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Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 24, Dok. 83
volume linkZürich/Locarno/Genève 2012
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2200.174#1985/195#38* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2200.174(-)1985/195 4 | |
Dossiertitel | Relation de la Suisse avec le Vietnam du Nord, 5 volumes (1966–1973) | |
Aktenzeichen Archiv | 332.1 |
Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2001E#1980/83#4510* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2001(E)1980/83 627 | |
Dossiertitel | Aktion Hanoi (1968–1968) | |
Aktenzeichen Archiv | B.73.0.(07) • Zusatzkomponente: Vietnam |
dodis.ch/32172
Der Chef des politischen Diensts Ost des Politischen Departements, H. Miesch, an den schweizerischen Botschafter in Peking, O. Rossetti1
Die jüngste Entwicklung – Einigung zwischen Hanoi und Washington, die Vorgespräche in Paris abzuhalten – hat die von Ihnen wie von Herrn Botschafter Dupont in unserem Auftrag noch kürzlich unternommenen Bemühungen zugunsten Genfs2 in gewissem Sinne hinter sich gelassen; wir neigen aber zur Ansicht, dass diese Bemühungen dennoch nicht überflüssig waren, denn nach wie vor liegen Indizien dafür vor, dass Vorgespräche und eigentliche Verhandlungen nicht am selben Ort stattfinden sollen. Aus den Bemerkungen Mai Van Bos3, die er gegenüber Botschafter Dupont anlässlich dessen Vorsprache zuguns ten Genfs machte, liess sich indirekt entnehmen, dass Hanoi nicht deswegen nicht für Genf optierte, weil es etwas gegen diese Stadt gehabt hätte, sondern weil es bewusst und aus verhandlungstaktischen Gründen Washington die Wahl des Ortes möglichst erschweren wollte; Mai Van Bo wiederholte zudem, die nun beginnenden Vorgespräche hätten erst den Zweck, einerseits die vollständige und bedingungslose Einstellung der Bombardierungen zu erreichen und anderseits den Ort, den Zeitpunkt und das Rangniveau für die späteren eigentlichen Verhandlungen festzulegen. Wenn man dazu die von Botschafter Loan Ihnen gegenüber gemachte Bemerkung hält, dass Hanoi dem Ort für Vorgespräche keine allzu grosse Bedeutung beimesse, dass aber an den Ort für eine umfangreichere Konferenz höhere Ansprüche gestellt werden müssten (wobei diese Ansprüche das Vorhandensein einer diplomatischen Vertretung nicht unbedingt einschlössen), so glauben wir daraus die Folgerung ziehen zu dürfen, dass Genf nach wie vor Chancen für die eigentlichen, späteren Verhandlungen hat. Es ist in diesem Zusammenhang interessant, dass der 1. Sekretär4 der Botschaft der UdSSR in Paris einem Mitarbeiter5 Botschafter Duponts kürzlich6 erklärt hat, die eigentlichen Verhandlungen würden «sans aucun doute» in Genf stattfinden, und zwar aus symbolischen Gründen, da die östlichen Staaten ja immer eine Rückkehr zu den Genfer Abkommen von 1954 verlangt hätten. (Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass gerade hier ein weiterer Grund dafür liegt, dass Hanoi vorläufig nicht Genf gewählt hat: auch Hanoi hat ja immer wieder darauf hingewiesen, dass die Genfer Abkommen die Grundlage für neue Vietnam-Verhandlungen abgeben müssten; wenn nun die Vorgespräche abklären sollen, ob eine Einigung über die Grundlagen für eigentliche Vietnam-Verhandlungen erzielt werden kann, dann dürfte es in den Augen Hanois ein Präjudiz darstellen, schon für diese Vorgespräche Genf zu wählen.) Der oben zitierte sowjetische Gewährsmann schloss übrigens kategorisch eine Konferenz beispielsweise in Wien aus. (Es dürfte Sie eventuell interessieren, was der österreichische Aussenminister7 anlässlich seiner kürzlichen Gespräche mit Bundespräsident Spühler zu diesem Thema ausführte; Sie finden zu Ihrer persönlichen und vertraulichen Information beiliegend ein Exemplar des betreffenden Protokolls8.)
Es liegt somit in unseren Augen kein Grund vor, nicht weiterhin aktiv für Genf als Ort für die eigentliche Vietnam-Konferenz zu werben9.
Der kürzliche Besuch des nordvietnamesischen Botschafters auf Kuba in Mexiko10 scheint einen rein «informativen» Zweck gehabt zu haben, d. h. er diente der Darlegung des Standpunktes des DRVN im Vietnamkonflikt (und war übrigens schon vor der Erklärung Johnsons vom 31. März11 vereinbart worden); er stellte sich damit in eine Reihe mit anderen Besuchen diplomatischer Vertreter der DRVN in westlichen Hauptstädten.
Dem westlichen Beobachter muss auffallen, dass Hanoi nun mit dem Einschwenken auf Paris den USA doch ziemlich rasch und mindestens bis zur Mitte entgegengekommen ist. (Auch wenn Washington bestimmt mit Paris gewisse unangenehme Assoziationen verknüpft, so hat es doch durchgesetzt, dass es weder nach Warschau noch Phnom Penh gehen musste). Der Eindruck verstärkt sich, dass Hanoi seinerzeit mit der Tet-Offensive alles auf eine Karte setzte, um die Lage doch noch zu seinen Gunsten zu beeinflussen; als der erhoffte Volksaufstand unterblieb und die Offensive, trotz massiven Verlusten der Südseite, letztlich doch keinen entscheidenden Erfolg brachte, war es «à bout de souffle». Auch die gegenwärtige neue Offensive scheint sich ja – wenigstens soweit dies heute beurteilt werden kann – eher als Störmanöver denn als entscheidender Schlag zu entwickeln.
Es fällt auch auf, dass in der gegenwärtigen Phase der Sondierungen zwischen Hanoi und Washington der FNL fast gar nicht in Erscheinung tritt. Noch vor einem Jahr (vgl. Beilage zu Bulletin No 16/196712) wurde alles unternommen, um den FNL als den primären Kampf- und damit Verhandlungs-Partner der USA im Süden zu plakatieren. Davon ist heute offensichtlich nicht mehr die Rede. Auch Mai Van Bo operierte in Bern, als er uns über die Lage in Vietnam «indoktrinierte», nicht mehr mit der Fiktion, die Lage im Süden sei eine Angelegenheit des Südens und mithin der FNL, sondern vielmehr mit der neuen Fiktion, der Norden fühle sich für den Süden verantwortlich, und die amerikanische Präsenz im Süden sei ein Angriff auf Vietnam schlechthin. Hat man Hanoi, nach der Tet-Offensive und dem Ausbleiben der einkalkulierten Levée en masse, eingesehen, dass die Behauptung, wonach der FNL für Südvietnam allein repräsentativ sei, einfach nicht den Tatsachen entspricht, und die Konsequenzen gezogen? (Laus «Newsweek» sollen ja die Nordvietnamesen vom Gelingen des Tet-Aufstandes so völlig überzeugt gewesen sein, dass sie sogar sowjetische Journalisten aus Hanoi einluden, sich für einen baldigen Transport nach Süden bereitzuhalten, damit sie über die dortige «Revolution» berichten könnten.)
P. S.
Es dürfte Sie interessieren, dass der schwedische Aussenminister13 auf eine Interpellation14 im Reichstag kürzlich erklärt hat, Schweden habe bei seinen Kontakten nicht nur Mitteilungen und Signale übermittelt, sondern mit den Parteien auch gewisse eigene Vorschläge über das Zustandekommen von Verhandlungen diskutiert. Er könne allerdings vorläufig darüber nichts aussagen. – Man geht wohl nicht fehl, darin einen Hinweis auf Botschafter Petris «Aktivitäten» zu sehen. Offensichtlich konnte Petri auch den Stockholmer Korrespondenten15 der «WashingtonPost» von seiner (in seinen Augen) wichtigen Rolle beim Zustandekommen der gegenwärtigen Kontakte zwischen Hanoi und Washington überzeugen; der Washingtoner Korrespondent16 von «DagensNyheter» berichtet17 jedenfalls über einen entsprechenden Artikel in der «WashingtonPost», fügt allerdings bei, dass dieses Bild von Schwedens Aktivität und Bedeutung im Vietnamkonflikt in Washington «keine grosse Unterstützung» finde und dass er selbst anlässlich eines Besuches in Hanoi in keiner Weise den Eindruck erhalten habe, dass Schweden eine so bedeutende Rolle als Kontaktvermittler gespielt haben solle. (Paris-Match hat ja im Gegenteil angedeutet, die Erklärung Johnsons vom 31. März sei im Anschluss an Mitteilungen via schweizerische Kanäle erfolgt.)
- 1
- Schreiben: E2200.174#1985/195#38* (332.1). Verfasst von H. Kaufmann.↩
- 2
- Zum Versuch, die Friedensverhandlungen im Vietnamkonflikt nach Genf zu bringen vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 157, dodis.ch/30940; die Notiz von H. Miesch vom 9. April 1968, dodis.ch/32190 sowie das Telegramm Nr. 185 von F. Schnyder an W. Spühler vom 4. April 1968, dodis.ch/32186.↩
- 3
- Vgl. dazu das Telegramm Nr. 166 des Politischen Departements an F. Schnyder vom 5. April 1968, dodis.ch/32177 sowie das Telegramm Nr. 167 des Politischen Departements an F. Schnyder vom 6. April 1968, dodis.ch/32178. Zum Besuch Mai Van Bo in Bern vom 19. bis 22. März 1968 vgl. DDS, Bd. 24, Dok. 75, dodis.ch/32171.↩
- 6
- Vgl. das Telegramm Nr. 95 vom Politischen Departement an A. R. Lindt vom 9. April 1968, E2807#1974/12#491* (09) sowie das Telegramm Nr. 209 von P. Dupont an das Politische Departement vom 30. April 1968, E2001E#1980/83#4510* (B.73.0.(07)).↩
- 7
- K. Waldheim.↩
- 8
- Vgl. das Protokoll von H. Kaufmann vom 26. April 1968, dodis.ch/33385.↩
- 9
- Vgl. dazu den Bericht von O. Rossetti an W. Spühler vom 16. Juni 1968, dodis.ch/32185.↩
- 10
- Vgl. dazu das Telegramm Nr. 21 von J.-L. Pahud an das Politische Departement vom 30. April 1968, E2001E#1980/83#4506* (B.73.0.(02)).↩
- 11
- Zur Erklärung von L. B. Johnson über die Einstellung der Bombardierungen Nordvietnams und Verzichtserklärung auf Wiederwahl vgl. das Telegramm Nr. 173 der schweizerischen Botschaft in Washington an W. Spühler vom 31. März 1968, E2807#1974/12#491* (09).↩
- 12
- Vgl. Doss. E2814#1988/159#34* (02).↩
- 13
- T. Nilsson. Zu den schwedisch-nordvietnamesischen Beziehungen vgl. auch DDS, Bd. 24, Dok. 173, dodis.ch/32173.↩
- 14
- Für die Antwort von T. Nilsson vom 18. April 1968 vgl. Doss. wie Anm. 10.↩
- 15
- W. Fleisher.↩