Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 22, Dok. 89
volume linkZürich/Locarno/Genève 2009
Mehr… |Die Schweiz und die Konstruktion des Multilateralismus, Bd. 3. Diplomatische Dokumente der Schweiz zur Geschichte der UNO 1942–2002, Bd. 15, Dok. 18
volume linkBern 2022
Mehr… |▼▶Aufbewahrungsort
Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2804#1971/2#347* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2804(-)1971/2 46 | |
Dossiertitel | Anleihen der Vereinten Nationen (1956–1964) | |
Aktenzeichen Archiv | 08.01 |
dodis.ch/30220Gespräch des Vorstehers des EPD, Bundesrat Wahlen, mit UNO-Generalsekretär U Thant am 12. Juli 1962 in Bern1 Besprechung anlässlich des Besuches von U Thant
Spinelli erwähnt die guten Beziehungen zwischen den schweizerischen Behörden und der UNO-Direktion und weist auf gewisse bauliche Schwierigkeiten hin. Es fehlen insbesondere 200 bis 250 Büroräumlichkeiten. Die OMS siedelt erst 1965 in ihr neues Gebäude über. Der grosse Konferenzsaal reiche für 116 Delegationen à 5 bis 8.
Bundesrat Wahlen lenkt das Gespräch auf die Frage der Abhaltung der Generalversammlung der UNO in Genf 1964 und erwähnt die Koinzidenz mit der Landesausstellung.
U Thant teilt mit, dass die Russen eventuell auf die Abhaltung der Generalversammlung 1964 in Moskau aspirieren, allerdings mit geringer Chance. Die Schweiz wäre als Versammlungsort einer Mehrzahl von Ländern, insbesonders den asiatischen und afrikanischen, genehmer als New York.
Seine Frage, ob die Schweiz die Konferenz einzuladen beabsichtige, verneint Bundesrat Wahlen. Die UNO habe in der Schweiz Sitz und brauche deshalb nicht eingeladen zu werden. Einem Wunsch zur Abhaltung der Session in Genf würde selbstverständlich sehr wohlwollend entgegengekommen. Er müsste aber frühzeitig vorgelegt werden.
U Thant frägt, wie man sich in der Schweiz zu diesem Problem verhält. Seiner Ansicht nach wäre es schwierig, die grossen Organisationen, wie FAO,2 ILO etc. zu verlegen. In Frage käme eventuell die Umsiedlung der ECE oder der Europa-Büros der «Specialized Agencies». Spinelli tönt die Möglichkeit der Wahl Berlins für den Sitz allfälliger, neuer Organisationen an3 (Weltindustrie-Organisationen).
U Thant legt seine Ansicht eingehend dar: zwei Aspekte stehen für ihn im Vordergrund; der konstitutionelle und der finanzielle.
In Bezug auf den ersteren habe der Vertreter des Generalsekretärs – mit Zurückhaltung, um sich nicht in interne Fragen des Kongos einzumischen – ein System mit gemischtem föderalistisch-zentralistischem Charakter empfohlen. Dies sei Adoula nicht genehm gewesen. Er verfolge zentralistische Tendenzen, die indessen von Tschombé nicht angenommen werden.
Die finanzielle Situation im Kongo sei katastrophal. Während Elisabethville Einnahmen in Höhe von 56 Mill. Dollars, grösstenteils von der Union Minière5 verzeichne, seien jene Léopoldvilles auf Null. Nach Ansicht U Thants sollte die Union Minière dringendst dazu gebracht werden, einen Teil ihrer Einnahmen an die Zentralregierung zu entrichten, entsprechend dem seit 40 Jahren praktizierten System.
Adoula habe im Sinne eines Verständigungsvorschlags Katanga in der Zentralregierung 2 von 14 Sitzen6 und dazu die Vizepräsidentschaft persönlich für Tschombé angeboten. Das schiene U Thant angemessen. Er werde versuchen, bei den Engländern, Franzosen und Belgiern dahinzuwirken, dass sie Tschombé zur Annahme dieses Angebots veranlassen. Die Amerikaner hätten auf ihn keinerlei Einfluss. Spaak sei sehr verständig. Er werde die Sache auch de Gaulle persönlich vortragen. Es sei dringend nötig, eine rasche Lösung zu finden. Die Zeit arbeite für Tschombé, welcher über reichliche Einnahmen verfüge.
Nach Ansichten U Thants könne sich die UNO die Sonderauslagen ihrer Aktion im Kongo (10 Mill. Dollars monatlich) nicht mehr länger leisten. Diese Aktion müsste abgebaut werden. Die Sache gelange eventuell erneut vor den Sicherheitsrat. (Anders als im Kongo sei ein Abbau der Präsenz im Gaza-Streifen nicht möglich, die Feindseligkeiten würden dort wieder aufflammen, sobald die UNO-Kontingente abgezogen würden.)
Bundesrat Wahlen erwähnt die Schwierigkeit, unsere Beteiligung im Parlament durchzubringen, und unterstreicht in diesem Zusammenhang die Bedeutung des Briefwechsels mit dem Generalsekretär betreffend die friedliche Verwendung unserer Quote,8 insbesondere Vorschlag Turners,9 betreffend «earmarking» für administrative Spesen des Genfer Sitzes und des Internationalen Gerichtshofes.
U Thant bemerkt, das sei ein Vorschlag Turners, dem er sich nicht ohne weiteres anschliessen könne. Insbesondere seien auch die Kosten der Kongo Aktion zu decken. Der Schweizer Vorbehalt könnte unerwünschte Schule machen.
Bundesrat Wahlen erwähnt die uns aus New York zugekommene Erklärung Turners, dass die Anleihe nur im Rahmen des gewöhnlichen Budgets verwendet werden könne und nicht für Zivilaktionen der ONUC, wie wir dies ursprünglich ins Auge gefasst hätten.
U Thant beabsichtigt, das Sonderarrangement mit der Schweiz notgedrungen in seinen nächsten Bericht über die Situation der Anleihe aufzunehmen.
Dem besonderen Anliegen von Bundesrat Wahlen, anlässlich der bevorstehenden Pressekonferenz in Bern die Frage der Anleihe mit Vorsicht zu behandeln, um die Vertretung vor dem Parlament nicht zu erschweren, wird er Rechnung tragen.10 Bundesrat Wahlen empfiehlt ihm, vorwiegend allgemein über die Bedeutung der UNO zu reden.
Bundesrat Wahlen schliesst die Unterredung mit einem persönlichen Bekenntnis zur UNO, der als Treffpunkt der Nationen, namentlich der jungen, auf gleicher Ebene und als Stätte weltweiter Zusammenarbeit als Gegengewicht gegen den Regionalismus (neue Form des Nationalismus) grosse Bedeutung zukomme.
U Thant griff noch die Frage der Europäischen Integration auf, doch reichte die Zeit nicht aus, um näher auf sie einzutreten.
- 1
- CH-BAR#E2804#1971/2#347* (08.01), DDS, Bd. 22, Dok. 89. Diese Notiz wurde von Jakob Burckhardt, Chef der Abteilung für internationale Organisationen des EPD, anlässlich des Besuchs von UNO-Generalsekretär Sithu U Thant in Bern verfasst und unterschrieben. Die Gespräche fanden im Von-Wattenwyl-Haus in Bern und beim Mittagessen auf dem Landgut Lohn in Kehrsatz statt. Bei den Gesprächen in Bern waren nebst dem Vorsteher des EPD, Bundesrat Friedrich Traugott Wahlen, unter anderen der Vorsteher des EMD, Bundespräsident Paul Chaudet, der Generaldirektor des Büros der Vereinten Nationen in Genf, Pier Spinelli, sowie Abteilungschef Burckhardt anwesend. Eine vollständige Liste der teilnehmenden Personen und das detaillierte Besuchsprogramm vom 12. Juli 1962 befinden sich im Dossier CH-BAR#E2804#1971/2#525* (170.19). Handschriftliche Bemerkung oben rechts auf der Notiz: vu.↩
- 2
- Handschriftliche Korrektur aus: EU.↩
- 3
- Handschriftliche Korrektur aus: Spinelli tönt an auf die Möglichkeit der Wahl Berlins für den Sitz allfälliger, neuer Organisationen.↩
- 4
- Für eine Bilanz der Aktivitäten der UNO im Kongo vgl. DDS, Bd. 22, Dok. 70, dodis.ch/30218.↩
- 6
- Handschriftliche Anmerkung: (sic).↩
- 7
- Vgl. dazu DDS, Bd. 22, Dok. 36, dodis.ch/30162 und Dok. 51, dodis.ch/30184, sowie das BR-Prot. Nr. 647 vom 6. April 1962, dodis.ch/62867.↩
- 8
- Vgl. das Schreiben des schweizerischen Beobachters bei der UNO in New York, Botschafter Ernesto Thalmann, an Bundesrat Wahlen vom 20. April 1962 im Dossier CH-BAR#E2804#1971/2#347* (08.01), sowie das Schreiben von UNO-Generalsekretär U Thant an Botschafter Thalman vom 17. April 1962 im selben Dossier.↩
- 9
- Vgl. das Telegramm Nr. 68 von Botschafter Thalmann an das EPD vom 3. Juli 1962 im Dossier CH-BAR#E2804#1971/2#347* (08.01).↩
- 10
- Die Anleihe über 1,9 Mio. USD wurde am 10. September 1962 durch das Parlament ratifiziert. Vgl. dazu das Protokoll der Kommission des Ständesrates zur Beratung der vom Bundesrat beantragten Beteiligung der Schweiz an der durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 20. Dezember 1961 bewilligten Anleihe vom 10. September 1962 im Dossier CH-BAR#E2804#1971/2#347* (08.01).↩
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