Pubblicato in
Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 25, doc. 160
volume linkZürich/Locarno/Genève 2014
Dettagli… |▼▶Collocazione
Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
▼ ▶ Segnatura | CH-BAR#E1003#1994/26#15* | |
Vecchia segnatura | CH-BAR E 1003(-)1994/26 7 | |
Titolo dossier | Beschlussprotokolle II (grün) der Sitzungen des Bundesrates, 1972 (1972–1972) | |
Riferimento archivio | 4.3 |
dodis.ch/35778BUNDESRAT
Beschlussprotokoll II der 29. Sitzung vom 16. August 1972 (Vormittag)1
I. Aussprachen
Das EVD hat dem Rat Entwürfe zu einer Botschaft3 und zu einem Beschlussesentwurf4 über die Genehmigung des Vertrages mit der EWG und der EGKS unterbreitet. Materiell stellen sich keine Probleme mehr, hingegen ist nun endgültig5 die Frage zu beantworten, ob den eidgenössischen Räten die Unterstellung des zu fassenden Bundesbeschlusses unter das obligatorische Referendum6 beantragt werden soll. Herr Brugger erinnert nochmals daran, dass in den Erklärungen, die die Schweiz gegenüber der EWG abgegeben hat, stets auf die Notwendigkeit eines Referendums hingewiesen wurde, dass mehrere Mitglieder des Bundesrates im Einvernehmen mit dem Kollegium dieses Referendum in Aussicht gestellt haben, dass es in den Richtlinien der Regierungspolitik7 wie in den Legislaturzielen der Parteien vorgesehen ist, und dass wir schliesslich bis zuletzt stets mit dem Hinweis auf das drohende Referendum in Brüssel verhandelt haben. Man kann die ausnahmsweise Unterstellung dieses Vertragswerks unter das Referendum damit rechtfertigen, dass praktisch unser Kurs gegenüber der EWG eben doch auf weite Sicht, um nicht zu sagen auf Dauer, festgelegt wird, denn von der einjährigen Kündigungsfrist können wir aus praktischen Gründen wohl kaum je Gebrauch machen. Es wird mit diesem Vertrag auch unsere europäische Zusammenarbeit auf weite Sicht gefestigt und wir verbinden uns wirtschaftlich – wenn auch «nur» über einen Freihandelsvertrag – doch fest mit einer Gemeinschaft von über 300 Mio. Einwohnern. Politisch dürfte das Referendum kaum eine Gefährdung des Vertragswerks darstellen, jedenfalls sind die ersten Ergebnisse der von Prof. Schmidtchen geleiteten Meinungssondierung8 auffallend günstig. Die ausfallenden Fiskalzölle werden wahrscheinlich, wie auch Herr Bundespräsident Celio bestätigt, über die Mehrwertsteuer wieder hereinzuholen sein.
Herr Furgler anerkennt durchaus, dass der Bundesrat wiederholt Zusicherungen über die Unterstellung des Vertragswerks unter das Referendum ab gegeben hat und deshalb nicht mehr ganz frei ist. Im Justiz- und Polizeidepartement ringt man aber nach wie vor um den richtigen Weg, und Herr Furgler ist persönlich zum Schluss gekommen, dass er dem Antrag auf Unterstellung unter das Referendum nicht zustimmen kann. Auf Grund des Staatsvertragsreferendums (BV Art. 89 Abs. 4) kommt eine Unterstellung nicht in Frage. Wohl ist dieses Staatsvertragsreferendum umstritten und der Bundesrat hat sich zu einer Revision bereit erklärt, heute ist aber auf die geltenden Verfassungsbestimmungen abzustellen. Im übrigen müsste die Vorlage auf Grund von Artikel 89 Absatz 4 BV dem fakultativen Referendum unterstellt werden; das obligatorische wäre nicht denkbar. Eine Partialrevision der Bundesverfassung liegt ebenfalls nicht vor. Wir haben es auch mit keiner tiefgreifenden Änderung des Staatsrechts oder mit anderweitigen tiefen Eingriffen in die verfassungsrechtliche Ordnung zu tun. Wenn hier eine Art neues Staatsvertragsrecht geschaffen wird, muss man sich insbesondere auch der Konsequenzen solch eines Entscheides bewusst sein. Es kann in den kommenden Jahren mehrfach zum Abschluss von Verträgen kommen, die für unser Land erheblich gewichtiger sind als der EWG-Vertrag, wobei man uns dann regelmässig an das Präjudiz der Abstimmung über den EWG-Vertrag erinnern wird. Es dürfte kaum gelingen, den EWG-Entscheid als so «einmalig» zu präsentieren, dass nie mehr darauf zurückgegriffen wird. Man kann nicht einerseits darlegen, dass verfassungsmässig kein Raum für ein Referendum vorhanden sei, ohne daraus auch die Konsequenzen zu ziehen. Die früher abgegebenen Versprechen des Bundesrates sind insofern nicht absolut verbindlich, als zu Beginn der Verhandlungen – wie allgemein bekannt ist – etwas ganz anderes erwartet wurde. Man rechnete mit einem substantielleren Vertrag9. Da es nicht dazu gekommen ist, sollte der Bundesrat führungsmässig eine klare Stellung einnehmen und damit die Verantwortung für den Verzicht auf die Abstimmung. Es ist in dieser Situation nicht richtig, den Ball einfach dem Parlament zuzuspielen. Die Kritik kommt in beiden Fällen. Unter diesen Umständen ist es besser, als zu verfassungstreu kritisiert zu werden.
Herr Graber äussert sich zunächst zum Argument der Bindung des Bundesrates durch seine früheren Erklärungen. Er macht darauf aufmerksam, dass solche Erklärungen nicht nur zu Beginn der Verhandlungen abgegeben wurden, sondern bis in die neuste Zeit, da man bereits genau wusste, welches der Inhalt des Vertrages sein werde. Es darf auch nicht übersehen werden, dass unsere Unterhändler in Brüssel immer wieder mit dem Argument der Volksabstimmung fochten und diese als Druckmittel zur Verkürzung der Verhandlungsfristen einsetzten. Deshalb ist es undenkbar, dass der Bundesrat nun plötzlich erklärt, eine Abstimmung sei nicht notwendig. Man würde ihm den guten Glauben absprechen. Ein weiteres Argument: Wenn nun in der Botschaft die politische Bedeutung des Vertragswerks auch heruntergespielt wird, so darf doch nicht übersehen werden, dass das Abkommen unabhängig von seiner heutigen Formulierung einen tiefen substantiellen Gehalt hat. Wenn es zu einer Revision des Staatsvertragsrechts kommt, so sicher in der Richtung einer Erweiterung der Volksrechte, also eben in der Richtung, die der Bundesrat nun mit dem Vorschlag auf Unterstellung des EWG-Abkommens unter das Referendum beschreitet. Herr Graber betont abschliessend, dass er überzeugt ist von den Argumenten, die für eine Volksabstimmung sprechen und jedenfalls für sich in Anspruch nimmt, keinesfalls insgeheim den Wunsch zu hegen, dass das Parlament in dieser wichtigen Frage anders entscheidet. Herr Tschudi hat volles Verständnis für die strenge juristische Argumentation von Herrn Furgler. Wenn er sich trotzdem für den Antrag des EVD10 (Abstimmung) ausspricht, so deshalb, weil der Bundesrat Versprechen abgegeben hat, auf die er ohne triftigen Grund nicht zurückkommen kann. Ferner ist zu beachten, dass der Vertrag mit der EWG eine Entwicklung unseres Landes in Richtung Europa einleitet, die weitgehend irreversibel ist. Und damit lässt sich – wenn auch mit gewissen Vorbehalten – doch der einmalige Charakter des Entscheides begründen. Auch die Herren Bonvin und Gnägi schliessen sich, mit der in der Botschaft vertretenen Argumentation, dem Antrag des EVD an. Herr Bundespräsident Celio unterstreicht nochmals, wie intensiv in den Verhandlungen in Brüssel mit dem Argument der Volksabstimmung operiert worden ist. Unter diesen Umständen scheint auch ihm ein Abgehen des Bundesrates von seiner bisherigen Linie kaum vertretbar. Herr Brugger hält fest, dass auch er zwei Seelen in seiner Brust hat. Wenn das Parlament anders entscheidet, wird sich niemand desavouiert vorkommen. Ein Vergleich mit dem Plebiszit Pompidou11 in Frankreich kann nicht gezogen werden. Wenn man sagt, der Bundesrat schaffe hier kreativ neues Recht, so lässt sich dies auch mit der neuen Situation vertreten, denn bei näherem Zusehen muss man anerkennen, dass der Vertrag mit der EWG wichtiger ist als unsere Mitgliedschaft im GATT12, wichtiger als unsere Mitarbeit in der OECD13 oder in der EFTA14. Schliesslich ist zu beachten, dass es nicht um eine Zuständigkeitsfrage zwischen Bundesrat und Parlament geht, sondern zwischen Parlament und Volk. Das Parlament muss einen Teil seiner Zuständigkeit abtreten. Herr Furgler unterstreicht, dass er selbstverständlich allen politischen Argumenten auch zugänglich ist. Man kann aber einfach nicht sagen, dass alle Argumente von früher, als man ein substantielles Abkommen erwartete, heute noch volle Gültigkeit haben. Tatsache ist, dass wir mehr gewünscht oder zumindest erwartet haben als im heutigen Vertrag verankert ist. Unter diesen Umständen sind es die andern, die uns weniger gegeben haben, was heisst, dass wir in unserer Argumentation doch etwas freier sind. Die grosse Frage ist die, ob es uns gelingt, die Sache so darzustellen, dass wir später bei andern wichtigen Verträgen nicht wiederum das obligatorische Referendum vorsehen müssen. Daran ist, allen andern Auffassungen zum Trotz, zu zweifeln, und es muss befürchtet werden, dass uns die heutige Argumentation im ungünstigsten Moment wieder vorgehalten wird. Die Abstimmung über den Beitritt zum Völkerbund15 war doch insofern eine andere Sache, als es damals um die Aufgabe eines Teils unserer Neutralität ging. Zusammenfassend unterstreicht Herr Furgler nochmals, dass er nicht daran glauben kann, dass der Entscheid in dieser Sache ohne präjudizielle Wirkung bleibt.
Damit schliesst der Rat die Diskussion. Botschaft und Beschlussesentwurf werden im Sinne des Vernehmlassungsverfahrens mit einigen Änderungen genehmigt; den eidgenössischen Räten wird beantragt, die Vorlage Volk und Ständen zu unterbreiten16.
- 2
- Zum Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vgl. DDS, Bd. 25, Dok. 182, dodis.ch/35776, bes. Anm. 3.↩
- 3
- Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Genehmigung der Abkommen zwischen der Schweiz und den Europäischen Gemeinschaften vom 16. August 1972, BBl, 1972, II, S. 653–999.↩
- 4
- BR-Prot. Nr. 1426 vom 16. August 1972, CH-BAR#E1004.1#1000/9#785*.↩
- 5
- Zu früheren Diskussionen im Bundesrat vgl. das BR-Beschlussprot. II vom 18. Februar 1972 der 7. Sitzung vom 16. Februar 1972, dodis.ch/35752; das BR-Beschlussprot. II vom 27. März 1972 der 12. Sitzung vom 22. März 1972 sowie das BR-Beschlussprot. II vom 1. Mai 1972 der 16. Sitzung vom 24. April 1972, CH-BAR#E1003#1994/26#15*.↩
- 6
- Zur Frage der Unterstellung des Vertrags unter das obligatorische Referendum vgl. die Notiz von E. Brugger vom 15. Februar 1972, dodis.ch/36221; das BR-Prot. Nr. 505 vom 22. März 1972, dodis.ch/36223 sowie das Protokoll vom 23. Oktober 1972 der Sitzung der Kommission für Aussenwirtschaft des Nationalrats vom 2. Oktober 1972, dodis.ch/36224.↩
- 7
- Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Richtlinien der Regierungspolitik in der Legislaturperiode 1971–1975 vom 13. März 1972, BBl, 1972, I, S. 1025–1088, hier S. 1036 f.↩
- 8
- Vgl. dazu das BR-Prot. Nr. 356 vom 23. Februar 1972, dodis.ch/36231. Zur Information der Öffentlichkeit vgl. ferner DDS, Bd. 25, Dok. 52, dodis.ch/35368.↩
- 9
- Zu den Verhandlungen mit der EWG vgl. DDS, Bd. 24, Dok. 180, dodis.ch/33243; DDS, Bd. 25, Dok. 44, dodis.ch/35774, und Dok. 108, dodis.ch/35775. Zu den verschiedenen Optionen vgl. DDS, Bd. 25, Dok. 25, dodis.ch/35772, bes. Anm. 2.↩
- 10
- Für den Antrag des Volkswirtschaftsdepartements vom 2. August 1972 vgl. Anm. 4.↩
- 11
- Das Referendum über die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaften wurde in Frankreich am 23. April 1972 mit 68,32% Zustimmung angenommen. Vgl. dazu das Schreiben von P. Dupont an P. Graber vom 6. April 1972, CH-BAR#E2001E-01#1982/58#3376* (B.15.21.2).↩
- 12
- Zur Rolle der Schweiz in den Verhandlungsrunden des GATT vgl. DDS, Bd. 25, Dok. 65, dodis.ch/35596 sowie DDS, Bd. 25, Dok. 103, dodis.ch/35597, bes. Anm. 2.↩
- 13
- Zur Schweiz in der OECD vgl. die Aufzeichnung von P. A. Nussbaumer vom 1. Mai 1970 der Sitzung der Ständigen Wirtschaftsdelegation vom 29. April 1970, dodis.ch/36146; das BR-Prot. Nr. 1372 vom 12. August 1970, dodis.ch/37030; das Rundschreiben von P. Languetin vom 1. September 1971, dodis.ch/36973; die Notiz der OECD vom 17. April 1972, dodis.ch/37033; das BR-Prot. Nr. 1141 vom 26. Juni 1972, dodis.ch/37034 sowie die Notiz von P. R. Jolles an E. Brugger vom 6. September 1972, dodis.ch/37036. Zu den Kontakten mit E. van Lennep vgl. DDS, Bd. 25, Dok. 65, dodis.ch/35596. Zum sog. Komitee der Weisen vgl. DDS, Bd. 25, Dok. 103, dodis.ch/35597, bes. Anm. 8.↩
- 14
- Vgl. dazu DDS, Bd. 25, Dok. 174, dodis.ch/34571.↩
- 15
- Zur Abstimmung vom 16. Mai 1920 vgl. DDS, Bd. 7,2, Dok. 272, dodis.ch/44483 2 und Dok. 322. Zur Frage des Beitritts der Schweiz zum Völkerbund vgl. DDS, Bd. 7-I, thematisches Verzeichnis: II. La Suisse et la Société des nations und DDS, Bd. 7-II, thematisches Verzeichnis: I. La Suisse et la Société des nations. Zum Vergleich mit dem Freihandelsabkommen vgl. die Notiz S. Arioli an P. R. Jolles, P. Languetin, R. Bindschedler und B. von Tscharner vom 18. Juli 1972, dodis.ch/36225.↩
- 16
- Die Vorlage wurde von Volk und Ständen gutgeheissen. Vgl. den Bundesratsbeschluss über die Erwahrung des Ergebnisses der Volksabstimmung vom 3. Dezember 1972 betreffend den Bundesbeschluss über die Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft sowie den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 25. Januar 1973, BBl, 1973, I, S. 81 f. Zur Frage des erläuternden Berichts an die Stimmbevölkerung vgl. das BR-Beschlussprot. II vom 25. September 1972 der 50. Sitzung vom 25. September 1972, dodis.ch/35779.↩
Tags
Accordo di libero scambio con la CEE (ALS) (1972)