Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 20, doc. 75
volume linkZürich/Locarno/Genève 2004
more… |▼▶Repository
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E1001#1000/6#519* | |
Old classification | CH-BAR E 1001(-)1000/6 519 | |
Dossier title | Anträge des Finanz- und Zolldepartementes Juli - September 1956 (1956–1956) | |
File reference archive | 1.6 |
dodis.ch/12634
LIQUIDATION DES ALTEN SCHWEIZERISCH-DEUTSCHEN CLEARINGS2
Im Verlaufe der Verhandlungsetappe vom 23. Mai bis 12. Juni 1956 ist es endlich gelungen, die im Herbst 1954 aufgenommenen langwierigen Verhandlungen über die Liquidation des alten schweizerisch-deutschen Clearings zum Abschluss zu bringen, indem eine grundsätzliche Verständigung erzielt und gemeinsam ein Vertragstext ausgearbeitet werden konnte. Im Hinblick auf die komplizierte Materie legen die beteiligten drei Departemente Gewicht darauf, vorgängig der Unterzeichnung der Liquidationsvereinbarung dem Bundesrat einen zusammenfassenden Bericht zu unterbreiten zwecks Beschlussfassung über das Verhandlungsergebnis.
I. Entwicklung der Verhandlungssituation
1. Mit Beschluss vom 27. August 1954 hat der Bundesrat seine Instruktionen für die Verhandlungen über die Liquidation des alten schweizerisch-deutschen Clearings festgelegt3, gestützt auf einen Antrag des Volkswirtschaftsdepartements, worin die Ausgangslage in grundsätzlicher und zahlenmässiger Hinsicht und die rechtliche Stellung des Bundes nach aussen im Zusammenhang mit dem Bundesratsbeschluss über den Zahlungsverkehr mit Deutschland vom 26. Februar 19464 und dem darin enthaltenen Schuldenruf näher dargelegt worden sind. Die als minimale Forderungen bezeichneten Verhandlungsziele betreffen zusammengefasst folgende Punkte:
a) Befriedigung der offenen schweizerischen Forderungen aus der Zeit vor dem 9. Mai 1945, wofür Einzahlungen bei der Deutschen Verrechnungskasse erfolgt sind;
b) Auszahlung eines angemessenen DM-Betrages an die deutschen Gläubiger, zu deren Gunsten seinerzeit gemäss dem Schuldenruf Einzahlungen auf das sog. Abwicklungskonto erfolgt sind;
c) Vermeidung einseitiger finanzieller Opfer des schweizerischen Fiskus, was bereits bei den Verhandlungen über den Abschluss des Abkommens vom 26. August 1952 betreffend die Clearing-Milliarde durch einen entsprechenden Vorbehalt mit Bezug auf die noch offene Frage der Clearingliquidation ausbedungen worden ist5;
d) Definitive Entlastung des Bundes anstelle der bisher bloss kassenmässigen im Umfange der auf Abwicklungskonto Deutschland verbleibenden Mittel (vgl. die Ausführungen im Antrag des Volkswirtschaftsdepartements an den Bundesrat vom 20. August 1954 unter Abschnitt III: Verhältnis der Clearingliquidation zu der Abtragung der Forderungen des Bundes gegen das Deutsche Reich)6.
2. Wie schon im Zwischenbericht des Finanz- und Zolldepartements vom 5. Mai 19557 dargelegt wurde, stellte sich der Verhandlungspartner anfänglich auf den Standpunkt, die Clearingliquidation habe auf Grund der der deutschen Bundesregierung im Abkommen über die Clearing-Milliarde erteilten Saldoquittung und des Londoner Schuldenabkommens sowie im Hinblick auf das deutscherseits vorgesehene Kriegsfolgenschlussgesetz in der Weise zu erfolgen, dass den beteiligten Gläubigern und Schuldnern die Bereinigung der Forderungsverhältnisse und die nachfolgende Regelung der Zahlungen über den laufenden Verrechnungsverkehr überlassen werde. Es hätte dies zur Folge gehabt, dass ungeachtet der während des Krieges von der Deutschen Verrechnungskasse erzielten Einnahmeüberschüsse in Reichsmark und der nur im Umfange von 650 Mio. Sfr. abgegoltenen Clearing-Milliarde die auf dem Abwicklungskonto liegenden Mittel von rund 65 Mio. Sfr. hätten vollumfänglich freigegeben werden müssen.
Die schweizerische Delegation musste begreiflicherweise eine solche Lösung ablehnen unter Hinweis darauf, es könne der Schweiz nicht zugemutet werden, die Clearingliquidation allein zu finanzieren. Auch die mit der deutschen These verbundene Erschwerung der Befriedigung der offenen schweizerischen Clearingforderungen konnte schweizerischerseits nicht hingenommen werden. So wäre nach dem Londoner Schuldenabkommen die Regelung der Forderung der Firma Bührle in Höhe von 21,4 Mio. Sfr. aus der seinerzeitigen Lieferung von Kriegsmaterial bis zur endgültigen Regelung der Reparationsfrage zurückgestellt und auch dann vermutlich nur mit einer minimalen Quote abgegolten worden.
Was die Art der Durchführung der Clearingliquidation anbelangt, so vertrat die schweizerische Delegation anfänglich die Auffassung, dass in Anwendung des Clearingprinzips jeder Staat seine eigenen Gläubiger zu befriedigen habe. Wegen der internen Schwierigkeiten bei der Befriedigung der deutschen Clearinggläubiger im Zusammenhang mit dem Kriegsfolgenschlussgesetz und der Unmöglichkeit, auf die seinerzeitigen Reichsmark-Gutschriften bei der Deutschen Verrechnungskasse in Berlin (Ost) für die Clearingüberweisungen während des Krieges nach der Schweiz zu greifen, zeigte es sich jedoch bald, dass die deutsche Bundesregierung nur eine Lösung «übers Kreuz» akzeptieren kann: Befriedigung der deutschen Gläubiger durch die Schweiz, der schweizerischen Gläubiger durch die deutsche Bundesregierung. Im Zwischenbericht des Finanz- und Zolldepartements vom 5. Mai 1955 ist bereits darauf hingewiesen worden, dass auch die schweizerischen Behörden mit Rücksicht auf die durch den Bundesratsbeschluss vom 26. Februar 1946 über den Zahlungsverkehr mit Deutschland geschaffene besondere Situation ein Interesse daran haben, die deutschen Gläubigeransprüche nicht in einer konkursmässigen Regelung gemäss Kriegsfolgenschlussgesetz untergehen zu lassen. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil sich unter den zu befriedigenden Ansprüchen der deutschen Begünstigten eine Reihe von Tochtergesellschaften schweizerischer Firmen befinde.
Auf Grund dieser Überlegungen hat der Bundesrat in seiner Sitzung vom 22. April 1955 beschlossen8, eine kompromissweise Regelung des Clearingliquidationsproblems in Verbindung mit einer Regelung der Nazi-Schäden aus der Kriegszeit anzustreben. Im Sinne eines Entgegenkommens ist der deutschen Seite anstelle der Anwendung des Clearingprinzips eine Regelung der Clearingliquidation «übers Kreuz» vorgeschlagen worden: Jede Seite hätte einen Betrag von ca. 26 Mio. Sfr. aufbringen müssen. Die deutschen Franken-Gläubiger wären dabei mit einem DM-Betrag befriedigt worden, entsprechend einer Umwechslung des bei normalem Ablauf der Dinge ausbezahlten RM-Betreffnisses im Verhältnis von 1: 1 (100 Sfr. = 58 RM = 58 DM).
3. Die Hauptschwierigkeit, die sich bei der kreuzweisen Lösung ergab, lag darin, eine einigermassen ausgeglichene gegenseitige Leistungsbilanz zu erreichen, ungeachtet des für die Schweiz ungünstigen Verhältnisses zwischen den gegenseitig zu befriedigenden offenen Forderungen (den Einzahlungen auf Abwicklungskonto mit schuldbefreiende Wirkung in Höhe von ca. 65 Mio. Sfr. stehen lediglich offene schweizerische Clearingansprüche von ca. 27 Mio. Sfr. gegenüber).
a) Erst in der zweiten Verhandlungsetappe vom Herbst 1955 machte die deutsche Delegation einen konkreten Gegenvorschlag, welcher die Befriedigung der schweizerischen Gläubiger (Bührle-Forderung von 21,4 Mio. Sfr. plus Kleingläubiger von ca. 5 Mio. Sfr.) durch die deutsche Seite und die Befriedigung der westdeutschen Gläubiger im Umfange von 66 2/3% der offenen Schweizerfranken-Forderungen entsprechend der Washingtoner Regelung durch die schweizerische Seite vorsah. Voraussetzung hiefür war jedoch, dass der Bundesrat auf die Erhebung der Kriegsgewinnsteuer auf der Bührle-Forderung verzichtet und die deutsche Seite die Möglichkeit gehabt hätte, im Zusammenhang mit allfälligen künftigen Kriegsmaterialbestellungen mit Bührle über eine Reduktion seiner Forderung zu verhandeln. Von einer Komprimierung der Bührle-Forderung auf 10 Mio. Sfr. ausgehend, wäre das deutsch-schweizerische Leistungsverhältnis 15: 28 Mio. Sfr. gewesen.
Da auch eine Lösung im Sinne einer Poolung und nachherigen Halbierung der beiderseits aufzubringenden Mittel von der deutschen Delegation zurückgewiesen worden ist, blieb nichts anderes übrig, als zu versuchen, die deutsche Leistung angemessen zu erhöhen, ein Missverhältnis zwischen der deutschen und schweizerischen Leistung zu verhindern.
b) Gemäss einem vom 25. November 1955 datierten Aide-Mémoire erklärt sich das Bundesfinanzministerium bereit9, zur Regelung der Forderung Bührle abzüglich der schweizerischen Kriegsgewinnsteuer 14,1 Mio. Sfr. und zur Befriedigung der schweizerischen Kleingläubiger 4,7 Mio. Sfr., also insgesamt 18,8 Mio. Sfr. aufzubringen. Die Schweiz hätte umgekehrt an die deutschen Gläubiger 2/3 der Franken-Forderungen und bei RM-Forderungen einen im Verhältnis von 10: 1 um gestellten DM-Betrag zu bezahlen (ca. 31,8 Mio. Sfr. ohne Abzug für diejenigen deutschen Gläubiger, die sich nicht mehr melden).
Die deutsche Seite über liess es bei diesem Kompromissvorschlag schliesslich den Behörden, sich mit der Firma Bührle auseinanderzusetzen.
c) Durch konsequentes Festhalten an der Forderung einer einigermassen ausgeglichenen Leistungsbilanz ist es der schweizerischen Verhandlungsdelegation gelungen, im Anschluss an eine Kontaktnahme mit dem deutschen Bundesfinanzminister und die Rücksprache des Chefs des Finanz- und Zolldepartements mit dem deutschen Gesandten eine nicht unwesentliche Erhöhung der deutschen Leistung zu erreichen. Ausgehend von dem Grundsatz einer Lösung «übers Kreuz» erklärte sich die deutsche Bundesregierung bereit, nicht nur die Befriedigung der ihr bekannt gegebenen Forderungen schweizerischer Kleingläubiger im Betrag von 4,7 Mio. Sfr. zu übernehmen, sondern sich zu verpflichten, alle legitimen schweizerischen Forderungen zu tilgen, auch wenn deren Auszahlungsanspruch von der Schweizerischen Verrechnungsstelle erst nachträglich noch anerkannt wird. Anstelle des ursprünglichen forfaitären Betrages von 4,7 Mio. Sfr. wird nun mit einer deutschen Leistung unter diesem Titel von 5,6 Mio. Sfr. zu rechnen sein. Die entscheidende Wendung trat in der dritten Verhandlungsetappe ein, als die deutsche Seite auf Drängen der Schweiz den Kriegsgewinnsteuerabzug um 1,6 Mio. Sfr. reduzierte in der Weise, dass die deutsche Barleistung für die Bührle-Forderung um 0,6 Mio. Sfr. erhöht wird und der schweizerischen Seite die Übertragung der Eigentumsansprüche auf das bei der Firma Bührle liegende Kriegsmaterial im Liquidationswert von ca. 1 Mio. Sfr. offeriert worden ist.
d) Auf Grund dieser Entwicklung glaubte es die schweizerische Seite verantworten zu können, dem nachdrücklichen deutschen Begehren auf eine analoge Befriedigung der deutschen Franken-Gläubiger wie bei der Liquidation des Washingtoner Abkommens, nämlich im Umfange von 2/3 unter Freistellung vom Lastenausgleich, zu entsprechen, nachdem bis zum Schluss an einer Entschädigung von 58 DM für 100 Sfr. festgehalten werden war.
Die vorgesehene Lösung mit Bezug auf die Übertragung des Eigentums an dem bei der Firma Bührle liegenden Kriegsmaterial lässt sich nach Auffassung des Politischen Departements verantworten, trotzdem dieses Kriegsmaterial nach wie vor als im Eigentum des Deutschen Reiches stehend betrachtet werden muss und nicht als im Eigentum der Bundesrepublik Deutschland.
II. Beurteilung des Verhandlungsergebnisses
Ohne an dieser Stelle auf die technischen Einzelheiten der vorgesehenen Liquidationsvereinbarung einzutreten – darüber geben die beiliegenden Erläuterungen Auskunft10 – darf festgestellt werden, dass sich das Vertragswerk als ein für die Schweiz annehmbarer und vertretbarer Kompromiss darstellt. Es muss daran erinnert werden, dass die Ausgangslage für die Verhandlungen nicht besonders günstig war. Schweizerischerseits wurden nach Kriegsende durch autonome Massnahmen die schweizerischen Schuldner veranlasst, mit schuldbefreiender Wirkung den Gegenwert ihrer offenen Verbindlichkeiten auf Abwicklungskonto einzuzahlen, wobei sich der Bundesrat verpflichtete, diese Beträge an die Begünstigten weiterzuleiten. Eine entsprechende Massnahme wurde deutscherseits nicht getroffen. Vielmehr sind im Londoner Schuldenabkommen die deutschen Schuldner verhalten worden, ihre alten kommerziellen Verpflichtungen, für welche bis Kriegsende keine Clearingeinzahlung geleistet worden ist, im Wege des laufenden gebundenen Zahlungsverkehrs zu befriedigen. Übrigens betreffen die unter die Clearingliquidation fallenden offenen schweizerischen Gläubigeransprüche im wesentlichen während des Krieges von der Deutschen Verrechnungskasse erteilte Zahlungsaufträge, welche schweizerischerseits aus formellen Gründen nicht ausgeführt wurden. Darunter figuriert als grösste Forderung diejenige der Firma Bührle für die Lieferung von Kriegsmaterial.
Aus diesen Gründen kommt die Schweiz nicht darum herum, die deutschen Begünstigten in angemessenem Umfange abzufinden und die sich aus der Diskrepanz zwischen den beiderseitigen offenen Gläubigeransprüchen ergebende Mehrbelastung in Kauf zu nehmen. Dennoch gelang es, im Endresultat eine Lösung zu finden, bei welcher sich die beiderseitigen Leistung einigermassen die Waage halten; ein Ergebnis, mit welchem nicht von vornherein gerechnet werden konnte.
1. Abfindung der deutschen Gläubiger
Dadurch, dass der deutschen Forderung auf Befriedigung der Franken-Gläubiger im Umfange von 2/3, analog zu der Regelung bei der Liquidation des Washingtoner Abkommens, unter Verzicht auf den Lastenausgleich entsprochen werden konnte, dürfte die gefundene Lösung auch in den Gläubigerkreisen und in der deutschen Öffentlichkeit nicht auf Opposition stossen.
2. Befriedigung der schweizerischen Gläubiger
Die schweizerischen Gläubiger von auf Schweizerfranken lautenden Forderungen, für welche vor Kriegsende noch Einzahlungen an die Deutsche Verrechnungskasse in Berlin erfolgt sind, werden vollumfänglich, diejenigen von auf Reichsmark lautenden Forderungen entsprechend der Währungsumstellung im Verhältnis von 10: 1 in DM, umgerechnet in Sfr. zum heutigen offiziellen Kurs, befriedigt. Der Einbezug der Bührle-Forderung von 21,4 Mio. Sfr. in die zu befriedigenden schweizerischen Gläubigeransprüche stiess wie schon erwähnt deutscherseits auf hartnäckigen Widerstand.
3. Erledigung des Bührle-Komplexes durch internen Vergleich
Durch die grundsätzliche Verständigung mit der deutschen Seite über die Regelung der Bührle-Forderung ergab sich nun endlich für die schweizerischen Behörden die Möglichkeit einer vergleichsweisen Erledigung sämtlicher mit der Firma Bührle bestehender Differenzen (teilweise Verrechnung der Ansprüche aus dem Marine-Geschäft in der ursprünglichen Höhe von 21,4 Mio. Sfr. mit den offenen Steuerforderungen). Es verbleiben zum Schluss dem Bund von der ihm im Rahmen der Clearingliquidation unter dem Titel der Bührle-Forderung zur Verfügung gestellten Quote ca. 5,8 Mio. Sfr. Die seinerzeit wegen der Verweigerung der Transfergarantie für die Forderung von 21,4 Mio. Sfr. von Bührle eingereichte Verwaltungsbeschwerde an den Bundesrat wird zurückgezogen. Damit findet eine heikle und langwierige Angelegenheit, die sich für den Bundesfiskus noch recht unangenehm hätte auswirken können, ebenfalls ihre Erledigung (vgl. beiliegenden Entwurf zu einer Vergleichsvereinbarung11).
Aus dem der Firma Bührle zum Ausgleich aller Ansprüche zukommenden Betrag von 9 Mio. Sfr. hat diese Vergabungen in Höhe von 3,1 Mio. Sfr. zu erbringen sowie Staats- und Gemeindesteuern von mindestens 3,2 Mio. Sfr. zu zahlen. Es bleiben der Firma Bührle ca. 2,7 Mio. Sfr.
[...]12
b) Da bei der Abfindung der deutschen Gläubiger das Antragsprinzip gilt, ist mit gewissen Einsparungen zugunsten des Bundes im Umfange der Forderungen derjenigen Gläubiger zu rechnen, die sich nicht mehr melden. Von der deutschen Seite wurden diese auf ca. 10%, von der Schweizerischen Verrechnungsstelle auf max. 3% der Einzahlungen auf Abwicklungskonto geschätzt. Unter Berücksichtigung der 2/3 Abgeltung der Franken-Forderungen ergibt sich damit eine Belastung des Bundes, die zwischen 28 und 31 Mio. Sfr. liegen wird. Unter Abzug der dem Bund auf Grund des Bührle-Vergleichs verbleibenden 5,8 Mio. Sfr. stellen sich die Aufwendungen des Bundes auf netto 22,2 bis 25,2 Mio. Sfr. Dem gegenüber stehen die erwähnten deutschen Leistungen von 21,55 Mio. Sfr., die jedoch in der Leistungsbilanz nicht unwesentlich höher veranschlagt werden dürfen. Zur Zeit zeichnet sich die Möglichkeit ab, das Kriegsmaterial, welches in das Eigentum des Bundes übergegangen ist, zu einem Preis nach dem Ausland verkaufen zu können, welcher nach Abzug aller Spesen und der der Firma Bührle zukommenden Provision den budgetierten Liquidationswert von 1 Mio. Sfr. übersteigt.
c) Bei der Beurteilung der Leistungsbilanz ist ferner zu berücksichtigen, dass, soweit die auf Abwicklungskonto einbezahlten Mittel nicht zur Befriedigung der deutschen Gläubiger herangezogen werden müssen, der Bund eine zusätzliche definitive Entlastung für die im Clearing Deutschland gewährten Vorschüsse erfährt. Der Verlust der Clearings-Milliarde verringert sich damit um ca. 35 Mio. Sfr.
5. Randprobleme
Wie vorauszusehen war, lässt das mit der Bundesrepublik Deutschland zu schliessende Abkommen eine Reihe von Problemen offen. So bleibt die Liquidation des Unterkontos Österreich zum Abwicklungskonto einer separaten bilateralen Verständigung mit diesem Lande vorbehalten. Ferner wird die Clearingliquidation hinsichtlich Ostdeutschland, soweit nicht eine Übersiedelung des Gläubigers nach Westdeutschland erfolgt ist, bis auf weiteres zurückgestellt.
Bei einzelnen Randproblemen ergibt sich noch eine – zahlenmässig nicht ins Gewicht fallende – Belastung des Bundes, weil es trotz der der Clearingliquidation zugrundeliegenden kreuzweisen Lösung nicht möglich war, die Finanzierung dieser Fälle der deutschen Seite zu übertragen. Es betrifft dies einerseits die Kursaufbesserung zugunsten schweizerischer Kleingläubiger mit kursfixierten Reichsmark-Zahlungsaufträgen, wofür auf Grund der seinerzeitigen provisorischen Abrechnung ein Engagement der schweizerischen Clearingbehörden anerkannt werden muss. Anderseits erweist es sich als notwendig, die nach Kriegsende gegenüber Belgien13 und den Niederlanden14 eingegangenen Verpflichtungen zur Bereinigung gewisser Storni im seinerzeitigen Zentralclearing mit diesen Ländern zu honorieren. Es wird sich unter Umständen auch nicht vermeiden lassen, zugunsten deutscher Tochtergesellschaften schweizerischer Firmen in Einzelfällen eine Aufbesserung der für eine Reichsmark-Forderung in Westdeutschland zu erbringenden DM-Abfindung vorzusehen. Für die Erledigung dieser letzteren Randprobleme dürfte ca. 1 Mio. Sfr. erforderlich sein. Offen bleibt dann noch eine Regelung mit Österreich und Ostdeutschland.
III. Problem der Nazi-Unrechtschäden aus der Kriegszeit
Auf Grund der vom Bundesrat am 22. April 195515 und 6. Mai 195516 erteilten Instruktionen hat die schweizerische Delegation sich auch anlässlich der Schlussverhandlungen für eine Entschädigung der schweizerischer Naziopfer aus der Kriegszeit eingesetzt, nachdem die aus der Vorkriegszeit stammenden Fälle im Rahmen einer am 18. Februar 1956 in Bonn zustande gekommenen und inzwischen von den beiden Regierungen genehmigten Vereinbarung geregelt worden waren17.
Unter Hinweis auf Artikel 5 des Londoner Schuldenabkommens blieb die deutsche Delegation auf ihrem schon früher eingenommenen ablehnenden Standpunkt. Sie war auch nicht zu bewegen, eine noch so vorsichtig formulierte Zustimmungserklärung zu einer aus Bundesmitteln zu finanzierenden schweizerischen Vorschussaktion zugunsten unserer Naziopfer abzugeben. Jede deutsche Schuldanerkennung dieser oder ähnlicher Art wurde grundsätzlich abgelehnt; durch das Londoner Abkommen sei die Prüfung solcher Ansprüche aus der Kriegszeit gegen Deutschland bis zur endgültigen Regelung der Reparationsfrage vertagt worden; jegliche Abmachung mit der Schweiz, die als Verletzung der Londoner Vereinbarung ausgelegt werden könnte, habe zu unterbleiben, da sie einen Präzedenzfall schaffe, der in anderen Ländern neue Ansprüche gegen Bonn in riesigem Ausmass auslösen würde.
Der Generalsekretär des Politischen Departements empfing den Delegationschef während der Schlussphase der Verhandlungen zweimal zu einer längeren Aussprache; der zweiten Audienz wohnte auch der Gesandte, der Bundesrepublik Deutschland bei. Dabei wurde den deutschen Gesprächspartnern erklärt, das im Londoner Abkommen geschaffene Hindernis könnte eben gerade durch eine in die Clearingliquidation eingebaute, somit nach aussen unsichtbare Lösung umgangen werden. Auf diese Weise hoffte man, die deutschen Bedenken hinsichtlich der Schaffung eines Präzedenzfalles gegenüber anderen Staaten zu zerstreuen. Im übrigen wurde den deutschen Vertretern vor Augen geführt, wie dringend eine baldige und angemessene Entschädigung der schweizerischen Naziopfer im Interesse der beiderseitigen Beziehungen geworden ist, und wie sehr sich auch die Regierung der Bundesrepublik darüber auf Grund der seit drei Jahren unternommenen schweizerischen Schritte in Bonn und der Eröffnungen des Chefs des Politischen Departements vom 2. Mai 1955 (in seiner Eigenschaft als Bundespräsident) gegenüber dem deutschen Gesandten in Bern18 klar sein muss.
Der deutsche Delegationschef beharrte aber kompromisslos auf seiner ablehnenden Haltung und beschränkte sein Entgegenkommen darauf, den schweizerischen Behörden Amts- und Rechtshilfe zur Abklärung der Tatbestände Aussicht zu stellen.
Dem wiederholten schweizerischen Ersuchen um geeignete deutsche Vorschläge für eine Lösung des Problems ist bisher nicht entsprochen worden.
Trotz intensiver Bemühungen ist es somit nicht gelungen, für das Problem der Nazischäden im Rahmen oder im Anschluss an die Clearingliquidation eine angemessene Lösung zu finden. Die deutsche Seite hat die «goldene Brücke», die wir ihr zu einer einvernehmlichen Lösung anlässlich der Clearingliquidation gebaut haben, leider nicht betreten. Die dadurch entstandene Lage war Gegenstand eingehender Erörterungen innerhalb der schweizerischen Delegation. Diese gelangte nach Prüfung aller Aspekte zum Schluss, dass sich wegen der derzeitigen Unmöglichkeit einer einvernehmlichen Regelung des Nazischäden-Problems ein Scheitern der Clearingliquidation nicht verantworten liess. Bei dieser Sachlage drängt sich anderseits nunmehr eine autonome schweizerische Vorschussaktion auf, wenn die ohne Zweifel am härtesten betroffenen schweizerischen Kriegsopfer nicht weiterhin leer ausgehen sollen. Es ist der Gedanke aufgetaucht, eine solche Vorschussaktion zusammen mit der neuen Vorlage für die Auslandschweizer-Hilfe auszuarbeiten. Dieses Vorgehen hätte indessen u. a. den Nachteil, dass es später deutscherseits dahin ausgelegt werden könnte, die Nazischäden seien im Rahmen der Auslandschweizerhilfe mit den hiezu von den Deutschen «beigestellten» 121,5 Mio. Sfr. abgegolten worden, und die Schweiz könne diesbezüglich keine Ersatzforderung mehr geltend machen. Das Politische Departement nimmt aber an, der Bundesrat werde unbedingt darauf bestehen, dass das Schweizerbürgern zugefügte Naziunrecht in vollem Umfang von deutscher Seite wieder gutgemacht werden muss.
Unter diesen Umständen rechtfertigt sich eine separate Vorlage über die vorläufig aus Bundesmitteln zu finanzierende vorschussweise Entschädigung der schweizerischen Naziopfer aus der Kriegszeit. Hierzu dürfte nach den bisher vorliegenden Schadensmeldungen ein Betrag von rund 12 Mio. Sfr. ausreichen.
Die Vereinbarungen bedürfen für ihr Inkrafttreten beiderseits noch der Genehmigung durch das Parlament19.
Gestützt auf die vorstehenden Ausführungen wird beantragt
1. Es sei von diesem gemeinsamen Bericht des Finanz- und Zolldepartements, des Politischen Departements sowie des Volkswirtschaftsdepartements zustimmend Kenntnis zu nehmen20;
2. Es sei der schweizerische Delegationsvorsitzende, Herr Generaldirektor Dr. M. Iklé zu ermächtigen, nach vorgängiger technischer Bereinigung der Vertragstexte eine Liquidationsvereinbarung wie vorstehend und in den beiliegenden technischen Erläuterungen näher dargelegt, abzuschliessen und zu unterzeichnen21;
3. Es sei das Finanz- und Zolldepartement zu ermächtigen, mit der Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon, Bührle & Co. einen Vergleich in Sinne des beiliegenden Entwurfes abzuschliessen22;
4. Es sei das Politische Departement zu beauftragen, eine Sondervorlage für die vorschussweise Entschädigung schweizerischer Naziopfer aus der Kriegszeit auszuarbeiten23.
- 1
- Antrag: E 1001(-)-/1/519.↩
- 2
- Vgl. dazu Nrn. 8 und 60 in diesem Band und das BR-Prot. Nr. 702 vom 22. April 1955, E 1004.1(-)-/1/576 (dodis.ch/9170), den Antrag des EPD vom 18. April 1955, E 1004.1(-)-/1/ 576 (dodis.ch/9171), den Antrag des EPD vom 11. Mai 1955, E 2200.161(-)1968/134/23 (dodis.ch/10282), das BR-Prot. Nr. 830 vom 6. Mai 1955, E 1004.1(-)-/1/577 (dodis.ch/10302) und den Antrag des EFZD vom 5. Mai 1955, E 1004.1(-)-/1/577 (dodis.ch/10303) sowie DDS, Bd. 18 und Bd. 19, Thematisches Verzeichnis: Bundesrepublik Deutschland – Wirtschaftsbeziehungen.↩
- 3
- Vgl. BR-Prot. Nr. 1454 vom 27. August 1954, E 1004.1(-)-/1/568 (dodis.ch/9143).↩
- 4
- Vgl. AS, 1946, Bd. 62, S. 306–311.↩
- 5
- Vgl. DDS, Bd. 19, Dok. 26, dodis.ch/9302, besonders Anm. 7.↩
- 6
- Vgl. den Antrag des EVD vom 20. August 1954, E 1004.1(-)-/1/568 (dodis.ch/9144) und Anm. 2.↩
- 7
- E 1004.1(-)-/1/577 (dodis.ch/10303).↩
- 8
- Vgl. BR-Prot. Nr. 702, E 1004.1(-)-/1/576.↩
- 9
- Gemeint ist das Aide-Mémoire vom 29. November 1955, E 2200.161(-)1968/134/62.↩
- 10
- Nicht abgedruckt.↩
- 11
- Nicht abgedruckt.↩
- 12
- Für die Tabelle vgl. dodis.ch/12634. Pour le tableau, cf. dodis.ch/12634. For the table, cf. dodis.ch/12634. Per la tabella, cf. dodis.ch/12634.↩
- 13
- Vgl. BR-Prot. Nr. 1503 vom 6. Juli 1945, E 1004.1(-)-/1/459 (dodis.ch/1247).↩
- 14
- Vgl. BR-Prot. Nr. 2709 vom 26. Oktober 1945, E 1004.1(-)-/1/462 (dodis.ch/2104).↩
- 15
- Vgl. Anm. 7.↩
- 16
- Vgl. BR-Prot. Nr. 830, E 1004.1(-)-/1/577.↩
- 17
- Die Vereinbarung, die am 11. von der Deutschen und am 13. Juni 1956 von der Schweizer Regierung bestätigt wurde, sah eine globale Entschädigung für alle Nazi-Unrechtschäden aus der Vorkriegszeit von 600’000 DM vor. Vgl. die beiden Schreiben A. Hubers an A. Zehnder vom 14. Juni 1956, E 2001-08(-)1978/107/5.↩
- 18
- Gespräch zwischen M. Petitpierre und F. Holzapfel nicht ermittelt.↩
- 19
- Vgl. Bundesbeschluss über die Gewährung von Vorauszahlungen an schweizerische Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (Vom 20. September 1957), BBl, 1957, Bd. 109, II, S. 580–582 und DDS, Bd. 20, Dok. 98, dodis.ch/12563, Anm. 5.↩
- 20
- Zur Annahme dieses Antrages vgl. BR-Prot. Nr. 1144 vom 6. Juli 1956, E 1004.1(-)-/1/ 591.↩
- 21
- Vgl. Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über die Liquidation des früheren schweizerisch-deutschen Verrechnungsverkehrs, AS, 1957, S. 397–405.↩
- 22
- Idem.↩
- 23
- Vgl. Anm. 17.↩
Tags
Federal Republic of Germany (General)