften in Algier, Dschidda, Moskau, Paris und Washington.↩
- 2
- Vgl. dazu auch die Notiz von J. Iselin an P. Aubert vom 31. Mai 1978, dodis.ch/48518.↩
- 3
- Zur Machtstruktur in Saudiarabien vgl. das Schreiben von J. Bourgeois an P. R. Jolles vom 25. November 1976, dodis.ch/48783.↩
- 4
- Zum Aufenthalt von Mitgliedern des saudischen Königshauses in der Schweiz und Fragen der Besteuerung bzw. des Grundstückerwerbs vgl. die Notiz von J. Iselin an den Protokolldienst des Politischen Departements vom 23. August 1976, dodis.ch/48786; das Schreiben von A. Maillard an P. Aubert vom 3. Oktober 1978, dodis.ch/48784 sowie das Schreiben von A. Maillard an A. Weitnauer und J. Voyame vom 14. Oktober 1978, dodis.ch/48785.↩
- 5
- V. Giscard d'Estaing. Zum Besuch König Khaleds in Paris vgl. den Politischen Bericht Nr. 28 von G. Bodmer vom 8. Juni 1978, CH-BAR#E2300-01#1988/91#252* (A.21.31).↩
- 6
- Vgl. dazu DDS, Bd. 27, Dok. 126, dodis.ch/49325, Anm. 9.↩
- 7
- Zu Shaba vgl. das Telegramm Nr. 16 von R. Godet an die Politische Direktion des Politischen Departements vom 17. März 1977, dodis.ch/51120.↩
- 8
- M. A. el-Sadat.↩
- 9
- M. Begin.↩
- 10
- Vgl. dazu DDS, Bd. 26, Dok. 47, dodis.ch/39249, Anm. 21 sowie DDS, Bd. 27, Dok. 10, dodis.ch/49404.↩
- 11
- Zur politischen Rolle Saudiarabiens vgl. den Politischen Bericht Nr. 6 von J. Bourgeois vom 25. Juli 1978, dodis.ch/48783.↩
- 12
- Vgl. dazu auch die Notiz von P. Luciri vom 18. Mai 1976, dodis.ch/48781 sowie den Schlussbericht von J. Bourgeois vom 12. Juli 1978, dodis.ch/48779.↩
- 13
- Zu den Wirtschaftsbeziehungen vgl. das Schreiben von J. Bourgeois an den Finanz- und Wirtschaftsdienst des Politischen Departements vom 20. Juli 1977, dodis.ch/48778.↩
- 14
- G. A. R. Al Gosaibi, A. Al-Sheikh, S. Abdelaziz Al-Solaim und Sultan bin Abdulaziz Al Saud.↩
- 15
- Vgl. dazu das Schreiben von J. Bourgeois an die Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartements vom 23. Juni 1976, dodis.ch/48776 sowie das BR-Prot. Nr. 1387 vom 11. August 1976, dodis.ch/48772.↩
- 16
- Vgl. dazu die Ansprache von E. Brugger vom 14. November 1977, dodis.ch/48774 sowie das Protokoll vom 17. November 1977, dodis.ch/48775.↩
- 17
- Vgl. Doss. CH-BAR#E2200.6B#1996/182#56* (214.1). Vgl. ferner das Schreiben von J. Bourgeois an die Politische Direktion des Politischen Departements vom 8. Juli 1978, dodis.ch/48770.↩
- 18
- Memorandum vom 1. Juni 1978, CH-BAR#E2001E-01#1988/16#1948* (B.35.51.20).↩
- 19
- S. M. An-Nuwaysser.↩
- 20
- Vgl. hier und in Folge DDS, Bd. 27, Dok. 142, dodis.ch/52264.↩
- 21
- M. Krafft. Vgl. dazu die Notiz von M. Krafft an P. Aubert vom 9. Juni 1978, CH-BAR#E2001E-01#1988/16#425* (A.45.22.Uch).↩
- 22
- Vgl. dazu Doss. CH-BAR#E6521B#1985/226#18* (B.01).↩
- 23
- Vgl. auch DDS, Bd. 27, Dok. 142, dodis.ch/52264.↩
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