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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 23, doc. 157
volume linkZürich/Locarno/Genève 2011
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300-01#1973/156#71* | |
Old classification | CH-BAR E 2300-01(-)1973/156 10 | |
Dossier title | Washington (Berichte, Briefe) (1966–1966) | |
File reference archive | A.21.31 |
dodis.ch/30940 Der schweizerische Botschafter in Washington, F. Schnyder, an den Vorsteher des Politischen Departements, W. Spühler1 Vietnam
Nach der sehr wohlgelungenen Eröffnung des «Swiss Center» in New York2, der Herr Bundesrat Wahlen3 insbesondere mit seiner grossen Rede über die Stellung der Schweiz in der Welt4 am 22. d. M. das Gepräge gegeben hatte, bot sein anschliessender Besuch in Washington D. C. Gelegenheit zu manchen höchst nützlichen Kontakten. Ich bedaure nur, dass er Staatssekretär Dean Rusk, der eben an eine SEATO-Konferenz in Australien verreiste, nicht treffen konnte.
Es schien mir dagegen besonders wertvoll, dass ein kurzer Besuch bei Governor Averell Harriman (H.) im Staatsdepartement Herrn Wahlen, den ich begleitete, erlaubte, persönlich nochmals die schweizerische Bereitschaft zur Leistung guter Dienste5, im Rahmen der Voraussetzungen der schweizerischen Praxis, zu betonen.
H[arriman brachte bei dieser Gelegenheit seinerseits das starke Interesse der USA an einer internationalen Aktion zum Ausdruck, die den kriegerischen Konflikt in Vietnam einer Lösung auf dem Verhandlungsweg näher bringen würde.
In diesem Zusammenhang erinnerte er sich daran, dass der Botschafter von Nordvietnam in Peking6 sich vor einigen Monaten durch seinen schweizerischen Kollegen7 den Text des Exposés von Dr. Probst8 über die schweizerischen guten Dienste verschaffte. Er würde es sehr schätzen, wenn man schweizerischerseits in Erfahrung bringen könnte, ob die Regierung in Nordvietnam in diesem Dokument praktische Möglichkeiten sieht, die sich im Vietnamkonflikt vielleicht ausnützen liessen.
Eine solche Erkundigung sollte aber, wie H[arriman sogleich beifügte, aus eigener schweizerischer Initiative unternommen werden. Jeder Eindruck bei den Nord-Vietnamesen, dass eine Aktion auf amerikanischen Wunsch unternommen werde, verurteile diese von vornherein zum Scheitern.
H[arriman liess uns ferner vertraulich wissen, dass alle anderen Versuche einer nützlichen Fühlungnahme mit Hanoi bisher vollkommen ergebnislos geblieben seien, auch diejenigen einer Inanspruchnahme des kanadischen Botschafters Ronning (vgl. die beiliegenden Zeitungsausschnitte9). Ronning sei einer der westlichen Diplomaten, die für das Regime in Peking am meisten Verständnis bewiesen hätten. Trotzdem und trotz des grossen chinesischen Interesses an kanadischen Weizenlieferungen habe Ronning nun nicht einmal die Erlaubnis zum Besuch von China erhalten.
Aus dem weiteren Gespräch ergab sich, dass man amerikanischerseits offenbar auch mit einem gewissen russischen Interesse an der Beendigung des Krieges in Vietnam auf dem Verhandlungsweg rechnet. Wenn die Russen und ihre Verbündeten in dieser Richtung wirken (wofür es einige Anhaltspunkte gibt10), müssen sie das aber mit Rücksicht auf ihre besonderen Schwierigkeiten mit den Chinesen sehr diskret tun.
In diesem Zusammenhang bemerkte H[arriman], dass das Regime von Ho Chi-Minh in seiner gegenwärtigen Auseinandersetzung mit Südvietnam und den USA weitgehend auf Lieferungen aller Art aus China angewiesen sei, während es von der UdSSR nur defensive militärische Hilfsmittel, wie Luftabwehrraketen, erhalte.
Trotzdem sei nicht daran zu zweifeln, dass Hanoi sich gegenüber China ein nicht unbeträchtliches Mass von Selbstständigkeit zu bewahren gewusst habe. Das habe übrigens auch seine Teilnahme am Moskauer Parteikongress, gegen den Willen von Peking, unlängst bewiesen.
Wie H[arriman ferner bemerkte, zeige sich Hanoi in seinem Auftreten nach aussen immer eine deutliche Nuance weniger brutal als Peking. Die jüngsten innenpolitischen Auseinandersetzungen in China11 seien übrigens, in Bezug auf das, was die Welt von dieser Macht zu erwarten haben werde, kaum sehr zuversichtlich zu beurteilen. Offenbar seien dort die Verfechter der «harten Linie» daran, sich schon jetzt, bevor Mao Tse Tung verschwinde, sich alle wesentlichen Machtpositionen im Innern zu sichern.
Im weiteren Gespräch wurde auch auf die weittragende allgemeine Bedeutung der Auseinandersetzung in Vietnam, zum Beispiel auf die jüngere Entwicklung in Indonesien, hingewiesen. H[arriman betonte erneut, die unerschütterliche Entschlossenheit des Präsidenten12, den Einsatz seiner Streitkräfte bis zur Erreichung seiner limitierten Ziele und mit der diesen limitierten Zielen entsprechenden Zurückhaltung (!) durchzuhalten.
Schliesslich kam er nochmals auf den amerikanischen Wunsch nach einer Lösung des Konflikts auf dem Verhandlungsweg zurück. Wie er erklärte, erscheine als das einzige wesentliche Hindernis für die Aufnahme von Verhandlungen momentan eine der Bedingungen von Hanoi, die Bedingung nämlich, dass die «Nationale Befreiungsfront» als alleiniger Sprecher von Südvietnam an Verhandlungen teilnehmen sollte. Das sei selbstverständlich für Amerika unannehmbar. Alle anderen Bedingungen seien dagegen durchaus nicht unrealistisch, mit Einschluss derjenigen eines Abzugs der amerikanischen Streitkräfte und einer Liquidation aller amerikanischen Militärbasen in Vietnam, vorausgesetzt, dass dazu der nötige zeitliche Spielraum offen bleiben würde.
Bevor sich Herr Bundesrat Wahlen von H[arriman verabschiedete, äusserte dieser nochmals seine Dankbarkeit und sein Interesse für jede Initiative der Schweiz, die dazu führen könnte, den Konflikt in Vietnam beendigen zu helfen.
Der Vollständigkeit halber sei schliesslich noch erwähnt, dass H[arriman in unserem Gespräch auch die amerikanischen Kriegsgefangenen in Nordvietnam und seine bezüglichen kürzlichen Besprechungen mit dem Präsidenten des IKRK13 in Genf erwähnte.
[…] 14
- 1
- Politischer Bericht Nr. 44: E 2300-01(-) 1973/156 Bd. 10 (A.21.31). Beigelegte Notiz von F. Schnyder: Mit besten Grüssen. Ihr sehr ergebener F. Schnyder, Ambassador of Switzerland. Eine Kopie des Washingtoner Berichts geht an Herrn Bundesrat Wahlen.↩
- 2
- Vgl. Doss. E 2200.36(-) 1976/154 Bd. 43 (K.30.21.5).↩
- 3
- Zum Einsatz von alt Bundesräten für aussenpolitische Missionen vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 167, dodis.ch/30917, Anm. 4.↩
- 4
- Vgl. den Entwurf zur Rede von F. T. Wahlen vom 21. Juni 1966, J I.153(-) 1996/431 Bd. 21 (149).↩
- 5
- Zur Vertretung der amerikanischen Interessen auf Kuba vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 101, dodis.ch/31456, bes. Anm. 10.↩
- 8
- Vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 144, dodis.ch/31184, Anm. 6.↩
- 9
- Doss. wie Anm. 1.↩
- 10
- Fussnote im Originaltext: Andeutungen in diesem Sinn machte mir gegenüber gestern auch der Botschafter der Tschechoslowakei. Als besonders schwerwiegende Folge des Kriegszustands in Vietnam bezeichnete er die Tatsache, dass wichtige andere weltpolitische Fragen deswegen offenbar nicht wirksam angepackt werden können. Er verkennt auch die Gefahr nicht, dass mit der wachsenden Ungeduld der öffentlichen Meinung mit der Lage in Vietnam nun in Amerika eher die «Hawks» die Oberhand gewinnen dürften (was die Entwicklung der Kriegshandlungen in Vietnam neuerdings zu bestätigen scheint).↩
- 11
- Zur Situation in China vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 167, dodis.ch/30917 und Dok. 175, dodis.ch/30922.↩
- 12
- L. B. Johnson.↩
- 14
- Das Dokument endet mit einem Postskriptum vom 1. Juli 1966: Wie Undersecretary Ball gestern im «Hearing» des Auswärtigen Komitees im Senat erklärte, bedeuten die gesteigerten Luftangriffe, gerichtet gegen die Ölvorräte in Nordvietnam, – die Verwaltung will sie übrigens nicht als «Escalation» gelten lassen – durchaus nicht etwa, dass die amerikanische Regierung nicht mehr an Verhandlungen interessiert wäre; im Gegenteil.↩
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United States of America (USA) (Politics)
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