Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 24, Dok. 189
volume linkZürich/Locarno/Genève 2012
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E7110#1980/63#1906* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 7110(-)1980/63 135 | |
Dossiertitel | West-Ost-Handel, Warenverschiebungen (1969–1969) | |
Aktenzeichen Archiv | 843.0.1 • Zusatzkomponente: Vereinigte Staaten von Amerika |
dodis.ch/33136
Der Delegierte des Bundesrats für Handelsverträge, A. Weitnauer, an den schweizerischen Botschafter in Washington, F. Schnyder1
West-Ost-Handel2 Gentlemen’s Agreement
Das im Jahre 1951 mit den Vertretern der amerikanischen Behörden getroffene mündliche Gentlemen’s Agreement3 auf dem Gebiet der überwachten Waren führte bekanntlich zu einer schweizerischen Quotenregelung in bezug auf die Ausfuhr von Listenwaren nach Oststaaten. Ursprünglich stützten wir uns dabei auf den «courant normal» der Jahre 1949/50, d. h. auf die Zahlen der effektiv getätigten schweizerischen Ausfuhren an Gütern, wie sie damals auf den internationalen Listen der strategisch wichtigen Erzeugnisse umschrieben waren. Daraus ergab sich für jede Warenbezeichnung ein gesondertes Ausfuhrkontingent, dessen Höhe wir unsern amerikanischen Gesprächspartnern bekanntgaben. Diese Regelung blieb während 7 Jahren in Kraft.
Als Folge der im Jahre 1958 vorgenommenen Revision der Internationalen Überwachungslisten wurden eine grosse Anzahl Waren von der für die Mitgliedstaaten des COCOM verbindlichen Embargoliste (Int. Liste I) gestrichen und andere hinzugefügt. Dies hatte uns damals veranlasst, das schweizerische autonome Ausfuhrüberwachungs-System den neuen Gegebenheiten anzugleichen4, umsomehr als bei verschiedenen, neu in die Liste aufgenommenen Produkten ein courant normal entsprechend der ursprünglichen Basis nicht mehr festgestellt werden konnte, weil die Jahre 1949/50 schon zu weit zurücklagen.
Wir hatten den amerikanischen Gesprächspartnern – ausser Kontakten, die in Washington stattfanden, war Mr. Douglas Henderson zwecks Fortführung des Gesprächs von 1951 nach Bern gekommen – unsern autonomen Entscheid bekanntgeben5, dass wir ab 1. Juli 1959 auf die vorher für jedes einzelne Produkt festgelegten courant normal-Quoten verzichtet und für alle im damaligen schweizerischen Fabrikationsprogramm figurierenden Waren der Int. Liste I ein Globalkontingent von 18 Mio. Franken pro Jahr anwenden werden. Die amerikanischen Behörden hatten diese unsererseits vorgenommene Anpassung, wenn auch ohne Begeisterung, akzeptiert.
Ein ganzes Jahrzehnt lang haben wir uns strikte an diese Regelung gehalten. Ohne Ausnahme haben wir durch Ihre Vermittlung die halbjährlichen Aufstellungen über die effektiv getätigten Exporte von Listenwaren nach Oststaaten abgegeben, woraus regelmässig hervorging, dass das Globalkontingent von uns nur relativ gering ausgenützt worden war. In unseren Begleitschreiben6 an Sie haben wir jeweils den Grad der Ausnützung der Jahresquoten erwähnt.
Diese Situation wird nun in verschiedener Hinsicht beeinflusst von den veränderten Verhältnissen des beginnenden neuen Jahrzehnts, die uns veranlassen, eine Neuorientierung in bezug auf das Listenwarenkontingent vorzunehmen. In den Jahren 1962, 1964 und 1966 sind im COCOM Revisionen der Int. Liste I vorgenommen worden. Einzelne gestrichene Warendefini tionen wurden durch neu hinzugekommene ersetzt; die Anzahl der Positionen ist nahezu die gleiche geblieben (ungefähr deren 100). Der Vergleich der heutigen Umschreibungen der strategisch wichtigen Güter mit dem schweizerischen Produktionsstand führt aber zu einem andern Ergebnis als 1958. Dies kommt einesteils von den inzwischen erfolgten Neuumschreibungen in der Liste her und andernteils vom inzwischen gewachsenen Fabrikations programm der hiesigen Hersteller. Es ist selbstverständlich, dass die schweizerische Industrie unterdessen produktionsmässig expandiert hat und auch in Bereiche vordringt, die 1958 ausserhalb der direkten schweizerischen Interessen lagen. Dies ist nur eine Seite der Angelegenheit.
Daneben können wir folgende Fakten nicht länger übersehen: Es ist in den letzten 10 Jahren in unserem Land eine beträchtliche Geldentwertung eingetreten, die allein schon die Erhöhung des Kontingents rechtfertigt, weil es sich bekanntlich um ein Wertkontingent handelt. Die meisten unserer Exporte zulasten des Kontingents entfallen auf den Maschinensektor. Die hiesigen Verkaufspreise liegen heute für Maschinen gleicher Grösse und gleichen Typs 2,5mal höher als 1959. Diese Verteuerung ist bedingt durch gestiegene Material- und Lohnkosten. Ausserdem sind die Maschinen durch technische Verfeinerungen und Präzision seit 1958 vervollkommnet worden und deshalb gleichzeitig im Preis entsprechend gestiegen. Durch den Preisfaktor haben wir somit stark an Spielraum im Rahmen des Kontingents eingebüsst, den es nun auszugleichen gilt.
Wir sehen uns aus allen diesen Gründen veranlasst, ab 1. Juli 1970 eine Erhöhung des Jahreskontingents auf 35 Mio. Fr. vorzunehmen. Dabei werden sämtliche Positionen der heutigen Int. Liste, die Erzeugnisse der schweizerischen Produktion berühren anspruchsberechtigt sein. Mit anderen Worten, wir verzichten darauf uns auf ganz bestimmte Positionsnummern zu beschränken, wie dies bis anhin der Fall war. Selbstverständlich beschränkt sich der Kontingentsanspruch nach wie vor ausschliesslich auf Produkte schweizerischen Ursprungs. Wir wollen auch, soweit dies möglich ist, bestrebt sein, die auf Grund des Kontingents erteilten Ausfuhrbewilligungen sowohl auf die einzelnen Bestimmungsländer als auch auf die einzelnen Listenpositionen einigermassen gleichmässig zu verteilen.
Mit dieser wohlbegründeten Erhöhung des Globalkontingents, für die wir das amerikanische Einverständnis erhoffen, dürften wir für die nächsten Jahre gemäss unsern Berechnungen über genügend Bewegungsfreiheit in bezug auf den Export von Listenwaren nach den Oststaaten verfügen. Aber nur so werden wir den Bedürfnissen der Firmen Rechnung tragen können. Hinter der rein betragsmässigen Erhöhung steht nicht etwa die Absicht, den Export an Listenwaren nach dem Osten auszubauen. Ohne unser Dazutun hat der Maschinenexport nach diesen Ländern ohnehin die Tendenz, sich auszuweiten, und zwar keineswegs nur was Listenwaren betrifft. Die Anpassung an die heutige Situation soll unter Wahrung der Grundsätze erfolgen, von denen wir uns gegenüber den USA seit jeher bei der Überwachung der Exporte leiten liessen. Dass wir das zur Verfügung stehende Kontingent voraussichtlich voll werden ausnützen müssen, im Gegensatz zu der bescheidenen Inanspruchnahme in früheren Jahren, erachten wir als der freien schweizerischen Entscheidung überlassen.
Wir wären Ihnen sehr zu Dank verpflichtet, wenn Sie Ihren amerikanischen Gesprächspartnern von den vorstehenden Überlegungen und unserer Absicht einer Erhöhung des Jahreskontingents Kenntnis geben würden. Am 1. Juli 1970 wird die neue Kontingentsperiode beginnen. Wir legen Wert darauf, unsere Partner des Gentlemen’s Agreement vorher zu orientieren7. Für die Durchführung dieser Vorsprache dürfte die Anwesenheit Herrn Krells in Washington von Nutzen sein, der die praktische Handhabung des Gentlemen’s Agreements in der Schweiz aus eigener Erfahrung kennt.
- 1
- Schreiben (Kopie): E7110#1980/63#1906* (843.0.1). Verfasst von M. Krell. Kopie u. a. an P. R. Jolles, A. Weitnauer, R. Probst, K. Jacobi, L. Roches, A. Bürki und M. Krell.↩
- 2
- Zu den Entwicklungen des West–Ost-Handels vgl. DDS, Bd. 17, Dok. 109, dodis.ch/3981; DDS, Bd. 18, Dok. 25, dodis.ch/7202, und Dok. 106, dodis.ch/7230; DDS, Bd. 19, Dok. 124, dodis.ch/10152; DDS, Bd. 23, Dok. 119, dodis.ch/31851, sowie DDS, Bd. 24, Dok. 41, dodis.ch/33135, und Dok. 135, dodis.ch/33630.↩
- 3
- Vgl. dazu DDS, Bd. 18, Dok. 106, dodis.ch/7230.↩
- 4
- Vgl. dazu Doss. E7110#1970/113#1371* (843.0.2).↩
- 5
- Zu den Listenrevisionen vgl. die Notiz von M. Krell an die Ständige Wirtschaftsdelegation vom 21. März 1959, E7110#1970/114#2039* (843.0.1) sowie die Mutual defense assistance control lists vom 1. Oktober 1962, E7110#1973/41#2192* (843.0.1).↩
- 6
- Vgl. die Liste Swiss Exports of International List-Commodities to Eastern Countries vom 1. Januar–30. Juni 1969 im Anhang des Schreibens von A. Weitnauer an F. Schnyder vom 15. August 1969, Doss. wie Anm. 1.↩
- 7
- Vgl. dazu Doss. E7110#1981/41#1929* (843.0.1).↩
Verknüpfungen mit anderen Dokumenten
http://dodis.ch/33136 | nimmt Bezug auf | http://dodis.ch/35448 |
Tags
Vereinigte Staaten von Amerika (USA) (Wirtschaft) Hotz-Linder-Agreement (1951)