Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 12, doc. 202
volume linkBern 1994
more… |Österreich zwischen den Mächten. Die politische Berichterstattung der schweizerischen Vertretung in Wien 1938–1955, vol. 4, doc. 8
volume linkBern 2014
more… |▼▶Repository
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#1264* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 524 | |
Dossier title | Wien, Politische Berichte und Briefe, Militär- und Konsularberichte, Band 53 (1938–1938) |
dodis.ch/46462
Hiedurch beehre ich mich, Ihnen einige Eindrücke aus einer heutigen persönlichen Unterredung mit Staatssekretär Dr. Guido Schmidt zu schildern. Das Thema zu diesem Gespräch lieferte beinahe ausschliesslich der österreichische Widerhall der jüngsten Ereignisse in Deutschland.
Dr. Guido Schmidt besprach die Veränderungen, welche der 4. Februar in der Besetzung höchster deutscher Reichsstellen mit sich gebracht hat, mit einer Gelassenheit und einem Optimismus, welche, sofern sie von Herzen kamen, beim Zuhörer die Überzeugung wecken konnten, ein eher noch engerer aussenpolitischer Kontakt mit Deutschland schwebe auch unter den gegenwärtigen Verhältnissen dem Lenker der österreichischen Aussenpolitik vor2.
Staatssekretär Dr. Guido Schmidt führte aus, jede Revolution habe drei Phasen: eine erste, in der das Regime seine offenkundigen Gegner beseitige, eine zweite, in der die Mitläufer sowie die lauen Anhänger erledigt würden, und schliesslich eine dritte, in der alle jene den Laufpass erhielten, die einer Prüfung auf Herz und Nieren nicht nach allen Richtungen zu entsprechen vermöchten. Nach Auffassung von Dr. Schmidt sei in Deutschland das Heer noch in der zweiten Phase begriffen, während im Auswärtigen Amt die Ersetzung Neuraths durch Ribbentrop bereits den Abschluss der dritten Phase bedeute. Am Ballhausplatz sehe man somit in der Neubesetzung wichtiger aussenpolitischer Posten nicht so sehr eine Absicht der Reichsregierung, den betreffenden Ländern gegenüber eine Kursänderung eintret en zu lassen, als vielmehr das Bestreben des deutschen Reichskanzlers, Persönlichkeiten seines unmittelbaren Vertrauens an Stellen zu wissen, die bisher durch Mittelsmänner innegehabt wurden, welche gerade in entscheidenden Momenten zum Nachteil ihrer Aufgabe nicht immer das Ohr von Adolf Hitler besassen. Einerseits, so sagte Dr. Schmidt, bedaure man in Wien die Abberufung von Papens. Man vergesse nicht, dass er einer der Urheber des Ausgleichs mit Deutschland vom 11. Juli 1936 gewesen war. Aus eigener Anschauung kann ich beifügen, dass Botschafter von Papen in Wien dank seinem ritterlich vornehmen Wesen, das sich mit weltmännischer Liebenswürdigkeit paarte, ein Ansehen genoss, das durch die Tragik im Schicksal dieses Mannes noch unterstrichen wurde3.
Von der Neubesetzung der Deutschen Gesandtschaft in Wien sprechend, sagte Dr. Guido Schmidt, er glaube nicht, dass an der Metternichgasse ein allzu aktiver nationalsozialistischer Kurs eingeschlagen werden solle. Im Grunde, fügte er bei, sei ihm aber dort eine Persönlichkeit lieber, die in Berlin auch bei Parteistellen über Einfluss verfüge. Viele Konferenzen mit Botschafter von Papen wie auch das letzte Zusammentreffen mit dem damaligen Reichsaussenminister Freiherrn von Neurath hätten gezeigt, dass solche Vertreter einer früheren Zeit, selbst wenn sie, wie Herr von Neurath, in der Uniform eines S.S.-Obergruppenführers in der Öffentlichkeit erschienen, den Führer und Reichskanzler, sowie dessen massgebenden Stab, nicht 100%ig hinter sich hatten.
Was nun die in der Presse viel diskutierte Kandidatur von Oberstleutnant Kriebel, zuletzt deutscher Generalkonsul in Shanghai, anbelange, so sei für ihn bis jetzt noch kein Agrement verlangt worden. Der Lebenslauf Kriebels, der am 9. November 1923 als früherer Berufsoffizier die militärische Seite des missglückten Hitler-Putsches in München organisierte, ist auch in schweizerischen Blättern wiedergegeben worden, sodass ich mich darauf beschränken darf, die Bemerkung von Dr. Guido Schmidt zu wiederholen, Kriebel sei zur Zeit seines Aufenthaltes in Kärnten, wo er zwischen 1923 und 1933 ein Landgut bewirtschaftete, mit den hiesigen Verhältnissen wohl vertraut geworden und stehe zudem Land und Leuten in Österreich mit Sympathie und Verständnis gegenüber.
Staatssekretär Dr. Guido Schmidt ist schliesslich überzeugt davon, dass in nächster Zeit kriegerische Verwicklungen ausgeschlossen sind4. Er glaubt voraussagen zu dürfen, dass Hitlers nächste Rede eine «Friedensschalmei» sein werde4. Hätte man in Berlin agressive Absichten, argumentiert Dr. Schmidt, so würde man nicht gerade jetzt auf die Mitarbeit so vieler bewährter militärischer Kräfte verzichtet haben.
Aus dem Gesagten geht hervor, dass man in Wien an massgebender Stelle die Entwicklung im Reich mit abwartender Sympathie verfolgt und bereit ist, auch mit Herrn von Ribbentrop, dem man als Reichsaussenminister die besten Absichten gerne zubilligt, in loyaler Zusammenarbeit die Politik des 11. Juli 1936 weiterzuführen5.
Staatssekretär Dr. Guido Schmidt kam sodann auf gewisse Schwierigkeiten mit Jugoslawien zu sprechen. Ende Dezember 1937 hatten nämlich die jugoslawischen Behörden den Marburger Amtswalter der Vaterländischen Front und einige weitere österreichische Staatsangehörige, darunter die Schwester des österreichischen Gesandten Pacher in Moskau, mit der Begründung ausgewiesen, dass diese Personen eine den Interessen Jugoslawiens zuwiderlaufende, auf die Wiederherstellung der alten österreichischen Monarchie hinzielende Tätigkeit ausübten. Ein Beweis für diese Anschuldigungen konnte indessen nie erbracht werden. Auch die allgemein gehaltenen jugoslawischen Beschwerden gegen die Ausgewiesenen waren österreichischerseits restlos widerlegt worden. Trotz dreifacher ultimativer Aufforderung, so sagte mir Dr. Guido Schmidt, war eine Zurücknahme der Ausweisung nicht zu erwirken. Die österreichische Regierung hat sich daher nach sechswöchigen vergeblichen Bemühungen um eine freundschaftliche Beilegung der Angelegenheit genötigt gesehen, ihrerseits einige in Österreich ansässige jugoslawische Staatsangehörige zum Verlassen des Bundesgebietes zu veranlassen. Dr. Guido Schmidt erklärte mir, dass die Betreffenden als Spione eine gegen Österreich gerichtete Tätigkeit ausgeübt hätten, wofür er den Beweis in der Hand habe. Er fügte bei, dass sich der jugoslawische Gesandte in Wien, Lazarevic, in anerkennenswerter Weise, wenn auch ohne Erfolg, um eine Verständigung bemüht habe.
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