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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 26, doc. 170
volume linkZürich/Locarno/Genève 2018
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E7113A#1989/1#461* | |
Old classification | CH-BAR E 7113(A)1989/1 86 | |
Dossier title | Währungspolitik, Währungsunion Sonderprobleme: Einengung der Bandbreiten, Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit, Saldenausgleich, Zusammenlegung der Währungsreserven, FECOM, Problem des Goldes (1975–1975) | |
File reference archive | 777.820 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E6100B-02#1986/168#1872* | |
Old classification | CH-BAR E 6100(B)-02/1986/168 169 | |
Dossier title | Währungsschlange, Telegramme und Kopien (1975–1975) | |
File reference archive | 975.01 |
dodis.ch/39508
Interne Notiz des Volkswirtschaftsdepartements1
SITZUNG DER BUNDESRÄTLICHEN DELEGATION FÜR FINANZ UND WIRTSCHAFT VOM 12. SEPTEMBER 1975
1. Währungsschlange
Die Zusammensetzung der schweizerischen Delegation für die Tagung der Finanzminister der Schlangenländer vom 22. September 1975 in Brüssel2 wird entsprechend dem Antrag des EFZD3 genehmigt.
Nach Auffassung der Nationalbank sollte auch weiterhin ein Beitritt unseres Landes zur Währungsschlange4 angestrebt werden. Durch die Erstarkung des Dollars und die Schwächung der D-Mark haben sich die Aspekte eines Beitritts nicht grundsätzlich verschoben. Mit Hilfe der Schlange dürfte es nach Meinung der Nationalbank vielmehr gelingen, eine weitere negative Entwicklung des D-Mark-Kurses gegenüber dem Schweizerfranken zumindest eine Zeitlang zu verhindern. Die BRD und die Niederlande werden am 22. September die schweizerischen Beitrittsbemühungen unterstützen. Es ist wahrscheinlich, dass die Schlangenländer aufgrund dieser Unterstützung einem schweizerischen Beitritt zustimmen werden. Ein Verzicht unsererseits würde daher Enttäuschung und Erstaunen auslösen. Zudem scheint auch Österreich einen Beitritt in die Schlange ins Auge zu fassen, so dass die Bundesrepublik, Holland, Belgien, Österreich und die Schweiz einen Stabilitätskern innerhalb der Schlange bilden würden.
Der französische Versuch5, bilaterale Kontakte mit der Schweiz anzuknüpfen, hat zu einer Kontroverse innerhalb der Schlange geführt. Die französische Notenbank, die mit einer Rückkehr Frankreichs in die Schlange nicht einverstanden gewesen zu sein scheint, hat die schweizerischen Notenbankvertreter wissen lassen, dass ein Beitritt der Schweiz mit seiner starken Währung den französischen Franc unter Druck bringen könnte und daher von Frankreich nicht begrüsst würde. Die schweizerischen Notenbankvertreter haben für diese Argumente Verständnis gezeigt, sich aber dagegen verwahrt, die Schweiz sei ein Fluchtwährungsland, was gegen seine Aufnahme in die Schlange spräche. Dr. Leutwiler erinnerte dabei an die Spekulationen der Renault-Finance gegenüber unserer Währung.
Die grundsätzlichen Bedenken gegen einen Beitritt unseres Landes in die Europäische Währungsschlange sind nach Auffassung der Notenbank nicht stichhaltig. Wir verfügen auch bei einem Nicht-Eintritt nicht über eine volle stabilitätspolitische Autonomie. Devisenmarktinterventionen werden in jedem Fall erforderlich sein. Die Frage ist vielmehr, ob wir bei einem Nicht-Eintritt auf uns allein gestellt ausschliesslich Interventionen in Dollars vornehmen, oder ob wir, im Falle eines Beitritts, diese Interventionen in den Währungen der Schlangenländer direkt und mit deren Unterstützung vornehmen können. Insbesondere wenn nur eine Schlangenwährung Schwächen zeigt, lässt sich ein allfälliger Druck auf unsere Währung im Falle eines Beitritts schnell und wirkungsvoll beseitigen. Sind wir dagegen nicht Mitglied der Schlange, so macht sich dieser Druck auf Dollar-Ebene bemerkbar, wobei unsere Interventionen in Dollars sehr viel grösser ausfallen müssen, um die gleiche Wirkung gegenüber der betreffenden Währung hervor zu rufen.
Das Niveau des Schweizerfrankenkurses wird nach Meinung der Nationalbank nicht nur hoch bleiben, sondern sich wahrscheinlich noch weiter erhöhen. Die Gefahr einer Blockierung des Schweizerfrankens auf einem zu hohen Niveau besteht daher nicht, es geht vielmehr darum, gegenüber den europäischen Währungen, die heute das Hauptproblem bilden, möglichst lange auf dem derzeitigen Niveau zu bleiben. Die Schlangenländer können unser Land bei diesen Bemühungen unterstützen. Auf längere Sicht rechnet jedoch auch die Nationalbank mit einer Aufwertung unserer Währung innerhalb der Schlange.
Als gewichtiger Vorteil eines Schlangenbeitritts muss die relative Wechselkursstabilität unserer Währung gewertet werden. Die Wechselkursschwankungen (Fluktuationen) unserer Währung sind ein Hauptproblem unserer Exportwirtschaft6. Bundesrat und Nationalbank haben sich immer wieder zu festen Wechselkursen bekannt. Der Beitritt zur Schlange ist eine Gelegenheit, diese Rückkehr zu festen Wechselkursen im Interesse unserer Exportwirtschaft wahr zu machen. Unter der Voraussetzung, dass unser Land nur monetäre Verpflichtungen im Rahmen der Schlange übernehmen muss, überwiegen nach Auffassung der Nationalbank die positiven Aspekte eines Beitritts. Diese Ansicht wird nach Aussage von Direktor Jolles von der Ständigen Wirtschaftsdelegation geteilt7.
Der Delegierte für Konjunkturfragen8 hält einen Beitritt zur Schlange nur für vorteilhaft, wenn die Schlangenländer zu einem Stabilitätsblock werden. Das ist aufgrund der grossen Unterschiede in den Inflationsraten und der unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Ziele unwahrscheinlich. Unser Land würde in der Schlange sofort unter einen Aufwertungsdruck geraten. Dadurch würden wir den Rest an konjunkturpolitischer Autonomie, über den wir noch verfügen, verlieren. Da die Bevölkerung und die Wirtschaft von einem Beitritt zur Schlange eine grössere Wechselkursstabilität erhoffen, würden eine Aufwertung und der damit verbundene Autonomieverlust nicht verstanden. Demgegenüber machte der Vertreter der Notenbank geltend, eine weitere Aufwärtsbewegung des Schweizerfrankens sei wahrscheinlich unvermeidbar, durch den Beitritt zur Schlange könnten aber die notwendigen Interven tionen zur Stützung unserer Währung systematisiert und erleichtert werden. Nur durch den Beitritt zur Schlange ist es möglich, eine gewisse Beruhigung in unserer Wechselkursentwicklung zu erreichen. Auf die Einwendungen des Präsidenten der Kommission für Konjunkturfragen9, der Schlangenbeitritt sei nicht nur eine währungstechnische Frage, sondern habe auch realwirtschaftliche Auswirkungen, entgegnete die Nationalbank, vor diese realwirtschaftlichen Probleme seien wir auf jeden Fall gestellt. Der ausschlaggebende Punkt sei, dass man mit systematisierten Interventionen im Rahmen der Europäischen Währungsschlange den Bedürfnissen unseres Landes besser entsprechen könne. Das Vertrauen der Nationalbank in den freien Devisenmarkt sei aufgrund ihrer bisherigen Erfahrungen nicht sehr gross. Eine Aufwertung unserer Währung im Rahmen der Schlange wird nicht so schnell eintreten, wie heute befürchtet wird. Im Falle einer Aufwertung wird es zwar heissen, ohne Schlangenbeitritt hätten wir nicht aufwerten müssen; treten wir der Schlange jedoch nicht bei und der Wechselkurs des Frankens steigt, so wird man den Vorwurf erheben, man habe die notwendigen Vorkehrungen versäumt, indem man der Schlange nicht beitrat.
Es wird Aufgabe der schweizerischen Delegation sein, bei den Beitritts-Verhandlungen zu erreichen, dass unser derzeitiger Wechselkurs gegenüber den Schlangenwährungen zum Mittelkurs erklärt wird. Die Schlangenländer scheinen die Auffassung zu vertreten, dass unser derzeitiger Wechselkurs den unteren Interventionspunkt unserer Währung bilden sollte. Einem allfälligen Wiederaustritt unseres Landes aus der Schlange steht nichts entgegen. Es ist jedoch Auffassung aller beteiligten Länder, das eine Mitgliedschaft in der Schlange von längerer Dauer sein sollte. Ein Unterbruch in der Mitgliedschaft nach dem Muster Frankreichs ist damit jedoch nicht ausgeschlossen.
Die Brüsseler Verhandlungen werden sich schwierig gestalten. Die Orientierung der Öffentlichkeit über die Verhandlungsmaterie sollte daher mit der gebührenden Vorsicht und Zurückhaltung erfolgen.
2. Konjunkturpolitische Verfassungsgrundlage
Es ist beabsichtigt, der PdA-Initiative, die nach der Ablehnung des Konjunkturverfassungsartikels in der Volksabstimmung vom 2. März 197510 eingereicht wurde, einen Gegenentwurf gegenüberzustellen. Die Bemühungen gewerblicher Kreise, eine Initiative zustande zu bringen (Initiative Debétaz), scheinen gleichfalls noch nicht abgebrochen.
Das EFZD und die Nationalbank lassen zurzeit die verfassungsrecht lichen Grundlagen des Notenbankgesetzes prüfen11. Eine Modifizierung des Notenbankgesetzes auf interpretativem Wege scheint jedoch ausgeschlossen. Auch eine Erweiterung der Notenbankkompetenzen durch Ergänzung von Artikel 39 BV ist problematisch und würde zudem eine Verfassungsänderung bedingen. Die Schaffung eines Konjunkturverfassungsartikels, auf den sich auch ein neues Notenbankgesetz abstützen liesse, lässt sich daher nicht umgehen.
Die Arbeiten für einen neuen Entwurf eines Konjunkturverfassungsartikels12 sind aufzunehmen. Er hat den kritischen Punkten Rechnung zu tragen, die zu dem ablehnenden Entscheid in der Abstimmung vom 2. März geführt haben.
3. Preisüberwachung
Die Stabsgruppe hat sich für eine modifizierte Weiterführung der Preisüberwachung als Missbrauchsvorkehrung ausgesprochen. Der Abbau der Preisüberwachung sollte stufenweise erfolgen. Nach dem neuen Entwurf hätte der Bundesrat die Möglichkeit, bestimmte Branchen- und Gütergruppen vorzeitig aus der Preisüberwachung zu entlassen.
Im Mittelpunkt der Preisüberwachung stehen heute vermehrt die sogenannten öffentlichen Preise. Der Preisüberwacher13 vertritt die Auffassung, für diese Preisgruppe sollten «Leitlinien für Preiserhöhungen» erlassen werden, um die Preisgestaltung transparenter zu machen und wie im privatwirtschaftlichen Bereich einen vorgezogenen Dämpfungseffekt zu erreichen. Die Überwachung dieser Preisgruppe verlangt die Zusammenarbeit mit dem EFZD.
Zur Wirtschaftslage hat die Kommission für Konjunkturfragen in ihrem jüngsten Bericht14 Stellung genommen. Eine Aussprache über dieses Traktandum (vgl. Einladung vom 25. August 197515) fand in der Sitzung der bundesrätlichen Delegation nicht statt.
- 1
- Notiz (Kopie): CH-BAR#E6100 B-02#1986/168#1872* (975.01). Verfasst und unterzeichnet von V. Kind. Teilnehmer: E. Brugger (Vorsitz), P. Graber, G.- A. Chevallaz, R. Bieri, J.- P. Bonny, A. Hasler, A. Hay, P. R. Jolles, D. Kaeser, F. Kneschaurek, H. Kneubühler, P. Languetin, F. Leutwiler, L. Schlumpf, L. Schürmann, H. Würgler und J. Zwahlen.↩
- 2
- Vgl. dazu das BR-Prot. Nr. 1282 vom 18. Juli 1975, dodis.ch/39701; das Protokoll Nr. 984 des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank vom 11. September 1975, dodis.ch/39643; die Aufzeichnung des Finanz- und Zolldepartements vom 24. September 1975, dodis.ch/39706; das BR-Beschlussprot. II vom 2. Oktober 1975 der Sitzung vom 15. September 1975, dodis.ch/39559 sowie das BR-Prot. Nr. 1906 vom 29. September 1975, CH-BAR#E1004.1#1000/9#822*.↩
- 3
- Für den Antrag des Finanz- und Zolldepartements vom 12. September 1975 vgl. das BR-Prot. Nr. 1731 vom 15. September 1975, dodis.ch/39705.↩
- 4
- Vgl. dazu DDS, Bd. 26, Dok. 141, dodis.ch/39506, bes. Anm. 5.↩
- 5
- Vgl. dazu DDS, Bd. 26, Dok. 161, dodis.ch/39509, bes. Anm. 6.↩
- 6
- Vgl. dazu DDS, Bd. 26, Dok. 7, dodis.ch/39504, Anm. 11 sowie DDS, Bd. 26, Dok. 123, dodis.ch/39500, bes. Anm. 3.↩
- 7
- Vgl. dazu die Notiz an E. Brugger vom 8. September 1975, CH-BAR#E7113A#1989/1#462* (777.820).↩
- 8
- F. Kneschaurek. Vgl. ferner dessen Notiz Stellungnahme des Büros des Delegierten für Konjunkturfragen zum Problem des Beitritts der Schweiz zur Währungsschlange vom 8. September 1975, dodis.ch/39704.↩
- 9
- H. Würgler.↩
- 10
- Der Bundesbeschluss über den Konjunkturartikel in der Bundesverfassung vom 4. Oktober 1974 wurde vom Volk mit 52,8% Ja-Stimmen angenommen, hat aber mit 10 2/2 zu 9 4/2 das Ständemehr nicht erreicht. Vgl. dazu BBl, 1975, II, S. 196 f. Zum Konjunkturartikel vgl. das Referat von E. Brugger vom 17. Februar 1975, dodis.ch/40914 sowie die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend Änderung der Artikel 31 quinquies und 31 Absatz 1 der Bundesverfassung (Konjunkturpolitik) vom 10. Januar 1973, BBl, 1973, I, S. 117–180.↩
- 11
- Vgl. dazu das Schreiben von G.- A. Chevallaz an E. Brugger und K. Furgler vom 29. Januar 1974, dodis.ch/40915; die Notiz von R. Bieri an G.- A. Chevallaz vom 11. Februar 1975, dodis.ch/40916; das Schreiben von B. Müller an P. Ehrsam, B. Müller und D. Kaeser vom 4. August 1975, dodis.ch/39703 sowie die Botschaft des Bundesrats über die Änderung des Nationalbankgesetzes (Ermächtigung zu Devisentermingeschäften) vom 10. September 1975, BBl, 1975, II, S. 1436–1440.↩
- 12
- Vgl. dazu das Protkoll von R. Gallati und J. Weilenmann vom 12. November 1975, dodis.ch/40917 sowie das BR-Prot. Nr. 841 vom 12. Mai 1976, CH-BAR#E1004.1#1000/9#831*.↩
- 13
- L. Schlumpf.↩
- 14
- Die Wirtschaftslage. Mitteilung Nr. 23 der Kommission für Konjunturfragen, CH-BAR#E7296A#1994/333#95* (074.20).↩
- 15
- Vgl. ibid.↩
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