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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 1994, doc. 34
volume linkBern 2025
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| Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
| Archival classification | CH-BAR#E2026A#2005/9#2791* | |
| Dossier title | Allgemeines, Band 6 (1994–1994) | |
| File reference archive | t.311-Rwanda |
| Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
| Archival classification | CH-BAR#E2026A#2005/9#746* | |
| Dossier title | Menschenrechte, Band 1 (1994–1994) | |
| File reference archive | t.300-24 |
| Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
| Archival classification | CH-BAR#E2010A#2005/342#7304* | |
| Dossier title | Allgemeines, vol. 4 (1994–1994) | |
| File reference archive | B.73.0 • Additional component: Rwanda |
| Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2200.185-02#2001/178#15* | |
| Old classification | CH-BAR E 2200.185-02(-)2001/178 7 | |
| Dossier title | Menschenrecht in Ruanda (1993–1996) | |
| File reference archive | 417.0 |
| Archive | Swiss Social Archives, Zurich |
| Archival classification | CH-SOZARCH Ar AI E 002-012 |
| Dossier title | EDA (1988–1995) |
dodis.ch/68573Der Vorsteher des EDA, Bundesrat Cotti, an das Zentralsekretariat von Amnesty International, Sektion Schweiz1
[Die Lage der Menschenrechte in Rwanda und Burundi]
Ich danke Ihnen für Ihr Schreiben vom 15. Juli 1994 zur Lage der Menschenrechte in Rwanda und in Burundi, welchem ein dringender Appell an den Bundesrat beilag.2
Ich möchte zunächst auf den scheinbar einfacheren Fall Burundi eingehen und darauf hinweisen, dass die internationale Gemeinschaft, im Bewusstsein der potentiellen Gefahren eines Übergreifens der ruandischen Ereignisse, gewisse präventive Massnahmen ergriffen hat. So hat sich Herr José Ayala Lasso, Hochkommissar für Menschenrechte, am 9. und 10. Mai 1994 nach Bujumbura begeben, um die Lage in diesem Land abzuschätzen. Bei seiner Rückkehr appellierte er an die Mitgliedstaaten der UNO, ein Projekt an Ort und Stelle in Burundi zu finanzieren, welches das Schwergewicht auf die Ausbildung und Information setzt und damit Menschenrechtsverletzungen vorbeugen will.3 Es versteht sich von selbst, dass jede Hilfe, die Burundi im Bereich der Förderung der Menschenrechte zuteil wird, auch eine Unterstützung der Demokratisierung und der Versöhnung in diesem Land darstellt. Ich habe mich entschieden, positiv auf die Initiative des Hochkommissars zu antworten und so leistet die Schweiz einen Beitrag von sFr. 200 000.– an die Finanzierung des Programms für technische Zusammenarbeit «Menschenrechte» in Burundi.4 Im übrigen ist unser Land seit dreissig Jahren in Burundi durch die Entwicklungszusammenarbeit und die humanitäre Hilfe vertreten. Hinsichtlich der seit mehreren Monaten andauernden Blockierung der politischen, ethnischen und sozialen Situation in Burundi habe ich jedoch entschieden, ab 1. August 1994 auf jede neue Aktivität im Bereich der technischen Zusammenarbeit zu verzichten; alle laufenden Projekte sind Ende Juli ausgelaufen.5 Die humanitären Hilfsprogramme, hingegen, werden aufrechterhalten. Neue Projekte in Burundi sind vorläufig nicht vorgesehen, auch wenn mittelfristig geplant ist, Projekte, die die ganze Region umfassen, durchzuführen.
Was Rwanda anbelangt, so fehlen die Worte, um eine Situation, welche auch die grössten Pessimisten sich nicht vorzustellen wagten, zu beschreiben. Das wenige, was gesagt werden kann, ist, dass das Grauen der in diesem Land nach dem 6. April 1994 geschehenen Vorgänge mich, wie den Gesamtbundesrat, schwer getroffen hat.6 Sie wissen, mit wieviel Aufmerksamkeit und Besorgnis der Bundesrat und mein Departement die tragischen Vorgänge verfolgen, die Rwanda seit mehreren Jahren mit Blut beflecken. Seit Ausbruch des Krieges im Oktober 1990 waren wir besorgt über die Folgen dieses Konfliktes, der auch die Entwicklungsbemühungen der letzten Jahre gefährdete. Die Schweiz hat deshalb, 1990 und 1991, beschlossen, die auslaufenden Kooperationsabkommen nur für jeweils ein Jahr zu erneuern.7 Es erübrigt sich wohl zu präzisieren, dass die Zusammenarbeit der Schweiz mit Rwanda nicht das Ziel hatte, ein Regime oder eine Partei zu unterstützen, sondern einen Beitrag leisten wollte an die vereinten Bemühungen der Ruander, ihre politischen, wirtschaftlichen, ethnischen und sozialen Probleme auf friedliche Art und Weise zu lösen. Die Schweiz hat vor der Unterzeichnung des Abkommens von Arusha den ruandischen Behörden nachdrücklich ihre tiefe Besorgnis zum Ausdruck gebracht über die Blockierung der Bestellung der erweiterten Übergangsregierung und der interimistischen Nationalversammlung, sowie über die Verschlechterung der Sicherheit und der wirtschaftlichen und sozialen Ordnung in Rwanda.8 Sie hat in der Folge mehrmals die Konfliktparteien eingeladen, Kompromissbereitschaft zu bezeugen und sich über die Beilegung der noch verbleibenden Differenzen zu verständigen. 1993 hat die Direktion für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe meines Departements sich zum Wortführer eines von Juristen erstellten internationalen Berichtes, der die Menschenrechtsverletzungen in Rwanda anprangert, gemacht.9
Im Bereich der humanitären Hilfe hat die Schweiz seit April 1994 weitgehende Bemühungen unternommen. Zur Zeit sind 18 Spezialisten des schweizerischen Katastrophenhilfekorps an Ort und Stelle im Einsatz; ein Arzt und ein Spezialist der humanitären Hilfe haben sich am 23. Juli nach Rwanda begeben, um die Bedürfnisse im Hinblick auf eine Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimat abzuklären;10 drei Ärzte wurden der «Cholera Task Force», die in Goma von der Weltgesundheitsorganisation geschaffen wurde, zur Verfügung gestellt.11 Die Kosten der realisierten und geplanten Projekte belaufen sich auf sFr. 9,5 Millionen, zu welchen noch weitere 4 Millionen zu rechnen sind, die ursprünglich für die Entwicklungszusammenarbeit bestimmt waren.12 In Anbetracht der sanitären Verhältnisse und insbesondere des Wassermangels in den Lagern ausserhalb Rwandas, ist es unabdingbar, dass alle Flüchtlinge zurückkehren können. Es handelt sich dabei um eine Aufgabe, die eine breite internationale Zusammenarbeit erfordert; aus diesem Grund hat sich die Schweiz auf den multilateralen Bereich konzentriert und unterstützt die Aktionen des IKRK und des UNHCR an Ort und Stelle.13 Zudem schätze ich mich glücklich über die Grosszügigkeit der schweizerischen Bevölkerung, deren Spenden es den nichtstaatlichen Organisationen erlauben, einen willkommenen Beitrag an die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft zu leisten. Geschürt wurden die Massaker in Rwanda von Personen, die das Radio benützt haben; Gerüchte und falsche Meldungen sind der Grund von massiven Gewalttaten. Aus diesem Grund hat die Schweiz das Projekt eines humanitären Radios für Rwanda, das von «Reporters sans frontières, Schweizer Vereinigung» erarbeitet worden ist, zu einem grossen Teil finanziert. Es handelt sich hier darum, einer ratlosen Bevölkerung glaubwürdige Informationen anzubieten.14
Anlässlich der ausserordentlichen Sitzung der Menschenrechtskommission (Genf, 24.–25. Mai 1994) hat die Schweiz den Wunsch geäussert, Menschenrechtsbeobachter zu entsenden, und ihren Willen bekundet, an einer solchen Mission teilzunehmen.15 Diese Idee wurde in der am 25. Mai von der Kommission verabschiedeten Resolution nicht aufgenommen.16 Ich möchte betonen, dass Professor Degni Ségui, Sonderberichterstatter, diese Idee dennoch aufgegriffen hat und im der Kommission unterbreiteten Bericht vom 28. Juni 1994 vorgeschlagen hat, dass die UNO «mette sur place une équipe renforcée d’observateurs de droits de l’homme guidés par un coordinateur de haut niveau relevant du Rapporteur spécial».17 Die Schweiz befürwortet diese Idee und wird sich bemühen, ihre Verwirklichung zu fördern. Sie unterstützt, wie sie es schon anlässlich der ausserordentlichen Sitzung der Menschenrechtskommission getan hatte, auch einen anderen Vorschlag von Professor Degni Ségui, der darin besteht «[à créer] dans l’attente d’une juridiction pénale internationale permanente, une juridiction internationale ad hoc chargée de connaître des faits et de juger les coupables et, à défaut, d’étendre la compétence du tribunal pénal international pour les crimes de guerre commis dans l’ex-Yougoslavie».18
Die internationale Gemeinschaft wird sich ihres Einflusses auf die neuen Behörden in Kigali bedienen müssen, um sicherzustellen, dass die Flüchtlinge keine Gefahr laufen, bei ihrer Rückkehr Opfer von Machtmissbräuchen zu werden; es wird ebenfalls angebracht sein, auf die Entwaffnung aller Milizen hinzuarbeiten und achtsam zu verhindern, dass neue Brände ethnischen Hasses durch auf Lügen beruhende Propaganda, woher sie auch stammt, entfacht werden. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten wird sich die Schweiz bemühen, in diesem Sinne zu handeln und wird ihren Einfluss auf alle betroffenen Parteien nutzen, damit diese sich für den Wiederaufbau eines befriedeten, demokratischen und die Grundrechte seiner Bürger respektierenden Rwanda einsetzen. So wird denn auch insbesondere die neue Regierung von der internationalen Gemeinschaft und der Schweiz aufgrund ihrer Fähigkeit, eine sichere Rückkehr der Flüchtlinge zu gewährleisten, beurteilt werden. In dieser Hinsicht trägt die Schweiz zur Finanzierung der sanitären Posten bei, die an den Rückkehrstrassen und -wegen vom IKRK erstellt worden sind.
- 1
- CH-SOZARCH#Ar AI E 002-012. Dieses an die Zentralsekretärin der Sektion Schweiz von Amnesty International, Frauke Lisa Seidensticker, gerichtete Schreiben wurde vom stv. Chef der Sektion für Menschenrechte des EDA, Jean-Pierre Villard, verfasst und vom Vorsteher des EDA, Bundesrat Flavio Cotti, unterzeichnet. Kopien wurden an einen breiten Verteiler im EDA, an die schweizerische Botschaft in Nairobi und an die Bundeskanzlei versendet, vgl. das Faksimile dodis.ch/68573 aus dem Dossier CH-BAR#E2010A#2005/342#7304* (B.73.0).↩
- 2
- Vgl. das Schreiben der Sektion Schweiz von Amnesty International an Bundesrat Cotti vom 15. Juli 1994, dodis.ch/69176.↩
- 3
- Vgl. das Schreiben des UNO-Hochkommissars für Menschenrechte, José Ayala Lasso, an Bundesrat Cotti vom 25. Mai 1994, CH-BAR#E2010A#2005/342#6750* (B.55.40).↩
- 4
- Vgl. dazu das Schreiben von Bundesrat Cotti an Hochkommissar Ayala Lasso vom 17. Juni 1994, dodis.ch/69632.↩
- 5
- Vgl. dazu die Notiz des Direktors der Direktion für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe (DEH) des EDA, Botschafter Walter Fust, an Bundesrat Cotti vom 19. April 1994, dodis.ch/68732.↩
- 6
- Vgl. dazu DDS 1994, Dok. 18, dodis.ch/66329, sowie die Zusammenstellung Völkermord in Ruanda, dodis.ch/T2605.↩
- 7
- Vgl. dazu DDS 1990, Dok. 48, dodis.ch/56080, sowie die Notiz von Jean-François Cuénod von der Sektion Ostafrika der DEH vom 14. Februar 1992, dodis.ch/70018.↩
- 8
- Vgl. das Schreiben des Vorstehers des EDA, Bundesrat René Felber, an den Minister für auswärtige Angelegenheiten und Zusammenarbeit Ruandas, Boniface Ngulinzira, vom 12. März 1993, dodis.ch/65083.↩
- 9
- Rapport de la Commission internationale d’enquête sur les violations des droits de l’homme au Rwanda depuis le 1er octobre 1990 vom 8. März 1993, publiziert von der Fédération internationale pour les droits de l’homme (FIDH). Vgl. dazu die Demarche des EDA vom 24. März 1993, dodis.ch/65084.↩
- 10
- Dr. Flavio Del Ponte und Jean-Michel Jordan. Die Abklärungen wurden nicht in Ruanda, sondern in Goma in Zaire durchgeführt, vgl. den Antrag Nr. 170/94 der Sektion SKH Operationen der DEH vom 21. Juli 1994, dodis.ch/69883.↩
- 11
- Dr. Jacques Lindgren, Dr. Mathias Muheim und Dr. Nicolas Stettler, vgl. das Dossier CH-BAR#E2023A-01#2005/37#2391* (o.299.1-95).↩
- 12
- Vgl. dazu die BR-Prot. Nr. 1104 vom 22. Juni 1994, dodis.ch/64614, und Nr. 1262 vom 17. August 1994, dodis.ch/64615. Zum Stand der schweizerischen Tätigkeiten im Bereich der humanitären Hilfe Ende 1994 vgl. das Aide Mémoire des Delegierten des Bundesrats für Katastrophenhilfe im Ausland, Charles Raedersdorf, vom 6. Dezember 1994, dodis.ch/67953.↩
- 13
- Vgl. dazu die Anträge der Abteilung humanitäre Hilfe und SKH der DEH Nr. 574/94 vom 4. September 1994, dodis.ch/69884, und Nr. 584/94 vom September 1994, dodis.ch/69885.↩
- 14
- Vgl. dazu den Projektantrag Nr. 229/94 der DEH vom 22. September 1994, dodis.ch/68337.↩
- 15
- Vgl. dazu die Erklärung des schweizerischen Delegationschefs, Botschafter François Nordmann, dodis.ch/69771.↩
- 16
- Vgl. dazu die Notiz von Alain Guidetti von der ständigen Mission der Schweiz bei den internationalen Organisationen in Genf vom 26. Mai 1994, dodis.ch/69772.↩
- 17
- René Degni-Ségui, Rapport sur la situation des droits de l’homme au Rwanda établi par le Rapporteur spécial de la Commission des droits de l’homme en application de la résolution S-3/1 de la Commission et de la décision 1994/223 du Conseil économique et social vom 28. Juni 1994, UN doc. A/49/508 bzw. S/1994/1157.↩
- 18
- Zur Frage der Einberufung eines Kriegsverbrechertribunals vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C2656.↩
Relations to other documents
| http://dodis.ch/68573 | is the answer to | http://dodis.ch/69176 |
Tags
Rwanda (General) Burundi (General)
Rwandan genocide



