Classement thématique série 1848–1945:
IV. RÉFUGIÉS, IMMIGRATION, POLICE DES ÉTRANGERS
IV.1 LA SUISSE ET L'IMMIGRATION JUIVE
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 12, doc. 460
volume linkBern 1994
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001D#1000/1552#3216* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(D)1000/1552 115 | |
Dossier title | Beschwerde der eidg. Polizeiabteilung über die Missachtung der Vorschriften betr. Wiedereinführung des Visazwanges für Inhaber österreichischer Pässe durch gewisse schweiz. Konsulate in Norditalien (1938–1939) | |
File reference archive | B.44.31.1 • Additional component: Deutschland |
dodis.ch/46720
Ich beehre mich hiermit, Ihnen den Empfang Ihres Schreibens vom 25. ds.Mts.2 anzuzeigen, vermittelst welchem Sie mich um meine Stellungnahme zu der Beschwerde, die Ihnen von der Eidg. Fremdenpolizei hinsichtlich der von diesem Konsulate während den Sommermonaten Juli und August erteilten Einreisevisa an österreichische Passinhaber zugegangen ist, ersuchen.
Dieser Ihrer Aufforderung komme ich sofort nach unter der Meldung folgenden Tatbestandes.
Vor allem will ich sofort hervorheben, dass fragliche Visierung von österr. Pässen ausschliesslich mit meinem Einverständnisse vorgenommen worden ist und folglich für dieses Vorgehen auch allein die volle Verantwortung übernehme. Zu dieser meiner Disposition liess ich mich vor allem und zumal sich das Problem der armen gehetzten Emigranten aus Österreich ganz anders ausgewirkt hatte, wie in den Instruktionen von der Eidg. Fremdenpolizei vorgesehen, aus Humanitätsgründen leiten, um den erwähnten Leuten, die nirgens mehr ein Obdach finden sollten, wenigstens ein solches in unserer asylbereiten Heimat für kurze Zeit zu gestatten. Dabei erwähne ich, dass die 500 nach der Schweiz hereingelassenen Emigranten nur einen Bruchteil der Gesuchsteller stellen, denen ich glaubte das Visum erteilen zu dürfen, dies weil dieselben mir nach Prüfung deren Verhältnisse und Anliegen die Gewähr zu geben schienen, unserem Lande nicht zur Last zu fallen. Alle übrigen Gesuchsteller, die dies nicht tun konnten und cirka die zweifache Menge ausmachten, wie die der nach der Schweiz hereingelassenen, wurden abgewiesen.
Zu Anfang August indes dann die Beobachtung gemacht, dass der Andrang speziell der jüdischen österr. Emigranten immer bedrohlicher wurde und Bedenken hatte, weiter alle diese Leute in deren Anliegen zu befriedigen, liess ich dies mit Bericht vom 13. August, von dem ich vorliegendem Schreiben eine Kopie beifüge3, unserer Gesandtschaft in Rom melden und gewärtigte einen Rückbescheid, ob es unter den Verhältnissen und der Unmöglichkeit, für täglich 20 bis 40 Einreisegesuchsteller vorher die respektive Einreisebewilligung einzuholen, nicht zweckdienlicher wäre, für alle Emigranten kurzweg das Visum zu sperren. Auf diese meine Eingabe indes dann ohne jeglichen Rückbescheid geblieben, musste ich wohl oder übel annehmen, dass vorderhand eine Änderung in dem von mir verwandten System der Visierung österr. Pässe nicht gewünscht wurde und noch weniger eine Sperre der Einreise, weshalb ich anordnete, dass auch weiter für alle Österreicher, die die Gewähr für einen kurzfristigen Aufenthalt in der Schweiz boten, das Visum erteilt wird, und revozierte diese Anordnung erst am 22. August, dem Tag, an dem endlich eine telephonische Ordre von der Fremdenpolizei eintraf, keine weiteren Visa mehr an Österreicher zu erteilen.
Wie Sie folglich aus diesen meinen getroffenen Dispositionen ersehen können, hätte in der Frage der Einreisebewilligung an österr. Emigranten die peinliche Lage, die nun für unser Land entstanden ist, zu einem beträchtlichen Teil vermieden werden können, wenn mein Rapport vom 13. August Gehör, sofortige Prüfung und Dezision erfahren hätte.
Was die Behauptung der Fremdenpolizei anbetrifft, dass von diesem Konsulate unter anderem auch Emigranten-Pässe visiert worden sind, ohne selbst den Passinhaber gesehen zu haben, muss ich erwähnen, dass mir von derartigen Prozeduren nichts bekannt ist. Wohl gingen dieser Kanzlei diverse Pässe von Reiseagenturen meines Konsularkreises zu, denen entsprochen worden ist, weil jeweils der Einreisezweck des respekt. Gesuchstellers genügend begründet wurde. Ob es diese Reiseagenturen waren, die dann sich weiter mit solchen in Wien verständigt haben, entgeht meiner Kenntnis. Gut wäre aber, nicht allem Glauben zu schenken, was überall über bestehende Umstände bei diesem Konsulate berichtet wird, denn auch ich musste in mehreren Fällen die bedauerliche Feststellung machen, hauptsächlich von den jüdischen Emigranten angelogen worden zu sein, denen dieses Laster wie keinem Christen ganz besonders eigen
Um sich überhaupt ein Urteil über die Verhältnisse gestatten zu wollen, die sich diesen Sommer bei diesem Konsulate mit den österr. Emigranten abgespielt haben, muss man selbst hier anwesend gewesen sein. Alle Tage harrten zwischen 40 und 60 Leute vor der Konsulatkanzlei, die bis zuunterst an die Treppen angefüllt war, um empfangen und in ihren Bitten angehört zu werden. Dabei stand die Bureautemperatur täglich auf 30 bis 33 Grad Wärme, da Venedig dies Jahr einen ganz besonders heissen Sommer aufzuweisen hat. Welche Szenen der Verzweiflung sich da immer abgespielt haben, und ganz besonders, wenn der eine oder andere mit seinem Einreisegesuche abgewiesen werden sollte, kann ich hier nicht beschreiben, da zuweit führend, bin aber überzeugt davon, dass diese Leute auch den härtesten Menschen unserer Fremdenpolizei gerührt und erweicht hätten.
Zum Schlüsse will ich hier auch noch der Beamten dieser Konsulatskanzlei gedenken, die sich unter meiner Leitung der ungeheuren Arbeit der Passvisierung in den Monaten Juli und August gewidmet und der Meinung waren, ihr bestes getan zu haben, um dafür wenigstens eine bescheidene Anerkennung zu erhalten. Der Eindruck, den daher im ersten Augenblicke die geringschätzige Eintaxierung dieser Leistungen durch die Eidg. Fremdenpolizei auf diese Beamten gemacht hat, können Sie sich vorstellen und diesen Letzteren nicht verargen, wenn dieselben diese Abfertigung als grossen Undank bezeichneten. Nicht zu vergessen ist nämlich, dass meinem Personal ausser der Visierung österr. Pässe auch noch andere Geschäftsangelegenheiten zur Erledigung oblagen, die ohne jeden Verzug getätigt wurden, da ganz besonders die gestellten Ansprüche der eigenen Landsleute immer sehr gross sind und zuweilen eine Erledigung erheischen, die nur Dienstboten zugemutet wurden. Hebe hier unter anderem nur 2 Sterbefälle von Schweizern hervor, die diesen Sommer während ihrer Kurzeit in Italien verstorben sind. Da diese kremiert werden sollten, musste Tag und Nacht herumgelaufen werden, um diese Prozedur zu erreichen, die hierzulande nicht einfach ist, da sehr wenig Kremationen ausgeführt werden. Bei diesen 2 Verbrennungen hat es in einem Falle, wo der Kremationsofen beim Eintreffen des Leichnams noch nicht richtig angezündet war, nicht viel gefehlt, dass das Konsulat sogar noch hätte mithelfen sollen, denselben mitzuheizen.
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