Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
II. BILATERALE BEZIEHUNGEN
14. Österreich-Ungarn
14.2. Handelsvertragsverhandlungen
Pubblicato in
Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 5, doc. 94
volume linkBern 1983
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Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
▼ ▶ Segnatura | CH-BAR#E13#1000/38#386* | |
Vecchia segnatura | CH-BAR E 13(-)1000/38 90 | |
Titolo dossier | Korrespondenz und Protokolle betr. die Konferenzen der bundesrätlichen Delegation am 06.11.1905, 25.11.1905, 30.11.1905, 29.01.1906, 17.02.1906 (1905–1906) |
dodis.ch/42949
Protokoll der Konferenz vom 30. November 1905 über den schweizerischösterreichischen Handelsvertrag1
I. Besprechung der bundesrätlichen Delegation mit der Handelsvertragsdelegation
Herr Deucher, als Vorsitzender, ersucht Herrn Nationalrat Frey um das Referat über seine Bemühungen bei den Interessenten, letzte Konzessionen zu erreichen für die Verhandlungen mit Ö.-U.
Herr Freymacht zunächst Mitteilung über seine Unterredung mit Herrn Minister Heidler am 25. November: Herr Heidler hat mich zwei volle Stunden beschäftigt und hatte während der ganzen Zeit ein dickes Buch vor sich, worin mit roter und schwarzer Tinte alle Vorgänge in Wien aufgezeichnet waren, natürlich ganz im Sinne und Geiste der Vorstellungen, die sie uns immer gemacht haben. Auf eine Frage, welches nach meiner Meinung die Gründe der unerquicklichen Lage seien, gab ich ihm zur Antwort: Die Gründe liegen in den Motiven zum neuen östr.-ung. Zolltarife «was wir schon geschützt haben, bedarf noch eines grössern Schutzes, und wo noch kein Schutz besteht, muss er geschaffen werden.» Weiter führte ich aus, in den Unterhandlungen zwischen Ö.-U. und Deutschland, sei letzteres Ostreich entgegengekommen und Ungarn habe das Lösegeld bezahlt. Ob dabei Ostreich spekulativ vorgegangen, wolle ich nicht untersuchen.
Herr Heidler hat mir dann entgegenhalten wollen, dass die Schweiz auch Zollerhöhungen vorgenommen habe. Ich habe das in Abrede gestellt, soweit es den ö.-u. Export betreffe. Das sei schon daraus ersichtlich, dass Ö.-U. sich darauf beschränkt habe, nur wenige Begehren zu stellen und sich im übrigen mit den Konzessionen zu begnügen, die wir Deutschland und Italien zugestanden haben. Herr Heidler sei in einseitiger und verzerrter Weise unterrichtet worden.
Er könne nicht begreifen, warum die Delegation beim Schnittwarenzoll auf 1 Fr. beharre, da doch der Bundesrat ihn habe wissen lassen, dass man auf 90 Rp. zurückgehen wolle, meinte Herr Heidler weiter. Ich erwiderte ihm darauf, dass für die Delegation kein Bundesratsbeschluss bestehe, der sie ermächtigt hätte, 90 Rp. zu konzedieren.
Herr Heidler kam dann auf das Provisorium zu sprechen und meinte, wir ständen immer noch auf dem Boden unserer Note vom 19. Juli2. Ich habe ihm aber erklärt, dass wir geneigt seien, alles ins Provisorium aufzunehmen, was bis zur Unterbrechung der Verhandlungen unserseits zugestanden worden ist; dass aber trotzdem die ö.-u. Delegation sich nicht einmal bereit gezeigt hätte, unsern Vorschlag ihrer Regierung zu unterbreiten. Herr Heidler fand seinerseits eine solche Basis für ein Provisorium billig. Es wäre nicht ganz zu verachten, wenn Herr Baron Heidler für diese Sache gewonnen werden könnte; er sei aber der Ansicht, dass auch der Schnittwarenzoll von 90 Rp. in das Provisorium gehöre.
Er hat dann auch an meine Person getippt und gemeint, es bestehe ein industrielles Konvenium, in dessen Sinn und Geiste ich handle. Ich habe darauf erwidert, es sei richtig, dass die Industrie in erster Linie zum Worte kommen müsse, da es sich hauptsächlich um industriellen Export nach Ö.-U. handle.
Auf seine Anfrage nach dem weitern Vorgehen habe ich mich reserviert verhalten und nur gesagt, dass man zunächst die Interessenten anhören wolle und dass man dann sofort sich weiter entschliessen werde. -
Herr Deucher. Herr Heidler ist seither auch wieder bei mir gewesen und hat erklärt, dass Herr Frey in allen Fragen sehr versiert sei und ihn über manches aufgeklärt habe, wo er bisher eine irrige Meinung gehabt hätte. Jetzt sei er im Falle, sich ein richtiges Bild der ganzen Lage zu machen. Vorgestern war Herr Heidler wieder bei mir und ich habe ihm gesagt, dass wir heute eine Besprechung mit den Interessenten haben werden; der Bundesrat werde im Falle sein, morgen Beschlüsse zu fassen in Form eines Ultimatums, das auf diplomatischem Wege erledigt werden könne. Er meinte aber, das werde dann noch nicht unser Letztes sein; es gebe dann noch ein Allerletztes. Er fragte auch, ob es nicht möglich sei, ihm unsre Beschlüsse schon heute mitzuteilen, was ich als unmöglich erklärte, da wir zuerst dem Bundesrate berichten müssten; aber ich werde mein Möglichstes tun, um ihm die Beschlüsse morgen mitteilen zu können. Herr Heidler würde dann eventuell sofort nach Wien verreisen, damit die Sache nicht weiter verschleppt würde.
Er hat mir dann auch noch verschiedene Komplimente über die grosse Sachkenntnis des Herrn Nationalrat Frey gemacht.
Herr Frey. Die Ansätze, die ich mit den Interessenten vereinbart habe, sind das äusserste, was überhaupt noch angenommen weden kann; dabei hat es den Sinn, dass man unter keinen Umständen weiter gehen kann, weil jede Konzession, die nicht soweit geht wie diese letzten Begehren, absolut nutzlos wäre. Wenn z.B. die Maschinenindustrie nicht das erhält, was sie hier fordert, dann soll man ruhig die ganze Industrie fahren lassen; ein Vertrag hätte dann für sie keinen Wert mehr. Man hat sich dann aber klar darüber zu sein, dass alle und jede Ausfuhr aufhören muss. Wenn wir die eine oder andere Industrie so behandeln, so hat sie den Absatz nach Ö.-U. sofort ganz verloren und wird auch gleich erklären, dass ihr der vertragslose Zustand viel wünschenswerter ist, wenn dadurch etwas besseres erreicht werden kann.
Aus der Lage der einzelnen Industrien kann sich dann der Bundesrat ein Gesamtbild machen und danach eine Lösung suchen. Wir haben unser Mögliches getan, um eine Verständigung zu erzielen. Über die einzelnen, noch strittigen Positionen, ist folgendes zu sagen:
[...]3 183 Baumwollgarne. Unsere Forderung würde so abgeändert, dass man für die Nrn. unter 50 engl. 28 Kr., und für diejenigen der Nrn. 50-80 engl. 30 Kr. annehmen würde, unter gleichzeitiger Zurverfügungstellung der freiwilligen Offerten.
Herr Dr. Laurglaubt, das sei eine Position, bei der wir rechtzeitig einlenken werden, da keine Aussicht auf weitere Reduktionen bestehe; 12-29 sei erledigt; bei 29-50 sei der Status quo 33.33 Kr. und die letzte Offerte gehe auf 33 Kr.; eine weitere Konzession hält er für ausgeschlossen; wir sollten 33 Kr. annehmen, dabei sei eine Ausfuhr noch möglich; es sei überhaupt ein allmählicher Rückgang des Exportes zu konstatieren. Er möchte sehr empfehlen, dass man darauf dringe, einzulenken. Für die Nrn. 50-80, wo die letzten Offerten eine Erhöhung des Status quo bedeuten, sollte man sich auf diesen zurückziehen, da unter den heutigen Verhältnissen noch exportiert werden könne. Wenn Ö.-U. diese Begehren dann nicht respektieren würde, so wäre es Sache des Bundesrates, einen Entscheid zu treffen. Also nicht mehr unter den Status quo; die Baumwollgarne haben die letzte schwierige Situation befördert.
Herr Freykann sich mit diesen Ausführungen nicht befreunden; Herr Dr. Laur habe ihm seine Meinung mehrmals zu erkennen gegeben. Wenn wir heute den Status quo annehmen, so bedeutet dies Rückschritt und den Ruin des Exportes. Ö.-U. hat seine Spinnereien seit 1891 vervielfacht, unser Export ist von 3Vi auf lA Millionen Franken zurückgegangen; das beweise doch klipp und klar, dass die Annahme des Status quo die Preisgabe unserer Ausfuhr bedeute. Unsere Spinnerei kann und wird sich nicht auf diesen Boden begeben. Sie wird auch keinen Vertrag eingehen wollen, der für sie ohne jeden Nutzen sein müsste.
Herr Künzliglaubt, dass wir für die Nrn. 29-50 den Status quo (33 Kr.) annehmen sollten, da der Export sowieso mit Rücksicht auf die entwickelte österreichische Industrie aufhören werde; dafür sollte man etwas herauszuschlagen suchen für die Garne über Nr. 50.
Herr Frey. Wenn sich der Bundesrat zu dieser Ansicht entschliessen sollte, dann wäre für die Nrn. über 50 nicht 30.-, sondern 28 Kronen zu erklären.
Herr Künzlikann sich mit diesem Vorschläge einverstanden erklären.
[...]4
Herr Deucherkonstatiert, dass alle diese vielen Detailsachen unmöglich auf diplomatischem Wege erledigt werden können.
Herr Künzli. Man wird sich eben auf einige Hauptpunkte beschränken; das übrige wird sich dann schon geben.
Herr Frey. Es gibt ausser den Hauptpunkten, die auf diplomatischem Wege notifiziert werden könnten, noch eine ganze Reihe strittiger Punkte. Aber zur mündlichen Behandlung sollen die Herren einige Tage nach Zürich kommen; es braucht dazu nicht alle vierzehn.
Herr Deucher. Herr Heidler hat gesagt, dass ihre Leute immer mit zwei Ministerien verhandeln müssten, weshalb es für sie gut sei, in deren Nähe zu bleiben.
Herr Frey. Sie sind auch in Rom und Berlin gewesen. Auf Anfrage des Herrn Deucher erklärt er ferner, man solle Ö.-U. nur alles offen sagen, was man noch geben wolle und was man zu erhalten erwarte, damit es sich danach einrichten könne.
Herr Dr. Laur. Beim Käse würde man äusserstenfalls den Status quo annehmen; doch habe ich das Gefühl gehabt, dass Ö.-U. noch tiefer gehen werde. Im Ultimatum soll an 6 Kr. festgehalten werden.
Beim Holz würde man sich in landwirtschaftlichen Kreisen gegen eine Konzession nicht auflehnen; doch sollte man nicht unter 90 Rp. gehen. Der Status quo würde nach einer allgemeinen Verstimmung rufen. Bei 90 Rp. kann man den Leuten sagen, man habe das Mögliche getan, und sie beschwichtigen, namentlich wenn dafür beim Käse etwas herausschaut.
Herr Freyerwähnt, dass auch Herr Boos-Jegher heute kommen werde, um die Forderung zu den Buchenholzmöbeln und den Pappen wiederum anzubringen. Bei den Pappen habe die Delegation noch 50 Rp. zur Verfügung.
Herr Deucher. Mit dem Schnittwarenzoll regeln sich die ändern Holzzölle von selbst.
Herr Dr. Laur. Das Gewerbe dürfte auch ein Opfer bringen bei den Wienermöbeln.
Herr Künzli. Ungarn legt grosses Gewicht auf das Eichenholz.
Herr Frey. Man hat bei den Möbelzöllen mit einem Schnittwarenzolle von 1 Fr. gerechnet; geht man weiter hinab, so bin ich mit Herrn Dr. Laur auch der Meinung, dass das Gewerbe bei den gebogenen Möbeln ein Einsehen tun dürfte.
Wenn wir uns jetzt gegenüber Ö.-U. nicht stark zeigen, so wird Frankreich aus unserer Schwäche seine Schlüsse ziehen. Wenn wir früher gegenüber Frankreich nicht stark gewesen wären, hätten wir jetzt die vorhandenen Exportvorteile nicht.
Herr Dr. Laurist der Meinung, wir sollten der Vertrag mit Ö.-U. wenn immer möglich abschliessen vor dem Beginn der Unterhandlungen mit Frankreich. Auf der heute festgelegten Basis wird ein Vertrag möglich sein. Dann werden wir in Paris einen wesentlich festem Stand haben. Ein Abschluss auf der neuen Grundlage böte uns einige Erleichterungen, und Erhöhungen fast keine, einzig für Baumwollgarne und Maschinen (ca. 1 Million) und für die Teerfarben, sodass wir uns ganz gewiss mit diesem Vertrage zeigen dürften. Man sollte daher möglichst bald weiter verhandeln und abschliessen. Der schweizerische Tarif tritt am 1. Januar, der östreichische am 1. März 1906 in Kraft; bis dahin hätten wir in Ö.-U. den Status quo. Ein Zollkrieg würde uns aber gerade in den Monaten Januar und Februar am empfindlichsten treffen; die ändern Länder könnten die Situation sehr zu ihrem Vorteile ausnützen. Wenn immer möglich, sollte man einen solchen vermeiden.
Herr Frey. Wenn wir jetzt sofort wieder in Wien auftauchen, so geschähe es mit gebundenen Händen. Ich suche den Zollkrieg nicht. Gibt man uns das, was wir jetzt verlangen, dann bin ich auch für den Abschluss. Aber ich fürchte, wir werden von dem noch manches fahren lassen müssen. Ö.-U. soll einen oder zwei Mann für einige Zeit nach der Schweiz schicken; dann hat es doch nicht den Anschein, als ob wir kapitulierten.
Herr Deucher. Unsere Delegation kann jetzt nicht fort, weil wir uns für die Unterhandlungen mit Frankreich vorbereiten müssen; dazu brauchen wir die nächste Woche.
Herr Dr. Eichmannregt an, jetzt schon den Tag für die Besprechung wegen Frankreich zu bestimmen, damit die Herren Lardy und Martin rechtzeitig eingeladen werden könnten.
Herr Dr. Laur. In der Viehseuchenfrage sollten wir etwas machen; und wenn es schliesslich nur Scheinkonzessionen wären; es würde in Ö.-U. bedeutend bessere Stimmung machen. Wir sollten Ö.-U. zusichern, dass wir ungehindert Ochsen und Stiere eintreten lassen, wenn sie von Innsbruck weg in plombierten Wagen eingehen, an der Grenze gesund sind, einen Gesundheitsschein haben und sofort in Schlachthäuser gehen, und wenn in einem gewissen Umkreis im Herkunftsbezirke keine Seuche herrscht. Abschlachtung binnen 24 Stunden.
Das würde in Ungarn ausserordentlich gute Stimmung machen.
Herr Künzlifreut sich über den Vorschlag des Herrn Dr. Laur; mit dem Non possumus des Herrn Müller können wir alles verderben.
Herr Deucherkonstatiert, dass dies nicht die Idee des Herrn Müller sei; der Bundesrat sei zu seiner Stellung gezwungen worden durch eine grosse Versammlung von über 600 Teilnehmern: Ich wurde damals in den Grundboden hinein verflucht; ich sei zu lose, etc. Aber ich wiederhole, dass Ö.-U. zurzeit besser gestellt ist als Frankreich und Italien. Wir wollen alles tun; aber wir wollen uns nicht binden und heute keine positiven Vorschläge machen.
Damit sind die Verhandlungen der engern Konferenz beendigt und die eingeladenen Interessenvertreter werden hereingerufen um 10.40 morgens.
II. Besprechung mit den Vertretern der am Handel mit Ö.-U. interessierten Kreise
Herr Deucherbegrüsst die grosse Versammlung: Der Bundesrat hat sich veranlasst gesehen, Sie einzuberufen, weil die Handelsvertragsunterhandlungen zwischen der Schweiz und Ö.-U. auf dem Punkte angelangt sind, wo es wichtige Entscheidungen zu treffen gilt darüber, ob man an den letzten Anerbietungen festhalten will, oder ob weiter darauf zurückzukommen sei, um einen Zollkrieg zu vermeiden. Die Lage ist sehr ernst. Es ist aber wohl zu bedenken, dass ein kommerzieller Bruch auch für die weniger interessierten Kreise immer mit schweren Nachteilen verbunden ist. Im Falle eines Zollkrieges würde eben nicht nur der Generaltarif angewendet weden; es kämen vielmehr Differentialzölle zur Einführung. Weiter fällt in die Waagschale, dass wir auch vor Verhandlungen mit Frankreich stehen und nicht wissen können, ob wir zu einer Einigung kommen werden oder nicht. Die Erwägung all dieser Verhältnisse ist wichtig, um Ihnen Klarheit zu verschaffen und damit die Möglichkeit, unter Berücksichtigung des allgemeinen Standpunktes Ihre letzten Entschliessungen zu treffen. Ihre Meinungsäusserung in dieser hochwichtigen Stunde soll dem Bundesrate bei seiner Beschlussfassung wegleitend sein und ihn instandsetzen, das Gesamtinteresse nach bestem Wissen und Gewissen zu wahren.
Die Differenzen in den Verhandlungen mit Ö.-U. drehen sich nur noch um die Hauptfragen, während die weniger wichtigen Punkte entweder bereits erledigt sind, oder sich doch mit der Einigung in den Hauptpunkten erledigen werden.
Im schweizerischen Tarife handelt es sich noch um die Ansätze für Holz und Buchenholzmöbel. Es sind dies die zwei wichtigen Positionen, wo Ö.-U. Forderungen stellt, die wir bis jetzt nicht, oder doch nur teilweise erfüllen konnten.
Beim Export besteht die Hauptschwierigkeit in den grossen Exportindustrien: Baumwollgarne, Seidenwaren, Glarner Artikel, Stickereien, Maschinen, Teerfarben, Chokolade und Käse. Neben den Vertretern für diese Artikel haben wir aber auch noch die Brauerei zur Besprechung eingeladen; denn wir beziehen jährlich für etwa 10 Millionen Franken Malz aus Ö.-U. Und es handelt sich um die Frage, ob bei einer allfälligen Differenzierung des Malzes, dieses anderswoher bezogen werden könnte ohne allzugrossen Nachteil für unsere Importeure.
Nach diesen einleitenden Worten, und indem ich Sie bitte, immer die Gesamtinteressen im Auge zu behalten, können wir mit den Verhandlungen beginnen. Die Herren kennen unsere Angebote bereits, und es kann sich heute nur noch fragen, ob wir in den einzelnen Zweigen noch ein Weiteres tun können. Das Wort erhält zunächst die Vertretung des Schweiz. Spinner-, Zwirner- und Webervereins:
Herrn ErnstLang, Reiden. Die Baumwollindustrie hat sich schon bei Aufstellung des neuen Zolltarifes mit recht bescheidenen Ansätzen begnügen müssen; sie hat aber gehofft, bei den Handelsverträgen besser wegzukommen. Bei Deutschland und Italien haben sich ihre Hoffnungen leider nicht erfüllt, besonders hat Deutschland für unsere Produkte höhere Zölle eingeführt. Wir haben damals in Rücksicht auf die ändern Industrien, die besser abgeschnitten haben, und auf die Allgemeinheit, uns in das Unvermeidliche gefügt und die letzten Hoffnungen auf den Vertrag mit Ö.-U. gesetzt. Unser Export dorthin ist allerdings bedeutend zurückgegangen; wenn wir aber einige Erleichterungen hätten erhalten können, so hätten sich die Verhältnisse auch wieder zu bessern vermocht. Nun sind uns aber von Ö.-U. noch erhebliche Erhöhungen in Aussicht gestellt. Für die Garnnummern 29-50 könnten wir den Ansatz von 28 Kr. nicht annehmen; es sollte versucht werden, die Position zu teilen in zwei:
1. Nrn. 29-41 engl, mit einem Ansätze von 23 Kronen, und
2. Nrn. 42-50 engl, mit einem Ansätze von 28 Kronen. Für die Garne über Nr. 50 würden wir dann 30 Kr. annehmen. Wenn es nicht möglich sein sollte, dies zu erhalten, so bin ich ermächtigt, jetzt schon anstandslos zu erklären, dass ein Vertrag dann für uns keinen Wert hätte und dass wir den Zollkrieg vorzögen.
Herr Frey. Ich muss ganz positiv erklären, dass es ein Ding der Unmöglichkeit ist, für die Nrn. 29-41 engl. 23 Kronen zu bekommen, und dass wir es ablehnen müssen, ein solches Begehren auch nur zu stellen, selbst im Aufträge des Bundesrates.
Herr Deucher. Ich konstatiere, dass Herr Lang im Namen des Schweizerischen Spinner-, Zwirner- und Webervereins erklärt, dass, wenn seine letzten Forderungen nicht erfüllt werden, er dann den Zollkrieg einem Vertrage vorziehe.
Der Standpunkt des Herrn Lang ist ganz richtig; ich werde jede Industrie in dieser grundsätzlichen Weise anfragen.
Herr Künzli. Die Herren sollen nicht glauben, dass es uns gelingen werde, Zugeständnisse unter den Status quo zu erhalten; man soll sich daher fragen, ob es nicht vorteilhafter wäre, für die Garne bis Nr. 50 sich mit dem Status quo zu begnügen, um dann auch für die höheren Nummern die bisherigen Ansätze zu erhalten. Die erstarkte östr. Spinnerei wird sowieso bald jeden Export in den gröbern Garnen verunmöglichen; da sollten wir uns mehr auf die feinem Nummern verlegen.
Herr Lang. Wir haben in Ö.-U. mit einer sehr empfindlichen englischen Konkurrenz zu rechnen und haben ein Hauptinteresse an den Nrn. 29-50. Bei einem Ansätze von 33 Kr. wird sich die östr. Spinnerei in wenig Jahren so entwickelt haben, dass sie unsere Konkurrenz ganz ausschalten wird.
[...]5
Schweiz. Tarif. Holz.
Herr Prof. Felber. Es ist allgemein bekannt, dass die Lage im Holzhandel sich in den letzten Jahrzehnten verschlimmert hat. Die Bretter sind unbedingt am wichtigsten, davon kommen aus Ö.-U. jährlich etwa 850000 q. Schon gegenüber Deutschland ist man zu unserem Erstaunen auf 1 Fr. zurückgegangen. Nun kommt man sogar mit dem Antrag, Ö.-U. 75 Rp. zu konzedieren; das ist eine bittere Nuss. Denn es handelt sich nicht nur um eine Menge Privatinteressen, sondern um ein enorm volkswirtschaftliches Interesse. Überall hat der Staat mit mächtiger Hand eingegriffen und sagt, wie, wo und wann man holzen dürfe. Bei Brennholzproduktion ist unser Wald nicht mehr rentabel; wir müssen Schnittwaren produzieren. Die Holzindustrie hängt nicht davon ab, ob 85 Rp. oder 1 Fr.; denn die Verarbeitung erhöht den Wert des Produktes. Etwas anderes ist es für den Produzenten; da wird in grossen Mengen gehandelt, in Wagenladungen.
Ich wenigstens könnte die Verantwortlichkeit nicht übernehmen, zu sagen, ich hätte meine Zustimmung gegeben zur Herabsetzung des Schnittwarenzolles unter 1 Fr.; denn auch der deutsche Vertrag würde hiedurch mächtig beeinflusst werden. Auf der ändern Seite möchte ich aber auch nicht die Verantwortlichkeit für den Zollkrieg tragen. Sicher ist aber, dass wir den Zollkrieg nicht zu fürchten hätten; speziell die Holzproduktion dürfte ihn einem Ansätze unter 1 Fr. vorziehen. Jedenfalls sollten die 72 Pfennige des deutsch-östr. Vertrages das Äusserste sein.
Herr Jenny. Für die Landwirtschaft hat der Vertrag mit Ö.-U. weniger Interesse als der mit Italien. Es kommen einzig Holz und Käse in betracht. Von der Delegation ist bereits eine Konzession von 1.50 auf 1 Fr. für das Holz gemacht worden. Nun wird uns erklärt, dass man nicht tiefer gehen dürfe, während Ö.-U. grossen Wert auf diese Position legt. Ich meinerseits halte dafür, man sollte beim Holz noch eine kleine Konzession machen, allerdings nur gegen Vergünstigungen auf ändern Artikeln. Eine Konzession bis auf 90 oder 80 Rp. muss als ein grosses Opfer angesehen werden und ermöglichen, beim Käse noch etwas zu erringen. Herr Sommer ist mit dem Status quo einverstanden. Die schweren Käse von 70-100 kg erzeugt Ö.-U. nicht, und es ist anzunehmen, dass es hierin noch etwas zugestehen würde. Es hat keinen Grund, diese Käse zurückzuhalten.
Ö.-U. wird auch grosses Gewicht legen auf die Ermässigung des Malzzolles. Die Landwirtschaft glaubt, man sollte den Brauern hier entgegenkommen und einen Ansatz von 50 Rp zugestehen.
Ein Zollkrieg würde uns keinen Schaden bringen, wohl aber Vorteile; Ö.-U. würde den Schaden haben. Allein die allgemeinen Landesinteressen erfordern einen ruhigen Fortgang der guten Beziehungen.
Die Industrie hat ihren Standpunkt sehr schnell gewechselt: Noch vor wenig Wochen, als es sich um Spanien handelte, wollte sie unter allen Umständen den Vertrag; ein Zollkrieg habe immer schädliche Folgen, hiess es, man verliere die Absatzgebiete, die man dann nur mit Mühe wieder zurückgewinnen könne. Heute ist sie ganz anderer Ansicht: eroberte Gebiete will man freigeben. Ich wollte diesen Widerspruch hier bloss erwähnen.
Herr Baidinger vermag den Ausführungen des Herrn Jenny nicht zu folgen. Ein Nachgeben würde die Forstwirtschaft in hohem Masse schädigen. Was heute über die Holzzölle gesagt worden ist, ist mir ganz neu. Ich bin gekommen, um wenn möglich den Ansatz von 1 Fr. zu bekämpfen, den man erst im äussersten Falle zugestehen sollte. Aber auf 75 Rp zurück? Dann lasse man lieber alles fahren und das Holz zollfrei herein.
Die östr. Bretter beherrschen den Holzmarkt. Hier greift man sehr tief in die vaterländische Waldwirtschaft. Es kommt eben nicht allein das Holz in betracht, sondern auch ein gutes und schönes Stück nationaler Arbeit. Hat man denn keine Rücksicht zu nehmen auf die vielen, grossen und kleinen Sägereien?
Im Namen der Schweiz. Forstwirtschaft kann ich erklären, dass sie ein Interesse hat, den Zollkrieg zu erklären, wenn es nicht möglich ist, den Schnittwarenzoll auf 1 Fr. zu halten. Aber der Wald darf nicht den Ausschlag geben.
Herr Künzli. Es handelt sich nicht um eine Ermässigung bis auf 75 Rp; dagegen hat der Bundesrat die Delegation ermächtigt, auf 90 Rp. zu gehen, wenn eine genügende Gegenleistung gemacht wird. Von dieser Ermächtigung ist noch kein Gebrauch gemacht worden. Aber ich denke, es wird nötig sein, 90 Rp zuzugestehen; vielleicht auch noch 5 Rp mehr, denn Ö.-U. legt ungeheuern Wert auf das Holz. Das Zustandekommen des Vertrages hängt stark an dieser Position. In den letzten Jahren sind unsere Holzpreise gestiegen; das ist ein Zeichen der schlechten Lage unserer Forstwirtschaft.
Herr Deucher. Die Zugeständnisse Ö.-U? für Käse sind einzig für das Holz gemacht worden. Der Bundesrat hat beschlossen, auf 90 Rp. zu gehen, aber nur wenn Ö.-U. unsere Forderungen bewilligt. Wir werden einstweilen diesen Standpunkt aufrecht erhalten. Aber ich bin überzeugt, dass wir keinen Vertrag erhalten, wenn wir im Holze nicht nachgeben. Und es wird sich fragen, ob wir nicht unter 90 Rp. werden gehen müssen.
Herr Felber. Herr Jenny möchte Zugeständnisse für das Holz machen, um Verbesserungen für Käse zu erwirken. Das ist ein sehr einseitiger Standpunkt und etwas stark für einen Vertreter der Landwirtschaft in der Bundesversammlung.
Herr Jenny. Ich habe allerdings gesagt, dass ich mich entschliessen könnte für Zugeständnisse auf dem Holze, wenn anderseits Vergünstigungen, in erster Linie für Käse, erhältlich wären; ich habe aber auch darauf hingewiesen, dass sich mit dem Holze auch die übrigen Differenzen ausgleichen würden, und bin bloss aus taktischen Gründen für die Herabsetzung des Holzzolles, weil ohne sie ein Vertrag undenkbar ist. Die allgemeinen Interessen fallen mehr ins Gewicht als der Holzzoll. Trotz dem bisher niedrigen Holzzolle sind die Preise bei uns doch gestiegen. In landwirtschaftlichen Kreisen habe ich bis jetzt nicht gehört, dass man sich für das Holz besonders erwärme. Die allgemeinen Landesinteressen verlangen keine Erhöhung des Holzzolles.
Herr Huber. Herr Jenny hat vorhin der Industrie schnelle Sinnesänderung vorgeworfen. Wir haben uns nicht verändert: Bei Spanien ist die Höhe der Zölle gleichgültig; die Hauptsache ist dort die Gleichstellung mit Deutschland. Bei Ö.-U. verhält sich die Sache anders; dorthin können wir bei hohen Zöllen überhaupt nicht mehr exportieren. Unsere Industrie ist auf den Export angewiesen. Bei Spanien handelt es sich nur um den Mitbewerb; bei Ö.-U. sind die Deutschen zu fürchten als Inländer. Es bestehen also keine Widersprüche in unserer Haltung.
Herr Boos-Jegher. Die verschiedenen Holzgewerbe, die tausende von Arbeitern beschäftigen, sind beim Holzzolle auch wesentlich interessiert. Die Zölle für fertige Waren sind wesentlich gesunken; die Erhöhung des Holzzolles müsste daher um so empfindlicher werden. Ich bezweifle, ob bei einem Zollkriege die gesamte Volkswirtschaft gut fahren würde. Ö.-U. exportiert 100 Millionen q Schnittwaren; davon kommen nur 10% in die Schweiz; es würde es vermutlich länger aushalten ohne den Absatz dieser 10%, als wir sie entbehren könnten. Unsere Möbelindustrie würde durch einen Zollkrieg sehr geschädigt.
Herr Müller-Trachsler. Die Forstwirtschaft übertreibt etwas. Es kommt kein Wagen Holz herein, der nicht gebraucht wird; die Schweiz bedarf das östr. Holz, und eine Reduktion unter 1 Fr. wäre daher sehr wünschbar.
[...]6 Herr Deucherhat noch einen Wunsch: dass unsere heutigen Verhandlungen unbedingt geheim gehalten werden; es ist dafür zu sorgen, dass nichts durchsikkert in die Presse, im Interesse des Ganzen. Der Bundesrat wird vor eine unendlich schwere Frage gestellt. Seit wir Verträge schliessen, war die Lage noch nie so ernst und so zwingend wie in diesem Falle. Ich hoffe nur, dass es bei Frankreich nicht so ernst werde.
Er verdankt noch den Anwesenden die Teilnahme und das Interesse an der Sache, und hofft, dass man zu einem allseitig befriedigenden Ende gelangen werde7.
- 1
- E 13 (B) / 244. Teilnehmer: A. Deucher, M. Ruchet, R. Comtesse (bundesrätliche Delegation), A. Künzli, A. Frey, E. Laur (Delegierte für Handelsvertragsunterhandlungen mit Österreich-Ungarn), A. Eichmann, P. Thomann (Handelsabteilung). Protokollführer: J. Schmid.↩
- 2
- E 13 (B)/240.↩
- 3
- Bemerkungen betr. Schokolade, Maggiartikel, Farbstoffextrakte.↩
- 4
- Bemerkungen zu den übrigen strittigen Positionen, vor allem Baumwolle- und Seidenartikel und Maschinen.↩
- 5
- Es folgen die Stellungnahmen des Vereins schweizerischer Druckindustrieller (Oertli-Jenny, Glarus), des Kaufmännischen Direktoriums St. Gallen (Stickerei; M. Hoffmann, O. Aider), der Zürcher Seidenindustrie-Gesellschaft (G. Siber), des Basler Bandfabrikantenvereins (R. Paravicini-Vischer), des Vereins schweizerischer Maschinenindustrieller (E. Huber, Zürich), der Teerfarbenindustrie (C. Koechlin, Basel), der Chambre de Commerce de Genève (Bijouterie; A. Georg), der Chambre Suisse de l’Horlogerie (C. Girard, La Chaux-de-Fonds) und des Vereins schweizerischer Käsehändler (J. Sommer, Langenthal).↩
- 6
- Anfragen an den schweizerischen Bierbrauerverein (Hürlimann) und an den Schweizerischen Gewerbeverein (E. Boos-Jegher, betr. Pappe).↩
- 7
- Ein weiterer Verständigungsversuch führte zu keiner Einigung. Nach wiederholtem Notenaustausch kam dagegen ein Provisorium bis Ende 1905 zustande. Vgl. dazu Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend ein Handelsprovisorium mit Österreich-Ungarn, vom 19. Dezember 1905, BBl 1905, VI, S. 499 ff.↩
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