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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 24, doc. 41
volume linkZürich/Locarno/Genève 2012
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1978/84#7100* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1978/84 426 | |
Dossier title | Beziehungen zur Schweiz (1957–1967) | |
File reference archive | B.15.21 • Additional component: Vereinigte Staaten von Amerika |
dodis.ch/33135
Aufzeichnung des Gesprächs des Departementvorstehers mit Staatssekretär Dean Rusk im Staatsdepartement Washington am 14. August 1967 von 12.30 bis 13.00 Uhr
Bundesrat Spühler dankt zunächst für den ihm gebotenen. Empfang. Er rekapituliert kurz sein Gespräch2 mit John Leddy, Assistant Secretary of State for European Affairs.
Zur Frage der Handelsbeziehungen und niedrigerer Zolltarife, gab auch Rusk seiner Befriedigung über den Ausgang der Kennedy-Runde3 Ausdruck. Nun sei aber bereits wieder ein Guerilla-Krieg ausgebrochen. Das Staatsdepartement verfolge mit grösster Aufmerksamkeit das Uhrenproblem4. Präsident Johnson werde sein Bestes tun, um einen Vorstoss vom Congressman Wilbur Mills5 zu bekämpfen. In dessen Wahldistrikt befindet sich jedoch eine Uhrenfabrik6. Dies ist der Grund für die Forderung Mills nach erhöhtem Zollschutz für Uhren.
Der Militärdienst7, d. h. die Befreiung von Schweizerbürgern schafft ein schwieriges Problem. Um dieses zu lösen, müsste man pragmatisch vorgehen. Solange der Vietnam-Krieg andauert, wird es schwierig sein, den Kongress dazu zu bringen, einer grundsätzlichen Lösung zuzustimmen. Auf kurze Sicht gesehen werde man eine praktische Antwort zu finden wissen. Die Schweiz sei nicht das einzige Land, das von dieser Frage berührt wird.
Eine Zwischenfrage Rusk’s beantwortete Botschafter Schnyder dahin, dass jährlich etwa 40 Fälle von Schweizerbürgern bekannt sind, die eine Einberufung zum Militärdienst in den USA erhalten. Der Modus vivendi bleibe nur bis Ende des Jahres in Kraft. Die Bemühungen des Staatsdepartements zur Lösung dieser Frage werde sehr geschätzt. Rusk erklärte, das Staatsdepartement werde diese Frage direkt mit dem schweizerischen Botschafter weiter verfolgen.
Zum eigentlichen Gespräch übergehend stellte Rusk fest, dass folgende zwei Fragen das Staatsdepartement beschäftigen:
1. Wird de Gaulle eine europäische Integration verhindern?
2. Die Isolation Europas BR Spühler glaubt nicht, dass Grossbritannien mit seinem Beitrittsgesuch zur EWG8 bald zum Ziele kommt. Im übrigen sei die Integration nicht nur ein Problem der EWG, es sei ein viel weiterumfassendes Problem.
Auf eine Zwischenbemerkung Rusk’s, ob die Schweiz neutraler als de Gaulle sei, erwiderte BR Spühler, de Gaulle sei nicht neutral; er glaube nicht, dass Europa sich von der übrigen Welt wegbegibt. Das Verhältnis BRD/Frankreich könne zwar darauf schliessen lassen; die Politik de Gaulle’s ist indessen nicht so dominierend. Man könne eine Auflockerung des Bündnisses feststellen, ebenso eine Anlehnung an die Grossmächte.
Rusk erklärte: er sei «concerned about the trend of policies in Europe», d. h. er sei beunruhigt über die heutigen politischen Entwicklungen in Europa. Die Teilnahme Amerikas im ersten und zweiten Weltkrieg sei ein «act of will contrary to emotional responses», also nicht ein gefühlsbetonter, sondern ein politischer Entscheid gewesen. Isolation in Europa werde zur Isolation in den USA führen. Es stimme bedenklich, dass Grossbritannien eine Reduktion seines Truppenbestandes und die BRD eine Reduktion seiner Verteidigungsauslagen ankündigen. Europa habe der Nahost-Krise9 keine ernsthafte Aufmerksamkeit gewidmet, obschon der Krisenherd nur 30 Flugminuten entfernt lag. Europa habe auch vollständige Gleichgültigkeit gegenüber den Ereignissen in Afrika bekundet. Als Beispiel erwähnte Rusk den Kongo. Dieser stelle für alle Europäer eine Gefahr dar. Nur zwei Länder hätten Massnahmen getroffen: die Schweiz10 (das Internationale Komitee für das Rote Kreuz) und die USA, um den im Kongo befindlichen Europäern beizustehen. Als die Vereinigten Staaten beschlossen, drei Transportflugzeuge aus dem Kongo zurückzuziehen, intervenierte Italien beim Staatsdepartement, um diesen Beschluss rückgängig zu machen. Ein solches Verhalten vermehre sich allzuviel «is multiplied in too many cases». Kurz zusammengefasst kennzeichne sich die europäische Haltung durch «security, tranquillity and laziness», durch Sicherheit, Gelassenheit (Passivität) und Trägheit. Dies töne extrem, sei jedoch notwendig «to make the point». Die USA werden nicht die Landsknechte für die ganze Welt spielen, «We are not going to be mercenaries for the whole world». Hier wandte BR Spühler ein, die USA dürfe aber auch nicht die Polizei sein.
Auf die weitere Bemerkung von BR Spühler, in Europa stelle man eine Aufweichung der Allianzen fest, erwiderte Rusk, der Zweck aller Bündnisse sei, den Frieden zu wahren «to maintain peace». Erst 5 Jahre sind verflossen, seit der letzten ernsthaften Krise; als Khrushchov den Rückzug der alliierten Truppen aus Berlin forderte und mit Krieg drohte, falls seinen Forderungen nicht entsprochen würde. Die Antwort Präsident Kennedy’s lautete: «In diesem Falle sei der Krieg unvermeidlich». Die Leute haben sich seither nicht geändert, aber beide Seiten sind vorsichtiger geworden. Er, Rusk, sei nicht beunruhigt darüber, dass die Allianzen sich etwas abschwächen, wichtig sei aber, dass sie bestehen, wenn eine Krise ausbricht, «I am not disturbed that alliances are subdued but they must be available in crises».
Europa fühle sich in der Mitte zwischen der UdSSR und den USA als «innocent bystanders», als unbeteiligte Zuschauer. In Europa glaube man, dass, wenn man sich zurückziehe, man damit auch einen Zusammenstoss verhindern könnte, «if Europe could withdraw they would avoid a clash». Europa ist indessen die Quelle, der Mittelpunkt der Auseinandersetzungen «but Europe is the issue, the heart of the struggle». Europa ist nicht eine dritte Welt. Europa kann dem Problem nicht entgehen.
BR Spühler dankt für diese offenen Worte. Er teile die Meinung, dass Europa ohne den Rückhalt der USA zu schwach sei.
Schliesslich kommt Rusk noch auf die direkten Kontakte zwischen Washington und Moskau zu sprechen und erklärt: es sei ihm unverständlich, dass solche Kontakte das europäische Misstrauen erwecke. Dies sei besonders kennzeichnend bei den Bemühungen um den Ausbau der Handelsbeziehungen. 26,6% des Handels bestünde zwischen Ost-Europa und Europa und nur 1,6% zwischen Ost-Europa und den USA. Wie könne da von einer «conspiracy» zwischen den USA und der UdSSR die Rede sein? Ein solcher Vorwurf sei unbegründet.
Die Frage von BR Spühler, ob dann die USA keine Einwände gegen vermehrte Handelsbeziehungen zwischen der Schweiz und Ost-Europa erhebe11, verneinte Rusk.
- 1
- Notiz: E2001E#1978/84#7100* (B.15.21). Kopie an F. Schnyder, P. Micheli und W. Jaeggi. Am Gespräch nahmen auf schweizerischer Seite W. Spühler, F. Schnyder, Ch. Mueller und W. Jaeggi teil; auf amerikanischer Seite D. Rusk, J. Hayes und A. Foley.↩
- 2
- Vgl. dazu die Notiz von Ch. Müller vom 18. August 1967, dodis.ch/33407.↩
- 3
- Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 15, dodis.ch/33250.↩
- 4
- Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 3, dodis.ch/33140, Anm. 2.↩
- 5
- Zu den Vorstössen von W. Mills betr. Uhrenzölle vgl. das Schreiben von A. Weitnauer an F. Schnyder vom 7. August 1967, dodis.ch/33936 sowie den Bericht von R. Bosshard vom 22. September 1967, dodis.ch/33937.↩
- 6
- Die Fabrik US Time in Arkansas. Vgl. dazu das Schreiben von R. Probst an P. Micheli vom 23. August 1967, dodis.ch/33944.↩
- 7
- Vgl. DDS, Bd. 24, Dok. 37, dodis.ch/33132, bes. Anm. 3.↩
- 8
- Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 33, dodis.ch/33238, Anm. 3.↩
- 9
- Zum 6-Tage Krieg vgl. DDS, Bd. 24, Dok. 29, dodis.ch/33283.↩
- 10
- Dabei geht es höchstwahrscheinlich um die Evakuierung von Söldnern aus dem Kongo durch das IKRK. Vgl. dazu das BR-Beschlussprot. II der 61. Sitzung vom 29. September 1967; das BR-Beschlussprot. II der 71. Sitzung 7. November 1967, E1003#1994/26#8* sowie Doss. E2003A#1980/85#694* (o.222.3) und E2807#1974/12#414* (074).↩
- 11
- Zur Fortführung der schweizerischen Beschränkung des West–Ost-Handels in der Folge des sog. Hotz-Linder Agreement von 1951 vgl. DDS, Bd. 24, Dok. 189, dodis.ch/33136. Zum schweizerischen Handelsverkehr mit Oststaaten vgl. DDS, Bd. 24, Dok. 135, dodis.ch/33630, Anm. 3.↩
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