Das Resultat der Verhandlungen in Washington zur Frage der Einschränkungen im Warenexport in die Oststaaten wird gutgeheissen: keine formelle Abmachungen zwischen den amerikanischen und schweizerischen Vertretern. Pragmatische Übereinkunft, welche die Amerikaner wieder in Frage stellen können und mit der die schweizerische Neutralitätspolitik gewahrt wird.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 18, doc. 106
volume linkZürich/Locarno/Genève 2001
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E7115A#2018/176#2* | |
Dossier title | Kontrolle des Warenverkehrs mit dem Ostblock durch die USA (1948–1984) | |
File reference archive | 257.5.0 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E1004.1#1000/9#14633* | |
Old classification | CH-BAR E 1004.1(-)1000/9 531 | |
Dossier title | Beschlussprotokoll(-e) 25.07.-27.07.1951 (1951–1951) |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1967/113#157* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1967/113 15 | |
Dossier title | Ost-West-Handel: Lieferung exportverbotener Güter nach Osteuropa auf dem Wege über die Schweiz. Ueberwachung der Ein- und Ausfuhr (1949–1951) | |
File reference archive | A.14.62.3.0.Uch |
dodis.ch/7230 BUNDESRAT
Beschlussprotokoll der Sitzung vom 27. Juli 19511 1491. HALTUNG DER SCHWEIZ IM WEST-OST-HANDEL
Beschlussprotokoll der Sitzung vom 27. Juli 19511
Das Volkswirtschaftsdepartement unterbreitet folgenden Bericht:
«Wir haben uns gestattet, Ihnen am 12. März 19512 ein Memorandum, datiert vom 9. März 19513 über die Haltung der Schweiz im West-Ost-Handel vorzulegen, in dem der damalige Stand der Angelegenheit zusammengefasst war. Wir dürfen für die grundsätzliche Problemstellung auf die Ausführungen dieses Memorandums verweisen.
Inzwischen hat die amerikanische Regierung ihre Bemühungen, in der westlichen Welt, gestützt auf ihre Verbotslisten, die wirtschaftliche Abwehrpolitik gegen den Ostblock zu organisieren, zielbewusst fortgesetzt. Nach wie vor ist es das Ziel der Amerikaner, alle westlichen Länder dazu zu veranlassen, eine grosse Anzahl von genau spezifizierten Waren nicht mehr nach den Oststaaten zu exportieren (sog. Liste I-Waren) oder doch den Export quantitativ zu beschränken (Liste II-Waren)4.
An dieser Politik hat die amerikanische Regierung auch unserm Lande gegenüber unentwegt festgehalten. Unsere Gesandtschaft in Washington konnte von den amerikanischen Behörden keine grundsätzliche Zustimmung zu dem von uns postulierten Grundsatz des ‹normal trade› für die schweizerischen Exporte nach dem Osten erzielen; vielmehr wurden je länger desto mehr Gesuche für den Export sogenannter kritischer Waren aus den Vereinigten Staaten nach der Schweiz in Washington blockiert. Wir wurden darauf aufmerksam gemacht, dass eine Freigabe der betreffenden Sendungen nur gegen entsprechende Zusicherungen hinsichtlich der schweizerischen Exportpolitik gegenüber dem Osten erwartet werden könne. Auch für die schweizerischen Bezüge von knappen Rohstoffen aus USA zeigten die amerikanischen Behörden in letzter Zeit deutlich die Tendenz, die schweizerischen Begehren dilatorisch zu behandeln und die Zuteilung drastisch zu kürzen.
Unter diesen Umständen konnten wir nicht im Zweifel darüber sein, dass früher oder später eine Aussprache mit Vertretern der amerikanischen Regierung notwendig werden würde. Als Grundlage für diese Besprechungen haben wir Ende Mai eine einlässliche Umfrage bei der schweizerischen Industrie über ihre Exporte an strategisch wichtigen Waren in den letzten vier Jahren durchgeführt; diese Enquete wurde Anfang Juli auf Grund inzwischen erschienener bereinigter internationaler Überwachungslisten ergänzt. Die Umfrage ergab, dass im Jahresdurchschnitt 1949/50 die Schweiz für ca. 25 Mio. Franken Waren der Internationalen Liste I – der sogenannten Embargoliste – nach dem Osten exportiert hat; ferner für rund 65 Millionen Franken Waren der Internationalen Liste II, deren Ausfuhr nach dem Osten gemäss den Gesichtspunkten der Amerikaner und ihrer Alliierten einer quantitativen Beschränkung unterworfen werden soll. Gleichzeitig haben wir unserer Industrie eine von der amerikanischen Atomenergiekommission herausgegebene Liste derjenigen Waren vorgelegt, die bei der Auswertung der Atomenergie von Bedeutung sind; mit Bezug auf diese Waren stellte sich heraus, dass die schweizerischen Exporte nach dem Osten praktisch bedeutungslos sind.
Bekanntlich ist durch Bundesratsbeschluss5 und Verfügung Nr. 1 vom 18. Juni 19516 über die Überwachung der Ausfuhr lebenswichtiger Güter die Ausfuhrbewilligungspflicht für eine grosse Anzahl von Waren wieder eingeführt worden. Diese Massnahme, die aus verschiedenen Gründen getroffen wurde (wir verweisen auf unsern Antrag vom 15. Juni 19517) hat nicht zuletzt ihren Ursprung in der Notwendigkeit, unsere Exporte unter dem Gesichtspunkt des West-Ost-Handels einer Überwachung unterstellen zu können. Gestützt auf die erwähnten Erlasse hat die Handelsabteilung inzwischen die Exporte von strategisch wichtigen Waren im Rahmen des Durchschnittsexportes der Jahre 1949/50 kontingentiert, wie dies der von uns gegenüber den ausländischen Regierungen bereits vor Monaten dargelegten Konzeption des ‹normal trade› entspricht.
Im Interesse der Bereinigung unserer Situation mit den Vereinigten Staaten, d. h. unserm wichtigsten Handelspartner, dessen Haltung zugleich für die Sicherung unserer Rohstoffbezüge von entscheidender Bedeutung ist, war es unser Wunsch, Vertretern der amerikanischen Regierung unser neues Ausfuhrregime mündlich zu erläutern und von der Stellungnahme der amerikanischen Behörden Kenntnis zu nehmen. Dieser Wunsch traf sich mit dem Angebot der amerikanischen Regierung, eine Delegation nach Bern zu entsenden, um über den ganzen Fragenkomplex Besprechungen zu pflegen.
Diese Besprechungen haben vom 2.–23. Juli 1951 stattgefunden. Die amerikanische Delegation stand unter dem Vorsitz von Herrn Linder, Deputy Assistant Secretary of State vom amerikanischen Staatsdepartement; die schweizerische Delegation war geleitet von Herrn Minister Hotz, Direktor der Handelsabteilung. Der Meinungsaustausch war trotz der unverkennbaren Spannungen, die natürlicherweise aus dem Gegensatz zwischen einem traditionell neutralen Lande wie der Schweiz und den eine politische Blockpolitik verfolgenden Vereinigten Staaten resultierten, im ganzen von freundschaftlichem Geiste getragen. Die Ereignisse dürfen, grundsätzlich gesehen, als befriedigend bezeichnet werden; sie lassen sich im einzelnen wie folgt zusammenfassen:
Wie zu erwarten, bildete für die amerikanische Delegation den Ausgangspunkt, auch von der Schweiz die Anwendung der amerikanischen Embargogrundsätze zu fordern. Von Anfang an aber liess die Delegation erkennen, dass sie auf der grundsätzlichen Ebene von der Schweiz hierzu keine Zustimmung erwartete; sie richtete daher ihr Bestreben auf eine praktische Lösung, ohne allerdings zu verhehlen, dass für die Behebung unserer Bezugsschwierigkeiten aus [den]USA ein substantielles schweizerisches Entgegenkommen notwendig sein werde. Auf der andern Seite vertrat die schweizerische Delegation mit Nachdruck den Standpunkt, dass für uns ein grundsätzliches Embargo der Oststaaten in der Belieferung mit kritischen Waren aus der Schweiz nicht in Betracht kommen könne. Nicht nur machen die Grundsätze der Neutralitätspolitik eine solche Haltung unmöglich; auch wirtschaftliche Gründe, nämlich die Abhängigkeit der Schweiz für wichtige Gegenlieferungen aus dem Osten – wie auch die Interessen der Nationalisierungsentschädigungsverträge – machen es unerlässlich, dass wir mit den einzelnen Oststaaten die Kontinuität des Austausches pflegen und weiterhin neue Handelsverträge abschliessen. Dies ist aber nur möglich, wenn wir auch für Waren der Internationalen Liste I, d. h. Waren, die nach den amerikanischen Kriterien nicht mehr exportiert werden sollten, auch in der Zukunft Bestellungen entgegennehmen können.
Die Auseinandersetzung mit der amerikanischen Delegation wurde damit im wesentlichen zu einem Problem des Ausmasses dieser schweizerischen Lieferungen. Nach einer Fühlungnahme mit den Hauptvertretern der schweizerischen Industrien, die in erster Linie am Export nach dem Osten interessiert sind, waren wir in der Lage, die ursprünglich im Rahmen des ‹normal trade› vorgesehenen Kontingente angesichts der wegen der verminderten Lieferfähigkeit der Ostländer rückläufigen Geschäftsmöglichkeiten nicht unerheblich herabzusetzen. Von den für die Jahre 1949/50 berechneten Durchschnittsexporten von rund 25 Mio. Franken für Waren der Liste I sind wir auf insgesamt Fr. 8’385’000.– zurückgegangen; die 36 einzelnen Warenkategorien der Liste I, für die wir ursprünglich eine Exportquote verlangt hatten, haben wir im Verlaufe der Besprechungen auf 18 reduziert. In diesen 18 Warengruppen sind alle diejenigen Produkte der Liste I enthalten, die für die Aufrechterhaltung des schweizerischen Exportes nach dem Osten als essentiell und unverzichtbar bezeichnet werden müssen; die Summe von Fr. 8’385’000.– wird erlauben, für diese Waren die traditionellen Beziehungen im Rahmen der schon seit einiger Zeit zurückgehenden Lieferkapazität der Ostländer aufrecht zu erhalten. Für die Waren der Liste II zeigte sich die amerikanische Delegation von Anfang an entgegenkommend; sie nahm ohne Widerspruch die von der Schweiz genannte Summe von 65 Mio. Franken im Sinne eines Globalkontingentes zur Kenntnis. Als einzigen Vorbehalt verband sie damit, dass die tatsächlichen Exporte in den kommenden Jahren den Export an Liste II-Waren des Jahres 1950 nicht überschreiten. Mit Bezug auf die wenigen Positionen der Liste der amerikanischen Atomenergiekommission, in denen schweizerischerseits ein Export stattgefunden hat, wurde den Amerikanern die Zusicherung abgegeben, dass wir den Bundesratsbeschluss vom 28. März 19498 über das Kriegsmaterial durch die Unterstellung der atomphysikalischen Materialien ergänzen werden. Durch diese besondere Regelung haben wir der grossen symbolischen Bedeutung, die die Amerikaner dem Handel in diesen Geräten beimessen, Rechnung getragen. Für die pendenten Kontakte – die für manche Warengruppen eine nicht unbedeutende Höhe aufweisen – haben wir konsequent den Standpunkt verfochten, dass sie ohne Einschränkung müssen durchgeführt werden können. Die Amerikaner haben trotz einiger grundsätzlicher Einwände in diesem Punkte nicht insistiert, so dass aus der vertragsgemässen Abwicklung der alten Geschäfte keine Nachteile für unsere Versorgung zu erwarten sind.
Nicht durchgedrungen sind wir hingegen mit unserer Forderung, von der amerikanischen Delegation eine ausdrückliche Zustimmung zum weitern Export von Liste I-Waren im oben genannten Umfang zu erreichen. Hier spielen offenbar amerikanisch-innerpolitische Gründe mit, die es der amerikanischen Verwaltung unmöglich machen, in dieser Hinsicht ausdrückliche Zusagen zu geben. Hingegen konnte eine Absprache erzielt werden, die für die Schweiz nicht ungünstig ist und in folgender Richtlinie besteht: Die amerikanischen Behörden sind bereit, mit Bezug auf alle diejenigen Waren der Internationalen Liste I, für die wir keine Quote beanspruchen, die Exportlizenzen nach der Schweiz für entsprechende amerikanische Waren freizugeben. Für die 18 Warengruppen, bei denen wir an einer Quote festhalten, werden amerikanische Exportlizenzen für die Lieferung entsprechender Waren amerikanischen Ursprungs nach der Schweiz dagegen nur erteilt, wenn wir im einzelnen Fall zwingend darlegen können, dass wir für eine Sendung solcher Waren nach dem Osten besonders wertvolle Gegenleistungen erhalten. Im übrigen aber darf – immer vorausgesetzt, dass die Schweiz die erwähnte neue Exportpolitik gegenüber dem Osten in die Praxis umsetzt – mit der Beseitigung aller Hindernisse für den Bezug von Waren aus den Vereinigten Staaten gerechnet werden. Dies gilt, was besonders wichtig ist, auch für den Bezug knapper Rohstoffe.
Die mit der amerikanischen Delegation auf der geschilderten Basis gefundene Verständigung ist durchaus informell; irgendwelche schriftlichen Erklärungen wurden nicht ausgetauscht. Jede Partei erwartet von der andern, dass sie autonom ihren Teil zur Einhaltung der getroffenen Abmachung leistet. In diesem Sinne werden wir unverzüglich in Form interner Richtlinien anordnen, dass keine Exportbewilligungen mehr für Liste I-Waren – ausgenommen die bewussten 18 Warenkategorien – für den Export nach den Oststaaten erteilt werden. Für Liste II-Waren werden wir die erforderlichen Massnahmen treffen, dass die Jahresexporte global die im Jahre 1950 erreichte Höhe von 65 Millionen Franken inskünftig nicht überschreiten. Von den amerikanischen Behörden erwarten wir die umgehende Freigabe der in Washington hängigen Lizenzen.
Das Resultat der Besprechungen ist somit ein sehr informelles ‹Gentlemen’s Agreement›9, dessen Brauchbarkeit abzuwarten bleibt. Wir haben uns in keiner Weise formell festgelegt; die Massnahmen, die wir nun durchführen werden, sind autonom-schweizerische Massnahmen, die jederzeit geändert werden können, wenn die Abmachung mit den Amerikanern sich nicht bewährt. Gerade aus neutralitätspolitischen Gründen ist diese Lösung von besonderm Wert.»
Gestützt auf diese Ausführungen und im Einverständnis mit dem Politischen Departement wird der vorliegende Bericht antragsgemäss genehmigt.
- 1
- E 1004.1(-)-/1/531.↩
- 2
- Dem Antrag des Volkswirtschaftsdepartements vom 12. März 1951 beigelegt, E 1001(-)-/ 1/634.↩
- 3
- Vgl. Nr. 84, Annex, in diesem Band.↩
- 4
- Vgl. Nr. 105, Anm. 2, in diesem Band. Vgl. ferner Nr. 25, Anm. 3, in diesem Band.↩
- 5
- Vgl. AS, 1951, S. 529–530.↩
- 6
- Vgl. AS, 1951, S. 533–565. Vgl. ferner Nr. 84, Anm. 7 und 8, in diesem Band.↩
- 7
- Vgl. E 1001(-)-/1/635.↩
- 8
- Vgl. BR-Prot. Nr. 641 vom 28. März 1949, E 1004.1(-)-/1/503 (dodis.ch/6460).↩