Die schweizerischen Bundesbehörden haben die Einreisesperren gegen jene deutschen Staatsbürger mit nationalsozialistischer Vergangenheit geprüft und eine Lockerung der Einreisepraxis durchgeführt.
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 19, Dok. 139
volume linkZürich/Locarno/Genève 2003
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2200.161-02#1968/134#323* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2200.161-02(-)1968/134 29 | |
Dossiertitel | Einreisesperren (1953–1955) | |
Aktenzeichen Archiv | J.10.3.3 |
dodis.ch/9689 Der Chef der Abteilung für Politische Angelegenheiten des Politischen Departements, A. Zehnder, an den schweizerischen Gesandten in Köln, A. Huber1
Wir kommen zurück auf die Frage der Überprüfung von Einreisesperren, die von den zuständigen Bundesbehörden gegen gewisse deutsche Staatsbürger wegen ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit verfügt worden sind. Die Ihnen seinerzeit – mit Schreiben vom 23. Januar dieses Jahres2 – angekündigte Lockerung der Einreisepraxis ist seither in weitgehendem Masse durchgeführt worden. Nach Angaben des Polizeidienstes der Bundesanwaltschaft sind bereits im April dieses Jahres insgesamt 507 gegen frühere deutsche Nationalsozialisten erlassene Einreisesperren aufgehoben worden. Ferner wurden von der eidgenössischen Fremdenpolizei auf Antrag der Bundesanwaltschaft 160 von 212 aus politischen Gründen angeordneten Einreisesperren rückgängig gemacht.
Von der Bundesanwaltschaft ist uns ein Exemplar der vom Vorsteher des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements erlassenen Richtlinien3 übergeben worden, die für die Aufhebung der Einreisesperren massgeblich waren. Wir lassen Ihnen in der Anlage eine Abschrift dieses Schriftstückes zugehen in der Meinung, dass es für Sie von Interesse sein dürfte, sich mit den Grundsätzen vertraut zu machen, die zur Aufhebung von total ca. 670 Einreisesperren geführt haben, während ca. 250 derartige Massnahmen in Kraft bleiben; in dieser letzterwähnten Zahl sind übrigens nicht bloss Rechtsextremisten sondern auch eine gewisse Anzahl Kommunisten inbegriffen.
Leider hat sich die Bundesanwaltschaft ausserstande erklärt, uns nebst den genannten Zahlen auch eine vollzählige Liste der Personen zu übergeben, die nach wie vor von der Einreisesperre betroffen sind bzw. neu einer solchen unterstellt wurden (sog. Neonazis, extreme Kommunisten). Eine solche neue Liste wurde scheinbar von ihr nicht ausgearbeitet, und auch die alte Liste mit den vorgenommenen Streichungen wäre nicht vollständig, da auf ihr die Namen der zusätzlich mit Sperre belegten Personen nicht in Erscheinung treten würden. Um eine gültige Zusammenstellung anzufertigen, müsste ein besonderer Auszug aus dem Schweizerischen Polizeianzeiger erstellt werden. Denn aus dem Polizeianzeiger sind natürlich sämtliche von der Einreisesperre immer noch betroffenen Deutschen ersichtlich.
Die Bundesanwaltschaft ist der Meinung, dass sie mit den von ihr befolgten Richtlinien des zuständigen Departementschefs bis zur Grenze des innenpolitisch Tragbaren gegangen sei. Insbesondere ist sie der Ansicht, dass auch solche Personen, die unter der Regierung Adenauer eine neue Prominenz erlangt haben, nicht ohne weiteres lediglich aus diesem Grunde von der Sperre befreit werden konnten, wenn sie im übrigen nach den erwähnten Direktiven auf Grund ihrer früher gegen die Schweiz gerichteten Tätigkeit oder wegen ihrer Notorietät als prominente Nationalsozialisten für die Schweiz als untragbar bezeichnet werden müssen. Wir können uns dieser Auffassung durchaus anschliessen; denn wie Sie in ihrem Schreiben vom 29. September dieses Jahres4 sehr richtig bemerken, ist es ausschliesslich Sache der Schweiz, über die Kriterien zu entscheiden, die sie für die Fernhaltung unerwünschter Elemente von ihrem Hoheitsgebiet anwenden will.
Die Bundesanwaltschaft betrachtet die von ihr vorgenommene Siebung der erlassenen Einreisesperren als abgeschlossen. Dass sie aber in konkreten Fällen bereit ist, auf eine Neuprüfung einzutreten, hat sie kürzlich in dem von Ihnen aufgeworfenen Fall des Oberregierungsrates Sonnenhol erneut unter Beweis gestellt; sie hat in dieser Angelegenheit von sich aus die Anregung gemacht, der Interessent möge seine auf Grund einer provisorischen Einreisebewilligung ermöglichte Anwesenheit in der Schweiz dazu benützen, um zur Aufhebung der immer noch gegen ihn bestehenden Sperre beizutragen, indem er für gewisse Aufklärungen gegenüber der Bundespolizei Hand bietet. Er hat sich hierzu bereit erklärt, und die Aufhebung der Sperre dürfte voraussichtlich in nächster Zukunft Tatsache werden. In ähnlicher Weise wäre von Fall zu Fall zu verfahren, falls ein deutscher Staatsbürger, der immer noch mit dem Vermerk «Einreisesperre» im Polizeianzeiger figuriert, den Nachweis erbringen kann, dass er die in den «Richtlinien» umschriebenen Kriterien der Unerwünschtheit objektiv nicht erfüllt.
Die in ihrem Schreiben vom 29. September 1954, in fine, im Zusammenhang mit der Angelegenheit des Arnold Sporleder gestellte Anfrage5 können wir dahingehend beantworten, dass wir in dieser Sache und hinsichtlich der vom Auswärtigen Amt der BRD aufgeworfenen Frage der Zustellung von Einreisesperren an deutsche Staatsangehörige von der hiesigen deutschen Gesandtschaft nicht begrüsst worden sind.
Wir geben uns der Hoffnung hin, dass Sie auf Grund der obigen Ausführungen in der Lage sein werden, sich über die von den zuständigen Bundesbehörden beschlossene Politik hinsichtlich der ehemaligen prominenten Nationalsozialisten und anderer politisch unerwünschter Elemente ein abschliessendes Bild zu machen und allfällige Anfragen in völliger Sachkenntnis zu beantworten.
- 1
- Schreiben: E 2200.161(-)1968/134/29. Paraphe: DP.↩
- 2
- Nicht abgedruckt.↩
- 3
- Vgl. die Richtlinien für die Überprüfung von Einreisesperren, die verfügt worden sind gegen Deutsche, die als Nationalsozialisten belastet erschienen vom 2. 3. 1954, E 4300(B) 1969/78/6.Vgl. auch das Kreisschreiben Nr. 692 des EJPD vom 24. Dezember 1953 an die Polizeidirektionen der Kantone, ibid.↩
- 4
- Gemeint ist das Schreiben von A. Huber an A. Zehnder vom 29. September 1954 zur Einreisesperre der Bundesanwaltschaft im Falle A. Sporleder. Nicht abgedruckt. Vgl. auch das Protokoll vom 3. April 1952 der interdepartementalen Konferenz vom 31. März 1952, E 4300(B)1971/4/22 (dodis.ch/8892).↩
- 5
- Vgl. Anm. 3.↩
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